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26. Febr. 2014

Liebe Briten, erklärt euch!

Was Angela Merkel in London sagen sollte

Am morgigen Donnerstag reist Angela Merkel zu Gesprächen mit Premierminister David Cameron und Queen Elizabeth II. nach London. Dort hält sie auch eine Rede vor beiden Häusern des Parlaments. Die Erwartungen in London sind hoch: Berlin soll in den kommenden Monaten den Weg frei machen für eine Neuverhandlung der Bedingungen der britischen EU-Mitgliedschaft. Wie sollte sich Angela Merkel dazu stellen? Ein Vorschlag.

Seit Monaten umgarnt die britische Regierung Bundeskanzlerin Merkel und sendet dabei das Signal auf die Insel und in den Rest der EU, dass kein Blatt zwischen die britische und deutsche Regierung passt. Die Bundesregierung soll sich dafür einsetzen, die Konditionen der britischen Mitgliedschaft neu zu diskutieren. Die Aussicht auf „weniger Europa“ soll Cameron nicht nur zum nächsten Wahlsieg führen, sondern auch im angekündigten Referendum den Verbleib der Briten in der EU sichern. Das mag durchschaubar sein, taktisch klug ist es allemal.

Deutschland hat kein Interesse daran, die oft unbequemen Briten als EU-Mitglieder zu verlieren – weltoffen, binnenmarktorientiert, sicherheitspolitisch engagiert, wie sie sind. Ein Austritt des drittgrößten EU-Mitglieds würde kurzfristig Schockwellen durch die gesamte EU senden, dessen Abwicklung mittelfristig auch in Berlin auf absehbare Zeit erhebliche Ressourcen binden und langfristig die Gewichte in der EU verschieben – unter Umständen nicht zugunsten Deutschlands.

Die Bundesregierung hat zwar deutlich gemacht, dass sie Großbritannien lieber innerhalb als außerhalb der EU sähe. Wie so oft in Europafragen aber scheut die Kanzlerin bisher die wirklich kritischen Fragen. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, die deutsche Position zur Zukunft der EU abzustecken. Auch im Rest der EU wird die Rede der Kanzlerin in dieser Woche in London deshalb mit Spannung erwartet. Was sollte Angela Merkel sagen? Vielleicht Folgendes:

Liebe Briten, überschätzt euren Einfluss nicht und auch nicht den Berlins. Wenn ihr es nicht schafft, europaweit glaubhaft für eine bessere EU für alle zu werben, dann kommt ihr ebenso schnell an eure Grenzen wie wir an unsere. Die EU funktioniert nur kooperativ, das muss Berlin gerade wieder lernen. Wie schnell die „deutsche Frage“ zurück an die Verhandlungstische kehren kann, haben wir in den vergangenen Jahren erlebt. Wenn ihr jetzt nur für Berlin den roten Teppich ausrollt, führt euch das nicht weiter – und uns auch nicht.

Zweitens, setzt nicht auf ein Pferd, dessen Chancen schwinden, ins Rennen geschickt zu werden. Eure Idee von Vertragsreformen – auch für die Bundesregierung ein schwieriger Lernprozess – ist nicht mehr zeitgemäß. Vorbei die Zeiten der inhaltlich breit gefächerten, monatelangen Konferenzen von Regierungsvertretern, in denen noch alle möglichen Interessen Berücksichtigung fanden. Zu groß sind inzwischen die Fliehkräfte in der EU, zu hoch der Zeitdruck und das Risiko, dass ein mühsam ausgehandelter Kompromiss am Ende in den nationalen Ratifizierungen hängenbleibt.

Als deutsche Bundeskanzlerin, die einst dem toten Verfassungsentwurf mit dem Vertrag von Lissabon neues Leben eingehaucht hat, kenne ich das Problem. Die bisherigen Reformen der Euro-Zone haben wir deshalb notgedrungen punktuell und wenn nötig auch außerhalb des EU-Primärrechts organisiert. Das habt ihr uns eingebrockt, aber so schlecht sind wir damit nicht gefahren. Unsere Juristen erarbeiten jetzt neue Lösungen für das vertrackte Thema Vertragsreform, die in den Parlamenten und in Karlsruhe zustimmungsfähig sind. Tut uns Leid, liebe Briten, aber hier seid ihr von gestern.

Abgesehen davon kann die deutsche Bundesregierung euch selbst mit gutem Willen nicht immer im Blick halten. Berlin setzt alles auf die dauerhafte Erholung der Euro-Zone. Das kann man absurd finden (was hier auf der Insel eine salonfähige Überzeugung ist), ändert aber nichts an der Tatsache, dass meine Regierung dem „weniger Europa“ Londons ein „mehr Europa“ für die Euro-Zone entgegensetzen muss.

Wie das im Detail aussehen soll, dazu halte ich mich bedeckt, aber das ist ein anderes Thema. Unter dem Dach der EU gibt es jetzt eindeutig zwei Spielfelder – das gefällt uns eigentlich nicht, aber wir gehen auf das Thema inzwischen offensiver zu. Unsere Strategie ist jetzt auf die Stärkung der Euro-Zone angelegt und darauf, dass sie weiter wächst, vor allem um Polen. Da kann es punktuell auch eine Überlappung von Interessen mit euch Briten geben, aber dauerhaft trägt das nicht für eine Special Relationship.

Und verschwendet nicht eure Zeit, um für euren, wie heißt es gleich: EU-Kompetenzüberprüfungsprozess zu werben. Zu dem hätte man zwar nicht nur in Berlin, sondern auch in München, Düsseldorf oder Stuttgart einiges beizutragen. Wir können den Wert für den Rest der EU zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennen. Stattdessen entwickelt doch mal eine systematische Analyse der Vereinbarkeit einer vertieften Währungsunion mit den Bedürfnissen des Binnenmarkts der 28. Welche Maßnahmen sind nötig, welche Grenzen dürfen nicht überschritten werden, damit aus unterschiedlichen Geschwindigkeiten nicht plötzlich unterschiedliche Richtungen werden? So könntet ihr zeigen, dass ihr europäisch mitdenkt, und zwar nicht spaltend, sondern einend. Das wird euch auch Anerkennung im Rest der EU bringen. Der schaut schon nervös bis irritiert auf eure Avancen in Richtung Berlin.

Und wo wir schonmal dabei sind: Kompetenzfragen werden bei uns nicht wie bei euch unter dem Stichwort „Rückverlagerung“ diskutiert. Wir sprechen lieber von Subsidiarität. Daran haben uns auch die Niederländer gerade erinnert. Subsidiarität aber ist keine Einbahnstraße, sondern zielt in beide Richtungen: weniger und mehr Europa.

Lasst euch nicht irreführen von der Kritik, die in Europa an meinem so genannten Spardiktat geübt wird. Ich bin keine Eiserne Lady. Marktwirtschaft ist in Deutschland weiterhin nur mit dem Zusatz „sozial“ versehen zu haben.

Flexibilität und Pragmatismus schätzen auch wir, aber sie haben Grenzen, gerade für Deutschland. Tiefere Integrationsschritte erwartet niemand ernsthaft von euch. Wir haben verstanden, dass ihr dem Euro und Schengen nicht beitreten wollt und dass es in Großbritannien einen schwindenden Glauben an verbindliche Regeln und institutionelle Lösungen im EU-Rahmen gibt. Was London aber konkret will, ist uns nicht klar. Die EU als Netzwerk? Uns ist es in den vergangenen Jahrzehnten gut gegangen mit dem Bekenntnis zur Zähmung nationalstaatlicher Macht durch gemeinsame EU-Institutionen.

Aber gerade dort, wo wir als Europäer in loseren Formen zusammenarbeiten, brauchen wir doch vertrauensvolle Kooperation. Was trägt London denn dazu bei? Im Augenblick nehmen wir vor allem Botschaften wahr, die drohen, das Klima unter uns Europäern zu vergiften – die Debatte um Freizügigkeit im Binnenmarkt ist das beste Beispiel.

Liebe Briten, erklärt euch, anstatt den Versuch zu machen, uns für eure Agenda zu vereinnahmen. Wir wollen euch in der EU, aber nicht zu jedem Preis.

Almut Möller leitet das Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen an der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP e.V.) in Berlin.

Bibliografische Angaben

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