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01. Juli 2008

Die Lesbarkeit des globalen Zeitalters

Buchkritik

Warum die Globalisierung nicht das Ende des Nationalstaats bedeutet

Wird der Staat durch die Globalisierung nachhaltig geschwächt? Ist er überhaupt noch imstande, ihr Widerstand entgegenzusetzen? All diese Fragen, die in kaum einer Abhandlung zum Thema fehlen, werden in der neuen Studie von Saskia Sassen bewusst nicht gestellt. Sassens Interesse gilt der Neuverteilung der Macht innerhalb des Staates.

Die Hauptthese der US-amerikanischen Soziologin Saskia Sassen lautet: Die Globalisierung bedeutet weder das Ende des Nationalstaats noch findet sie außerhalb seines Rahmens statt; sie vollzieht sich weitgehend innerhalb des Nationalen. Sassen beweist, dass gerade der nationale Rahmen die Dimension bildet, in der die Globalisierung ermöglicht wird. Somit stellt die Autorin viele Stränge der Globalisierungsdebatte auf den Kopf. Sassen fragt nämlich nicht danach, ob der Staat der Globalisierung Widerstand leisten kann oder ob er im Zuge der Globalisierung geschwächt wird. Sassens Interesse gilt der Neuverteilung der Macht innerhalb des Staates.

Anhand von detaillierten Analysen von „TAR“ – Territorium, Autorität und Rechte – untersucht die Soziologin Prozesse der langen Dauer, um die im Mittelalter ansetzende Zusammensetzung des Nationalen, seine Demontage nach 1945 und ausgewählte Assemblagen eines globalen digitalen Zeitalters darzulegen. Dem grundlegenden Wandel vom Nationalen zum Entnationalisierten, der sich seit den achtziger Jahren vollzieht, liegen drei Prozesse zu Grunde: die Schwächung der Legislative bei gleichzeitiger Stärkung der Exekutive, die Tendenz zur Geheimhaltung der Regierungsarbeit und die Privatisierung vieler Bereiche der Politik und der Wirtschaft.

Bemerkenswert sind die Tiefe und die zeitliche Dimension der Analyse. Sassens Untersuchungsgegenstand sind Symbole der wichtigen Veränderungen in der jeweiligen Epoche: der französische Staat der Kapetinger im Spätmittelalter, Großbritannien während der Entwicklung des Industriekapitalismus und die Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Augenmerk gilt folgerichtig Perioden, „in denen bestehende Konfigurationen und stabilisierte Bedeutungen erschüttert werden“.

Im Hinblick auf die weltweite Interdependenz von Kapitalmärkten, das Funktionieren globaler politischer Institutionen (um nur solche wie IWF, UN und WTO zu erwähnen), die Entstehung der globalen Zivilgesellschaft und verschiedenartige andere Dimensionen der Globalisierung beweist Sassen, dass diese Phänomene die Nationalstaaten nicht untergraben oder auszehren. Es trifft nach Sassen vielmehr zu, dass es eben nationalstaatlich formulierte Grenzziehungen und Rechtsnormen sind, welche die Entstehung der neuen globalen Architektur ermöglichen.

Die spannendsten Passagen finden sich im dritten und letzten Teil der Studie, wo Sassen über Schauplätze des Globalen schreibt und am Beispiel von Immigranten, die formell ihre Rechte einfordern oder auch informell politisch aktiv werden, das Machtpotenzial der scheinbar Machtlosen herausarbeitet.

Der Vorteil der Studie von Sassen ist sicherlich die Fähigkeit, die Lesbarkeit der Dialektik zwischen der De- und der Renationalisierung aufzuzeigen: Während viele Bereiche der Ökonomie entnationalisiert werden, sind heute die Politiken der Zugehörigkeit weitgehend durch Renationalisierung geprägt, was am Beispiel der Einwanderungspolitik deutlich abzulesen ist. Der Wille der Autorin, den methodologischen Nationalismus zu überwinden, führt zur Ausarbeitung von interessanten analytischen Kategorien: Untersucht werden in der jeweiligen Epoche und Dimension Potenziale, Wendepunkte und Organisationslogiken.

Saskia Sassen liefert somit keine Analyse der Brückenereignisse, sondern eine Untersuchung der Transformation. Beachtenswert ist auch Sassens Mut, analytische Grenzgebiete zu erforschen: gemischte räumlich-zeitliche Assemblagen als Formen der Territorialität, das Nebeneinander der Zeitlichkeiten, aber auch neue Ökonomien und die Zeitlichkeit des Nationalen.

Zwar überrascht in dieser fundierten Arbeit das Fehlen jeglicher Bezüge auf Werke von Zygmunt Bauman oder Antonio Negri und die Nichterwähnung der inzwischen klassischen Arbeiten von Benedict Anderson, dessen neueste Überlegungen über den Diaspora-Nationalismus gerade für den Sassen interessierenden Kontext relevant wären. Allerdings ist „Das Paradox des Nationalen“ trotz einiger Redundanzen und der deutlichen okzidentalen Fokussierung eine erkenntnisfördernde Lektüre, die wirksam dazu einlädt, viele Aspekte der Globalisierungsdebatte aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Saskia Sassen: Das Paradox des Nationalen. Territorien, Autorität und Rechte im globalen Zeitalter. Edition Zweite Moderne, hrsg. von Ulrich Beck, Frankfurt: Suhrkamp 2008, 735 Seiten, 36,80 €

KORNELIA KONCZAL, geb. 1982, ist Mitarbeiterin am Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Aka demie der Wissenschaften.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7-8, Juli/August 2008, S. 167 - 169

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