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01. Febr. 2009

Handeln gegen den Wandel

Buchkritik

2009 ist ein wichtiges Jahr für das Erdklima: Der neue US-Präsident hat eine klimapolitische Wende angekündigt, und im Dezember soll auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen ein Folgeabkommen zum Kyoto-Protokoll beschlossen werden. Welche Perspektiven sich in der Klima- und Energiepolitik bieten, wird in drei Neuerscheinungen diskutiert.

Ein optimistisches Plädoyer für den Klimaschutz legt Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin mit „Die andere Klima-Zukunft: Innovation statt Depression“ vor. Sie betrachtet die vom Menschen verursachte Erderwärmung nicht nur als Gefahr, sondern auch als große Chance für die deutsche Wirtschaft.

Den Stand der Klimaforschung gibt Kemfert in den ersten Kapiteln stark vereinfacht wieder – und lehnt sich dabei weit aus dem Fenster: Seit kurzer Zeit „bestreitet kein Wissenschaftler mehr, dass unser Klima kippt“, behauptet sie. Doch längst nicht jeder seriöse Forscher rechnet mit einer dergestalt katastrophalen Entwicklung. Hier übertreibt die Ökonomin nur, doch an anderer Stelle unterläuft ihr ein echter Schnitzer: Sie schreibt, eine Folge der Erderwärmung sei die Versauerung des Meerwassers. Diese Gefahr besteht in der Tat, sie geht aber nicht vom Temperaturanstieg aus, sondern vom wachsenden CO2-Gehalt der Luft. Es ist kaum zu übersehen, dass die Autorin zuweilen etwas nachlässig argumentiert.

Schon in fünf bis zehn Jahren werde die Anpassung an den Klimawandel so teuer geworden sein, dass man es nicht länger ignorieren könne, warnt Kemfert aufgrund eigener Berechnungen. Einem pessimistischen Szenario zufolge würden die Folgen des Klimawandels die Deutschen in den nächsten 50 Jahren 800 Milliarden Euro kosten. Abhilfe erhofft sich die Ökonomin vom Handel mit Emissionsrechten: Dadurch werde „schnell und unkompliziert Geld locker gemacht, mit dem weltweit Klimaschutzprojekte angeschoben werden können“. Das lohne sich nicht allein deshalb, weil es dazu beitrage, den Klimawandel einzudämmen. Kemfert glaubt, dass der Ausbau erneuerbarer Energien Deutschland unabhängiger von Importen aus politisch instabilen Ländern machen würde. Nicht jeder dürfte das so optimistisch sehen. Sicher ist, dass der Übergang seine Zeit braucht. Vorerst müsse man einige Kernkraftwerke weiterlaufen lassen, findet die Autorin. Auch sollten neue Kohlekraftwerke gebaut werden, da sie effizienter seien als die alten. Das entstehende CO2 ließe sich im Idealfall unterirdisch speichern. Kemferts Buch – mehr Appell als Analyse – kommt in einem treuherzigen Plauderton daher. Bis an die ökonomischen Fundamente gelangt die Auseinandersetzung mit der Klimapolitik aber nicht. Von dem zweiten Buch zum Thema lässt sich das schon viel eher sagen.

Ein Hauch DDR

Gegen die Klimakrise muss dringend etwas unternommen werden – das sieht Hans-Werner Sinn ähnlich wie Kemfert. Doch was die Maßnahmen angeht, zeigt sich der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) in München weitaus skeptischer. Mit vielen empirischen Belegen versucht er in seinem gut lesbaren Buch „Das grüne Paradoxon“ die Ineffizienz der aktuellen Klimapolitik nachzuweisen.

Sinn beklagt das Wirrwarr an Steuer- und Fördersystemen, das in Deutschland eingerichtet wurde, um den Ausstoß von CO2 zu verringern. Ökosteuer, Einspeisevergütung für grünen Strom, Förderung von Solardächern, Kraft-Wärme-Kopplung und Gebäudesanierung – das Durcheinander an Maßnahmen verletze vor allem das ökonomische „Gesetz des einen Preises“: Nur die unsichtbare Hand des Marktes würde den „kostenminimalen Weg“ für eine gesamtwirtschaftliche CO2-Vermeidung finden, erklärt der Autor. In Deutschland aber klaffen die Kosten für die Vermeidung von CO2-Emissionen in verschiedenen Sektoren auseinander. Und es sind nicht die günstigsten Maßnahmen, die vom Staat unterstützt werden. Sinn wittert einen „Hauch DDR“. Vor allem die Förderung der Solarzellen ist ihm ein Dorn im Auge. Sie seien die teuerste Variante, um den Ausstoß von CO2 zu mindern.

Doch damit nicht genug. Nicht nur ineffizient seien die nationalen Maßnahmen zur CO2-Vermeidung, sondern – auf europäischer Ebene betrachtet – auch völlig wirkungslos, stellt Sinn fest. Dafür sorge der an sich lobenswerte Handel mit Emissionszertifikaten in der EU: Weil die Gesamtmenge des CO2-Ausstoßes für die am Zertifikatehandel teilnehmenden Industriebereiche fix ist, führe die Verminderung von CO2-Emissionen in Deutschland dazu, dass andere Länder umso mehr von dem Gas in die Luft bliesen. Der Effekt der Förder- und Steuersysteme in Deutschland werde so zunichte gemacht, lautet Sinns Fazit. Er empfiehlt darum forsch, die nationalen Maßnahmen aufzugeben und allein auf den Zertifikatehandel zu setzen. Der befolge das Gesetz des einheitlichen Preises, weise also im Prinzip die Effizienz funktionierender Märkte auf.

Auf globaler Ebene aber brächten weder der Zertifikatehandel oder das Kyoto-Protokoll etwas für das Klima, schränkt Sinn ein. Denn wenn die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen durch die Kyoto-Länder gedrosselt werde, verringerten die Eigentümer der Ressourcen ja nicht zwangsläufig den Abbau. Bleibe ihr Angebot an Öl, Gas und Kohle aber gleich, sänken die Preise auf dem Weltmarkt. Dann kauften und verbrauchten die Nicht-Kyoto-Länder natürlich mehr. „Die Europäer (...) subventionieren also den Konsum der amerikanischen und chinesischen Verbraucher, doch für das Klima sind diese Vorgänge neutral“, schreibt Sinn.

Das grüne Paradoxon, das seinem Buch den Titel verliehen hat, mache alles noch schlimmer: Aus Furcht vor gedrosselter Nachfrage in der Zukunft würden die Ressourcen sogar schneller abgebaut, und die Preise fielen, glaubt der Ökonom. Somit geschehe das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war: „Die Klimadebatte hat sicher dazu beigetragen, den Ressourcenabbau und damit den Klimawandel zu beschleunigen“, meint Sinn. Einige Experten finden, dass der ifo-Chef den Effekt überschätzt; ganz von der Hand weisen lässt sich seine Argumentation aber nicht.

Auf dem Weg zum „Super-Kyoto“?

Sinn mahnt, wer den Klimaschutz ernst nehme, müsse ein „Super-Kyoto“ mit einem weltweiten Zertifikatehandel anstreben. In diesem Punkt ist er sich mit Kemfert einig. Eine Chance, den CO2-Ausstoß zu verringern, habe nur ein globales Nachfragekartell unter UN-Aufsicht. Weil dem Autor der zentralplanerische Charakter eines solchen Vorhabens aber zuwider ist, schlägt er als Alternative vor, die Zinsen aus Kapitalmarktanlagen der Ressourceneigentümer zu besteuern – wie er meint, eine praktikable Methode, um den Ressourcenabbau zu bremsen und das Klima zu schonen.

Wie die Lage bei der wichtigsten fossilen Ressource – dem Erdöl – heute und in Zukunft einzuschätzen ist, lässt sich in einem informativen Doppelband des Politologen Steffen Bukold nachlesen. Der Energie- und Finanzmarktexperte gibt in „Öl im 21. Jahrhundert“ einen gut strukturierten Überblick über die Reserven, die künftige Verfügbarkeit, alternative Kraftstoffe und die Ölpolitik. Wer sich fundiert mit dem Thema beschäftigen möchte, ist bei Bukold richtig.

Die Debatte um Peak Oil, den gefürchteten Gipfel der Erdölförderung, stellt sich in dem Werk eher undramatisch dar. Nach Sichtung diverser Szenarien schätzt Bukold, dass in den kommenden Jahren ein Plateau erreicht werden dürfte. Anschließend soll die Fördermenge langsam absinken. Sorgen bereitet dem Autor vor allem, dass der Ölpreis immer stärker von den Launen des Finanzmarkts bestimmt werde und immer weniger mit der Wirklichkeit zu tun habe. Das erschwere den politischen Umgang mit dem Thema. Bukold empfiehlt, den Markt flexibler zu gestalten, zum Beispiel beim Straßenverkehr eine Vielfalt an Antriebssystemen zu fördern, um kommenden Ölkrisen vorzubeugen.

Bukolds Werk lässt den klimapolitischen Versuch, von Öl, Gas und Kohle loszukommen, noch in einem ganz anderen Licht erscheinen. Wer weiß – am Ende könnten Turbulenzen an den Märkten für fossile Brennstoffe viel schneller für einen Umbau der Energieinfrastruktur sorgen, als es der Klimaschutzgedanke je vermöchte.

Hans-Werner Sinn:Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik, 480 Seiten, Berlin: Econ Verlag 2008, 24,90 €

Claudia Kemfert: Die andere Klima-Zukunft: Innovation statt Depression.Hamburg: Murmann-Verlag 2008, 264 Seiten, 19,90 €

Steffen Bukold:Öl im 21. Jahrhundert. Band I: Grundlagen und Kernprobleme, Band II: Alternativen und Strategien.München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2008, 381 und 208 Seiten, 29,80 € (je Band)

Dr. SVEN TITZ arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2009, S.102 - 104.

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