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01. Jan. 2016

Deutschland ertüchtigt

Da Europa zögert, schreitet die Bundesregierung voran

Ab 2016 will Berlin 100 Millionen Euro jährlich bereitstellen, um regionale Partner besser auszubilden und auszurüsten. Denn nur so können sie eigenständig für Sicherheit sorgen – eine zentrale Voraussetzung für Entwicklung. In Brüssel streitet man unterdessen weiter über grundsätzliche Fragen.

Auf dem Europäischen Rat im Dezember 2013 haben die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, die Wirksamkeit ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) durch eine umfassende Befähigungs- und Ertüchtigungsinitiative zu erhöhen. Mit der maßgeblich von Deutschland angestoßenen Initiative hat die EU auf drei Entwicklungen reagiert: erstens auf das sich verschlechternde Sicherheitsumfeld durch zerfallende Staaten, Terrorismus und hybride Kriegsführung. Zweitens haben die USA signalisiert, dass sie die Europäer in der Verantwortung sehen, selbst für die Sicherheit in ihren Hinterhöfen zu sorgen. Und drittens zeigen die westlichen Interventionen in Libyen, Afghanistan und im Irak, dass große Stabilisierungsmissionen nicht unbedingt mehr Stabilität bringen.

Aus diesen Entwicklungen zog die Bundesregierung den Schluss, dass eine stärkere Einbindung regionaler Kräfte bei der Bewältigung wie der Prävention von Krisen unabdingbar sei. Anstatt im Rahmen von NATO oder EU von außen zu intervenieren, solle sich die GSVP auf die Befähigung und Ertüchtigung von vertrauenswürdigen regionalen Partnern konzentrieren. Diese könnten dann in ihrer Nachbarschaft selbst für Stabilität und Sicherheit sorgen. Neben der Schulung und Ausbildung zivilen wie militärischen Personals solle eine solche Befähigung eine effektivere Entwicklungszusammen­arbeit und die Bereitstellung von Ausrüstung umfassen – Rüstungsexporte ­gegebenenfalls eingeschlossen.

In der EU stieß das zunächst auf offene Ohren. Mit einer ähnlichen Begründung hatte auch die damalige Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, in ihrem „Final Report“ vor dem Gipfel eine Ausbreitung von „Train and Equip“-Einsätzen zum Kapazitätsaufbau in Drittstaaten ­gefordert. In den Schlussfolgerungen des GSVP-Gipfels gelang es, beide Ini­tiativen zusammenzuführen. Damit hatte sich die EU ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Denn konsequent umgesetzt würde eine ­solche Initiative ein deutlich frühzeitigeres, umfangreicheres und langfristigeres zivil-militärisches Engagement bedeuten – die Bereitschaft zu Stabilisierungsmissionen im Falle der nicht funktionierenden Ertüchtigung mit eingeschlossen.

Zwei Jahre nach dem Gipfel fällt die Bilanz in Sachen „Ertüchtigung“ allerdings mager aus. Noch immer ist es nicht gelungen, die unterschiedlichen Vorstellungen der Mitgliedstaaten, der Kommission und des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) zusammenzubinden. Die Umsetzung der Initiative stagniert. Dies ist besonders tragisch, weil innerhalb der EU Einigkeit herrscht, dass die bereits bestehenden europäischen Ausbildungsmissionen durch die mangelnde Grundausrüstung der Partner vor Ort oft nicht wirksam und nachhaltig umgesetzt werden können.

Besonders offenkundig wurde dies bei den europäischen Trainingsmissionen in Mali (EUTM Mali) und Somalia (EUTM SOM), wo die afrikanischen Soldaten eigenständig alles mitbringen müssen, was für ihre Ausbildung benötigt wird. In der Konsequenz mangelt es den von der EU ausgebildeten Einheiten regelmäßig an elementaren Dingen wie Unterkünften, Verpflegung und medizinischer Versorgung – von Fahrzeugen, Munition oder Waffen gar nicht erst zu reden. Mit Blick auf Mali und Somalia weisen auch die EU-Kommis­sion und die Hohe Vertreterin in ihrer gemeinsamen Mitteilung vom April 2015 zum „Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung“ darauf hin, dass „sowohl Ausbildungs- als auch Ausrüstungsbedarf besteht und dass eine bessere Koordinierung sowohl auf strategischer als auch auf operativer Ebene erforderlich ist“. Mit den Ratsschlussfolgerungen zur GSVP vom Mai 2015 und den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Juni 2015 hat sich dieser Konsens in der EU noch weiter entwickelt. Trotzdem konnte die Initiative bislang nicht erfolgreich umgesetzt werden. Warum?

Grabenkämpfe in Brüssel

Im Zuge der Debatte um die Umsetzung einer europäischen Ertüchtigungsinitiative wurde deutlich, dass die Mitgliedstaaten, die Kommission und der EAD völlig unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, was „Kapazitätenaufbau“ in Partnerländern beinhalten soll und aus welchen Töpfen welche Maßnahmen finanziert werden sollen. Die Gegensätze verlaufen hier nicht nur entlang der sonst so gut eingespielten nationalen und institutionellen Konfliktlinien, sondern selbst in den Mitgliedstaaten herrscht zwischen den verschiedenen Ressorts Unstimmigkeit.

Dreh- und Angelpunkt ist die ­Frage, wie die fehlende Ausrüstung für die Partnerländer beschafft werden kann. In Betracht käme zunächst der GSVP-Finanzierungsmechanismus. Art. 41, Abs. 2 des Lissabon-Vertrags schließt die Finanzierung von „Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Haushalt aus. Hier gilt das Prinzip „costs lie where they fall“, d.h. die Mitgliedstaaten, die sich an einer Militäropera­tion beteiligen, müssen die Kosten dafür ­selbst tragen.

Zwischen der Kommission, dem EAD und den EU-Mitgliedstaaten herrscht nun Streit darüber, ob Art. 41, Abs. 2 auch die Finanzierung von militärischer Ausrüstung im Rahmen einer europäischen Ertüchtigungsinitiative umfasst. Die Kommission bejaht dies und verweigert grundsätzlich eine Finanzierung aus dem EU-Haushalt. Deutschland sieht dies anders und verweist auf die vielen Aktivitäten „mit militärischen Bezügen“, die bereits durch das Budget der Union finanziert werden.

Eine alternative Finanzierungsmöglichkeit wäre das EU-Instrument für Entwicklungszusammenarbeit. Denn der Ausbau von zivilen und militärischen Kapazitäten im Sicherheitssektor dient der Stabilisierung des Landes, ohne die Entwicklung unmöglich wäre. Allerdings lassen die Bestimmungen für Ausgaben, die auf die ODA-Quote anrechenbar sind und als öffentliche Entwicklungshilfe deklariert werden können, keine Finanzierung von militärischer Ausrüstung zu. Dies betrifft 90 Prozent der EU-Entwicklungshilfe. Trotzdem gab es hier in der Vergangenheit bereits eine gewisse Flexibilität, die man auch bei der „Ertüchtigung“ an den Tag legen könnte. An diesem Punkt zeigt sich jedoch, wie groß der Widerstand bei Entwicklungspolitikern immer noch ist, Sicherheit und Entwicklung überhaupt miteinander zu verknüpfen. Hier treffen unterschiedliche Kulturen aufeinander.

Unterm Strich gibt es bislang also keinen Konsens über einen Mechanismus innerhalb des EU-Haushalts, den man zur Finanzierung militärischer Fähigkeiten in Drittstaaten nutzen könnte. Die Kommission und die Hohe Vertreterin haben daher vorgeschlagen, ein eigenes Finanzierungsinstrument zu schaffen – mit zusätzlichen Geldern aus den EU-Staaten. Dies wird zurzeit geprüft. Die Finanzierung von letalen Waffen und Munition haben die Kommission und die Hohe Vertreterin allerdings ganz grundsätzlich ausgeschlossen. Insgesamt zeigt die Debatte, dass die EU noch immer extrem zögerlich dabei ist, ihre Partner zur Krisenprävention und -bewältigung mittels militärischer Ausrüstung zu befähigen. Der Politikwissenschaftler Marc von Boemcken bringt es auf den Punkt: „Wenn schon Mittel für Ausrüstung ausgeben, dann lieber für die Polizei; und wenn schon in das Militär investieren, dann lieber in die Ausbildung“.1 Wie dies den Streitkräften in Mali und Somalia allerdings helfen soll, ihre Aufgaben zu erfüllen, bleibt dahingestellt.

Deutschland tritt in Vorleistung

Die Bundesregierung hat aus der Debatte in Brüssel und der zögerlichen Umsetzung der Initiative mittlerweile ihre eigenen Schlüsse gezogen. Sie hat auf nationaler Ebene einen neuen Haushaltstitel geschaffen, der ab 2016 zur Finanzierung von „Ertüchtigungsmaßnahmen“ dienen soll. Dieser Topf mit 100 Millionen Euro pro Jahr, gemeinschaftlich verwaltet vom Auswärtigen Amt und Verteidigungsministerium, ist ein nationales Instrument, um die Probleme bei der Finanzierung und Bereitstellung auch militärischer Ausrüstungs- und Ausbildungsunterstützung angehen zu können. Auf diesem Weg kann Ausrüstung in bereits bestehenden oder zukünftigen Missionen zur Unterstützung der auszubildenden Einheiten beschafft werden – sowohl lokal als auch aus Beständen der Bundeswehr, die diese anschließend durch den neuen Haushaltstitel nachbeschaffen kann.

Der „Ertüchtigungstitel“, verankert im Einzelplan 60 des Finanzministeriums, ist von bisherigen Haushaltstiteln unabhängig; die Mittel können inhaltlich, geografisch und zeitlich völlig frei eingesetzt werden. Damit hat die Bundesregierung ein extrem flexibles Instrument entwickelt, das innerhalb eines breit angelegten Handlungsrahmens zur Anwendung kommen kann: Die Mittel können zur Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung eingesetzt werden. Im Sinne des vernetzten Ansatzes sollen die Maßnahmen zudem ressort- und fähigkeitsübergreifend festgelegt werden.

Frühzeitig, substanziell, nachhaltig

Die Debatte um die Umsetzung einer europäischen Ertüchtigungsinitiative zeigt, dass Mitglieder, Kommis­sion und EAD zwar über ein gemeinsames Problembewusstsein verfügen, sich aber bei der Frage nach konkreten Lösungsvorschlägen noch immer tiefe Gräben auftun. Folgende Fragen stehen nach wie vor im Raum: Was ­genau schließt Art. 41, Abs. 2 EUV tatsächlich rechtlich aus? Kann es sich bei der Abgabe militärischen Equipments um Entwicklungshilfe handeln? Wären diese Ausgaben dann auf die ODA-Vorgaben anrechenbar?

Bei diesen Fragen handelt es sich in erster Linie um politische Aus­legungen, die bislang noch nicht entschieden sind. Gleichzeitig verlaufen hier die erbittertsten ideologischen Auseinandersetzungen. Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Entscheidung zu verstehen sein, dass die EU mittlerweile anstatt der Begriffe „E2I“ (die Deutschen sprachen ursprünglich von der „Enable and Enhance“-Initiative) oder „train and equip“ die eher konsensfähige Bezeichnung „Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung“ (CBSSD) als Überschrift für die Initiative nutzt. Deutschland hat sich entschieden, in nationale Vorleistung zu treten und hat einen eigenen Haushaltstitel zur „Ertüchtigung“ von Partnerstaaten geschaffen. Ob die EU hier nachzieht, ist fraglich.

Bevor die EU ihre Partner also tatsächlich zur Krisenprävention und -bewältigung ermächtigen und be­fähigen kann, muss sie bei sich selbst anfangen und diese Fragen einvernehmlich klären. Von der Finanzierung einmal abgesehen, gilt dies auch für viel grundsätzlichere Fragen. Das europäische Konzept sieht bislang vor, sowohl einzelne Staaten als auch internationale Organisationen zu unterstützen. Gleichzeitig wird aber nicht benannt, nach welchen Kriterien diese Partner ausgewählt werden sollen. Darüber hinaus müsste sich die EU für eine lückenlose und ernstgemeinte Endverbleibkontrolle des bereitgestellten Equipments einsetzen um zu verhindern, dass europäische Lieferungen weiterverkauft werden oder in korrupten Kanälen verschwinden.

Das Konzept kann nur dann zur Stabilisierung fragiler Regionen und zur effektiven Krisenprävention beitragen, wenn das europäische Engagement frühzeitig, sub­stanziell und nachhaltig stattfindet. Frühzeitig bedeutet dabei, dass die EU nicht erst dann tätig wird, wenn eine Krise offensichtlich geworden ist. Stattdessen sollte sie bereits jetzt Partner identifizieren, deren präventive Ertüchtigung zu mehr Sicherheit in der mittel- bis langfristigen Zukunft führen wird. Substanzielles Engagement bedeutet, dass es mit ein paar Ausbildern und Schutzwesten nicht getan sein wird. Erfolgreiche Ertüchtigung ist keine „Low cost“-Sicherheitspolitik, sondern erfordert Geld, Personal und politischen Willen. Nachhaltig wird das Engagement dann sein, wenn die europäischen Planer auch außerhalb von einzelnen nationalen Ausbildungskontingenten beginnen, Konsistenz herzustellen. Dies würde eine europäische Abstimmung von Ausbildungsinhalten und eine engere Koordination auf europäischer Ebene voraussetzen.

Die ausgebildeten Sicherheitskräfte müssen auch nach dem Abzug der europäischen Ausbilder und Berater in der Lage sein, die etablierten Strukturen zu erhalten. Dies beginnt bei der kontinuierlichen Ausbildung durch eigene Trainer, setzt sich fort über den Erhalt von Materialverwaltung und Logistik und endet nicht zuletzt bei dem Einsatz der Sicherheitskräfte gemäß ihrer vorgegebenen Aufgaben und ihres Ausbildungsstands. Das „Verheizen“ von Rekruten muss verhindert werden. Dies kann im Einzelfall durch eine zusätzliche „Assist“-Komponente erreicht werden. Die Bereitschaft, europäische Soldaten mit den ausgebildeten Truppen in den Einsatz zu führen, stärkt nicht nur das eigene Mitspracherecht beim Einsatz, sondern auch das Vertrauen auf der Seite der Partner.

Alle drei Aspekte, Frühzeitigkeit, Substanz und Nachhaltigkeit, erfordern die Fähigkeit und die Bereitschaft, ein hohes Maß an Ressourcen bereitzustellen. Dieses Engagement muss auch durch ein hohes Maß an strategischer Geduld getragen werden, da sich Erfolge nicht kurzfristig einstellen. Dies setzt eine europäische Politik voraus, die mehr tut, als sich nur auf sich selbst zu konzentrieren und in einer nach innen gerichteten Nabelschau zu verharren. Dabei hilft eine ehrliche Diskussion über die Strategie europäischer Außenpolitik, die im Zuge der Ausformulierung der neuen Europäischen Sicherheitsstrategie und des Konzepts zur Sicherheitssektorreform geführt werden muss. Nur so kann die EU in Zukunft als glaubwürdiger Sicherheitsakteur wahrgenommen werden.

Dr. Jana Puglierin leitet das Alfred von Oppenheim-Zentrum für europäische ­Zukunftsfragen im ­Forschungsinstitut der DGAP.

Sebastian Feyock arbeitet im Programm USA/Transatlantische Beziehungen des ­Forschungsinstituts der DGAP.

  • 1Marc von Boemcken: Ertüchtigung als neue Strategie europäischer Sicherheitspolitik, ­Reader Sicherheitspolitik, Ausgabe 11/2015.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2016, S. 115-119

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