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01. Mai 2016

Die große Dürre

Trockenheit und Wassermangel setzen die iranische Regierung unter Druck

Die Zahlen sind dramatisch: Drei Viertel des Iran gelten als komplett trockene Regionen, 97 Prozent des Oberflächenwassers sind bereits versiegt. Landabsenkungen und Erdbeben belasten das Land zusätzlich. Auch die EU sollte nun helfen – denn Iraner, die ihr Land aufgrund der Dürre verlassen müssen, könnten gezwungen sein, nach Europa zu fliehen.

Bis heute ist Kyrus der Große für viele Iraner die am tiefsten verehrte Führungspersönlichkeit der persischen Geschichte. Dafür gibt es viele Gründe. Einer der wichtigsten ist, dass Kyros schon 539 vor Christus, wenige Jahre nach der Eroberung Babylons, als erster Herrscher eine Art Charta der Menschenrechte veröffentlichte. Zu den Legenden um Kyros II. gehört auch, dass er gebetet haben soll, sein Reich vor zwei großen Bedrohungen zu schützen: vor Lügen und vor Dürre. Heute scheint dieses Gebet wieder höchste Aktualität zu haben: Der Iran ist von einer massiven Dürre bedroht.

Auswandern, um zu überleben

„In unserer Natur gibt es kein Wasser mehr“, warnte vor Kurzem Isa Kalantari, Chefberater des Ministerpräsidenten Eshagh Jahangiri für Wasser-, Agrar- und Umweltfragen. „Wenn wir am gegenwärtigen Zustand nichts ändern“, so Kalantari, „dann werden etwa 70 Prozent der iranischen Bevölkerung, also rund 50 Millionen Menschen auswandern müssen, um zu überleben.“

Drei Viertel des Landes gelten als komplett trockene Regionen, in denen jährlich nur zwischen 50 und 100 Millimeter Regen fallen, so Ali Reza Daemi, stellvertretender Leiter der Abteilung für Wasser und Abwasser im Energieministerium. 75 Prozent der Bevölkerung leben in Städten, und die größten Ballungsräume liegen inmitten der trockensten Gebiete.

In sieben von den insgesamt 31 Provinzen des Iran herrscht eine Wasserkrise; elf Provinzen sind mit „Wasserstress“ konfrontiert, wie die Europäische Umweltagentur es nennt, wenn der Bedarf an Wasser für einen bestimmten Zeitraum über dem der verfügbaren Ressourcen liegt oder Wasser wegen mangelhafter Qualität nicht mehr nutzbar ist. Die verbleibenden 13 Provinzen sind sogar von „erheblichem Wasserstress“ bedroht.

Mit dem Wassermangel geht ein weiteres Problem einher. Wegen der schwindenden Grundwasserreserven – auch aufgrund illegaler Brunnenbohrungen – ist der Iran mit Landabsenkungen konfrontiert. So hat sich die Ebene um die Millionenmetropole Teheran um 36 Zentimeter abgesenkt. Ein trauriger Weltrekord, sagt Javad Meybodi, Direktor für Wasser-, Abwassersysteme und Wasserschutz im iranischen Energieministerium.

Nicht nur die Region um Tehe­ran ist davon betroffen. Landabsenkungen sind laut Angaben des Energieministeriums auch in anderen Landesteilen zu beobachten. In der Region um Kasvin, einer 1,2 Millionen-Stadt 150 Kilometer nordwestlich von Teheran, sind Absenkungen von 24 Zentimetern gemessen worden, in der Wüste rund um das 2,7 Millionen Einwohner zählende Maschad im Nordosten des Landes liegt die Absenkung bei 25 Zentimetern und in der Wüste um Kashan 250 Kilometer südlich von Teheran sogar bei 30 Zentimetern. Schätzungen zufolge sind 297 Felder und Wüstengebiete im Iran von Landabsenkungen betroffen. Die physische Instabilität und die dadurch entstehenden Sinklöcher machen die Nutzung dieser Gebiete für Landwirtschaft oder für eine Bebauung unmöglich.

Noch beunruhigender ist aber, dass Landabsenkungen bereits in einigen Teilen der Millionen-Metropole Teheran zu beobachten sind. So berichtete die Zeitung Shahrvand, dass einige Hausbesitzer in Shahr-e Rey im südlichen Teheran ihre Immobilien verkaufen mussten, weil sich Risse in den Wänden auftaten. Rund um den Navab-Safavi-Highway, der die Stadt von Nord nach Süd durchkreuzt, hat sich der Boden so weit abgesenkt, dass es Anwohnern nicht mehr möglich ist, ihre Türen zu öffnen oder zu schließen.

Als wäre das noch nicht genug, ist der Iran ein Erdbebengebiet. Die Schäden eines Bebens würden sich aufgrund der Landabsenkungen sogar noch vergrößern – ein Beben der Stärke 5 auf der Richterskala hätte hier etwa die Auswirkungen eines Bebens mit der Stärke 7,5.

Kaum natürlicher Niederschlag

Dürren und Wassermangel sind keine Ausnahmeerscheinung im Iran. Etwa 65 Prozent des Landes gelten als klimatisch trocken oder sehr ­trocken. Die beiden größten Berg­ketten Zagros im Westen sowie Alborz im Norden verschlimmern dieses Problem, denn die meisten Regenwolken ziehen aus dem Westen herauf, bleiben aber in diesen Bergmassiven „hängen“ und erreichen so nicht die zentralen, östlichen oder südlichen Gebiete des Landes. Mit einer durchschnittlichen Niederschlagsmenge von 228 Millimetern verzeichnet der Iran nicht einmal ein Fünfzigstel der durchschnittlichen globalen Niederschlagsmenge von rund 1011 Millimetern.

Klimaveränderungen im gesamten Nahen und Mittleren Osten haben dieses Problem noch verschärft: In der ganzen Region sind über die vergangenen Jahre Temperaturanstiege zu verzeichnen – sie ist damit noch unwirtlicher geworden. Syrien hatte schon 2006 eine Dürre zu beklagen, die 1,5 Millionen Bauern zur Landflucht getrieben hat. Wie sein Nachbar Irak bezieht auch Syrien den Großteil seiner Reserven aus dem Tigris-Euphrat-Wasserbecken. Auch der Irak hat mit einer Wasserkrise zu kämpfen.

Einer vor Kurzem erschienenen NASA-Studie zufolge ist die seit 14 Jahren in der Region anhaltende Dürre die schlimmste der vergangenen 900 Jahre. Danach waren die Jahre 1998 bis 2012 die trockensten der jüngsten Vergangenheit. Noch beunruhigender aber ist die Schlussfolgerung der NASA: Ein großer Teil des Wassermangels sei „menschlichem Einfluss geschuldet“.

Dürre und Dämme

Dass ein Teil des Problems im Iran von Menschen verursacht wurde, ist mit bloßem Auge zu erkennen. Um den Landwirtschafts- und Energiesektor des Landes zu vergrößern, begann die Regierung in den neunziger Jahren mit dem Bau eines gigantischen Dammes. Eines der wichtigsten und größten Bauunternehmen bei diesem Projekt war Khatam Al Anbiya (KAA), das zum Wirtschaftsimperium der iranischen Revolutionsgarden gehört. Tatsächlich konnte der Iran seine Fähigkeiten beim Dammbau so weit professionalisieren, dass das Land heute nach China und Japan weltweit die meisten Dämme errichtet – darunter in Ecuador und Nicaragua, in Aserbaidschan, Tadschikistan und Armenien.

In Machmud Achmadinedschad, einem Ingenieur mit einer Vorliebe für Großprojekte, fand die KAA nach dessen Wahl zum Staatspräsidenten 2005 einen begeisterten Verbündeten. 2012, ein Jahr vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit, begann die KAA mit dem Bau des weltgrößten Damms in der iranischen Provinz Lorestan.

Heute gelten diese Dammbauprojekte allerdings als Hauptfaktor für die aktuelle Dürre. Einigen Flüssen und Seen wie dem Zayandeh Rud in Isfahan oder dem Urmia-See im Nordwesten des Landes entnahm man nach dem Bau der Dämme so viel Wasser, dass sie immer mehr austrockneten. In diesem Jahr hat das Energieministerium den Bau aller Dämme gestoppt, die erst zu einem Drittel fertiggestellt sind. Es gibt schlicht nicht mehr genug Wasser, das diese Dämme speichern könnten. So konnte einer der Dämme, der für ein Volumen von 140 Millionen Kubikmeter Wasser gebaut war, am Ende ganze 19 000 Kubikmeter speichern.

Neben Dammbauprojekten trugen auch veraltete Bewässerungsmethoden zur Trockenheit im Iran bei. Laut Esmail Kahram, Berater einer iranischen Umweltschutzorganisation, werden 93 Prozent der Wasservorkommen des Iran für landwirtschaftliche Zwecke, 3 bis 4 Prozent als Trinkwasser und 2 bis 3 Prozent für den industriellen Bedarf genutzt. Einer Schätzung zufolge verdampfen 70 Prozent des für landwirtschaftliche Zwecke verwendeten Wassers, bevor es die Pflanzen überhaupt erreicht.

Nicht mehr auffüllbar

Die iranische Regierung hat enorme Aufgaben zu bewältigen, wenn sie der aktuellen Dürre Herr werden will. Die Wasserreserven des Iran sind in einem beängstigenden Maße erschöpft. 97 Prozent des Oberflächenwassers sind bereits versiegt, sagt Isa Kalantari, der Landwirtschaftsminister im Kabinett von Präsident Rafsandschani war. Diese Wasserreserven wieder aufzufüllen, ist eine unmögliche Aufgabe. Laut Pervez Kardevani, der als „Vater der Wüstenstudien“ des Landes gilt, sind die Wasserprobleme des Iran bereits irreversibel. „Wir sind wie jemand, der mehrere Millionen Schulden hat, aber nur eine Million verdient“, so Kardevani. „Selbst wenn sich unser Lohn verdoppeln würde, könnten wir unsere Schulden nicht zurückzahlen.“

Die einzigen verbleibenden Möglichkeiten sind also ein effizienteres Wassermanagement und Reformen, denn aufzugeben ist angesichts der durch die aktuelle Dürre noch verstärkten Probleme keine Option.

Zu den Empfehlungen der Experten gehören verbesserte Bewässerungstechniken in der Landwirtschaft, die der größte Wasserkonsument des Landes ist. Landwirte sollen in wöchentlichen Kursen über effizientere Wassernutzung und den Gebrauch besserer Düngemethoden unterrichtet werden. Nur klingt das einfacher als es ist: Etwa 80 Prozent der iranischen Bauern können nicht oder kaum lesen und schreiben.

Darüber hinaus wäre es wichtig, die zahlreichen iranischen Umwelt­experten viel stärker zu Rate zu ziehen. Dass man sie bislang nicht ausreichend einbezogen hat, zeigen die Zahlen. Schätzungen zufolge sind nicht weniger als 120 000 von 150 000 Absolventen eines Landwirtschaftsstudiums arbeitslos. Zudem will man besonders bewässerungsintensive Anbaumethoden reduzieren.

Wichtig wäre auch eine verbesserte Koordinierung zwischen den verschiedenen Institutionen, die für die Wasserressourcen des Iran verantwortlich sind. Ganz offensichtlich gibt es keinen effizienten Informationsaustausch zwischen den entsprechenden Ministerien. So existierte dem Wasserexperten Mansur Ghotbi Sarayee zufolge kein integriertes Wassermanagementsystem für Flüsse, Seen oder Grundwasserleiter. Ghotbi Sarayee, der auf eine 30-jährige Er­fahrungen zurückblickt – davon viele Jahre im Landwirtschaftsministerium –, glaubt, dass ein besser vernetztes Wassermanagement unbedingt notwendig ist und dass das Energieministerium bis dato auf diesem Gebiet versagt hat. Darüber hinaus dürfte eine stärkere Kooperation mit internationalen Organisationen unbedingt nötig sein, um die iranischen Wassermanagementsysteme nachhaltig zu verbessern.

Einigkeit innen, Hilfe von außen

Um das Dürreproblem zu bewältigen, bedarf es auch eines Konsenses innerhalb der iranischen Regierung. Es ist ermutigend, dass nicht nur Staatspräsident Hassan Rohani, sondern auch der Kommandeur der Revolutionsgarden Ali Jafaari mehrfach darauf hingewiesen hat, wie dringlich die Wasserkrise ist. Allerdings schlagen beide Seiten ganz konträre Lösungsmöglichkeiten vor. Präsident Rohani sieht in dem von den Revolutionsgarden vorangetriebenen Dammbau eine der wesentlichen Ursachen für das Problem. Das Bauunternehmen der Revolutionsgarden sieht, wenig überraschend Dämme, aber als Teil der Lösung und schlug deshalb vor Kurzem 17 neue Projekte vor.

Notwendig ist aber eine intensivere Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. 2013 unterschrieb die iranische Regierung ein Abkommen mit dem deutschen Konsortium „Inter 3“, einer Arbeitsgemeinschaft von Wissenschaftlern und Unternehmen, das die Entwicklung eines anwendbaren Konzepts für ein integratives Wassermanagement für den Zayande Rud in Esfahan vorsieht. Dieser wichtige Fluss, der aufgrund der Dürre in den vergangenen fünf Jahren völlig ausgetrocknet ist, versorgt die zweitgrößte Industrieregion des Landes und damit nicht weniger als 4,5 Millionen Menschen mit Wasser.

Tatsächlich sollte die ganze internationale Gemeinschaft dem Iran bei der Bewältigung seiner Wasserprobleme behilflich sein. Das schließt auch Israel mit ein. In den späten sechziger Jahren hat Israel dem Iran schon einmal entsprechend geholfen. Wir sollten versuchen, diese Geschichte zu wiederholen – auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass der Iran Unterstützung von Israel akzeptieren würde. Doch die Instabilität im ohnehin fragilen Nahen Osten würde durch Millionen iranischer „Dürremigranten“ nur verschlimmert werden.

Auch die Europäische Union sollte beteiligt werden. Denn es wäre möglich, dass Iraner, die ihr Land aufgrund der Dürre verlassen müssen, keine andere Wahl hätten, als nach Europa zu fliehen. Im Nahen und Mittleren Osten gäbe es ja keinen Ort, wo sie hingehen könnten. So lange keine Lösung gefunden ist, könnte das eher früher als später geschehen. Einer Schätzung zufolge musste bereits die Hälfte der Landbevölkerung (etwa 12,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) aufgrund von Wasserknappheit in die großen Städte ziehen.

Meir Javedanfar ist Dozent am Interdisciplinary Center (IDC) in Herzliya, Israel.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/ Juni 2016, S. 73-77

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