IP

01. Mai 2012

Der bolivarische Irrgarten

13 Jahre Chávez hinterlassen Venezuela ein schwieriges Erbe

Vor knapp einem Jahr beschäftigte sich die IP mit dem politischen Erbe Hugo Chávez, dem kürzlich verstobenen Präsidenten Venezuelas. Seine Außenpolitik schien schon vor seinem Tod gescheitert. Und was ist aus Chávez’ Lieblingsprojekt eines vereinten Lateinamerika unter seiner Führung geworden?

Wahlkampagnen sind das Elixier, das den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez politisch am Leben hält und ihm seine ungebrochen hohe Popularität und seine Macht zu konservieren hilft. Seit er 1998 zum ersten Mal ins Präsidentenamt gewählt wurde, ist er in einer schier unend­lichen Folge von Wahlen und Volks­abstimmungen siegreich gewesen. Nur einmal, im Dezember 2007, verlor er eine Abstimmung. Dass er damals eine Reihe von Verfassungsänderungen nicht durchsetzen konnte, hat gezeigt, dass er sehr wohl verwundbar ist. Irritieren ließ er sich dadurch keineswegs. Fast alle Vorhaben hat er trotzdem durchgesetzt, mit Hilfe von Dekreten und der bis Ende 2010 fast hundertprozentigen Mehrheit des Regierungslagers in der „Nationalversammlung“, die durch den Boykott der Opposition bei den Parlamentswahlen 2005 möglich geworden war.

Trotz seiner Krebserkrankung mutet sich Chávez die Strapazen ­öffentlicher Auftritte und sogar einer fast zehnstündigen Rede vor dem Parlament zu. Damit will er zeigen, dass er in der Lage ist, als einziger und unangefochtener Kandidat seiner Vereinigten Sozialistischen Partei (PSUV) am 7. Oktober anzutreten. Dass er überhaupt kandidieren darf, hatte er sich – wie auch sonst – mit Hilfe einer Volksabstimmung ertrotzt, obwohl die Verfassung eine zweite Wiederwahl in Folge untersagt.

Sollte Chávez in einem gesundheitlich stark beeinträchtigten Zustand den Wahltag erleben, könnte dies viele seiner Landsleute und selbst getreue „Chavistas“ veranlassen, ihn nicht zu wählen, weil sie einem derart kranken Präsidenten nicht zutrauen, die Geschicke des Landes sechs weitere Jahre zu führen. Dies würde die Chancen des in internen Wahlen gekürten Präsidentschaftskandidaten der Opposition, des 39 Jahre alten Gouverneurs des Bundesstaats Miranda, Henrique Capriles Radonski, erheblich verbessern, vor allem wenn in letzter Minute ein Ersatzkandidat für Chávez einspringen sollte: Von den in Frage kommenden Personen aus dem Regierungslager genießt keine auch nur annähernd eine ähnliche Popularität wie Chávez selbst, schon allein deshalb, weil der „Comandante“ jeden, der ihm gefährlich zu werden schien, systematisch aus seiner Umgebung entfernt hat.

Hatte Chávez immer wieder damit kokettiert, bis 2021 oder gar 2031 als Anführer seiner „bolivarischen Revolution“ regieren zu wollen, ist nun absehbar geworden, dass schon weit früher eine andere Person – sei es aus seinem eigenen Lager oder aus der Opposition – an der Spitze des Staates stehen könnte. Für den Betreffenden und dessen Regierung wird es auf jeden Fall eine Sisyphusarbeit sein, das Geflecht von Initiativen, Vereinbarungen, Verträgen, Verpflichtungen und Abmachungen, die Chávez propagiert, in Gang gesetzt und abgeschlossen, manchmal auch widerrufen und neu in Kraft gesetzt hat, zu entwirren. Die Konfusion hat Methode, weil Chávez sich als unangefochtener „Caudillo“ nicht in die Karten schauen lassen will und es als sein Recht betrachtet, alles allein zu entscheiden. Bezeichnend war, dass er nicht einmal während der Zeit, die er wegen der Krebsoperationen in Kuba verbrachte, das Heft des Handelns aus der Hand gegeben und seinen Vizepräsidenten als Statthalter eingesetzt hat. In seiner Gefolgschaft macht ihm seine allei­nige Entscheidungsgewalt auch niemand streitig.

Es ist schon schwierig genug, in Venezuela den Irrgarten aus den traditionellen staatlichen Einrichtungen und den unzähligen von Chávez zusätzlich geschaffenen Parallel-Institutionen, den Kollektiven, Kooperativen und Kommunen, den Milizen, Patrouillen und Basisgruppen jeder Art, den Missionen, Kampagnen und Projekten zu durchschauen. In den 13 Jahren, in denen Chávez bislang seinen „bolivarischen“ revolutionären Staatsapparat aufgebaut hat, ist keineswegs ein klar durchstrukturierter Staatsorganismus entstanden, sondern eher ein unförmiges Monstrum mit einem gewaltigen bürokratischen Wasserkopf.

Chávez ist es nicht einmal gelungen, eine flächendeckende Versorgung der ärmeren Bevölkerung zu organisieren, obwohl er das Militär und den staatlichen Erdölkonzern PdVSA in diese Aufgabe eingebunden hat. Das Netz aus „sozialistischen“ Supermärkten und anderen Verkaufsstellen für „strategische Lebensmittel“ ist Flickwerk geblieben. Als Ersatz für die oft leerstehenden Regale und Kühltruhen müssen improvisierte Freiluftmärkte herhalten. Immer wieder wird berichtet, dass Tonnen von Lebensmitteln wegen behördlicher Schlamperei verderben und gar nicht bei der bedürftigen Bevölkerung ankommen.

Unübersichtliche Außenpolitik

So kompliziert sich die durch ausufernde Kriminalität und das Fehlen effizienter Strafverfolgung zusätzlich angespannte innenpolitische Lage gestaltet – noch unübersichtlicher ist die Außenpolitik des chavistischen Venezuela, obwohl sie im Prinzip nur von zwei Leitmotiven getragen wird: dem Bestreben Chávez’, Lateinamerika unter seiner Führung zu einen, und einem aggressiven Antiamerikanismus. Von Anfang an hat sich Chávez als eine Art Re­inkarnation des Befreiers Simón Bolívar dargestellt und seine Mission darin gesehen, so etwas wie die „Vereinigten Staaten von Lateinamerika“ aufzubauen. Mit allen Mitteln hat Chávez versucht, die Länder der Region in sein Boot zu holen. Er lieferte verbilligtes Erdöl, kaufte Staatsanleihen, ließ Venezuela regionalen Bündnissen beitreten, war treibende Kraft bei der Gründung immer neuer Zusammenschlüsse. Bis heute ist sein Plan Stückwerk geblieben.

Das Bündnis „Alba“ (span. Morgenröte, Akronym auf Spanisch für Bolivarische Allianz der Völker unseres Amerikas) ist eine vor allem für die wirtschaftliche Zusammenarbeit konzipierte Ländergemeinschaft mit einem klaren Ziel: „Alternative“ zu den inzwischen gescheiterten Plänen Washingtons von einem „Alca“ genannten gemeinsamen Freihandelsraum von Alaska bis Feuerland zu sein. Bis heute gehört dem Alba-Bündnis nur ein kleiner Kreis von Ländern an: jene, die mit Chávez und seiner „bolivarischen Revolution“ besonders enge Beziehungen pflegen und von ihm auch zumeist Wohltaten empfangen: Kuba, Bolivien, Nicaragua, Ecuador und einige karibische Staaten (diese meist nur als assoziierte Mitglieder).1 Die anderen lateinamerikanischen Länder haben sich bislang nicht beteiligt. Kuba betrachtet Chávez längst als eine Art Bundesstaat Venezuelas. Ohne seine großzügigen Erdöllieferungen und andere Zuwendungen wäre das Revolutionsparadies möglicherweise längst am Ende.

Im Alba-Bündnis wurde sogar eine eigene Verrechnungswährung eingeführt, um die Handelsbeziehungen der Mitgliedsländer untereinander zu erleichtern: der Sucre. Die Gemeinschaft hat vor allem eine politische Funktion als Zusammenschluss von Ländern mit im linken Spektrum angesiedelten Regierungen und ist der Kern dessen, was sich Chávez unter einem vereinten Lateinamerika vorstellt. Die wirtschaftliche Bedeutung ist eher gering, weil keiner der regionalen Wirtschaftsgiganten wie Brasilien, Mexiko oder Argentinien dabei ist. Die Regierungen anderer wichtiger Länder wie Kolumbien oder Chile sind schon wegen ihrer anderen politischen Ausrichtung dem Bündnis ferngeblieben.

Bündnispolitik

Sein Ziel, möglichst alle Staaten der Region in sein bolivarisches Großprojekt einzubeziehen, hat Chávez allerdings nie aufgegeben. Er war und blieb einer der hartnäckigsten Befürworter größerer Gemeinschaften, fand damit immer mehr Zuspruch: Viele Regierungen in der Region sahen ein, dass Zusammenarbeit und Koordination auf verschiedenen Gebieten, insbesondere der Energiepolitik, von Vorteil für alle sein könnten. Und er traf auf eine allgemein in der Region verbreitete amerikakritische Stimmung.

Es gab verschiedene Anläufe und auch diverse Bezeichnungen für solche Bündnisse. Aus der „Südamerikanischen Staatengemeinschaft“ (Comunidad Sudamericana de Naciones), die ein Papiertiger blieb, wurde schließlich „Unasur“, die Union Südamerikanischer Nationen (Unión de Naciones Suramericanas). Sie ist die erste halbwegs erfolgversprechende Initiative zur Bildung einer Staatengemeinschaft, der allerdings nur die zwölf südamerikanischen Länder, nicht jedoch die Karibikstaaten, an­gehören.

Mit der Gründung eines Unasur-Sicherheitsrats hat vor allem die ­Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet Fahrt aufgenommen. Bei den ­Zusammenkünften der Unasur-Vertei­digungsminister wurden bereits bemerkenswerte Ergebnisse erzielt. So sollen ganz Südamerika zu einer „Friedenszone“ erklärt und die Zusammenarbeit bei Friedensmissionen wie gemeinsamen Manövern ausgebaut werden. Außerdem wollen die zwölf Länder verstärkt in der Rüstungspolitik und der Militärindustrie, insbesondere bei technologischen Entwicklungen, zusammenwirken. Inzwischen wird sogar über konkrete Vorschläge Brasiliens und Argentiniens debattiert, Trainingsflugzeuge und Drohnen selbst zu bauen. An der Planung und der Fabrikation eines Flugzeug-Basismodells sollen mehrere Staaten, unter ihnen die beiden größten, Argentinien und Brasilien, aber auch Venezuela, Ecuador und Peru mitwirken. Schließlich wird auch schon an den Aufbau einer südamerikanischen Weltraumagentur zu friedlichen und wissenschaftlichen Zwecken gedacht.

Die relativ erfolgreiche Unasur-Gründung war Chávez beileibe nicht genug. Er trieb vor allem die Bildung eines weiteren Bündnisses voran, das auch die karibischen Staaten einschließen sollte: „Celac“, die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribeños). Anfang Dezember 2011 wurde dieser Zusammenschluss der 33 Länder in Caracas offiziell ins Leben gerufen. Er existiert einstweilen aber nur auf dem Papier. Denn weder in der Frage, ob innerhalb der Gemeinschaft Entscheidungen im Konsens oder per Abstimmung mit einer qualifizierten Mehrheit gefällt werden sollen, noch über den Vorschlag, ein Generalsekretariat einzurichten, kam bei der Gründung eine Einigung zustande. Ungeklärt blieb auch, ob die englischsprachigen Karibikstaaten einen Sitz in der Führungsgruppe erhalten sollen.

Die neue Gemeinschaft, die das Erbe der Rio-Gruppe antritt, umfasst alle amerikanischen Länder außer den USA und Kanada, die ausdrücklich ausgeschlossen blieben. Damit ist diese Initiative noch eindeutiger als die Unasur ein bewusst als Gegenmodell zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) konzipiertes Gebilde. Am deutlichsten formulierte der Präsident Ecuadors, Rafael Correa, die Funktion der Celac: In dem neuen Bündnis müssten „die lateinamerikanischen Länder nicht mehr ihre Probleme mit Washington diskutieren“, sagte er. Die Celac ist also eindeutig mit dem Ziel gegründet worden, eines Tages die OAS abzulösen. Chávez scheint damit seiner erklärten Absicht ein Stück näher gekommen zu sein, den Einfluss der Vereinigten Staaten auf Lateinamerika auszuschalten.

Allianzen mit den Bösen

Seiner bisweilen an Verfolgungswahn grenzenden Nordamerikaphobie folgend begann er ganz bewusst Allianzen und Freundschaften mit Staaten zu schmieden, die für Washington zur Inkarnation des Bösen zählen, allen voran mit dem Iran und Weißrussland, aber auch mit arabischen Staaten wie Libyen zu Lebzeiten Gaddafis, zu dessen treuesten Freunden er zählte. In jüngster Zeit hat Venezuela ganz offensichtlich trotz der gegen das ­Assad-Regime verhängten internationalen Sanktionen Treibstoffe an ­Syrien geliefert.

Dabei liegen Welten zwischen der Islamischen Republik Iran und dem weitgehend katholisch und westlich geprägten Venezuela. Nicht nur kulturell, auch wirtschaftlich gibt es, von der Erdölförderung abgesehen, kaum Berührungspunkte zwischen beiden Ländern. Der Hauptgrund für Chávez, ausgerechnet mit dem Iran besonders enge Beziehungen zu knüpfen, kann also nur in seiner Absicht bestehen, Washington damit zu provozieren.

Inzwischen hat Chávez dem iranischen Präsidenten Machmud Achmadinedschad zum Verdruss der USA so weit die Tür zu Lateinamerika geöffnet und den Iran in der Region hoffähig gemacht, dass insbesondere die Alba-Länder Bolivien, Ecuador, Kuba und Nicaragua ähnlich enge Verbindungen mit dem islamischen Gottesstaat pflegen. Die wechselseitige Sympathie ist vorwiegend politischer Natur, auch wenn auf zahlreichen Gebieten eine wirtschaftliche Zusammenarbeit angestrebt wird: in der Agrar- und Lebensmittelindustrie, der Energiewirtschaft, dem Gesundheitswesen sowie in Fahrzeugbau und Kommunikationstechnik. In Nicaragua will der Iran gar beim Bau eines Tiefseehafens behilflich sein.

Vielerorts ist die Kooperation bisher allerdings nicht über Absichtsbekundungen hinausgekommen. In ähnlicher Weise sind auch Äußerungen iranischer Politiker, wonach die Beziehungen Teherans mit Lateinamerika absolute Priorität genössen und eine „strategische Allianz“ das Ziel sei, eher Teil des politisch-rhetorischen Pflichtprogramms. Teheran sieht in Lateinamerika einen Verbündeten im Kampf gegen den Kapitalismus und vor allem eine Möglichkeit, der internationalen Isolation zu entkommen. Befürchtungen, der Iran könne Lateinamerika als Plattform nutzen, um von dort den Erzfeind, die Vereinigten Staaten, anzugreifen, entbehren einstweilen jeder Grundlage.

Zunächst schien es so, dass auch Brasilien mit dem Iran intensivere Beziehungen pflegen wollte. Der frühere Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte Achmadinedschad hofiert und ihn im November 2009 in Brasília empfangen. Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff hat inzwischen allerdings eine Kehrtwende vollzogen und sich vom Iran abgewandt. Bei seiner jüngsten Lateinamerika-Reise im Januar 2012 machte Achmadinedschad einen Bogen um Brasilien.

Noch komplizierter ist das Verhältnis zwischen dem Iran und Argentinien, vor allem wegen der Attentate 1992 und 1994 auf die israelische Botschaft und das jüdische Gemeindezentrum „Amia“ in Buenos Aires, deren Urheberschaft in den höchsten Kreisen der iranischen Staatsführung vermutet wird. Auch Chile und Kolumbien bleiben auf Distanz. Mit seiner Einschätzung, dass Achmadine­dschad, der den Holocaust leugnet und Israel auslöschen möchte, kein Fanatiker, sondern ein „guter Mensch“ sei, dürfte Chávez auch in Lateinamerika ziemlich allein dastehen. Es ist also kaum zu erwarten, dass der Iran in der gesamten Staatengemeinschaft und vor allem bei den wirtschaftlich bedeutsamsten Ländern nachhaltig Fuß fassen kann. Selbst in Venezuela könnte das Interesse an dem Gottesstaat rasch erkalten, wenn Chávez eines Tages nicht mehr die Zügel in der Hand hält.

Dies würde auch keine größeren Folgen haben, weil sich die Zusammenarbeit zwischen dem Iran und Venezuela (im Übrigen auch mit den anderen Alba-Staaten) weitgehend auf gemeinsame Agrarprojekte, die Produktion von Landmaschinen, Autos und Fahrrädern beschränkt. In der venezolanischen Wirtschaft spielen diese Produkte praktisch keine Rolle. Chávez selbst hat bei seinem jüngsten Treffen mit Achmadinedschad zugegeben, dass die Produktion von Fahrzeugen fast zum Erliegen gekommen sei. Noch weniger bedeutsam ist die Kooperation mit Weißrussland, sie beschränkt sich auf einige gemeinsame Projekte in der Energiewirtschaft, im Wohnungsbau und beim Ausbau des venezolanischen ­Eisenbahnnetzes.

Verträge mit Wirtschaftsriesen

Viel wichtiger sind die Verträge, die Chávez mit den Wirtschaftsriesen Russland und China abgeschlossen hat. In Russland kaufte er Waffen in großem Stil ein, seit 2005 für schätzungsweise fünf Milliarden Dollar. Die Handelsbilanz mit China allein für 2011 habe bei zwölf Milliarden Dollar gelegen, brüstete sich Chávez kürzlich. Der chinesische Botschafter in Caracas hatte gar von 18 Milliarden Dollar gesprochen und davon, dass die Bilanz 2012 auf 20 Milliarden steigen solle. Dass Chávez auch mit seinem Erzfeind, den Vereinigten Staaten, gute Geschäfte macht, verschweigt er geflissentlich. Das Handelsvolumen dürfte bei 30 Milliarden Dollar liegen, vor allem wegen der rund eine Million Barrel umfassenden täglichen Erdöllieferung.

Auch wenn Chávez versucht, andere Käufer zu finden und insbesondere China ein immer wichtigerer Klient geworden ist, bleibt Nordamerika für Venezuela ein idealer Abnehmer, schon deshalb, weil die Raffinerien im Süden der Vereinigten Staaten auf die besonderen Eigenschaften des venezolanischen Erdöls eingestellt sind. Außerdem sind wegen der geografischen Nähe die Transportkosten gering, und Nordamerika ist überdies ein zuverlässiger Geschäftspartner, der pünktlich seine Rechnungen begleicht.

Zahlenangaben sind in Venezuela alles andere als verlässlich, weil es in nahezu allen Bereichen des „bolivarischen Staates“ an präzisen statistischen Angaben und an Transparenz fehlt. Chávez selbst und seine von ihm autorisierten Wortführer verkünden aus propagandistischen Gründen nur die für das Land günstigen Zahlen. Negative Daten werden tunlichst zurückgehalten oder geschönt, um das Bild einer heilen, prosperierenden sozialistischen Welt nicht zu beflecken.

Gerade die großen Länder wie China oder Russland, mit denen Chávez umfangreiche Verträge abgeschlossen hat, werden auch einem neuen venezolanischen Präsidenten gegenüber auf die Einhaltung der Abmachungen dringen. Viele Übereinkünfte hat Chávez allerdings persönlich und unter großer Geheimhaltung abgeschlossen. Das chavistische Venezuela ist ein gewaltiges Labyrinth mit vielen Fallen und toten Winkeln, in dem sich jeder, der eines Tages Chávez’ Erbe antritt, verirren muss.

JOSEF OEHRLEIN ist Lateinamerika-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
 

  • 1Zeitweise war auch Honduras Mitglied, doch nach der Absetzung des Präsidenten Manuel Zelaya erklärte im Dezember der vom Parlament eingesetzte Präsident Roberto Micheletti den Austritt. Seit 2007 ist der Iran als „Beobachterland“ zugelassen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2012, S. 108-114

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