IP

01. März 2012

Die Zeit ist noch nicht reif

Aber glaubwürdige Planungen eines Militärschlags gegen Iran sollten beginnen

2012 ist die Debatte über das Für und Wider eines militärischen Vorgehens gegen Irans Nuklearprogramm zurückgekehrt. Befürworter reden die enormen Schwierigkeiten einer solchen Operation klein. Auf sie vorbereiten muss sich der Westen dennoch. Nur vor einer glaubhaften
Drohkulisse ließe sich am Verhandlungstisch noch etwas erreichen.

2011 war der arabische Frühling neuer Impulsgeber im Nahen Osten, doch in den ersten Wochen des neuen Jahres kehrte das iranische Nuklearprogramm zurück ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit. Vor allem die Diskussion um einen möglichen Militärschlag gegen iranische Nuklearanlagen ist wieder da.
Am 8. November 2011 legte die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) dem UN-Sicherheitsrat einen neuen Bericht zum Stand des iranischen Atomprogramms vor. In einem zehnseitigen Anhang berichtet die IAEO detaillierter als je zuvor über dessen militärische Dimensionen. Unter anderem ist von Projekten die Rede, die schon länger als zehn Jahre laufen. Dieser Bericht verschärfte die schwelende diplomatische Krise deutlich. Während die amerikanische Regierung und die Europäische Union mit neuen Sanktionen gegen iranische Ölexporte und Banken reagierten, häuften sich die Gerüchte über einen geplanten unilateralen Luftschlag Israels. Im Januar 2012 veröffentlichte Foreign Affairs einen Artikel von Matthew Kroenig mit der Überschrift „Time to Attack Iran“ („Die Zeit ist reif für einen Angriff auf den Iran“).

In zugespitzten Formulierungen vertritt Kroenig darin die Meinung, dass Bombenangriffe auf den Iran die einzige Option sei, die den Entscheidungsträgern nun noch bliebe. Obwohl Kroenigs Artikel in vielen Details zu hinterfragen wäre, hat er eine hitzige Diskussion unter Experten ausgelöst. Größtenteils handelt es sich hierbei jedoch um eine Debatte über Kosten und Nutzen eines Militärschlags, die schon seit einem Jahrzehnt mit unterschiedlicher Intensität geführt wird. Seit die Existenz geheimer Anlagen 2002 von iranischen Dissidenten des „National Council of Resistance of Iran“ aufgedeckt wurde, kursiert die Idee einer militärischen Intervention, um den Iran an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern. 2006 schrieb der Journalist Seymour Hersh im New Yorker, die Regierung von Präsident George W. Bush stehe kurz vor einem Angriff.1 Wenngleich Hersh damals einige Äußerungen seiner Gewährsmänner im Pentagon wohl zu wörtlich nahm, verweist der wiederkehrende Charakter dieser Debatte doch auf den Stellenwert der militärischen Option.

Bis heute treibt das Atomproblem eine große Kluft zwischen die verschiedenen Lager der Nahost-Sicherheitsexperten. Strittig sind vor allem drei Aspekte: die strategische Notwendigkeit eines Militärschlags, die Durchführbarkeit eines solchen Angriffs sowie dessen kurz- und langfristige Auswirkungen.

Günstige Gelegenheit für einen Militärschlag?

Das erste und wichtigste Argument der Befürworter eines Angriffs ist, dass ein mit Atomwaffen bestückter Iran eine für die internationale Gemeinschaft inakzeptable Gefahr sei, da gegen den religiösen Eifer der iranischen Führung jedwede Abschreckungspolitik zwecklos sei. Mit anderen Worten: Die Handlungen des Iran sind nicht so rational wie die der Sowjetunion während des Kalten Krieges, und das seit nunmehr 67 Jahren herrschende nukleare Tabu, was den Einsatz von Atomwaffen angeht, könnte gebrochen werden. Vertreter der israelischen Verteidigungs-Community haben wiederholt darauf hingewiesen, dass der Iran nicht nur droht, Israel auszulöschen, sondern auch an den hierzu nötigen Waffen arbeitet. Hinzu kommt das Risiko, dass ein atomarer Iran in Sachen Weiterverbreitung eine Kettenreaktion im Nahen und Mittleren Osten auslösen könnte: Hat der Iran die Atombombe, werden auch die Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten nachziehen.

Ein zweiter zentraler Aspekt ist, dass die Befürworter eines Militäreinsatzes die Wirtschaftssanktionen, die von Seiten der UN, der EU und einzelner Staaten gegen den Iran verhängt wurden, mit großer Skepsis, wenn nicht gar Geringschätzung betrachten. Da wichtige Länder wie China, Russland oder Indien die Sanktionen nicht in vollem Umfang mittrügen, seien diese von vornherein zum Scheitern verurteilt. Des Weiteren beharren die Fürsprecher von Luftangriffen darauf, dass es immens wichtig ist, den richtigen Zeitpunkt eines Angriffs zu wählen, der nun gekommen sei. So stehe das Regime in Teheran angeblich an einem Punkt, an dem die Fertigstellung nuklearer Waffen binnen weniger Monate absehbar sei. Laut dem israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak wird der Iran schon bald eine „Immunitätszone“ erreichen, in der es für westliche Mächte ungleich schwerer sein wird, ihn zur Aufgabe des Programms zu zwingen.

Vom praktischen Gesichtspunkt aus betrachtet gibt es, auch wenn viele Schlüsselinformationen der Geheimhaltung unterliegen, viele in der Presse und Politikjournalen veröffentlichte Einschätzungen, denen zufolge ein Luftangriff auf die iranischen Atomanlagen machbar ist. 2007 schrieben Whitney Raas und Austin Long vom Massachusetts Institute of Technology, die israelische Luftwaffe sei imstande, die drei Nuklearanlagen in Natanz (Urananreicherung), Isfahan (Urankonversion) und Arak (Wasserkraftwerke und Reaktoren zur Plu­toniumproduktion) zu attackieren: „Eine solche Operation wäre nicht risikoreicher als der israelische Angriff auf den irakischen Atomreaktor in Osirak von 1981 und würde in Sachen Verlangsamung des iranischen Atomprogramms mindestens ebenso viel erreichen.“2

Darüber hinaus eröffnet der mit dem 31. Dezember 2011 vollendete Abzug amerikanischer Truppen aus dem Irak die Möglichkeit zusätzlicher Flugrouten; die Strecke über Jordanien und den Irak gilt als effizienter und sicherer als alle anderen. Dank des Truppenabzugs würde ein israelischer Angriff die Amerikaner nicht länger in eine delikate Situation bringen. Auch zeigen sich die Fürsprecher einer Militäroperation zuversichtlich, dass israelische und westliche Streitkräfte in der Lage seien, die Neben­effekte eines Bombardements unter Kontrolle halten zu können – sei es durch das Aufzeigen expliziter „roter Linien“, um die Situation zu deeskalieren, oder durch die Vereitelung möglicher iranischer Vergeltungsschläge. Matthew Kroenig, der zuvor im amerikanischen Verteidigungsministerium beschäftigt war, schreibt in Foreign Affairs: „Die Vereinigten Staaten könnten im Vorfeld deutlich machen, dass sie nur an der Zerstörung der Atomanlagen interessiert sind, nicht an einem Sturz der Regierung.“

Selbst wenn der Iran sich zur Eskalation entscheiden sollte, sind sich die Befürworter eines Militärschlags sicher, dass der Westen iranische Gegenangriffe abwehren könnte. Einige israelische Politiker, darunter Verteidigungsminister Barak und Premierminister Benjamin Netanjahu, haben sich überzeugt gezeigt, dass die iranischen Kapazitäten für Vergeltungsangriffe überbewertet seien; sie beruhten größtenteils auf Bluff. In einem im Januar 2012 veröffentlichten Bericht des Begin-Sadat-Centers, einer rechtsgerichteten israelischen Denkfabrik, erklärt Haim Rosenberg, das iranische Raketenarsenal „könne Israel nur begrenzt physischen Schaden zufügen“.3 Auf längere Sicht würde ein Angriff, so meinen die Befürworter, die Entschlossenheit des Westens demonstrieren, und außerdem das Regime in Teheran davon abbringen, die Arbeiten am Nuklearprogramm unmittelbar wieder aufzunehmen. Manche Beobachter halten es sogar für möglich, dass ein solcher Militärschlag die iranische Führung ins Wanken bringen und die Opposition im Kampf für einen Regimewechsel stärken könnte. Insgesamt liefern all diese Argumente eine gute Grundlage zur Annahme, dass ein Militärschlag technisch, strategisch und moralisch die am wenigsten schlechte Option ist, die Atom­krise zu lösen.

Argumente gegen einen 
Militärschlag

Kommentatoren, die sich gegen einen militärischen Einsatz aussprechen, sind als Gruppe nicht so homogen wie die Befürworter. Am einen Ende des Spektrums befinden sich Pazifisten, die aus rein philosophischen Gründen eine Intervention mit Waffengewalt ablehnen; am anderen Ende stehen dagegen Pragmatiker, die zwar einige Annahmen mit den Befürwortern eines Militärschlags teilen, jedoch zu anderen Schlussfolgerungen kommen. Einige behaupten zum Beispiel, dass eine Atommacht Iran keine Katastrophe für die Region sei, da die Regierung in Teheran durchaus als rationaler Akteur auf Abschreckung reagieren würde. Unter Verweis auf Erfahrungen aus dem Kalten Krieg und dem indisch-pakistanischen Konflikt meinen sie, dass Atomwaffen eine rationalisierende Wirkung haben.

Zudem glauben die Skeptiker, die Dringlichkeit der Situation werde überschätzt. Wäre der Iran schon an dem Punkt angelangt, alle für Atomwaffen nötigen Ressourcen zu besitzen (nach allen vorliegenden Informationen, einschließlich des jüngsten IAEO-Berichts, zu urteilen ist dieser Punkt noch nicht erreicht), müsste er die Inspekteure der IAEO ausweisen, um letztendlich mit dem Bau der Atombombe zu beginnen. Nur dann gebe es für die internationale Gemeinschaft keinen anderen Ausweg mehr als einen Militärschlag. Dieser Punkt könnte in einem Zeitfenster von 6 bis 18 Monaten erreicht sein – es bliebe also noch mehr als genug Zeit zur Vorbereitung und Durchführung eines Angriffs. Der zentrale Aspekt dieses Szenarios ist, dass eine Militärintervention in diesem Fall sehr viel eindeutiger legitimiert wäre, als es in der momentanen, undurchsichtigen Situation der Fall ist.

Zudem heben die Skeptiker eine große Unbekannte in der Gleichung hervor: die Machbarkeit eines Militärschlags. Die USA wären natürlich in der Lage, den Iran zu bombardieren. Das eigentliche Problem ist jedoch die Qualität der Geheimdienstinformationen: Wieviel weiß man wirklich über die iranischen Nuklearanlagen? Sollte die amerikanische (oder die israelische) Luftwaffe die Anlagen in Natanz, Arak und Isfahan zerstören, wie sicher könnte man dann sein, dass damit auch tatsächlich die Knotenpunkte des iranischen Atomprogramms getroffen wurden? Die Iraner haben die Lektionen des israelischen Angriffs auf Osirak gelernt und ihr Programm auf verschiedene Standorte im ganzen Land verteilt, so dass immer Zweifel bleiben werden, ob die vorliegenden Informationen für die Zerstörung des gesamten Atomprogramms ausreichen.

Schließlich gehören für Kritiker der Ausgang und die Folgen einer Militäroperation zu den am heftigsten umstrittenen Aspekten eines Militärschlags. So sind Skeptiker verblüfft von der Einschätzung, die westlichen Mächte könnten im Falle eines Militärschlags eine weitere Eskalation der Situation verhindern und den Iran dazu zwingen, von Vergeltung abzusehen. Sie halten diese Annahme für optimistisch, wenn nicht gar naiv, und verweisen an dieser Stelle auf einen zentralen Widerspruch in der Argumentation ihrer Kontrahenten: Zunächst beschrieben diese, um einen Angriff zu rechtfertigen, den Iran als von einem irrationalen, fanatischen Regime beherrscht, das bereit sei, nuklearen Selbstmord zu begehen. Im nächsten Zug jedoch spielten sie die Gefahr einer möglichen Eskalation nach einem Militärschlag herunter. Demnach wäre eine Atommacht Iran irrational und selbstmordgefährdet, während ein Iran unter Luftbeschuss sein Handeln genau abwöge.

Doch selbst wenn dies so eintreten sollte, gäbe es, so glauben die Skeptiker, keine Möglichkeit, den Iran am sofortigen Neustart seines Nuklearprogramms zu hindern. In diesem Fall würde Teheran vermutlich in kompletter Geheimhaltung verfahren. Auch nach einer Zerstörung der Urananreicherungsanlage in Natanz könnten solche dort eingesetzten Zentrifugen schnell und von internationalen Beobachtern unbemerkt wieder gebaut werden. Dies sind die Hauptgründe, aus denen Skeptiker einen Militärsschlag mit extremer Vorsicht betrachten.

„Sanktionsbewehrte Diplomatie“

Nach fast einem Jahrzehnt voller Gerüchte um mögliche Luftangriffe auf das iranische Atomprogramm ist offensichtlich, dass der größte Fehler dieser Debatte in ihrem Referenzrahmen liegt. Danach nämlich habe die Politik nur zwei Wahlmöglichkeiten: Wirtschaftssanktionen oder Militärschlag. Um ihre Ansichten zu untermauern, haben sich die Kontrahenten die meiste Zeit damit beschäftigt, die Argumente der Gegenseite zu widerlegen. Das mag einerseits vielleicht intellektuell anregend sein, andererseits wirkt das auf der Ebene der praktischen Politik verheerend. So war die Politik der Wirtschaftssanktionen bisher vor allem durch die Unbeständigkeit der westlichen Mächte gekennzeichnet. Dies gilt im Hinblick auf die Durchsetzung (das Versagen der USA und Europas, Mächte wie China und Indien mit ins Boot zu holen), auf „rote Linien“ (die angesichts iranischer Rücksichtslosigkeit immer wieder verschoben wurden) und auf die eigentlichen Ziele (geht es um einen Stopp des Nuklearprogramms oder doch um ein Regimewechsel?).

Die Militäroption hingegen wirkte bislang ironischerweise – oder traurigerweise – wie ein Bluff des Westens. Ein in aller Öffentlichkeit ausgetragener Streit über den Wert eines Militäreinsatzes hat dazu geführt, dass es den westlichen Verbündeten an Glaubwürdigkeit mangelt. Sowohl US-Verteidigungsminister Leon Panetta als auch sein Vorgänger Robert Gates haben eine militärische Intervention für unwahrscheinlich erklärt. Und obwohl die USA noch immer in der Lage wären, die iranische Infrastruktur zu zerstören, ist das Denken in Washington infolge der Irak- und Afghanistan-Kriege von „strategischer Ermattung“ geprägt. Das beeinflusst die Selbsteinschätzung, wenn es um die Umsetzung eines Militärschlags geht.

Tatsächlich liegt der größte Fehler der aktuellen Debatte intellektuell wie politisch aber darin, dass Wirtschaftssanktionen die Glaubwürdigkeit der Militäroption untergraben, statt sie zu unterstützen. Jede Art „sanktionsbewehrter Diplomatie“ ist von wirtschaftlichen und militärischen Komponenten gekennzeichnet. „Sprich sanft, aber halte einen großen Knüppel in der Hand, und du wirst weit kommen.“ So formulierte es einmal US-Präsident Theodor Roosevelt.

Trotz aller Fehler der Vergangenheit gibt es Anfang 2012 gute Gründe zu glauben, dass man dem mit der Entscheidung für oder gegen einen Militärschlag verbundenen Dilemma noch entgehen kann. Der weitreichende Charakter der jüngsten, von den USA und Europa beschlossenen Sanktionen gegen den Iran könnte sich als entscheidend herausstellen. Mehr noch: Der Abzug amerikanischer Truppen aus dem Irak, die anschließende Stationierung von 15 000 US-Soldaten in Kuwait und das wachsende Bewusstsein innerhalb der NATO, dass sich die Atlantische Allianz auf die Herausforderung durch den Iran vorbereiten muss, sind Signale, dass sich die Wahrnehmung, ob die Militäroption glaubwürdig ist oder nicht, noch ändern könnte.

Denn die Vorbereitung eines möglichen Militäreinsatzes untergräbt die Wirtschaftssanktionen nicht, sondern führt ein weiteres Sanktionsmittel ein, um sie zu unterstützen. In diesem Zusammenhang ist es nicht unlogisch, eine mögliche Militäroption zu planen, während man alle diplomatischen Mittel ausschöpft. Vielmehr ist das das handfesteste Mittel, dem Iran vor Augen zu führen, wie hoch die Kosten wären, würde er den Rubikon überschreiten.

JEAN-LOUP SAMAAN ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Middle East Department des NATO Defense College in Rom. Dieser Artikel gibt seine persönliche Meinung wieder.

  • 1Seymour Hersh: The Iran Plans, The New Yorker, 17.4.2006.
  • 2Whitney Raas und Austin Long: Osirak Redux? Assessing Israeli Capabilities to Destroy Iranian Nuclear Facilities, International Security, 4/2007, S. 30.
  • 3Haim Rosenberg: Missile Warefare: A Realistic Assessment, BESA Center Perspectives Paper, Nr. 161, 25.1.2012.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/ April 2012, S. 108-113

Teilen