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28. Febr. 2011

Enthusiastisch ins Ungewisse

Was kommt nach Hosni Mubarak?

In nur 18 Tagen haben die Ägypter ihr Land verändert. Jetzt können Wahlen vorbereitet werden, aus denen dann hoffentlich eine Regierung hervorgeht, die die Forderungen nach wirtschaftlichen und politischen Reformen ernst nimmt. Doch welche Kandidaten stehen überhaupt bereit? Welche Rolle spielen das Militär und die Muslimbrüder?

Am 11. Februar wurde Hosni Mubarak nach 30 Jahren Amtszeit gestürzt. An der Spitze des Staates steht ein Militärrat, der das Parlament aufgelöst und mehrere Paragrafen der Verfassung für ungültig erklärt hat, die den Machterhalt des Präsidenten garantiert und eine Nachfolge nur innerhalb der Präsidentenfamilie vorgesehen hatten. Innerhalb von nur sechs Monaten sollen Neuwahlen stattfinden. Die Strukturprobleme jedoch, die zum Sturz Hosni Mubaraks führten (und die weite Teile der gesamten arabischen Welt belasten), sind so schnell nicht zu lösen.

Jahrelang hatten die immer schlechter werdenden Lebensumstände, ein rasant wachsendes Gefühl von Unsicherheit, hohe Arbeitslosenquoten, Armut, Korruption, das Fehlen jeglicher sozialen Gerechtigkeit und die völlige Unfähigkeit der Regierung, diese Probleme zu lösen, zu einer tiefen Frustration und einem völligen Rückzug der Ägypter aus dem öffentlichen Raum geführt. Zwei „Schlüsselereignisse“ steigerten diese Frustration schließlich ins Unerträgliche und untergruben die ohnehin schon beschädigte Legitimität des Regimes vollends. Bei den Parlamentswahlen vom November 2010 „siegte“ wieder einmal Hosni Mubaraks „National Democratic Party“ und verbuchte 420 von 518 Sitzen für sich. Oppositionsparteien waren entweder verboten oder hatten die offensichtlich manipulierten Wahlen boykottiert. Nur ein paar Splitterparteien durften die restlichen 98 Sitze im Parlament einnehmen. Die meisten Ägypter sahen darin nur ein Zeichen: Mubarak, der sich seit seiner Amtsübernahme 1981 fünf Mal in seinem Amt bestätigen ließ, bereitete entweder eine sechste Amtszeit vor oder aber die Machtübergabe an seinen Sohn Gamal im Rahmen der für September dieses Jahres vorgesehenen Präsidentschaftswahlen.

In dieser ohnehin schon aufgeladenen Atmosphäre wurde in der Nacht zum 1. Januar in Alexandria ein Anschlag auf eine Kirche verübt, in der Kopten gerade ihren Neujahrsgottesdienst feierten. Entsetzen herrschte nicht nur über die 21 Todesopfer, sondern auch über die Tatsache, dass viele ägyptische Christen öffentlich das Innenministerium bezichtigten, das Attentat entweder stillschweigend geduldet zu haben oder gar selbst darin verwickelt gewesen zu sein. Jahrzehntelang waren die Kopten, die etwa zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmachen, so etwas wie „natürliche Unterstützer“ des Mubarak-Regimes. Immerhin schien ihnen diese Regierung erträglicher als eine islamistische. Immer wieder neue Anschläge auf christliche Einrichtungen und die ungehinderte Fortsetzung der politischen, sozialen und rechtlichen Diskriminierung der christlichen Minderheit zeigten aber nur zu deutlich: Die Regierung Mubarak war nicht mehr willens oder in der Lage, sich weiterhin der Unterstützung durch die Christen zu versichern.

Dass die Tunesier es gewagt – und vor allem geschafft – hatten, ihren Tyrannen ins Exil zu jagen, beendete die Lethargie, die sich jahrelang so lähmend über die ägyptische Gesellschaft gebreitet hatte. Doch während die meisten Ägypter hoffnungsfroh die Ereignisse in Tunesien verfolgten und sich Ähnliches für ihr eigenes Land wünschten, wollten viele in- und ausländische Beobachter und Experten partout keine Parallelen zwischen den beiden Ländern erkennen. Sie überschätzten damit die Macht des Mubarak-Regimes über sein Volk und dessen Fähigkeit, Unruhen jederzeit in Schach halten zu können. Lange genug war die Politik der Einschüchterung ja erfolgreich gewesen und lange genug konnte sich das Regime auf Sicherheitsdienste verlassen, die für ihr brutales Vorgehen gegen die Bevölkerung nur zu berüchtigt waren.

Kein Wort für die Massen

Es waren Ägyptens Jugendliche, die Beobachter und Experten mit der erfolgreichen Organisation der ersten Demonstrationswellen überraschten. Die meisten gehören keiner politischen Gruppierung an. Aber sie alle kennen die Probleme der politischen und sozialen Marginalisierung, der Arbeitslosigkeit, der Korruption und des chronischen „Wartezustands“ – auf die Möglichkeit, einen Job zu ergattern, für den eigenen Lebensunterhalt sorgen oder heiraten und eine eigene Familie gründen zu können – nur zu gut. Genau jene Probleme hatten auch die Autoren des 2010 veröffentlichten UN Egypt Human Development Report angesprochen und die entscheidende Frage gestellt: Ist der „Youth Bulge“ Ägyptens eher eine Chance oder ein Problem für eine demokratische Reform und eine nachhaltige Entwicklung?

Es war ein historischer Fehler der Regierung, die Proteste der Jugendlichen zu unterschätzen. Für eine Reaktion auf deren Forderungen ließ sie sich jedenfalls verstörend lange Zeit. Ganz offensichtlich wollte man die Proteste einfach aussitzen. Selbst nach dem „Freitag des Zorns“ am 28. Januar, als Tausende am Tahrir-Platz in Kairo und in anderen Städten demonstrierten, sah sich niemand in der Mubarak-Regierung in der Lage, ein Wort an die aufgebrachten Massen zu richten. Immerhin aber begannen die USA und Europa, ihre ursprünglich sehr vorsichtige Haltung aufzugeben und baldige Reformen, vor allem aber adäquate Antworten auf die Forderungen der ägyptischen Bevölkerung anzumahnen. Und das Regime? Antwortete mit nichts als weiteren repressiven Maßnahmen, die, so waren die meisten Ägypter überzeugt, schon für den Fall von Schwierigkeiten bei einer Machtübergabe an Hosni Mubaraks Sohn Gamal geplant worden waren. Es begann mit der Stilllegung sämtlicher Mobilfunk und Internetdienste, dem massiven Einsatz von Gewalt und vor allem dem Versuch, gezielt Chaos zu provozieren, um unter der Bevölkerung wieder ein Gefühl der Angst und Unsicherheit herzustellen. Polizei und andere Sicherheitsdienste waren urplötzlich verschwunden, Häftlinge wurden freigelassen, öffentliche Einrichtungen angegriffen. Das Militär verhinderte schließlich heftigere Zusammenstöße. Dennoch waren an jenem Freitagabend des Zorns mindestens 300 Tote und etwa 2000 Verletzte zu beklagen.

Kandidaten aus dem Nichts

Jetzt beging das Regime seinen zweiten großen Fehler: Ganz offensichtlich hatte Präsident Mubarak jeden Rückhalt verloren, die Regierungsmitglieder seiner Partei NDP waren entweder zurückgetreten, hatten das Land verlassen oder waren abgetaucht. Im ganzen Land standen Vertretungen der Partei in Flammen, inklusive der Zentrale in Kairo. In dieser Situation kündigte Mubarak am 1. Februar in einer Fernsehansprache nur an, einen Teil seiner Macht an seinen Vertrauten und Vizepräsidenten Omar Suleiman zu übertragen. Aber damit wollten sich die Demonstranten nicht mehr zufrieden geben. Jetzt wollten sie seinen Rücktritt sehen. Und das Regime? Wusste sich weiterhin nicht anders als mit der alt bekannten Taktik der Verbreitung von Angst und Terror zu helfen. Man öffnete die Gefängnistore und „entließ“ etwa 17 000 Häftlinge, worauf sich in den folgenden Tagen beinahe jeder Mann zwecks Selbstverteidigung nur noch mit einem Knüppel oder ähnlichen Waffen auf die Straße wagte.

Nun ist die öffentliche Ordnung im Wesentlichen wieder hergestellt. Aber schon in jenen Tagen zeigten sich Probleme, die weit über den Sturz Mubaraks hinaus wirken werden: Nicht nur verschärfte sich die wirtschaftliche Lage, weil Grundnahrungsmittel und Benzin nach Tagen des fortgesetzten Protests knapp wurden. Die Zerstörung öffentlichen Eigentums, der Rückzug internationaler Investoren, der Einbruch des Aktienmarkts und dann die Schließung der Börse und vor allem der Zusammenbruch des für die ägyptische Wirtschaft äußerst wichtigen Tourismus werden tiefe Spuren in der ohnehin maroden Wirtschaft hinterlassen. Dass in jenen Tagen Gerüchte über eine Öffnung der Grenze nach Gaza die Runde machten und dass Israel eine massive Verstärkung seiner Truppen an der Grenze zu Ägypten plante, rief zusätzlich große Beunruhigung hervor. Plötzlich wurde den meisten deutlich: Innen- wie außenpolitisch, in Fragen der inneren wie der äußeren Sicherheit ging Ägypten einer ziemlich ungewissen Zukunft entgegen.

In diesen Tagen trat auch die enorme Zersplitterung der Oppositionskräfte – unter denen politische Parteien ebenso zu finden sind wie soziopolitische Bewegungen und Islamisten – immer klarer zutage. Es erwies sich als gänzlich unmöglich, einen Konsens unter diesen Gruppierungen zu finden, oder gar, sich darauf zu einigen, wer Mubaraks Nachfolge antreten solle. Einige sprachen sich für eine Regierung zur „Rettung der Nation“ aus, andere verlangten bereits zu diesem Zeitpunkt nach einem entschiedeneren Eingreifen der Armee, die einen geordneten Machtübergang gewährleisten sollte. Und schließlich gab es jene, die ihre Unterstützung einigen wie aus dem Nichts aufgetauchten Kandidaten zusichern wollten. Die Aufmerksamkeit einiger Ägypter, vor allem aber ausländischer Beobachter, richtete sich neben Mohammed el Baradei, dem früheren Vorsitzenden der Internationalen Atomenergiebehörde, auch auf den ehemaligen Außenminister und jetzigen Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa, oder den ägyptisch-amerikanischen Chemie-Nobelpreisträger Ahmed Zeweil. Wie Mohammed el Baradei und Amr Moussa war auch er aus dem Ausland nach Ägypten zurückgekehrt, um sich den Demonstrationen anzuschließen. Diese Revolution aber blieb – und bleibt noch – ohne Führung. Keine der plötzlich hoch gehandelten Persönlichkeiten vermochte ausreichend Unterstützer hinter sich zu scharen, um eine solide politische Handlungsbasis zu schaffen.

Muslimbrüder ohne Programm

Als viel bedeutsamer erwies sich, dass die Islamisten nach dem „Tag des Zorns“ und der ersten Rede Mubaraks begannen, sich deutlicher zu positionieren. Hatten sie die Revolte zunächst verschlafen, engagierten sie sich nun stärker in der Opposition, versuchten die mediale Aufmerksamkeit zu gewinnen und heizten die Stimmung auf der Straße weiter an. Sie gerierten sich als Kernbewegung der protestierenden Jugendlichen und übernahmen deren Standpunkte, um letztendlich ihre eigenen politischen Forderungen durchsetzen zu können. Zwar mochte die Muslimbruderschaft verkünden, dass sie bei den kommenden Präsidentschaftswahlen keinen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken werde. Einen großen Schritt nach vorne können sie aber verbuchen: Sie sind nicht mehr offiziell verboten, sondern mit der Revolte zu einem legitimen und einflussreichen politischen Faktor geworden. Anders als die meisten säkularen Oppositionellen können sie auf eine straffe, in ganz Ägypten und in fast allen Schichten verwurzelte Organisation zurückgreifen. Was ihnen jedoch fehlt, ist ein stringentes und umfassendes Parteiprogramm. Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom Dezember 2005, für die auch einige Islamisten als „Unabhängige“ antraten, versuchte die Muslimbruderschaft ein Programm zu formulieren. Verabschiedet wurde es nie.

Seit vielen Jahren – und sogar jetzt, da die Jugendlichen die Probleme Ägyptens so offenbar gemacht haben – ist ihr einziger Slogan: „Der Islam ist die Lösung“. Wie aber „der Islam“ die galoppierende Arbeitslosigkeit beseitigen und die dringend benötigten neuen Jobs schaffen kann oder wie die immensen politischen und sozialen Strukturprobleme jenseits eines solchen Slogans zu bewältigen wären, das wissen die Islamisten auch nicht. Es wäre verfehlt, von einer Spaltung der  Muslimbruderschaft in „reformerische“ und „konservative Kräfte“ zu sprechen. Die einzige wirkliche Debatte unter den Denkern des Islamismus dreht sich um die Legitimität der Anwendung von Gewalt. Die Führung der Bruderschaft betont öffentlich zwar immer wieder, dass sie es ablehnt, ihre politischen Ziele mit dem Einsatz von Gewalt erreichen zu wollen. Die breite Mehrheit der Islamisten hält dies aber als eine Form des Dschihad für absolut legitim. Dass eine nicht geringe Anzahl von Ägyptern – ihre Anhängerschaft wird auf etwa 30 Prozent geschätzt – mit den Muslimbrüdern sympathisiert, liegt allerdings nicht an deren (nicht vorhandenem) Programm, sondern am tief konservativen und religiösen Charakter der ägyptischen Gesellschaft allgemein (siehe dazu auch die Grafiken auf Seite 44f.).

Das Ende des säkularen Staates?

Auch nach Mubaraks Rede vom 1. Februar sprachen sich noch viele dafür aus, dem Präsidenten bis zum September einen Abgang in Würde zu ermöglichen. Darin mag sich nicht nur Nachsicht für den Herrscher (wenn auch keine Nachsicht für dessen schlechte Herrschaft) gezeigt haben, sondern auch eine Art Trotzreaktion auf die nunmehr klar und deutlich formulierte amerikanische Forderung nach einem Rücktritt. Immerhin konnten sich jetzt elf oppositionelle Gruppierungen dazu entschließen, mit dem von Mubarak kurz zuvor ernannten Premier und Ex-Kommandanten der Luftstreitkräfte Ahmed Shafik einen „Rat der Weisen“ zu bilden und einen Dialog zu führen. Aber auch diese Chance wurde vertan, als es erneut zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern Mubaraks und deren Gegnern kam. Wer die größere Verantwortung zum Ausbruch dieser Gewalt trägt, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Klar wurde nur: Die Armee würde einem weiteren Blutvergießen nicht tatenlos zusehen. Und die Demonstranten waren entschlossen, ihre Proteste friedlich fortzusetzen. Würden sie jetzt weichen, so stand zu befürchten, würde die Revolution ihren Schwung verlieren und dann könnte sich der Staatsapparat mit einer Verhaftungswelle an seinen Gegnern rächen.

Die Ära Mubarak ist zu Ende. Jetzt stellt sich natürlich die dringliche Frage: Was kommt nach Mubarak? Während der Demonstrationen konzentrierten alle Oppositionskräfte ihre gesamte Energie darauf, Mubarak zu stürzen, die Verfassung zu ändern, eine nationale Regierung zu bilden und das Parlament aufzulösen. Nun sind das Parlament aufgelöst und wenigstens die problematischen Verfassungsartikel 76 und 77 gestrichen, die dem ehemaligen Präsidenten eine unbegrenzte Wiederwahl ermöglicht und den Grundstein für eine „Dynastie Mubarak“ gelegt hatten. Der „Hohe Rat der Streitkräfte“, dem Mubarak am 11. Februar die Macht übertragen hat, zollte den Demonstranten Respekt und verpflichtete sich, „die Legitimität zu garantieren, die das Volk gefordert hat“. Die Öffentlichkeit wertete dies erleichtert als Zeichen, dass es sich nicht um einen Putsch gehandelt habe und dass das Militär nicht vorhat, langfristig an der Macht zu bleiben, sondern seine Rolle darin sieht, einen friedlichen Übergang zu garantieren. Man erwartet, dass das gesamte institutionelle Grundgerüst – Parlament, Verfassung und die Gesetze, die die politische Teilhabe regeln – erneuert wird.

Natürlich waren die Forderungen der Opposition völlig legitim. Sie können aber nur der Anfang für eine umfassende Reform und Demokratisierung sein, die bisher noch nicht in die Wege geleitet wurde. Zudem begann diese Revolution ja mit den Forderungen der Jugendlichen sowohl nach tiefgreifenden politischen wie wirtschaftlichen Veränderungen. Jetzt aber wird der Diskurs nur von politischen Fragen bestimmt; die Forderung nach den dringend notwendigen wirtschaftlichen Reformen, nach einer Erhöhung des Mindestlohns, der Preiskontrolle von Grundnahrungsmitteln, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder der institutionellen Ahndung und Eindämmung von Korruption sind vollkommen von der Tagesordnung verschwunden. Die Oppositionsparteien sind schwach und stehen ohne klares Programm oder gar Kandidaten da, was die Aussichten auf zukünftige grundlegende Änderungen weiter trübt. Darüber hinaus wurde ein Verfassungszusatz unter dem Vorwand des „großen Zeitdrucks“ gestrichen, der die säkulare Natur des Staates festschreibt. Unklar bleibt, ob diese Grundvoraussetzung für ernstzunehmende demokratische Strukturen und für gleiche Bürgerrechte der muslimischen und christlichen Ägypter tatsächlich wieder eingeführt wird.

Arabische oder ägyptische Interessen?

Für die Innenpolitik stellen sich folgende Fragen: Können ein friedvoller Machtübergang und letztendlich freie Präsidentschaftswahlen innerhalb von nur sechs Monaten eine weniger korrupte demokratische Regierung hervorbringen, die gleichzeitig in der Lage sein wird, die großen wirtschaftlichen Herausforderungen zufriedenstellend anzugehen? Wird der möglicherweise bedeutende Anteil an Islamisten im nächsten Parlament und in einer neuen Regierung konfessionelle Konflikte weiter anheizen, weil die begründeten rechtlichen Forderungen der Kopten blockiert werden?

Und wie soll die außenpolitische Orientierung der neuen Regierung aussehen? Es ist diese Frage, die der Sorge der Amerikaner und Europäer zugrunde liegt. Seine geostrategische Bedeutung, seine Schlüsselrolle im Nahost-Konflikt und sein Einfluss in der arabischen Welt begründen die Bedeutung Ägyptens für den Westen. Dazu kommt: Über Jahre schwelte ein nie offen ausgetragener Konflikt über „arabische“ versus „ägyptische“ Interessen. Als „arabisches“ Interesse gilt die Rückgewinnung der besetzten palästinensischen und syrischen Gebiete (also der Golan-Höhen). Ägypten wurde vorgeworfen, diese Interessen mit dem Friedensvertrag von 1979 verletzt, wenn nicht aufgegeben zu haben. Dieser Grundkonflikt hat sich auch während des Gaza-Krieges manifestiert, als Mubarak den Grenzübergang nach Gaza sperren ließ, um ägyptische Sicherheitsinteressen zu wahren. Die „arabische Welt“ hingegen erwartete eine größere Solidarität mit den Palästinensern in Gaza. Einige regionale Mächte, allen voran der Iran, die Hamas und Hisbollah, freuen sich schon jetzt auf eine entschlossene ägyptische Außenpolitik, der die Sache der arabischen und islamischen Welt mehr am Herzen liegt als rein nationale Interessen.

Die kommende Regierung wird Reformen vorantreiben, demokratische Strukturen stärken und eine neue Außenpolitik formulieren müssen, will sie das Vertrauen des ägyptischen Volkes erlangen. Die Glaubwürdigkeit dieser Veränderungen wird jedoch vielmehr vom „Wie“ als vom „Was“ abhängen. Zu Beginn seiner Amtszeit hatte Mubarak darauf geachtet, nur keine allzu engen Beziehungen mit Israel zu pflegen. Er bevorzugte einen „Kalten Frieden“ und hielt damit auch eine recht große Distanz zu den Vereinigten Staaten. Eine solche Zurückhaltung und „autonome Außenpolitik“ erwartet die Öffentlichkeit wohl auch von einer neuen Regierung. Mit ziemlich großer Sicherheit kann man jedenfalls von einer Aufkündigung des ägyptisch-israelischen Gas-Deals ausgehen. Dass die Mubarak-Regierung  sich verpflichtet hatte, ägyptisches Gas unter Marktwert an Israel zu liefern, empfanden viele Ägypter als Verletzung ihres Nationalstolzes. Der Anschlag auf ein Terminal dieser Gas-Pipeline am 5. Februar auf dem Sinai brachte das Thema wieder an die Öffentlichkeit.

Die derzeitige Machtbalance im immer noch unipolaren internationalen Gefüge und die gleichzeitige Dynamik und die divergierenden Interessen in der Region legen aber nahe, dass auch ein radikales Regime nur einen relativ kleinen strategischen Spielraum zur Verfügung hätte. In Anbetracht seiner geografischen Lage würde eine radikale Außenpolitik wohl den nationalen Interessen Ägyptens zuwiderlaufen. Ägyptens Rolle im palästinensisch-israelischen Konflikt kann sich, das sagt schon der gesunde Menschenverstand, nicht in einer Unterstützung der „arabischen Sache“ erschöpfen, sondern muss auch die Situation in Gaza und die Rolle der Hamas für Ägyptens nationale Sicherheit berücksichtigen. Um eine solche rationale ägyptische Außenpolitik zu garantieren, läge es im Interesse aller Beteiligten, auf eine baldige Beilegung des palästinensisch-israelischen Konflikts zu drängen.

Dr. SALLY KHALIFA ISAAC ist Assistant Professor für Politische Wissenschaft an der Cairo University.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, April 2011, S. 10-17

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