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01. Nov. 2009

Ende der Nabelschau

Dafür mehr Engagement Berlins

Mehr als andere Staaten hat sich Deutschland dafür eingesetzt, den aufsteigenden Schwellenländern einen Platz auf der Weltbühne zu verschaffen, der ihrer Bedeutung Rechnung trägt. Die Anerkennung, die Berlin deshalb in Ostasien genießt, sollte es nutzen: In den Proliferationsverhandlungen, bei der Reform der UN und sogar im Nahen Osten.

Es sind im Wesentlichen die wirtschaftlichen und nicht so sehr politische Beziehungen, die zwischen Deutschland und Ostasien eine Rolle spielen. Allein aus diesem Grund sind wir zunächst sehr daran interessiert, dass die deutsche Wirtschaft schnell die Folgen der Krise überwindet. Und wenn mir an dieser Stelle die Bemerkung erlaubt ist: Ich bin der Überzeugung, dass dies mit der liberal-konservativen Regierung, die am 27. September die Wahlen für sich entschieden hat und die sich für Deregulierungen, Reformen im Steuerwesen und eine Öffnung der Märkte ausspricht, sehr viel besser möglich ist als mit der großen Koalition der vergangenen vier Jahre.

Innerhalb der Europäischen Union sehen wir Deutschland natürlich nicht nur wegen seiner wirtschaftlichen, sondern auch wegen seiner politischen Stärke als treibende Kraft. Zu unserem großen Bedauern war Berlin in den vergangenen Jahren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Jetzt würden wir uns wünschen, dass Deutschland seinen Blick wieder stärker nach außen richtet und gerade in dieser globalen Wirtschafts- und Finanzkrise eine sichtbarere Rolle und mehr Verantwortung übernimmt. Dies betrifft natürlich die Reform der supranationalen Organisationen und Institutionen – die Renovierung unserer globalen Architektur.

Tutor für die Schwellenländer

Natürlich geht es darum zu fragen, wie sich die G-20 aufstellen kann, die nach dem Gipfel in Pittsburgh als eine Art „Weltwirtschaftsrat“ bezeichnet worden ist. Deutschland kann hier eine sehr wichtige Aufgabe übernehmen und die aufsteigenden Schwellenländer noch besser in diese „Gipfelarchitektur“ einbinden. Es ist uns doch klar, dass Ostasien die einflussreichste Region der Erde werden kann, wenn sein Wachstum so weiter geht wie bisher, und dass damit das Gleichgewicht der Kräfte eindeutig verlagert wird. Diese Länder müssen sich ganz sicherlich auch der Verantwortung stellen, die mit ihrem neuen wirtschaftlichen und politischen Gewicht einhergeht, und Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Good Governance, Demokratie, Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit respektieren, die universal gültig sein sollten. Genauso wichtig ist: Die USA und die Europäische Union sollten verstehen, dass der Bedeutungszuwachs Asiens nicht zu ihrem Nachteil ausschlagen muss. Sie werden weiterhin eine wichtige Rolle in der Weltordnung spielen, die sich neu formiert, und den Bau und Erhalt einer neuen Architektur entscheidend begleiten. Diese Aufgabe kann Ostasien gewiss nicht allein erfüllen.

Innerhalb der Europäischen Union hat sich Deutschland bislang am offensten und aufgeschlossensten dafür gezeigt, den aufsteigenden Schwellenländern einen Platz auf der Weltbühne zu verschaffen, der ihrer wachsenden Bedeutung Rechnung trägt. Immerhin blickt es auf eine lange und intensive Geschichte der Entwicklungszusammenarbeit zurück. Man weiß in Berlin, dass die vom Westen geprägte Weltordnung, die nach 1945 entstand, gewissermaßen „renoviert“ werden muss. Es ist äußerst hilfreich, von den „deutschen Lektionen“ zu profitieren – also von den Erfahrungen eines Landes, das nach 1945 bewusst und unter Aufgabe eines Teiles seiner nationalen Souveränität die Integration in ein größeres politisches Netzwerk gesucht hat. Deutschland hat verstanden, dass das nationale Interesse auch darin liegen kann, nach globalen Lösungen zu suchen.

Mehr als von allen anderen Staaten erhoffen wir uns, dass Deutschland sich auf der internationalen Bühne bemerkbar macht, dass Berlin die „Nabelschau“ der vergangenen Jahre rasch überwindet und dann dabei hilft, die aufsteigenden Mächte auf ihre neue Rolle vorzubereiten. China muss beispielsweise verstehen, dass es danach beurteilt wird, wie es mit Staaten umgeht, deren Regierungen die Menschenrechte so eklatant verletzen wie der Iran, der Sudan oder Myanmar.

Europa im Sicherheitsrat

Bedingt durch die Krise und ganz -besonders nach dem Gipfel in Pittsburgh Ende September hat sich die G-20 fast automatisch zu einem -„Weltwirtschaftsrat“ entwickelt. Eine Reform der Vereinten Nationen und vor allem des UN-Sicherheitsrats kann und wird hingegen nicht automatisch vonstatten gehen. Dass die USA, Russland, oder die damalige Sowjetunion, China, Großbritannien und Frankreich zu ständigen Mitgliedern wurden, schien damals nur schlüssig und spiegelt mehr als alles andere die Macht-verhältnisse in der Welt unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Einige in den vergangenen Jahren unternommene Versuche, dies zu ändern, waren nicht besonders gelungen. Indonesien war allerdings nicht glücklich über das Bestreben Berlins, zusammen mit Indien, Japan und Brasilien eine neue Sitzverteilung im UN-Sicherheitsrat durchzusetzen.

Die ostasiatischen Länder und deren regionale Institutionen sollten sich in den Reformprozess der Vereinten Nationen stärker einbringen. Aber um dies zu bewerkstelligen, müssen wir im Grunde noch einmal völlig neu planen, wobei Indonesien als demokratisches und größtes muslimisches Land durchaus eine kreative und wichtige Rolle spielen kann. Die Episode, in der Deutschland einen eigenständigen Sitz im Sicherheitsrat anstrebte, sollten wir getrost ad acta legen. Ganz sicherlich möchte ich mich nicht in die innereuropäische Debatte einmischen. Doch das Grundprinzip sollte doch sein, dass Europa auch im UN-Sicherheitsrat mit einer gemeinsamen, starken Stimme vertreten wird.

Vorbild für die Einheit

Anfang nächsten Jahres werden wir den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) noch einmal neu diskutieren. In diesem Zusammenhang fallen die Stichworte Iran und Nordkorea. Nach einem weiteren unterirdischen Atomtest Pjöngjangs im Mai diesen Jahres ist die Situation wieder sehr viel fragiler geworden. Auch wissen wir nicht, wie lange Kim Jong Il noch Staatsführer bleiben wird, auch wenn es keine genauen Informationen über seinen Gesundheitszustand gibt. Ebenso wenig Klarheit herrscht darüber, wie sich ein Machtwechsel gestalten und welche Auswirkungen er auf die ganze Region haben könnte.

Ganz bestimmt hoffen wir, dass die Politik der ausgestreckten Hand und der Verhandlungen, die US-Präsident Barack Obama verfolgt, auch positive Auswirkungen in unserer Region haben könnte. Ein nukleares Wettrüsten in Ostasien, an dem sich Japan, Südkorea oder womöglich Taiwan beteiligen würden, wäre ganz gewiss nicht wünschenswert. Wobei wir nicht vergessen dürfen, dass all diesen Staaten die entsprechenden technologischen Möglichkeiten zur Verfügung stünden. Auch in diesem Bereich können wir von den Erfahrungen Deutschlands profitieren. Immerhin war es an den intensiven Verhandlungen mit dem Iran beteiligt, dessen nukleare Bewaffnung ebenfalls nicht wünschenswert ist und zu einem atomaren Wettrüsten im Nahen und Mittleren Osten führen könnte.

Wesentlich wichtiger aber ist: Während des Kalten Krieges lag das geteilte Deutschland an der Nahtstelle des Konflikts. Kaum ein anderes Land ist so vertraut mit den politischen und ideologischen Spannungen, die sich daraus ergaben. Wir können davon ausgehen, dass auf der Koreanischen Halbinsel kein unmittelbarer Einigungsprozess bevorsteht. Dennoch ist vor allem Südkorea an einem intensiven Dialog mit Deutschland interessiert, das ja einen friedlichen Einigungsprozess umgesetzt hat. Hier erfüllt Deutschland eine Vorbildfunktion. Auch wenn im Fall Koreas eine wesentlich größere wirtschaftliche und politsche Kluft zu überwinden wäre als die zwischen West- und Ostdeutschland.

Engagement in Nahost

Mir liegt aber auch die Frage am Herzen, welche Rolle Indonesien im Zusammenspiel mit Deutschland auf dem Gebiet der Bekämpfung des internationalen Terrorismus spielen kann. Natürlich müssen wir dem Terrorismus mit sehr langwierigen Maßnahmen wie einer nachhaltigen Entwicklung und Good Governance begegnen. Und ganz sicherlich sollten die reformorientierten und gemäßigten Muslime zeigen, dass Demokratie mit sozialer Gerechtigkeit und Stabilität vereinbar ist und dass dafür, anders als oft behauptet wird, kein theokratischer muslimischer Staat notwendig ist.

Ganz klar ist aber auch: Wir müssen den israelisch-palästinensischen Konflikt lösen. Natürlich ist er nicht die Ursache allen Übels in der muslimischen Welt. Doch ohne eine Vereinbarung, die den Rechten der Palästinenser Geltung verschafft, werden wir die Herzen der Muslime nicht gewinnen können.

Deutschland und Indonesien sollten sich gemeinsam stärker in diesem Prozess engagieren. Deutschland pflegt besondere Beziehungen zu Israel. Und die könnte es nutzen, um die Israelis zu einem Kompromiss zu bewegen. Indonesien verfügt über sehr gute Beziehungen zu den Palästinensern und könnte ihnen dabei helfen, ein Abkommen zu erzielen. Als größtes muslimisches Land, das überdies eine starke, pluralistische Demokratie ist, kann es eine wesentlich bessere Vorbildfunktion erfüllen als die arabischen Staaten.

Aufgezeichnet von Sylke Tempel

JUSUF WANANDI, ist Mitbegründer und Vizevorsitzender des Centre for Strategic and International Studies (CSIS) in Jakarta.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11/12, November/Dezember 2009, S. 114 - 117.

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