Eine transatlantische Aufgabe
Die Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität in Europa ist eine große Herausforderung, für die USA ebenso wie für die EU, die der Korruption in Mitgliedsländern und Beitrittskandidaten zu lange taten- los zugesehen hat. Brüssel braucht neue Instrumente.
Am 3. Juni 2021 veröffentlichte das Weiße Haus ein sogenanntes National Security Study Memorandum. Darin heißt es: „Die Bekämpfung von Korruption ist ein zentrales nationales Sicherheitsinteresse der Vereinigten Staaten.“ Im Kern fordert das Dokument alle mit nationaler Sicherheit befassten Ministerien und die Geheimdienste dazu auf, eine präsidiale Strategie rund um dieses Interesse zu entwickeln, wobei insbesondere die Rolle der Verbündeten und Partner der USA hervorgehoben wird.
Laut Memorandum ist es ein besonderes Anliegen, „mit internationalen Partnern zusammenzuarbeiten, um strategischer Korruption durch ausländische Staatsführer, ausländische staatliche oder staatsnahe Unternehmen, transnationale kriminelle Organisationen und andere ausländische Akteure und deren inländische Kollaborateure entgegenzuwirken, unter anderem durch das Schließen von Schlupflöchern, die von diesen Akteuren ausgenutzt werden, um sich in demokratische Prozesse in den Vereinigten Staaten und im Ausland einzumischen“. Zwei Wochen später bekräftigten Washington und Brüssel diese Absicht in der Erklärung zum EU-USA-Gipfeltreffen: Man wolle bei der „Aufrechterhaltung von Transparenz und der Bekämpfung von Korruption in Finanzsystemen zusammenarbeiten ..., zu Hause mit gutem Beispiel vorangehen … und demokratische Rückschritte verhindern“.
Alle Gesellschaften, demokratische wie autokratische, sind von Korruption und Organisierter Kriminalität (OK) betroffen. Das gilt auch für die USA und ihre Partner. Doch während Autokratien die Korruption als Methode der internen und externen Kontrolle nutzen, müssen Demokratien einen ständigen Kampf gegen sie führen.
In den vergangenen 15 Jahren haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union diesen Kampf zumeist verloren, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Sicherheit der Vereinigten Staaten gehabt hat. Mittlerweile berichten Zeitungsschlagzeilen in ganz Europa von Interessenkonflikten auf höchsten Regierungsebenen. Korruptionsfälle in der Tschechischen Republik und in Österreich sind dabei nur die jüngsten Beispiele.
Einige EU-Regierungen setzen darüber hinaus große Teile ihrer Staatsmittel ein, um einheimische Medien zu kontrollieren, oder sie nutzen andere Mittel, um unabhängigen Journalismus zu behindern oder zu demontieren und so die eigenen korrupten Machenschaften zu schützen, zum Beispiel in Ungarn oder Slowenien. In den extremsten Fällen haben hochrangige Regierungsbeamte sogar mit organisierten Banden und Geschäftsmännern zusammengearbeitet, um investigative Journalisten, die zu staatlichen Bestechungsgeldern recherchierten, zum Schweigen zu bringen – so geschehen in der Slowakei und auf Malta.
Wenn Korruption und Netzwerke, die sie aufrechterhalten, schon so tief verwurzelt sind, dann verkümmert schlussendlich die Demokratie. Da, wo es an Ermittlungsinstrumenten und ausreichender Strafverfolgung sowie Verurteilungen von Straftätern mangelt, kann das Abgleiten eines Landes in die Hände korrupter Staatsbeamter kaum mehr aufgehalten werden – egal, ob es durch Kriminelle im In- oder Ausland befördert wird oder beide Seiten Hand in Hand arbeiten.
Abgesehen von den negativen Auswirkungen des Organisierten Verbrechens und der schlechten Regierungsführung auf die Zivilgesellschaft, werfen diese Probleme auch einen Schatten auf die Europäische Union, deren Reaktion auf Korruptionsfälle – zum Teil aufgrund interner Widerstände – zuletzt mehr als unzureichend war. Und das, obwohl die bereits beschriebenen Grundbedingungen für Korruption schon lange vor der Corona-Pandemie in mehreren Mitgliedstaaten gegeben waren – von den EU-Nachbarn Albanien und Serbien, in denen die politischen Institutionen seit jeher noch schwächer und die Rechtsstaatlichkeit noch angreifbarer sind, ganz zu schweigen.
Genau diese Institutionen stehen gegenwärtig kurz davor, einen Geldsegen aus dem Wiederaufbauprogramm NextGenerationEU zu erhalten, das zur Abfederung der wirtschaftlichen Schocks der Corona-Pandemie aufgelegt wurde. Dabei waren Fördermittel der EU bislang kaum ein geeignetes Mittel, um in Sachen Korruptionsbekämpfung Fortschritte zu erzielen, wie unter anderem die Ausbreitung krimineller Netzwerke aus dem Westbalkan ins Herz der EU zeigt. Im Gegenteil: Ein Überfluss an EU-Geldern birgt sowohl für Kandidatenländer als auch für EU-Staaten und -Institutionen die Gefahr, noch mehr Einfallstore für Verschwendung und Organisierte Kriminalität zu öffnen.
Problemland Bulgarien
Trotz EU-Mitgliedschaft ist Bulgarien seit seinem Beitritt 2007 stets hinter den damals festgelegten Erwartungen zurückgeblieben. Die Kriterien des EU-Kooperations- und Überprüfungsmechanismus (CVM), der den Stand der Justizreformen, der Korruptionsbekämpfung und der Bekämpfung des Organisierten Verbrechens überwachen soll, hat das Land wiederholt nicht eingehalten. Einige grundlegende Mitgliedschaftsbedingungen sind in Bulgarien also auch gegenwärtig nicht gegeben. Eine Entwicklung, die Bände spricht, denn: Auf 14 Jahre war der CVM wohl nie ausgelegt – und die EU scheint in Sachen Korruptionsbekämpfung kein Stück vorangekommen zu sein. Vielmehr bleibt die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz (und die mangelnde Rechenschaftspflicht der Polizei) in Bulgarien ein Problem, genauso wie die politische Instabilität des Landes, die nicht zuletzt durch die endemische Korruption genährt wird. Der ehemalige Premierminister Bojko Borissow war in eine ganze Reihe von Skandalen verwickelt, und im Lichte der jüngsten Erkenntnisse scheint die bulgarische Politikelite kaum mehr zu sein als eine kriminelle Bande, in der Macht- und Ränkespiele sowie Erpressung und Bestechung an der Tagesordnung sind.
Schwächen wie diese werden längst von externen Akteuren wie Russland ausgenutzt, die versuchen, durch wirtschaftliche Einmischung politischen Einfluss auszuüben und durch ihre enge ökonomische und kulturelle Anbindung an Bulgarien dazu beizutragen, Regierungsstandards zu untergraben und kriminelle Netzwerke zu fördern. Gleichzeitig haben diese Schwächen – kombiniert mit Bulgariens strategischer Lage am Schwarzen Meer – das Land längst zu einem Hauptziel für regionale und internationale Gruppen des Organisierten Verbrechens gemacht. Die Schwäche des Rechtsstaats ermöglicht es diesen kriminellen und korrupten Netzwerken, von Bulgarien aus in der gesamten EU zu operieren. Und Brüssel war bisher nicht in der Lage, nachhaltige Reformen zu erzwingen. Bei den vorgezogenen Wahlen im Juli behauptete sich Borissows Partei GERB als zweitstärkste Kraft.
Transitkorridor Albanien
Albanien ist seit 2020 offiziell EU-Beitrittskandidat, hat aber noch keine Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Diese werden jedoch voraussichtlich Ende 2021 beginnen. Trotz der Bereitstellung von 1,25 Milliarden Euro an sogenannten Heranführungshilfen, die unter anderem zur Verbesserung der institutionellen Kapazitäten und der Korruptionsbekämpfung beitragen sollten, hat Albanien weiterhin Schwierigkeiten, sein Justizwesen und seine öffentliche Verwaltung zu reformieren und seine ökonomische Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren. Die Korruption ist darüber hinaus nach wie vor allgegenwärtig – und eine stark polarisierte politische Landschaft verhindert die Einführung sinnvoller Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung.
Zu den größten Sorgen des Landes (und einiger EU-Mitgliedstaaten) gehören die Präsenz und der Einfluss des Organisierten Verbrechens in Albanien. Kriminelle Banden nutzen das Land als Einreisepunkt und Transitkorridor für ihre illegalen Handelsgeschäfte (insbesondere mit Drogen). Korruption und schlechte Regierungsführung, zuletzt für die ganze Welt sichtbar am Beispiel der US-Sanktionen gegen Ex-Premierminister Sali Berisha, haben das öffentliche Vertrauen in die staatlichen Institutionen längst untergraben. Problematische und althergebrachte Verbindungen zwischen Politik und OK werden weiter genährt – und behindern die Arbeit von Strafverfolgungsbehörden und politischen Parteien.
Rückschritte in Serbien
Serbien ist auf dem Beitrittsweg zwar weiter als Albanien, stagniert jedoch spätestens, seit Präsident Aleksandar Vuĉić seine Macht konsolidiert hat; dessen Regierungsführung grenzt an „state capture“ (Übernahme des Staates durch korrupte Eliten) und hat zudem die Einflussnahme von außen stark befördert. 2020 wurde deshalb zwischen der EU und Serbien kein neues Verhandlungskapitel eröffnet, und das Land fällt in Rankings zum Thema gute Regierungsführung seit Jahren zurück. 2019 stufte Freedom House das Land von einer „halb gefestigten Demokratie“ zu einem „Übergangs- oder Hybridregime“ herab, obwohl Serbien der größte Empfänger von EU-Heranführungshilfen (2,8 Milliarden Euro seit 2007) auf dem Westlichen Balkan ist.
Der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität ist auch hier – kaum überraschend – ins Stocken geraten. Laut Einschätzung der Europäischen Kommission fehlt es weiterhin an einer „überzeugenden Erfolgsbilanz von effektiven Ermittlungen, Strafverfolgungen und endgültigen Verurteilungen in Fällen von schwerer und Organisierter Kriminalität“. Ebenso stellte Brüssel zuletzt fest, dass kriminelle Netzwerke in Serbien nicht in ausreichendem Maße zerschlagen wurden und dass es dem Staat an effektiven Finanzermittlungen mangelt, um die Finanzströme dieser Gruppen zu unterbrechen.
Trotz des erklärten Zieles der Regierung, die OK zu bekämpfen, haben regierungsnahe Personen Berichten zufolge weiterhin enge Verbindungen zu kriminellen Banden, und die Polizei wird regelmäßig beschuldigt, bei bestimmten Gesetzesbrechern ein Auge zuzudrücken. Auch die regierende Serbische Fortschrittspartei sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, direkte Verbindungen zu Verbrecherbanden zu unterhalten und den Staat zu benutzen, um einige dieser Personen vor der Justiz zu schützen. In Serbien wie auch in Albanien ist Korruption der Schlüssel, der dieses Zusammenspiel von Politik, Machtmissbrauch und OK ermöglicht.
Unabhängig davon, ob es sich um ein EU-Mitglied oder einen EU-Beitrittskandidaten handelt, ist die verbindende Linie in allen drei Ländern, dass schwache Institutionen, begrenzte rechtsstaatliche Mittel und ein korruptes Regierungs- und Justizsystem der Organisierten Kriminalität Tür und Tor öffnen – Netzwerken, die frei im Land operieren oder gar direkte Kontakte zur Regierung aufbauen.
Für die EU hat das drei Konsequenzen: Erstens haben die beträchtlichen Finanzhilfen der EU die oben genannten Probleme nicht gelöst – und Bulgarien zeigt, dass eine EU-Mitgliedschaft wenig zur Eindämmung der Korruption beiträgt. Ein Beitritt erschwert die Situation der EU sogar mitunter, da die Union durch Ermahnungen und Maßregelungen von Mitgliedstaaten auch immer riskiert, im Gegenzug von diesen lahmgelegt zu werden, wenn es beispielsweise um einstimmige Entscheidungen geht. Zudem haben sich auch die europäischen Fraktionen, und gerade die Europäische Volkspartei, zuletzt schwergetan, ihre eigenen Mitglieder zur Verantwortung zu ziehen.
Es sollte deshalb in Betracht gezogen werden, mit einer neuen und politisch wirksameren Methodik für den EU-Beitritt mehr Druck auf Beitrittskandidaten auszuüben und so Staaten wie Albanien dazu zu bringen, bestehende Mängel bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und in Sachen gute Regierungsführung auszuräumen. Klar ist jedoch, dass es dafür vor allem eine verstärkte Kontrolle bei der Auszahlung der Heranführungshilfen bräuchte. Denn nur so könnte letztendlich sichergestellt werden, dass der Weg zur Mitgliedschaft auch wirklich als Treiber für Reformen wirkt.
Zweitens bleiben Netzwerke der Organisierten Kriminalität nicht untätig, nachdem sie in einem Land Fuß gefasst haben. Im Gegenteil: Sie nutzen ihr Umfeld, um in neue Märkte vorzudringen. Viele Routen und Netzwerke des Westlichen Balkans, die für den Handel mit Drogen, Waffen und Menschen genutzt werden, enden mittlerweile in Belgien, den Niederlanden, Deutschland und in Skandinavien. Die Unfähigkeit, dagegen vorzugehen und eine bessere Strafverfolgung in den Ursprungs- und Transitländern zu erwirken, führt dazu, dass sich Drogenhandel und Gewalt auch in den EU-Ländern ausbreiten. Klar ist hier jedoch auch: Die Nachfrage der Endverbraucher bestimmt das Angebot. Jeder EU-Mitgliedstaat, der Albaniens Problem mit der OK beklagt, sollte auch die eigene Rolle in diesem Nachfragekreislauf bedenken.
Besonders besorgniserregend sind schließlich die Gelder in Höhe von etwa 10,4 Milliarden Euro (sechs Milliarden Euro davon sind Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen), die bald an Bulgarien fließen sollen. Eine Summe, die fast 17 Prozent des bulgarischen BIP entspricht. Dabei haben Experten bereits auf die Undurchsichtigkeit des aktuellen bulgarischen Konjunkturprogramms hingewiesen, das in Kombination mit der EU-Förderung – so die Sorge – als Brandbeschleuniger für Korruption und Organisierte Kriminalität wirken könnte. Tatsächlich haben Untersuchungen bereits gezeigt, dass EU-Gelder und nationale Gelder immer wieder in den Händen von organisierten kriminellen Netzwerken landen, von Geldern für Migrantenzentren bis hin zu landwirtschaftlichen Subventionen, und mitunter auch von Staatsbeamten umgelenkt oder gestohlen werden, um ihre korrupten Patronagenetzwerke aufrechtzuerhalten.
Angesichts der Milliardenbeträge, die in den kommenden Monaten an die EU-Staaten ausgezahlt werden sollen, sind die schwache Rechtsstaatlichkeit und mangelnde Ermittlungskapazitäten (oder sogar ein fehlendes Interesse der Behörden an Rechenschaftspflicht) in einigen Ländern ernsthafte Probleme.
Neue Instrumente
Doch wenn Geld und Zeit das Problem bislang nicht beheben konnten, was hilft dann überhaupt? Als jüngste Reaktion auf die Korruption in Bulgarien haben die Vereinigten Staaten dortige Beamte und Oligarchen zuletzt mit Sanktionen belegt (zuvor hatte Washington schon gegenüber Albanien einen ähnlichen Schritt unternommen). Zudem stimmten die Mitglieder des US-Senats unlängst für die Wiedereinführung des sogenannten Countering Russian and Other Overseas Kleptocracy Act, kurz „CROOK Act“, einem Gesetz zur Bekämpfung der ausländischen und insbesondere russischen Kleptokratie. Und weitere US-Sanktionen gegen europäische Beamte werden wahrscheinlich folgen.
Um den Kampf gegen Korruption und Organisierte Kriminalität also nicht an ihre Partner auszulagern, müssen die EU-Mitgliedstaaten dringend Instrumente entwickeln, mit denen sich die Verwendung von EU-Geldern prüfen lässt und die es Brüssel erlauben, im Falle von Korruption und Veruntreuung schnell Konsequenzen zu ziehen. Die jüngste Eröffnung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) ist ein guter erster Schritt in diese Richtung. Die EPPO hat das Mandat, alle Arten von Korruption, Geldwäsche und Organisierter Kriminalität zu verfolgen, die die finanziellen Interessen der EU schädigen. Trotzdem wird von den EU-Mitgliedstaaten und der europäischen Nachbarschaft noch viel mehr getan werden müssen, um zu verhindern, dass Verschwendung und veruntreute Gelder OK und korrupte Regime nähren, die ihrerseits zur inneren Schwächung der Europäischen Union beitragen. Wichtig wäre es zudem, angesichts der enormen Menge an Geldern, die bald an EU-Mitglieder, Beitrittsanwärter und Nachbarländer fließen werden, all das möglichst schnell umzusetzen.
Korruption ist die zentrale Herausforderung für demokratische Länder und Menschen, die sich transparente und handlungsfähige Regierungen wünschen. Mit ihren Begleiterscheinungen, einem schwachen Rechtsstaat und mangelhaften Regierungsstandards, vermischt sie sich zu einem ungesunden Mix aus veruntreuten Ressourcen, nicht rechenschaftspflichtigen Beamten, kriminellen Netzwerken und, in der extremsten Form, „state capture“. Es bleibt zu hoffen, dass die EU und die USA ihre Kräfte bündeln können, um Korruption und Organisierte Kriminalität im Innern zu bekämpfen.
Heather A. Conley ist Senior Vice President for Europe, Eurasia, and the Arctic sowie Direktorin des Europa-, Russland- and Eurasien-Programms des Center for Strategic and International Studies (CSIS).
Donatienne Ruy ist Associate Fellow des CSIS Europa-, Russland- und Eurasien-Programms.
Aus dem Englischen von Kai Schnier
Internationale Politik Special 05, September 2021, „Schattenhandel“, S. 30-35
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