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01. Dez. 2008

Die nächste Krise kommt bestimmt

Frühwarnsysteme nützen nichts, wohl aber ordnungspolitische Grundsätze

Die Menschen werden immer wieder Wirtschaftskrisen erleben. Denn Finanzsysteme sind labil und die menschliche Natur erliegt dem Zyklus von Manie und Depression. Alle Versuche in der Geschichte, Krisen ein für alle Mal zu vermeiden oder von Anfang an zu eliminieren, wurden enttäuscht. Dass der Kapitalismus versagt habe, ist jetzt der marktgängigste Mythos, den die -„Sozialisten aller Parteien“ (Friedrich A. von Hayek) gerne erzählen. Eine Krise wird zum Indiz des Systemversagens geadelt. Als ob der Kapitalismus risikolose Wohlstandsmehrung für alle versprochen hätte.

Den meisten Zeitgenossen ist die Marktwirtschaft ohnehin suspekt. Als risikolosen Reichtumsgenerator hätten sie sie gerade noch durchgehen lassen. Weil jetzt Banken kippen, Depots schmelzen und die falsche -Unternehmensstrategie von (Automobil-)Konzernen offenbar wird, muss gleich der ganze Kapitalismus dran glauben. Schon Joseph Schumpeter wusste: „Der Kapitalismus ficht seinen Prozess vor Richtern aus, die das Todesurteil bereits in der Tasche haben.“ Gewiss gibt es in der Finanzkrise auch eklatante Fälle von Marktversagen: Aber das Versagen von Anreizsystemen und einzelnen Marktteilnehmern ist noch kein grundsätzliches Systemversagen.

Wer über neue Regeln für Finanzmärkte nachdenkt, muss höllisch aufpassen. Er darf nicht den Keim der Krisen von morgen legen, weil er die Krisen von gestern zu verhindern suchte, als es bereits zu spät war. Besser ist es, sich an ordnungspolitische Grundsätze zu erinnern und das Augenmerk auf fundamentale Fragen von Haftung, Verantwortung und Freiheitsvollzug zu richten. Und auf eine rechte Aufgabenverteilung zwischen Staat und Markt.

1. Wer Risiken eingeht, sollte dafür auch gerade stehen. Es ist ein Fehler, dass dieser tragende Grundsatz der Marktwirtschaft außer Mode gekommen ist. „Beschränkte“ Haftung oder Haftungsausschluss führen dazu, Risiken exzessiv einzugehen – denn den Schaden haben im Zweifel die anderen. Das darf sich nicht wiederholen. Die Erwartung, am Ende werde der Staat es schon richten, hat dazu geführt, dass es der Staat am Ende richten musste: Ein solcher Fall selbsterfüllender Prophezeiung muss künftig verhindert werden.

2. Wer Kredite vergibt, muss auch für ihre Tilgung haften. Wer dazu verpflichtet ist, den Kredit einzutreiben, wird sich um die Bonität seiner Schuldner kümmern und die Rückzahlung überwachen. Deshalb dürfen von Banken keinesfalls alle Kreditforderungen weitergereicht („verbrieft“) werden, nur um das Kreditvolumen zu vergrößern. Eine solche Disziplinierung erzieht von Anfang an zu größerer Vorsicht.

3. Risiken gehören in die Bilanzen der Banken. Der Versuch der Akteure, Regulierung zu unterlaufen, ist unvermeidlich. Dabei treibt der Renditedruck auch vorsichtige Banken in solche Geschäfte, wenn andere Geldinstitute vorpreschen und durch die Nutzung von Regulierungslücken enorme Gewinne machen. Das spricht im Übrigen gegen eine exzessive Neuregulierung der Finanzmärkte. Keine Ausweitung, sondern „kluge“ Regulierung ist gefragt, die nie vergisst, dass die List der Märkte groß ist. Der Staat bleibt dem Igel Markt gegenüber immer der Hase (auch wenn er derzeit kraftprotzend die Muskeln spielen lässt). Aber die Möglichkeit, Zweckgesellschaften außerbilanzielle Risiken aufzuladen, muss künftig ausgeschlossen werden.

4. Soviel Transparenz wie nötig. Absolute Transparenz ist nicht nur illusorisch, sie ist auch nicht wünschenswert – widerspricht dies doch dem Grundrecht auf den freien Gebrauch des Eigentums in einer liberalen Gesellschaft. Märkte haben aber die Aufgabe, Unsicherheit kalkulierbar zu machen und diese in Risiken zu transformieren. Risikostrukturen müssen deshalb für jeden Marktteilnehmer prinzipiell transparent sein.

5. Die private Aufsicht über (Finanz-)Unternehmen und Ratingagenturen muss gestärkt werden. Um die Kompetenz von Aufsichtsräten gerade öffentlich-rechtlicher Banken steht es nicht zum Besten. Sie müssen professionalisiert und die Managermacht durch die Aktionäre begrenzt werden. Dazu bedarf es auch neuer Entlohnungssysteme, welche nicht nur den kurzfristigen Gewinn prämieren dürfen, sondern langfristigen Erfolg stimulieren und zugleich die persönliche finanzielle Haftung im Fall des Scheiterns festlegen.

6. Staaten müssen Spielregeln definieren. Oberstes Gebot der Ordnungspolitik ist, dass der Staat sich aus dem Marktgeschehen heraushält, weil er für die Spielregeln zuständig ist. Spielregeln beziehen sich auf den Rechtsrahmen, sie greifen aber nicht konkret in die Gestaltung von Preisen ein. Marktteilnehmer müssen aufgefordert werden, das Design von Vertragstypen zu entwerfen, die dann von den Regierungen „lizensiert“ werden. Dazu gehört zum Beispiel, dass das Bündnis zwischen Ratingagenturen und Finanzproduktentwicklern künftig verhindert werden muss. Dazu gehört aber auch endlich ein Insolvenzrecht für Banken, das deren „geordneten“ Bankrott erlaubt.

7. Zentralbanken haben nicht die Aufgabe, Wirtschaftspolitik zu machen. Aufgabe der Notenbanken ist es, für stabiles Geld zu sorgen. Nicht mehr und nicht weniger. Maßnahmen, mit billigem Geld Wohlstand zu fördern oder Arbeitslosigkeit verhindern zu wollen, sind mit Staatsinterventionen gleichzusetzen. Denn sie führen in die Krise. Die EZB könnte hier für die Fed Vorbild werden – auch wenn dieses Ziel politisch naiv klingt.

8. Zentralbanken müssen sich auch um die Inflation der Vermögenspreise kümmern. In den letzten beiden Finanzkrisen (New Economy und Immobilienkrise) hat sich gezeigt, dass sich der Blick nicht ausschließlich auf die Verbraucherpreise beschränken darf. Eine Inflation der Vermögenspreise produziert Bubbles; hier muss versucht werden gegenzusteuern, auch wenn das zu Renditeverlusten für Anleger und Wachstumsverlusten für die Volkswirtschaft führt.

9. Auch Anleger müssen in die Pflicht genommen werden. Dass Verantwortung ausschließlich an Staaten und die Finanzindustrie delegiert wird, ist nicht hinzunehmen. Anleger müssen wissen, dass sie im Maß ihrer Anlage haften, das heißt, dass auch sie ihr Geld verlieren können.

10. Die Krisen von morgen kennt heute noch niemand. Es ist gefährlich, mit dem Wissen um die Krisen von gestern die Krisen von morgen bewältigen zu wollen. „Frühwarnsysteme“ für die nächste Krise aus den Analysen der Katastrophe von gestern zu entwickeln, ist aus logischen Gründen absurd. Wer deshalb durch Überregulierung nachträglich die Fehler von gestern unterbinden will, könnte damit gerade den Keim für die nächste Krise legen.

Dr. RAINER HANK ist Buchautor und leitet das Ressort Wirtschaft und Finanzen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2008, S. 68 - 70

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