Buchkritik

01. März 2016

Der Preis des Planeten

Müssen wir die Welt verbessern, um sie zu retten?

Die Frage, wie die Globalisierung in nachhaltige Bahnen gelenkt werden kann, beschäftigt die Menschen nicht erst seit gestern. Doch der Pariser Klimagipfel hat das Thema erneut in den Mittelpunkt des Inter­esses gerückt. Zwei neue Bücher behandeln das Thema auf sehr unterschied­liche Weise – und kommen zu sehr unterschiedlichen Schlüssen.

Seit Jahren berät Hans Joachim Schellnhuber Politiker zum Thema Klimawandel. So leitet der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung den „Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung. Sein Buch „Selbstverbrennung“ mit dem Untertitel „Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“ ist teils Autobiografie, teils Sachbuch, teils Streitschrift eines bekennenden Weltverbesserers.

Zwischen diesen drei Genres wechselt das Werk auf seinen fast 800 Seiten hin und her. Der Autor zeichnet das Bild einer Welt, die durch einen Teufelspakt mit dem Kohlenstoff auf dem Weg in eine Höllenhitze ist. Laut Schellnhuber muss sich die Politik von der ökonomischen „Wachstumsideologie“ abwenden.
 

Farbig bis düster

Kenntnisreich schildert der Autor, wie der Treibhauseffekt und die Gefahren der Erderwärmung entdeckt wurden. Er erläutert, wie die Wissenschaft versucht, das Klima durch Modelle so realitätsnah wie möglich abzubilden und Aussagen über seine künftigen Veränderungen zu machen. Daraus leitet er die potenziell ernsten Folgen für Infrastruktur, Umwelt, Landwirtschaft und Gesundheit ab, die bei fortschreitender Erwärmung zu erwarten sind. Das ist farbig und verständlich geschrieben. Leider wird dieser Eindruck schon bald getrübt.

Der Physiker zitiert die Fachliteratur nämlich so selektiv, dass ein übertrieben düsteres Bild entsteht. Besonders einseitig sind die Abschnitte zu „Kippelementen“ wie dem Westantarktischen Eisschild und zu extremen Wetterereignissen, da sich der Autor stark auf pessimistische Studien stützt, die aus dem eigenen Institut oder von ähnlich denkenden Forschern stammen.

Auch lässt er Fakten weg: Schellnhuber zählt Wetterkatastrophen in Entwicklungsländern auf, verschweigt aber, dass aufgrund des steigenden Wohlstands- und Ausbildungsniveaus immer mehr Menschen vor den Wettergefahren geschützt werden können. Ein Land wie Bangladesch etwa ist heute weit besser auf Überflutungen vorbereitet als vor 20 Jahren. Das gehört aber zum Bild dazu. Andererseits lässt sich dem Buch durchaus entnehmen, dass Klimaforscher manche Aspekte wie die Wolkenentstehung und die Klimawirkung des Staubs bislang nur unzureichend verstehen.

Viel Platz nehmen die Berichte von Gipfeln zur Klimapolitik ein. Schellnhuber schildert sie als absurdes Theater mit ungewissem Ausgang. Die eine oder andere Anekdote ist erheiternd oder interessant; auf Dauer aber wirkt die Vertiefung in die bürokratischen Finessen der Klimapolitik eher ermüdend als erhellend.

Aufschlussreicher ist die historische Einordnung des Klimawandels: Schellnhuber betrachtet die Ausbeutung der fossilen Brennstoffe als einen mit dem marktwirtschaftlichen Gesellschaftsmodell verknüpften Irrweg. Er wünscht sich einen Bruch mit der „Diktatur des Jetzt“, einen Bruch mit der „ökonomischen Weltanschauung, die sich aller spirituellen Elemente entledigt hat“ und deren Zentrum er in den USA wähnt. Gegenüber diesem Land hat Schellnhuber offenbar erhebliche Ressentiments: „Die Stalinorgeln von Hollywood verschießen zwar nur Granaten aus Zelluloid und Datensätzen, aber ihrem propa­gandistischen Trommelfeuer kann sich kaum jemand entziehen.“

Für den Klimaschutz wünscht sich Schellnhuber eine „Weltbürgerbewegung“. Passende Vorbilder sieht er im Kampf gegen die Sklaverei und im Boykott Südafrikas zu Apartheidzeiten. Der Autor erhofft sich außerdem viel vom „Divestment“, also dem Verschieben von Anlagegeldern aus dem fossilen Komplex heraus. Dass etliche Fachleute sich davon allenfalls eine symbolische Wirkung erhoffen, wird wiederum verschwiegen. Ökonomie ist aber ohnehin nicht Schellnhubers Stärke. Auch seine Vorschläge zu technischen Verbesserungen für den Klimaschutz – seine „sieben Kardinalinnovationen“ – kommen weitgehend ohne eine Betrachtung der Kommerzialisierbarkeit aus.

Das ist nicht die einzige Schwäche des Buches, dessen Lektüre sich vor allem für die lohnt, die Schellnhubers ganzheitlicher Ansatz interessiert. Etliche Abschweifungen, etwa über Begegnungen mit Prominenten, blähen das Werk um ein Drittel auf. Ohnehin krankt der Text an einer altbackenen, oft hochtrabend wirkenden Sprache. Besser gespart hätte sich der Autor auch die versuchte Diffamierung von Wissenschaftlern wie Oliver Geden und David Victor, deren Meinung zum Klimaschutz (konkret: zum Zwei-Grad-Ziel) er ablehnt. Dieses „Freund-Feind-Verständnis“ (Andreas Frey) des Autors wirkt irritierend, das größte Problem aber ist wohl seine ideologische Aversion gegenüber der Marktwirtschaft.
 

Was die Welt wert ist

Um pragmatischere Lösungsansätze geht es in Dieter Helms Buch „Natural Capital“. Der britische Ökonom lehrt Energiepolitik an der University of Oxford. Er legt ein Plädoyer dafür vor, die Naturausbeutung mit marktwirtschaftlichen Mitteln zu bremsen: Dadurch nämlich, dass die Natur, zu der hier auch der unbelebte Teil zählt, in all ihrer Vielfalt mit Preisschildern versehen und so in den Kreislauf der Marktwirtschaft einbezogen wird. „Valuing Our Planet“ lautet der doppeldeutige Untertitel des Buches.

Neu ist die Idee des Autors nicht, doch er liefert einen zeitgemäßen Überblick aus Sicht des Ökonomen. Weise man dem Naturkapital einen Wert in der Marktwirtschaft zu, lasse sich sein Schutz effizient organisieren, argumentiert Helm. Das ist natürlich nicht ganz einfach, doch Helm hält den Ansatz für besser und demokratischer als strikte Verbote, die auf Expertenurteil basierten und doch nur einem „naiven Utopismus“ entsprängen.

Helms Regel der Nachhaltigkeit, die ein bisschen vom Himmel fällt, lautet wie folgt: Die Gesamtsumme des Naturkapitals soll nicht sinken. Wird ein Teil der Natur geschröpft, muss das anderweitig ausgeglichen werden. Wissenschaftler könnten zum Beispiel sichere Bestandsgrenzen für bedrohte Spezies definieren, um deren Bewertung per Kosten-Nutzen-Kalkül zu ermöglichen. Daraus ergibt sich allerdings eine ganze Reihe von Fragen: Was ist eine angemessene Entschädigung für ein gerodetes Waldstück? Sollen erneuerbare Naturressourcen anders behandelt werden als endliche? Das flüssig, wenn auch redundant geschriebene Buch liefert keine ausgearbeiteten Antworten, eher die Skizze eines ökonomischen Konzepts mit vielen Beispielen.

„Am Wirtschaftswachstum ist nichts verkehrt, solange es richtig gemessen wird“, meint Helm. Das Bruttoinlandsprodukt greife dabei zu kurz. Benötigt würden nationale Konten und Firmenkonten, die das Naturkapital enthielten. In das alternative BIP müsste man wohl auch die „Wartungskosten“ für das Naturkapital einfließen lassen, etwa die Pflege von Naturreservaten.

Erste Schätzungen, wie sich das Naturkapital wandelt, gibt es schon, etwa von der Weltbank oder der EU. Noch seien solche Ansätze aber primitiv, meint der Autor. Immer wieder versage die politische Steuerung, etwa bei der Fischerei.

Die Entschädigung ist eines von drei Instrumenten, die Helm zur marktwirtschaftlichen Steuerung vorschlägt. Ein Teil des Ertrags aus der Nutzung nicht erneuerbarer Naturressourcen könnte in einen Fonds fließen (wie ihn Norwegen bereits hat), um daraus Gewinne für die nächsten Generationen zu erzielen oder erneuerbare Energiequellen zu finanzieren. Auch ein bereits bewährtes Instrument, die Besteuerung der Umweltverschmutzung, behält in Helms Konzept seinen Platz. Der Autor lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass die Aufgabe, das Naturkapital auf marktwirtschaftliche Weise zu schützen, gewaltig ist und organisatorische Reformen erfordert.

Global nachhaltiger mit der Natur umzugehen ist, das zeigen beide Bücher, eine Herkulesaufgabe. Welche Maßnahmen dafür taugen und ob Gesellschaftsmodelle dafür reformiert werden müssen – auf diese Fragen geben die Autoren ziemlich unterschiedliche Antworten.

Hans Joachim Schellnhuber: Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff. München: C. Bertelsmann Verlag 2015, 784 Seiten, 29,90 €

Dieter Helm: Natural Capital. Valuing Our Planet. New Haven und London: Yale University Press 2015, 296 Seiten, ab circa 20,00 €

Dr. Sven Titz arbeitet als freier ­Wissenschaftsjournalist mit den Schwerpunkten Klima und Geowissenschaften in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2016, S. 136-138

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