Die Manifestation der Langeweile
Schlusspunkt
Fast leid tun kann er einem, der kleinflächige Patchwork-Kontinent Europa. Es vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht von allen Seiten bedrängt, geschmäht und ausgelacht wird. In Kopenhagen haben uns die Chinesen gezeigt, wie neue Machtpolitik à la Peking funktioniert. Präsident Obama hat seinen Besuch zum Gipfel im Mai abgesagt. Der neue EU-Präsident Herman Van Rompuy und die Außenbeauftragte Catherine Ashton werden in den Medien als Leichtgewichte verspottet. Karlsruhe hat der Bundesregierung mit seinem umstrittenen Lissabon-Urteil Fußfesseln für die Europa-Politik angelegt.
Und jetzt auch noch die Eurozone. Da trommelt es vor allem von der Insel: In Großbritannien hat man mit Argwohn verfolgt, wie im letzten Jahr Kontinentaltouristen die Insel eroberten, wo der Urlaub auf einmal so viel billiger geworden war. So mischt sich jetzt eine große Portion Schadenfreude in die Berichterstattung, in der schon das Ende der gemeinschaftlichen Währung ausgerufen wird.
Kurzum, Europa ist „out“. Wir sind nicht aufregend aufstrebend wie Indien oder China, nicht machtvoll wie Obamas Amerika, nicht unverfroren wie die Machthaber in Teheran. Europa, oder genauer: die EU, ist die Manifestation der Langeweile. Kein Wunder, dass der Rest der Welt das Interesse an uns verloren hat, während wir uns fast zehn Jahre lang in institutionellen Debatten verzettelten.
Können wir zur Abwechslung auch mal diskutieren, was jenseits von Institutionenkunde so läuft in Europa? Dazu fällt mir ein: Warum gibt es eigentlich keine europäische Debatte zu Afghanistan? Zugegeben ist Afghanistan nur begrenzt ein Thema für die Europäische Union, wohl aber für ihre Mitglieder. Könnte man gemeinsam nicht eindrucksvoller gegenüber den transatlantischen Partnern auftreten, auch in der Frage eines Rückzugs? Arbeiten die Brüsseler Institutionen eigentlich an einer neuen regionalen Sicherheitsstrategie zum Nahen und Mittleren Osten, die das Szenario eines nuklearen Iran zu denken wagt? Wie bereiten sich die europäischen Hauptstädte auf den Moment vor, in dem im Sudan, dem größten Land Afrikas, ein neuer Krieg ausbricht? Wer wird die erste Europäische Bürgerinitiative vorlegen, mit der eine Million Bürger die Kommission auffordern können, einen Gesetzesvorschlag zu machen? Und zu welchem Thema?
Institutionen sind kein Selbstzweck, sie sind ein Vehikel für Politik. Dass wir jetzt mit dem Vertrag von Lissabon nicht die besten Institutionen haben, sondern die, die politisch erreichbar waren, sollte man nüchtern zur Kenntnis nehmen. Nun aber ist die Schonzeit für die Europäische Union vorbei: Sie kann sich ab sofort nicht mehr hinter institutionellen Debatten verstecken.
Almut Möller leitet das Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen im Forschungsinstitut der DGAP.
Internationale Politik 2, März/April 2010, S. 144