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01. Juli 2004

Der Sharon-Plan

Chance für einen Wiedereinstieg in den Friedensprozess?

Der Sharon-Plan ist für sich genommen kein Schritt in Richtung Konfliktlösung. Er zielt nicht auf
einen verhandelten, beidseitig akzeptablen Frieden ab. Das Nahost-Quartett sollte die Gunst der
Stunde nutzen und darauf drängen, dass der Abzug nicht nur schnellstmöglich umgesetzt wird,
sondern sicherstellen, dass er der erste Schritt auf dem Weg zur Umsetzung der Roadmap wird.

Im Juni 2004 haben die G-8 eine Erklärung für eine
Partnerschaft mit der neuerdings als „Weiterer Mittlerer
Osten und Nordafrika“ bezeichneten Region verabschiedet,
die Frieden, Stabilität, Demokratie und Wohlstand für
alle bringen soll. Auf Drängen von europäischer und
arabischer Seite enthält die Erklärung einen Absatz,
der betont, dass die Lösung lang andauernder Konflikte,
insbesondere des israelisch-palästinensischen Konflikts,
ein wichtiges Element für Fortschritt in der Region
ist.1

Den Weg zu einer Lösung des Kernkonflikts sehen die
Vertreter der G-8-Staaten in der Umsetzung der Roadmap, dem vom
Nahost-Quartett (USA, EU, UN und Russland) ausgearbeiteten und
von den Konfliktparteien im Juni 2003 angenommenen Plan, der
die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung – sowie
eines umfassenden Friedens in der Region – in drei Stufen
bis Ende 2005 vorsieht. Dabei begreifen sie den vom
israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon
angekündigten unilateralen Abzug aus dem Gaza-Streifen als
Möglichkeit, den blockierten Roadmap-Prozess
wiederzubeleben. Daher fordern sie das Quartett auf, den Abzug
aus dem Gaza-Streifen durch konkrete Schritte und in
Koordination mit Israel und den Palästinensern zu
unterstützen.2 Tatsächlich birgt der Abzug aus dem
Gaza-Streifen die Hoffnung, eine neue Dynamik im festgefahrenen
Friedensprozess anzustoßen. Allerdings ist diese Dynamik
dem Plan nicht inhärent. Sie wird sich nur entfalten
können, wenn die internationale Gemeinschaft bereit ist,
sich massiv zu engagieren. Ansonsten besteht die Gefahr einer
weiteren Eskalation der Gewalt sowie der Umsetzung von
Maßnahmen, die letztlich dazu beitragen werden, eine
Zwei-Staaten-Lösung zu verhindern.

Worum aber geht es in dem von Sharon im Dezember 2003
angekündigten und im Juni 2004 in veränderter Form
vom israelischen Kabinett angenommenen Plan des einseitigen
Abzugs („unilateral disengagement“) von den
Palästinensern? Nach dem Plan3 will Israel den Bau der
Sperranlagen im Westjordanland fortsetzen und voraussichtlich
bis Ende 2005 sämtliche Siedlungen und Militäranlagen
im Gaza-Streifen sowie vier Siedlungen (Ganim, Kadim, Sa-Nur,
Homesh) und Militäranlagen im nördlichen
Westjordanland räumen. Bestehende
israelisch-palästinensische Abkommen, etwa über die
Mobilität von Gütern und Personen, Währung,
Steuern und Zölle, Post und Kommunikation sollen
grundsätzlich weiter gelten, Strom und Wasser nach wie vor
von Israel zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig
behält sich Israel die Kontrolle über alle
Landgrenzen, den Luftraum und die maritimen Grenzen sowie das
Recht auf präventive Maßnahmen und militärische
Vergeltung in den geräumten Gebieten vor. Zudem will es
zunächst die Kontrolle über die Grenze zwischen dem
Gaza-Streifen und Ägypten (die so genannte
„Philadelphi-Route“) behalten und den Grenzstreifen
verbreitern, wenn es dies als notwendig erachtet. Die
Wiedereröffnung von Hafen und Flughafen wird
vorläufig ausgeschlossen. Der Gaza-Streifen soll
demilitarisiert sein; eine ausländische Präsenz soll
es nur mit israelischer Zustimmung geben. Israel sieht mit dem
Abzug die Besetzung des Gaza-Streifens als beendet an und
schließt jegliche weitere Verantwortung für die
dortige Bevölkerung aus. Quasi im Gegenzug heißt es
in dem Plan, dass Israel bestimmte Gebiete im Westjordanland
auch langfristig nicht zu räumen gedenkt: die großen
Siedlungsblöcke, Sicherheitszonen sowie weitere Gebiete,
in denen Israel besondere Interessen hat.

Am 6. Juni 2004 hat sich die israelische Regierung –
nach der mehrheitlichen Ablehnung des Planes durch die
Mitglieder des Likuds, nach heftigen Kontroversen und nach der
Entlassung von zwei Ministern der Nationalen Union –
grundsätzlich auf einen modifizierten Abzugsplan und die
Einleitung von diesbezüglichen Vorbereitungen geeinigt.4
Nach dem neuen Plan sollen die Siedlungen in vier Phasen
geräumt (und ihre Wohnhäuser und andere sensible
Gebäude nach der Räumung zerstört) werden
– allerdings nur, wenn das Kabinett dem jeweils vorher
zustimmt. Außerdem soll der Abzug nun nicht mehr
völlig einseitig vollzogen werden, sondern Ägypten
eine Rolle bei der Umsetzung des Planes zukommen.

Erste Schritte sind bereits eingeleitet worden, um die
Umsetzung des Planes vorzubereiten. So sind mehrere
Ausschüsse eingesetzt worden, um die Zusammenarbeit
zwischen den Ministerien sowie mit Ägypten und die
Durchführung der Evakuierungen und Entschädigung von
Siedlern zu koordinieren bzw. zu führen. Ein
vorläufiger Arbeitsplan ist ausgearbeitet worden, der
– laut Presseberichten – vier Kabinettsabstimmungen
über die einzelnen Rückzüge zwischen Februar und
Juli 2005 und die freiwillige Evakuierung von Siedlungen
zwischen August 2004 und August 2005 vorsieht. Im September
2005 soll die Armee dann die verbleibenden Siedler evakuieren
und den militärischen Rückzug (abgesehen von der
Philadelphi-Route) abschließen. All diese Vorbereitungen
sind allerdings noch keine Garantie dafür, dass der Abzug
aus dem Gaza-Streifen und nördlichen Westjordanland auch
tatsächlich – vollständig oder teilweise
– durchgeführt wird. Denn in den nächsten
Monaten sind im Kabinett und in der Knesset darüber
weitere Auseinandersetzungen, Rücktritte und eine Serie
von Misstrauensanträgen zu erwarten. Schon jetzt hat
Sharon seine Knessetmehrheit verloren. Zwar hat ihm die
Fraktion der Arbeitspartei ein Sicherheitsnetz für den
Rückzug zugesagt; dies soll aber nicht für andere
Politikfelder gelten. Somit scheinen derzeit sowohl baldige
Koalitionsverhandlungen mit den Ultraorthodoxen oder mit der
Arbeitspartei  möglich, aber auch Neuwahlen sind
nicht ausgeschlossen.

Ein Schritt in Richtung Konfliktlösung?

Die Umsetzung des Sharon-Plans stellt keinen Schritt in
Richtung Konfliktlösung und Frieden dar. Denn der im
wesentlichen unilaterale Ansatz und die Intensivierung der
Militäroperationen, begleitet von Bekundungen Sharons,
dass der Plan die palästinensischen Hoffnungen auf
Staatlichkeit langfristig beerdigen werde, dienen nicht gerade
der Vertrauensbildung. Der Plan zielt darüber hinaus nicht
auf Konfliktregelung ab; einen verhandelten, beidseitig
akzeptablen Frieden strebt er nicht an. Der Plan leitet nicht
einmal das Ende der Besatzungsherrschaft über die
geräumten Gebiete ein. Denn Israel zieht zwar die
Siedlerbevölkerung und das Militär aus diesen
Gebieten ab, behält sich dort aber alle wesentlichen
Kompetenzen vor.

Insbesondere schafft der Abzug aus den Siedlungen und
militärischen Einrichtungen im nördlichen
Westjordanland zwar lokal eine gewisse territoriale
Kontinuität. Der gleichzeitige (wenn auch als
vorläufig deklarierte) Ausbau der Sperranlagen, die
teilweise kilometerweit ins Westjordanland hineinreichen,
zerstückelt aber die palästinensischen Gebiete in
viel drastischerem Maße und trennt große Teile der
landwirtschaftlichen Flächen und der Wasserressourcen von
ihnen ab. Dies gilt insbesondere für die Einbeziehung der
Siedlungen Ariel, Qedumim, Immanuel und des Shomron-Blocks auf
israelischer Seite der Sperren, die zudem den Zusagen
widerspricht, die Israel dem amerikanischen Präsidenten in
Bezug auf den Verlauf gegeben hat. Nach Fertigstellung des
westlichen Teils der Sperranlagen werden de facto rund 20% der
Fläche des Westjordanlands annektiert worden sein; bleibt
zudem – wie vorgesehen – der Jordangraben unter
israelischer Kontrolle, werden de facto insgesamt rund 45% des
Westjordanlands annektiert. Zudem wird Ost-Jerusalem als
wichtiges soziales, kulturell-religiöses,
ökonomisches und Dienstleistungszentrum sowie als
Verkehrsknotenpunkt zwischen südlichem und nördlichem
Westjordanland durch die Sperranlagen vollständig von
seinem Umland isoliert. Somit steht der Plan der Errichtung
eines lebensfähigen palästinensischen Staates und
damit der Realisierung einer tragfähigen
Zwei-Staaten-Lösung diametral entgegen.5

Kurz- bis mittelfristig dürfte das Hauptproblem des
Sharon-Plans darin liegen, dass sich die Lebenssituation der
palästinensischen Bevölkerung im Gaza-Streifen durch
den israelischen Abzug kaum verbessert. Natürlich wird es
eine Erleichterung sein, wenn letztere nicht mehr ständig
von internen Absperrungen betroffen ist und sich wenigstens
innerhalb des 365 km2 großen Gebiets frei bewegen kann.
Wesentlich wichtiger aber ist für die rund 1,3 Millionen
Einwohner des Streifens eine Verbesserung ihrer
sozioökonomischen Situation. Die Arbeitslosigkeit
beträgt mittlerweile 30–50%, rund drei Viertel der
Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, ein
großer Teil ist von internationalen Hilfslieferungen
abhängig. Dies ist vor allem eine Folge der israelischen
Abriegelungspolitik, denn die Wirtschaft Gazas ist sowohl auf
Arbeitsplätze in Israel als auch auf Warenaustausch mit
dem Ausland angewiesen. Offener Zugang zu den internationalen
Märkten ist essenziell, besonders für leicht
verderbliche landwirtschaftliche Güter, d.h. offene
Grenzen für den Warenverkehr und, zumindest solange es
keinen Friedensvertrag mit Israel gibt, einen eigenen Hafen und
Flughafen. Der Abzugsplan allerdings sieht nichts dergleichen
vor. Überdies hat Israel im Juni 2004 beschlossen, den
Industriepark in Erez zu schließen, bis er an eine
internationale Einrichtung übergeben werden kann. Damit
fallen 4000 weitere Arbeitsplätze für die Einwohner
Gazas weg.

PA, Hamas und Ägypten

Die Führung der Palästinensischen
Autonomiebehörde (PA) hat deutlich gemacht, dass sie den
unilateralen Ansatz des israelischen Planes, den Bau der
Sperranlagen auf palästinensischem Gebiet und das
beabsichtigte Festhalten Israels an Teilen des Westjordanlands
ablehnt. Dennoch hat sie begonnen, Vorbereitungen für den
israelischen Abzug aus Gaza und die Übernahme von
Kompetenzen zu treffen. Insbesondere sind sich die
palästinensischen Akteure der Gefahr gewalttätiger
Machtkämpfe bewusst. Denn die Legitimität der PA hat
stark abgenommen; die bewaffneten Auseinandersetzungen mit
Israel haben ihre Ordnungskapazität geschwächt.
Gleichzeitig haben die islamistischen Gruppierungen Hamas und
Islamischer Dschihad starken Zulauf erfahren. Vor diesem
Hintergrund hat die PA einen nationalen Dialog eingeleitet, der
darauf abzielt, bürgerkriegsähnliche Zustände
oder eine Machtübernahme der Hamas im Zuge eines
israelischen Abzugs zu verhindern. In den Gesprächen
versuchen Vertreter der PA und der Fatah, die Opposition auf
einen Waffenstillstand zu verpflichten und sie in die
Institutionen, d.h. in die Regierungsverantwortung und in den
Sicherheitsapparat, einzubinden. Vertreter der Hamas haben
großes Interesse signalisiert, ihre Popularität auf
der Straße in politische Macht umzusetzen.

Bereits heute vermittelt Ägypten im nationalen Dialog
der Palästinenser und fungiert als Zwischenhändler
bei den Abzugsvorbereitungen. Israel möchte nun, dass
Ägypten eine größere Rolle bei der Umsetzung
des Abzugs aus dem Gaza-Streifen spielt, und zwar im Hinblick
auf die Restrukturierung, Schulung und Oberaufsicht über
die palästinensischen Sicherheitskräfte sowie die
Kontrolle der Grenze zwischen Gaza und Ägypten.
Anscheinend hat Ägypten ein umfassendes Engagement von
verschiedenen Bedingungen abhängig gemacht. Nicht nur
erwartet es von beiden Seiten, die Gewalt einzustellen. Auch
soll Israel vollständig aus dem Gaza-Streifen abziehen
(also inklusive der Philadelphi-Route), Garantien geben, dass
es keine Militäroperationen in den geräumten Gebieten
durchführen wird und Transitstraßen zwischen Gaza
und dem Westjordanland einrichten. Die PA soll ihren
Sicherheitsapparat in drei Einheiten umstrukturieren, die unter
der Aufsicht des Innenministers fungieren, und dem
Ministerpräsidenten umfassende Machtbefugnisse
erteilen.

Allerdings ist fraglich, ob Ägypten tatsächlich
auf diesen Bedingungen bestehen wird, bevor es sich
substanziell engagiert und Verantwortung übernimmt.
Schließlich hat Ägypten selbst großes
Interesse daran, eine Machtübernahme durch islamistische
Kräfte zu verhindern, die Grenze zu sichern und, nicht
zuletzt, amerikanischen Druck auf Reformen im eigenen Land
abzumildern. Zwar hat die palästinensische Führung
eine Sicherheitsrolle Ägyptens im Gaza-Streifen willkommen
geheißen, die „nationalen und islamischen
Kräfte“ haben diese aber rundweg abgelehnt –
nicht nur auf Grund des historisch begründeten Misstrauens
gegenüber der ehemaligen Verwaltungsmacht, sondern auch,
weil sie Sorge haben, dass eine ägyptische (bzw. im
Westjordanland eine jordanische) Präsenz in
palästinensische Angelegenheiten eingreifen und die
Souveränität eines künftigen
palästinensischen Staates gefährden würde. Damit
birgt das ägyptische Engagement die Gefahr von Spannungen
zwischen Ägypten und den Palästinensern, aber auch
zwischen Ägypten und Israel. Auch negative Auswirkungen
auf die innere Situation in Ägypten sind nicht
ausgeschlossen. Zudem ist äußerst zweifelhaft, ob
ausgerechnet die ägyptischen Sicherheitskräfte die
richtigen sind, um die PA bei einer nicht nur effektiven,
sondern auch rechtsstaatlichen Terrorismusbekämpfung zu
unterstützen.6

Die Weltgemeinschaft

Die Räumung von Siedlungen in den besetzten Gebieten
– und seien sie im einzelnen auch demographisch und
strategisch unbedeutend – ist grundsätzlich richtig
und sollte daher von der internationalen Gemeinschaft
unterstützt werden. Das Quartett sollte außerdem die
Chance nutzen, um eine neue Dynamik in den festgefahrenen
Roadmap-Prozess zu bringen, statt lediglich immer wieder auf
dessen Relevanz als einzigem Weg der Konfliktlösung zu
verweisen. Dies erfordert allerdings, ernsthaft zu prüfen,
inwiefern die Mitglieder des Quartetts auch bereit sind, den
unilateralen Ansatz des Sharon-Plans – jenseits
deklaratorischer Politik – in eine Erfolgsgeschichte zu
verwandeln.

Das Quartett sollte darauf drängen, dass die
Vorbereitungen für den Abzug umgehend eingeleitet und
dieser schnellstmöglich umgesetzt wird. Denn der im
Sharon-Plan vorgesehene Termin Ende 2005 projektiert einen
Zeitraum von eineinhalb Jahren, in denen sowohl die militanten
Gruppierungen als auch die israelische Regierung durch eine
Ausweitung der Gewalt zu beweisen versuchen werden, dass der
Abzug als ihr Sieg zu feiern ist. Die Auseinandersetzungen im
Gaza-Streifen seit der zweiten Maiwoche 2004 haben einen
Eindruck davon vermittelt, wie eine solche Eskalation aussehen
könnte. Es wird außerdem darum gehen, durch
vertrauensbildende Maßnahmen ein günstiges Umfeld zu
schaffen. Die umfangreichen Hauszerstörungen im
südlichen Gaza-Streifen, die neuerliche Ausweitung des
Siedlungsbaus im Westjordanland und in Jerusalem und die
Fortführung der Politik der „gezielten
Tötungen“ sind in dieser Hinsicht sicherlich nicht
förderlich.

Konkret wird es zunächst darum gehen, die
Modalitäten des Abzugs und die Übergabe von
Sicherheitsverantwortung und von industrieller und
landwirtschaftlicher Infrastruktur an die PA zu klären.
Dazu müssen Israel und die PA einen Plan ausarbeiten, der
die Termine für Abzug und Übergabe festlegt und
deutlich macht, welche Kapazitäten die PA für die
Übernahme zur Verfügung stellen und was die
internationale Gemeinschaft an Hilfestellungen leisten kann.
Eine ägyptische Vermittlung ist dabei möglich, die
Koordination mit der PA aber unumgänglich. Das Quartett
sollte in diesem Prozess eine aktive Rolle spielen, indem es
auf die Abmachungen besteht und ihre Umsetzung
überwacht.

Die internationale Gemeinschaft kann überdies dazu
beitragen, dass der Abzug zu einem erfolgreichen Unternehmen
für die ortsansässige Bevölkerung wird, indem
sie den Wiederaufbau in den geräumten Gebieten
großzügig unterstützt und durch massive
Investitionen einen ökonomischen Aufwärtstrend in
Gang setzt. Dies allerdings kann nur dann gelingen, wenn der
Gaza-Streifen nicht länger ökonomisch weitgehend
isoliert ist. Hier gilt es, die israelische Regierung in die
Verantwortung zu nehmen, die nötigen Voraussetzungen zu
schaffen: insbesondere muss der Zugang zu den internationalen
Märkten sowohl über Land als auch durch den
Wiederaufbau von Hafen und Flughafen ermöglicht werden
und, zumindest kurzfristig, die Zahl der Arbeitsgenehmigungen
in Israel deutlich erhöht werden.

Neben den wirtschaftlichen Aspekten werden für die
Unterstützung des Abzugs durch die palästinensische
Bevölkerung drei weitere Punkte entscheidend sein: die
innere Sicherheit, eine breite Legitimationsbasis der
politischen Führung und eine Perspektive der
Konfliktlösung. Sicherheit darf dabei nicht
ausschließlich im Sinne von Terrorismusbekämpfung
interpretiert werden. Es geht vielmehr darum, die in der
Bevölkerung weit verbreitete Angst und Unsicherheit
abzubauen, indem Recht und Ordnung durchgesetzt werden. Dies
aber kann nur gelingen, wenn das Gewaltmonopol
(wieder)hergestellt wird und Transparenz und Verantwortlichkeit
der Sicherheitsdienste geschaffen werden. Es wird weiterhin
darum gehen, die moderaten islamistischen Kräfte in den
politischen Prozess und in politische Verantwortung
einzubinden, und damit der palästinensischen Führung
neue Legitimität zu verleihen. Das Quartett sollte in
dieser Hinsicht deshalb sowohl den nationalen Dialog als auch
die angekündigten Kommunalwahlen unterstützen.

Darüber hinaus ist eine internationale
Unterstützung der palästinensischen Sicherheitsorgane
erforderlich. Dabei geht es neben der derzeit schon
durchgeführten Schulung der Sicherheitskräfte auch um
die Frage einer internationalen Präsenz. Israel hat
deutlich gemacht, dass es eine solche, so sie unter
amerikanischer Führung steht, nicht grundsätzlich
ablehnt. Es wird zu den Aufgaben einer militärischen
Präsenz gehören, gemeinsam mit der PA die
Bevölkerung zu entwaffnen und gegen Gruppierungen
vorzugehen, die weiterhin Angriffe auf Israel planen. Nur wenn
dies gelingt, wird Israel keine präemptiven oder reaktiven
Militärschläge mehr durchführen und die
Gewaltspirale wird sich durchbrechen lassen. Von
palästinensischer Seite würde eine solche
Präsenz begrüßt – wenn sie als Schritt
auf dem Weg zum absehbaren vollständigen Ende der
Besatzung und nicht als Instrument zu deren Festigung
wahrgenommen wird.

Dies kann allerdings mit Aussicht auf einen langfristigen
Interimszustand, wie ihn der Sharon-Plan impliziert, nicht der
Fall sein. Daher muss es für das Quartett auch darum
gehen, den Abzug aus dem Gaza-Streifen in den Roadmap-Prozess
zu integrieren: als ersten Schritt, dem weitere folgen. Diese
weiteren Schritte sind mit einem detaillierten und
verbindlichen Zeitplan festzuhalten. Und es wird darum gehen,
diesem Prozess ein eindeutigeres Ziel zu geben. Das Quartett
sollte in diesem Sinne die Grundsätze einer
Konfliktregelung ausformulieren und in der Roadmap
festschreiben. Ohne ein solches aktives internationales
Engagement, um den Roadmap-Prozess wiederzubeleben, wird die
Umsetzung des Sharon-Plans jedoch lediglich einen weiteren
Schritt darstellen, der dazu beiträgt, eine
tragfähige Zwei-Staaten-Lösung letztlich zu
verhindern.

Anmerkungen

1 Vgl. G-8-Erklärung
„Partnerschaft für Fortschritt und eine gemeinsame
Zukunft mit der Region Weiterer Mittlerer Osten und
Nordafrika“, Sea Island, 9.6.2004, hier abgedruckt, S.
131 ff.

2 Vgl. G-8-Erklärung zum Nahen
Osten, Sea Island, 10.6.2004, über: <www>.

3 Vgl. Abkoppelungsplan von
Ministerpräsident Ariel Sharon, 18.4.2004, Israelische
Botschaft in Deutschland, <http://berlin.mfa.gov.il/mfm/web/main/
document.asp?DocumentID=51576&MissionID=88>. Vgl.
auch Asseburg, Abzug aus dem Gaza-Streifen. Chance für
eine neue Dynamik in Nahost?, Berlin, April 2004
(SWP-Aktuell 19), <http://www.swp-berlin.org&gt;.

4 Vgl. Government Resolution Regarding
the Disengagement Plan, 6.6.2004, Israelisches
Außenministerium
<http://www.mfa.gov.il/MFA/Peace+Process/Reference+Documents/
Revised+Disengagement+Plan+6-June-2004.
htm>.

5 Vgl. in diesem Zusammenhang auch
Menachem Klein, A Path to Peace. Sharon’s Disengagement
Plan or the Geneva Accord?, über:
<http://www.fmep.org&gt;.

6 Zur Problematik des ägyptischen
Engagements vgl. auch die Beiträge in „The Egyptian
Role in the Disengagement Plan“, in: Bitterlemons,
7.6.2004, über: <http://www.bitterlemons.org&gt;.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7, Juli 2004, S. 32-38

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