Drei Fragen an … Thomas Bagger
Scheidender deutscher Botschafter in Polen
1. Das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland erlebt seine schwerste Krise seit 1989. Wie haben Sie das erlebt?
Meine Erfahrungen spiegeln die ganze Widersprüchlichkeit des Verhältnisses: offiziell zeichnet man in Warschau mit Wonne ein Zerrbild Deutschlands, das sich vieler Ressentiments bedient und auch das schwere Erbe der deutschen Besatzung und Zerstörung Polens instrumentalisiert. Die Tonlage ist unter EU-Partnern und NATO- Verbündeten ohne Beispiel. Zugleich haben mir Reisen und Begegnungen das so ganz andere Bild von einem breiten und wachsenden Fundament enger Zusammenarbeit vermittelt. Und ganz persönlich haben wir keine einzige Anfeindung erfahren, sondern sehr viel Herzlichkeit und Offenheit.
2. Seit Langem wirft Warschau Berlin vor, es sei sicherheitspolitisch naiv gegenüber Moskau. Wie lässt sich das Vertrauen zurückgewinnen?
„Warschau“ lässt sich wegen der Polarisierung der polnischen Politik und Gesellschaft nur mit Anführungszeichen auf einen Nenner bringen; es wirft Berlin alles Mögliche vor, Berechtigtes und Unberechtigtes, Naheliegendes und Absurdes. Die Selbstgerechtigkeit, die mit dem Gefühl einhergeht, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen (uns Deutschen nach 1989 ja nicht fremd ...) ist weit verbreitet. Was kann, was soll Deutschland tun? Zuvorderst die Zeitenwende konsequent umsetzen. Konkrete Investitionen in gemeinsame Sicherheit und Verteidigung sind der Schlüssel zu mehr Vertrauen.
3. Was lässt Sie hoffen für die deutsch-polnische Zukunft?
Zwei Dinge: Zum einen sind die Menschen viel weiter. Sie leben und sie schätzen die gute Nachbarschaft; sie sehen in überwältigender Mehrheit ihre Zukunft in einem geeinten Europa, mit Deutschland als engem Partner. Zweitens: Die Schwerkraft gemeinsamer Interessen zieht uns Richtung Zusammenarbeit. Das gilt vor allem für die Herausforderung, die Ukraine auf ihrem Weg in die EU zu unterstützen. Das drängt sich geradezu auf als Großprojekt deutsch-polnischer Zusammenarbeit. Noch hoffnungsvoller wäre ich, würden sich noch mehr Menschen in Deutschland für Polen interessieren und es aus erster Hand erleben. Wir sind uns sehr nah und sehr fremd zugleich.
Internationale Politik 4, Juli/August 2023, S. 8