IP

01. März 2009

Eine Strategie für Deutschland

Die Bundesrepublik und ihre Rolle in der Welt aus Sicht der außenpolitischen Elite

Welche Themen werden in der Zukunft Deutschlands Außenpolitik dominieren? Diese Frage stellten DGAP und dimap-Gruppe ausgewählten deutschen Entscheidern. Ganz vorn: Energie-, Umwelt- und Finanzpolitik, gefolgt vom internationalen Terrorismus. Und Europa sollte auch weiterhin das tun, was es am besten kann – vermitteln.

Energieversorgung, Klimawandel und Kontrolle der Finanzmärkte sind nach Ansicht von Deutschlands außenpolitischer Elite die wichtigsten Themen der deutschen Außenpolitik in den kommenden fünf Jahren. Der Umgang mit Terroristen und islamischen Fundamentalisten spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, hat jedoch keine Toppriorität. Der Nahost-Konflikt birgt die größte Brisanz, während die Konflikte im Iran und in Afghanistan für Deutschland als eher nachrangig angesehen werden. Europa sollte sich bei diesen und anderen Konfliktherden als Vermittler betätigen und eine Konfrontationspolitik vermeiden.

Zu diesen Ergebnissen kommt eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und der dimap-Gruppe, die um die Jahreswende 2008/2009 zum ersten Mal seit der deutschen Wiedervereinigung durchgeführt wurde. 240 deutsche Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft, Medien, Wissenschaft und Verwaltung haben sich an der Studie beteiligt, die als mehrjähriges Projekt angelegt ist, so dass die Beobachtung von Trendveränderungen erst über die Jahre möglich sein wird.

Vorwiegend heiter

Zunächst erwartet eine Mehrheit der Befragten in den transatlantischen Beziehungen eine „vertiefte Partnerschaft“ sowie eine „offenere Kommunikation“ und neue Impulse für den Klimaschutz. In praktisch allen Bereichen der euro-atlantischen Partnerschaft wird es unterm Strich nach Einschätzung der Befragten Verbesserungen geben. Das gilt in erster Linie für die Klimapolitik und die Bewältigung der Finanzkrise. Nur in Sachen Freihandel werden keine Fortschritte erwartet.

Der neue amerikanische Präsident Barack Obama hat bereits eine Kehrtwendung in der Klimapolitik der USA angekündigt. Gut jeder Zweite der befragten Experten geht davon aus, dass sich die Vereinigten Staaten beim Klimaschutz in Zukunft stärker engagieren werden, unabhängig davon, ob sich China und Indien diesem Kurs anschließen. Zwei Fünftel glauben hingegen, die Politik der beiden Länder werde auch über das amerikanische Verhalten beim Klimaschutz entscheidend mitbestimmen. Lediglich jeder Zwanzigste vermutet, dass den Ankündigungen des amerikanischen Präsidenten ohnehin keine Taten folgen werden.

Nichtsdestotrotz wird die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA beim Klimaschutz von Konflikten gekennzeichnet sein, so die Einschätzung von zwei Dritteln der Befragten. Von einer europäischen Führungsrolle geht dabei jeder Dritte aus, lediglich 18 Prozent glauben an eine amerikanische Führung. In der Tat kann Europa Amerika in Sachen Klimapolitik als Vorbild dienen, wird es doch nach Einschätzung von zwei Dritteln der Befragten die selbst gesteckten Ziele bei der Reduzierung der Treibhausgase auch erreichen.

Sprechen statt schießen

Kritisch wird jedoch die Zusammenarbeit mit den Alliierten in Afghanistan gesehen – hier rechnen vier von zehn Befragten mit einer Verschlechterung. Über zwei Drittel lehnen eine Entsendung weiterer Truppen ab, sechs von zehn sprechen sich zudem für direkte Verhandlungen mit den Taliban aus. Deutschland soll sich mehr im zivilen Wiederaufbau engagieren und die Nachbarländer in den Friedensprozess einbinden. Gut die Hälfte der Befragten (53 Prozent) plädiert zudem für die Entsendung zusätzlicher Polizeikräfte. Vier von zehn Befragten halten in diesem Zusammenhang eine Hilfe bei der Stabilisierung der Lage im Irak und eine höhere Flexibilität beim Einsatz der Bundeswehr für sinnvoll. Zusätzliche deutsche Soldaten für den Norden des Landes oder deren Beteiligung an Militäraktionen im Süden können nur nach Ansicht weniger einen Beitrag zur Lösung des Konflikts leisten.

Im Nuklearkonflikt mit dem Iran empfehlen 61 Prozent der Umfrageteilnehmer, das Problem durch politischen Dialog zu lösen – Sanktionen und Isolation werden skeptisch beurteilt, Militäraktionen von 65 Prozent der Befragten abgelehnt. Europa soll die Amerikaner durch Vermittlung zwischen den Regierungen sowie den Aufbau regionaler Sicherheitsstrukturen unterstützen.

Moskauer Machtspiele

Ist Russland ein geeigneter Partner bei der Lösung internationaler Probleme? Ein maßgeblicher Teil der befragten Experten meldet hier Vorbehalte an. Gleich um welches Thema es geht: Nur sehr kleine Gruppen vertreten die Ansicht, das Land sei ein zuverlässiger Partner. In Sachen Terrorismusbekämpfung, Energieversorgung oder Konfliktlösung im Nahen Osten und in Afghanistan sehen deutliche Mehrheiten in Russland zwar einen Partner – allerdings einen, der vorrangig eigene Interessen verfolgt.

Eine Mehrheit der Befragten findet sogar, dass die russische Regierung etwa bei der Rüstungsbegrenzung oder der Konfliktlösung auf dem Balkan „nicht hilfreich“ ist. Sehr kontrovers fallen die Meinungen aus, wenn es um die Bewertung der russischen Politik im postsowjetischen Raum geht. Knapp die Hälfte der Befragten vertritt die Ansicht, Russland betreibe schlichtweg Machtpolitik, allerdings sind 49 Prozent zugleich der Ansicht, dass Moskau lediglich legitime Abwehrmaßnahmen ergreife. Mit Blick auf gemeinsame Interessen soll die EU versuchen, Russland in die europäische Nachbarschaftspolitik einzubinden.

Wie schätzen die Experten die innenpolitische Lage in Russland ein?  Als gleichsam „lupenreine Demokratie“ mag keiner der Befragten die gegenwärtige politische Ordnung in Russland bezeichnen. Nach Meinung einer Zwei-Drittel-Mehrheit lässt sie sich am besten als „Autokratie mit demokratischen Elementen“ beschreiben. Immerhin: Als reine Autokratie sieht lediglich jeder sechste Befragte das System an. Kaum höher liegt die Zahl derer, die in Moskau eine Demokratie mit autokratischen Elementen am Werke sehen. Allerdings gehen vier Fünftel der Experten davon aus, dass sich Russland, wenn auch langsam, zu einer Demokratie entwickelt. Von schnellen Fortschritten spricht praktisch niemand. Im Gegenteil, ein Fünftel der Befragten äußert die Erwartung, Russland werde auch in absehbarer Zeit eine Autokratie bleiben.

Nichtsdestotrotz kommt die Mehrzahl der Befragten zum Schluss, dass es zum Ausbau der Partnerschaft auf allen Ebenen keine vernünftige Alternative gibt. Nur sehr wenige empfehlen, den Ausbau der Partnerschaft von der Beendigung der russischen Bedrohungspolitik gegenüber seinen Nachbarn abhängig zu machen.

Big in Europe

Zu den politischen Führungskräften im Konzert der globalen Mächte zählen die befragten Experten nahezu einhellig die USA. China, Russland und der EU werden hingegen nur von kleineren Gruppen Führungsansprüche zugestanden. Einzelne europäische Staaten und insbesondere Länder der Dritten Welt sowie Japan spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle. In 20 Jahren wird sich das Bild nach Einschätzung der Experten deutlich gewandelt haben. Die USA spielen immer noch die wichtigste Rolle. Erheblich an Bedeutung gewinnen werden aber China und auch die Europäische Union, während Russland an Einfluss verlieren wird. Deutlich aufholen kann Indien, wenngleich nur eine überschaubare Gruppe das Land zu den künftigen Führungsmächten zählt.

Was die Rolle Deutschlands in der internationalen Politik anbetrifft, so hält gerade mal ein Drittel der Befragten die Bundesrepublik für eine Führungsmacht. Die meisten sind jedoch der Ansicht, dass Deutschland innerhalb der EU eine führende Rolle einnimmt. Insbesondere die Mitgliedschaft in der EU empfindet eine deutliche Mehrheit von 95 Prozent als sehr wichtig, auf den Plätzen folgen NATO, UN, G-8 und WTO.

Seit sich die Bundeswehr an internationalen Einsätzen beteiligt, ist ihre Rolle immer wieder Gegenstand der öffentlichen Debatte. Unstrittig ist in diesem Zusammenhang, dass die Streitkräfte der Bundesrepublik für die Landesverteidigung und für internationale Einsätze mit UN-Mandat zur Verfügung stehen sollen. Zwei Drittel der Befragten plädieren zudem für ein internationales Engagement mit einem Mandat der NATO. Den Einsatz der Bundeswehr im Inland hält hingegen nur eine Minderheit von gut einem Drittel für geboten. Eine Rechtfertigung für Auslandseinsätze ohne das Mandat einer internationalen Organisation sieht nur knapp jeder vierte Befragte. Militärische Aktionen im Alleingang kommen für praktisch niemanden in Frage.  

Schatten der Geschichte

Darüber hinaus zeigt die Studie eine Reihe von Auffälligkeiten in ihren Ergebnissen, die mindestens ebenso wichtig sind wie die Kernaussagen, mit denen die Experten aufwarten. So wird einerseits die NATO noch vor den Vereinten Nationen als die – nach der EU – zweitwichtigste Institution für multilaterale Zusammenarbeit genannt, gleichzeitig bei der Wichtigkeit außenpolitischer Themen allerdings mit nur drei Prozent an elfter Stelle angegeben. Bemerkenswert ist auch die offensichtliche Spaltung in der außenpolitischen Elite, wenn es um die deutsche Führungsrolle in der internationalen Politik geht. Genau die Hälfte der Befragten betont, dass Deutschland seine nationalen Interessen behaupten solle, während die andere Hälfte dies nur im Rahmen internationaler Organisationen als legitim und sinnvoll erachtet. Hier scheint sich die offene Debatte um den Einfluss der deutschen Geschichte auf Deutschlands außenpolitische Rolle widerzuspiegeln.

Bei einer Folgebefragung wird es auch darauf ankommen, festzustellen, ob man bei der Beantwortung der Frage auch Unterschiede zwischen den verschiedenen Altersgruppen der außenpolitischen Elite erkennen kann. Die eigentliche Relevanz dieses Befragungsprojekts wird sich allerdings erst auf der Zeitachse entwickeln lassen; dann nämlich, wenn sich durch eine geplante jährliche Befragung die Trendveränderungen und die relative Gewichtung unterschiedlicher Themen der deutschen Außenpolitik beleuchten lassen.

Die Studie finden Sie unter: http://www.aussenpolitikstudie.de/download/Elitenstudie-Aussenpolitik_2…

Prof. Dr. EBERHARD SANDSCHNEIDER ist Otto-Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der DGAP.

RALF WELT ist geschäftsführender Gesellschafter der dimap communications GmbH.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2009, S. 46 - 52.

Teilen

Mehr von den Autoren