Titelthema

26. Juni 2023

Die heiße Luft der Autokratie

Können Diktaturen das Klima besser schützen, weil sie ihre Untergebenen dazu zwingen können? Müssen Demokratien hier an ihrem Konsensprinzip scheitern? Kurze Antwort: Nein. Ganz im  Gegenteil – wenn sie sich auf das Positive konzentrieren.

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Bild: Das weltgrößte Solarkraftwerk in der Mojave-Wüste im Westen der USA.
Technologische Innovationen für den Kampf gegen den Klimawandel gedeihen besonders gut in ­Demokratien: das weltgrößte Solarkraftwerk in der Mojave-Wüste im Westen der USA.
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Die Welt tut sich noch immer schwer damit, die Pariser Klimaziele in konkrete Politik umzusetzen. Gerade über die Unfähigkeit von Demokratien, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen, wird gerne geredet. Sie seien, heißt es, zu sehr auf Kompromisse fixiert.

Deswegen werde die Politik von Industrien vereinnahmt, die sonst unter Maßnahmen zur Verringerung der klimaschädlichen Emissione leiden würden. Das gelte vor allem für die Industrie der fossilen Brennstoffe. Ein weiteres Argument ist, dass die Demokratie und ihr Begleiter, der Kapitalismus, selbst den Klimawandel verursacht haben. Schließlich seien Marktwirtschaften weltweit für den Löwenanteil der historischen Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich (wobei nicht darauf eingegangen wird, dass diese Emissionen auf den relativen Wohlstand zurückzuführen sind, die der Kapitalismus den Bürgern dieser Länder beschert hat).

 

Aber sind Autokratien tatsächlich besser? In autokratischen Gesellschaften können die Regierenden den Bürgern ihren Willen aufzwingen, statt sich der Herausforderung zu stellen, einen Konsens zur Klimapolitik herzustellen. Theoretisch kann eine solche Gesellschaft schneller Ergebnisse erzielen. Aber geschieht dies auch tatsächlich? Schneiden Autokratien in Sachen Klimaschutz besser ab? Sind Demokratien zum Scheitern verurteilt, wenn es darum geht, den raschen Wandel herbeizuführen, der zur Abwendung der schlimmsten Folgen des Klimawandels erforderlich ist?

Mit einem Wort: Nein. Zwar ist es in Demokratien immer wieder eine Herausforderung, einen Konsens herzustellen. Aber dies wird durch die ­Dynamik, die demokratische Gesellschaften auszeichnet, mehr als wettgemacht. Innovationen in Politik und Technologie gehören zu den Schlüsselfaktoren, um die Klimaziele der Menschheit zu erreichen. Diese Fähigkeit gedeiht gerade in den kapitalistischen Demokratien der Welt.

In den vergangenen zehn Jahren führten die USA vor, wie schwierig es ist, in einer Demokratie eine konsistente Klimapolitik zu verwirklichen. Jedes Mal, wenn Präsidentenamt und Mehrheit im Kongress zur anderen Partei wechselten, folgte eine radikale Wende in der Klimapolitik.

Eine Politik auf Dauer zu etablieren, ist aber nicht nur in den stark polarisierten USA mit ihrem Zwei-Parteien-System schwierig. Bei europäischen Politikern ist die Einigkeit größer, wenn es um die EU-Ziele zur Reduzierung der CO2-Emissionen geht. Dennoch zeigt die Protestbewegung der Gelbwesten, die 2018 in Frankreich begann, wie wütend Bürger werden, wenn Klimaschutzmaßnahmen (hier in Form höherer Kraftstoffsteuern) Geldbeutel oder Lebensstil beeinträchtigen.

In Demokratien ist der Klimaschutz auf die dauerhafte Unterstützung der Wählerschaft angewiesen. Das spricht für eine Klimapolitik, die sich auf das Positive konzentriert. Neben dem Versprechen, einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern, sollten die unmittelbaren positiven Aspekte von Klimaschutzmaßnahmen betont werden, wie sauberere Luft und ein größerer Anteil sicherer und vor Ort produzierter Energie, um den Konsens zugunsten der Maßnahmen zu erhalten. Auf beiden Seiten des Atlantiks ist deutlich geworden, wie dringend eine solche Konsensbildung erforderlich ist.

In den USA macht der Inflation Reduction Act den Weg für Subventionen in grüne Energien und die Schaffung von Arbeitsplätzen frei, besonders in Gegenden, die unter dem Rückgang der Produktion fossiler Brennstoffe leiden könnten. Mit ihrem Just Transition Act richtet auch die EU den Fokus darauf, Mittel für Gemeinden bereitzustellen, die vom Übergang zur grünen Wirtschaft besonders betroffen sind, wie etwa die Kohlebergbau-Regionen in Polen. Sie sollen in die Lage versetzt werden, ihre lokale Wirtschaft neu zu gestalten.

In demokratischen Gesellschaften ist offensichtlich, wie notwendig ein Konsens ist – in Autokratien hat er aber eine ähnliche Bedeutung. Beispiel China: Der 14. Fünfjahresplan (2021–2025) soll qualitativ hochwertiges grünes Wachstum ermöglichen und die Unterschiede bei Einkommen und Lebensqualität zwischen Stadt und Land verringern. Auch wenn öffentlicher Widerspruch im Allgemeinen nicht erlaubt wird, haben chinesische Bürger kreative Wege gefunden, um ihre Unzufriedenheit mit Umweltproblemen, vor allem der Luftverschmutzung, zum Ausdruck zu bringen. Wie schon sein Vorgänger Hu Jintao betont auch Präsident Xi Jinping die Bedeutung einer „harmonischen Gesellschaft“. Auch wenn dieser Ausdruck angesichts der Überwachung und Unterdrückung im heutigen China einen bedrohlichen Klang bekommen hat, belegt er die Einsicht, dass die Unterstützung der Allgemeinheit für das Überleben des Regimes letztlich unverzichtbar ist.

Die Tatsache, dass in der Demokratie Vertreter aller staatlichen Ebenen Entscheidungen treffen können, macht Experimente in der Klimapolitik möglich. Lokale und regionale Regierungen können unterschiedliche politische Ansätze erproben. Das ermöglicht es Regierungen in Regionen, wo die Bürger sich größere Sorgen um das Klima machen, weiterreichende Politiken zu entwickeln. In diesem Sinne haben US-Bundesstaaten Regelungen eingeführt, die auf Bundesebene noch nicht erprobt wurden. Dazu gehören Obergrenzen für den Schadstoffausstoß, die Einführung von Emissionshandelssystemen und Vorgaben zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung und zur Verminderung des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor.

In der Demokratie verleiht die Zivilgesellschaft den Wünschen der Bürger Ausdruck. In vielen Fällen drängt sie die Regierung dazu, die Klimapolitik voranzutreiben. Die Zivilgesellschaft kann die Kluft zwischen Wirtschaft und Gesellschaft auf eine Weise überbrücken, die die regulatorische Rolle der Regierung ergänzt. Die Initiative des Environmental Defense Fund (EDF) zur Verringerung der Methan-Emissionen der Öl- und Gas­industrie ist ein gutes Beispiel. ­Methan hält sich bei Weitem nicht so lange in der Atmosphäre wie Kohlendioxid, aber als potenzielles Treibhausgas ist es ein Hauptfaktor der heutigen Erderwärmung. Der EDF arbeitete mit der Öl- und Gasindustrie zusammen, um genauer zu verstehen, woher und wie viel Methan produziert wird. Zugleich überzeugte er die Industrie, strengere US-Vorschriften für Methangas-Emissionen zu unterstützen. Bei autoritären Regierungen kann es eine solche Kooperation nicht geben, weil die zivilgesellschaftlichen Institutionen nur begrenzt tätig werden können und politische Maßnahmen ausschließlich auf Befehl von oben umgesetzt werden.

Die Innovationskraft demokratischer Gesellschaften ist nicht auf die Politik ­beschränkt. Auch der dynamische Finanzsektor, in vielen Demokratien zuhause, treibt die technologische Innovation voran: mit Inkubatorprogrammen für neue Ideen, mit Risikokapital, das Unternehmen bei der Skalierung hilft, und mit robusten Kapitalmärkten, die Geld in vielversprechende Technologien leiten.

Solche Programme gibt es auch in einigen autokratischen Gesellschaften, aber die starke Hand der Regierung kontrolliert dort einen großen Teil der Kapitalströme. Manchmal suchen sich die Regierungen Gewinner heraus, so wie bei Chinas Industriepolitik zur Entwicklung der Solarzellen- und Elektrofahrzeugproduktion. Aber es kommt auch zu Fehlallokationen von Kapital. Chinas Immobilienmarkt leidet unter massiven Überinvestitionen und einer Bewertungsblase, die das Wirtschaftswachstum des Landes bedroht. Es war die Politik der Regierung, die das Geld in den Immobiliensektor lenkte, der eine wichtige Einnahmequelle für die Kommunalverwaltungen in China bildet.

 

Umweltautokratie?

Trotz der Vorteile von Demokratien schaffen es nicht einmal die fortschrittlichsten Länder der Welt, den Schadstoffausstoß so weit zu reduzieren, wie es ihrem Anteil zur Begrenzung der durchschnittlichen Temperaturerhöhung auf weniger als 1,5 Grad Celsius entsprechen würde. Würde eine neue Art von Autokratie, die den Klimaschutz in den Mittelpunkt stellt, besser abschneiden? Wer so denkt, stellt sich vor, dass die Allgemeinheit zu selbstsüchtig oder zu kurzsichtig sei, um eine klima­gerechte Politik zu unterstützen.

Ein wohlwollender Diktator, der uns vor dem Klimawandel rettet, ist ein wahnsinniger Traum, der von der Aufgabe ablenkt, eine Klimapolitik zu entwickeln, die die Unterstützung der Bürger findet. Man muss sich nur anschauen, welche Empörung in Paris das Konzept der 15-Minuten-Stadt ausgelöst hat, um zu verstehen, dass ein solches Konzept unmöglich Erfolg haben kann. Rechte Provokateure hatten Stimmung gemacht gegen die Planung einer Stadt, in der die Menschen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Zugang zu Dienstleistungen haben. Sie hatten behauptet, die 15-Minuten-Stadt sei nur der Vorläufer dafür, dass die Regierung den Menschen verbieten werde, ihre „Zone“ zu verlassen. Die Vorstellung, es könne eine ökologisch orientierte Weltregierung geben, ist ein Thema im Fiebersumpf des Internets. Wer über Umweltautokratie diskutiert, schürt nur das Feuer zugunsten eines Konzepts, das keine Chance auf Verwirklichung hat.

Dass es in Demokratien stets die Möglichkeit gibt, die Mächtigen zur Verantwortung zu ziehen, ist essenziell. Zudem ist das Klima auch nur eine der Herausforderungen, vor denen Regierungen und die Menschheit stehen. Die Zielkonflikte zwischen Klimaschutz und anderen Vorhaben sind real, und es muss für die Bürger ein Mitspracherecht geben, wenn es um die Prioritäten geht.

Das Ziel des Klimaschutzes ist es, die Erde gesund und für die Menschen bewohnbar zu halten. Regierungen, die die Präferenzen und Zielkonflikte nicht berücksichtigen, verfehlen ihr Ziel. Die Bürger müssen sichergehen können, dass ihre Regierung all ihre Bedürfnisse erfüllt und nicht nur das Bedürfnis nach einem geschützten Klima. Die Rechenschaftspflicht und den Schutz, den die Demokratie bietet, gegen die Hoffnung auf Besseres einzutauschen, ist unlogisch und unrealistisch. Stattdessen sollten Politiker und alle, die sich mit Politik befassen, darüber nachdenken, wie die Klimapolitik mehr öffentliche Unterstützung gewinnen kann. Sie müssen Politiken entwerfen, die die Bürger von Demokratien unterstützen können. Ob ein Wechsel der Regierungsform dem Kampf fürs Klima hilft, ist Stoff für die Politikwissenschaft. In der Praxis bringt es die Politik nicht voran.

Aus dem Amerikanischen von Bettina Vestring

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special 4, Juli 2023, S. 42-45

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Samatha Gross ist Direktorin der Initiative für Energiesicherheit und Klima an der Brookings Institution in Washington D.C.

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