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01. Dez. 2007

Das Netz der Ideen

Wie das Internet die Entwicklungszusammenarbeit herausfordert

Mit seiner mittlerweile mehr als einer Milliarde Nutzern ist das Internet auch zur globalen Plattform für radikal neue Formen der Entwicklungszusammenarbeit geworden: Wer Hilfe braucht, sucht sich seine Geber selber im Netz. Traditionelle Entwicklungsorganisationen können von dieser neuen Dynamik, die von ganz alleine wächst, viel lernen.

Adyaka, ein Dorf im Herzen Ugandas, braucht eine neue Berufsschule. Doch keiner der 4000 Einwohner weiß, wie man einen Business Plan dafür entwickelt; bisher wurde ihnen auch nicht vom Staat geholfen. Also haben sich die Bewohner von Adyaka ihren eigenen Weg gesucht. Sie wandten sich per Internet an die ganze Welt und baten um Unterstützung für ihr Dorf. Über das globale Nachbarschaftsnetzwerk Nabuur.com erarbeiten jetzt Freiwillige mit den Dörflern zusammen den Business Plan. Und Adyaka ist nicht allein. Den zurzeit 150 auf Nabuur.com Unterstützung suchenden Gemeinden stehen 10 000 Ehrenamtliche gegenüber, die je nach Bedarf ihre Expertise anbieten. In dieser webbasierten Nachbarschaftshilfe diskutieren Menschen aus aller Welt über Entwicklungsansätze, erarbeiten Konzepte und bekommen unmittelbares Feedback über die Erfolge und Schwierigkeiten bei der Umsetzung.

Nabuur ist nur eine von vielen Plattformen und neuen Web-Akteuren, die in den letzten Jahren entstanden sind. Ihren Ansätzen ist eines gemeinsam: Sie nutzen das Potenzial der Vernetzung durch das Internet, um neue Ideen für Entwicklung voranzutreiben. Entwicklungsorganisationen sehen sich hier mit einer neuen Dynamik konfrontiert. Im Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe wird die Rolle der Betroffenen neu definiert: Sie suchen sich die Geber selber aus.

Denn das Internet hat sich seit seinem Durchbruch vor zehn Jahren fortwährend verändert. Mit mittlerweile mehr als einer Milliarde Nutzern ist es ein Medium der vielschichtigen, transnationalen sozialen Vernetzung geworden. Unter dem Stichwort Web 2.0 schaffen sich Internetnutzer neue individuelle Gestaltungsräume in Netzwerken, sie tauschen Wissen aus und arbeiten gemeinsam an Konzepten und Lösungen. Wie wird aus Biomasse Energie erzeugt? Die Antwort gibt Howtopedia, eine Plattform für angewandtes Wissen, die einfache technische Anleitungen anbietet. Die Technologie ist dabei zweitrangig, denn die Motoren dieser ungesteuerten Bewegung im Netz sind Offenheit, Transparenz, Vernetzung und der Fokus auf Innovation. Hier werden länderübergreifend Projektideen entwickelt, die eine Vielzahl von Experten, Interessierten und vor allem die Betroffenen einbinden. Kooperationen ergeben sich im Peer-to-Peer-Prinzip, also im direkten weltweiten Diskurs, in lockerer Form. Bisher wurden dezentral Musikdateien ausgetauscht; inzwischen sind es Konzepte für afrikanische Dörfer. Unternehmen arbeiten mit der Zivilgesellschaft zusammen, Individuen und Gruppen gehen jenseits von Nationalgrenzen Ad-hoc-Allianzen ein. Charles Leadbeater 1 sieht in diesen flachen, selbstorganisierten Netzwerken ein unerschöpfliches Kreativpotenzial, das keine klassische Organisation mehr braucht. Eine neue Generation von sozialen Unternehmern, Aktivisten und ehrenamtlichen Helfern schickt sich an, ihre eigene Form der Völkerverständigung zu etablieren.

Das führt auch zu neuen Ansätzen der Entwicklungszusammenarbeit. Globalgiving.org zum Beispiel ist eine Plattform, auf der Geber mit der Garantie für Projektideen werben, dass 85 bis 90 Prozent der Gelder lokal genutzt werden und das Projekt nach spätestens 60 Tagen beginnt. Die Umsetzung, die Erfolge und die Fehlschläge können über den gesamten Projektverlauf verfolgt werden – sie stehen öffentlich im Internet. So entsteht gerade ein Netz der Ideen, eine globale Projektbörse für soziale Innovationen. Als Stifter treten vermehrt reiche Philanthropen auf, die über große Mittel verfügen; aber auch Kleinspender können helfen. Die Knoten dieser Netzwerke sind kleine Teams, die auf individuelle Direkthilfe und ehrenamtliche Mitarbeit setzen. Auf Kiva.org etwa kann sich jeder vom heimischen Computer aus ab 15 Euro an der Kreditfinanzierung eines neuen Fischstands für eine Marktfrau in Ecuador beteiligen. Dieser Austausch von Kleinstkrediten folgt den weltweiten Erfolgen, die das Instrument der Mikrofinanzierung bei der Armutsbekämpfung erzielt hat. Durch Kiva.org wurden bereits Mikrokredite im Wert von 13 Millionen Dollar vergeben, mit einer Rückzahlungsquote von über 99 Prozent. Durch die Kooperation mit lokalen Organisationen ist es gelungen, einen überaus effektiven und transparenten Ansatz zu entwickeln, der bisherige Verfahren von Wohltätigkeitsorganisationen in Frage stellt. So wird bei Kiva.org der Kreditgeber persönlich von der Marktfrau über den Verlauf des Vorhabens informiert. Die Konsequenzen dieser Netze werden vielerorts unterschätzt, obwohl diese Ansätze tiefgreifende Umwälzungen darstellen und die Entwicklungszusammenarbeit unweigerlich verändern werden.

Bisher entstehen diese Plattformen meistens im Norden – allerdings kaum in Deutschland. Doch im Süden haben sich oftmals weitaus innovativere soziale Netzwerke herauskristallisiert, die eng an den lokalen Bedürfnissen orientiert sind. In Ägypten zum Beispiel vernetzt sich die Oppositionsbewegung effektiv über das Internet. Auf Weblogs wird über die aktuelle politische Lage diskutiert, und neben der staatlich kontrollierten Presse hat sich eine eigene arabische Öffentlichkeit etabliert. Geschickt setzten die Aktivisten für ihre Kampagnen neueste Instrumente, wie Aufnahmen von Kamera-Handys, zur Dokumentation von Wahlmanipulationen ein.

Aber auch die Diaspora nutzt das Web intensiv, um neue Ideen zwischen Geschäft und Gemeinnützigkeit zu entwickeln und zu verbreiten. Ein Beispiel ist Mukuru.com, auf dem per Internet für die Verwandten in Simbabwe Produkte erworben werden können. Da in Afrika das Internet längst mit dem Mobiltelefon verknüpft ist, können die Geschenke per SMS eingelöst werden. Die Migranten tragen nicht nur mit Geldüberweisungen zum Wohl ihrer Heimatländer bei, sondern sie setzen das Web auch immer strategischer ein, um ihr erworbenes Wissen in eigene Entwicklungsprojekte umzusetzen. Dieser Braingain zeigt sich in viel innovativem Geschäftssinn; er nutzt das Internet aber auch für den politischen Wandel. Die Webseite Mzalendo.com etwa hat „An Eye On Kenyan Parliament“. Veränderungsprozesse, das belegen diese Projekte, hängen oft weniger von finanzieller Unterstützung als vom Engagement und der erfolgreichen Netzwerkarbeit ihrer Akteure ab.

Denn über das Internet wird in den Entwicklungsländern zunehmend ein Diskurs über politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel geführt. Es sind Blogger, die diesen Bürger-Journalismus vorantreiben. Sie berichten von den Problemen der Armut und beleuchten kritisch die Politik der Regierung, aber auch die Arbeit und die Rolle von Gebern. Dieser Bürger-Journalismus entwickelt sich mit unterschiedlichem Tempo, aber er wird in der Tendenz immer professioneller. Ein Beispiel ist das Nata Village Blog, das den alltäglichen Kampf eines Dorfes in Botswana gegen die Immunschwäche Aids beschreibt. Der lokale Kontext spielt eine große Rolle, sodass in Afrika bereits eine eigene Blogosphäre auf Suaheli entstanden ist. Eine übergreifende Klammer bildet das weltweite Blogger-Portal Global Voices, auf dem die vielfältigen Berichte ehrenamtlich in andere Sprachen übersetzt werden. Die Presseagentur Reuters unterstützt die Arbeit für Pressefreiheit von Global Voices und bietet die Inhalte auf der eigenen Internetseite an. Für Aktivisten wie soziale Unternehmer im Netz gilt, dass der Wandel von innen heraus kommen muss und die Eigeninitiative im Vordergrund steht.

Diese Ausformung neuer sozialer Netzwerke für Veränderung birgt eine große Chance für Entwicklungsorganisationen: Die Beteiligung in diesen Netzwerken macht einen gemeinsamen Dialog über entwicklungspolitische Fragen möglich. Die Weltbank hat vor kurzem ihr drittes Blog mit dem Titel „How to end Poverty in South East Asia“ lanciert. Die Vereinten Nationen suchen gemeinsam mit den Direktoren der Welthandelsorganisation, der Welternährungsorganisation und weiteren Organisationen den Dialog mit Entwicklungsexperten und der Öffentlichkeit. Pierre Jacquet, Chefökonom der Agence Française de Developpement, sagte zur Eröffnung des Blogs: „Die Köpfe der Entwicklungsorganisationen werden manchmal als unerreichbare Bürokraten angesehen. Durch dieses Blog möchten die Teilnehmer offen ihre Ideen, Zweifel und sogar Frustrationen teilen.“ Für die Entwicklungszusammenarbeit eröffnet sich mit diesen Netzwerken ein bisher ungenutztes Potenzial an ehrenamtlichem Engagement und an Expertise. Entwicklungsorganisationen wie dieDeutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit können durch ein gezieltes Engagement in diesen Netzwerken ihre Arbeit wirkungsvoller gestalten. Dies erfordert jedoch einen Paradigmenwechsel und eine Öffnung von bilateralen und multilateralen Entwicklungsorganisationen. Die Autoren des Buches „Wikinomics“, Don Tapscott und Anthony D. Williams,2 sind sogar der Auffassung, dass nur solche Firmen und Organisationen im Markt der Ideen bestehen können, die diesen Weg der Vernetzung beschreiten, ihre Kommunikationskultur ändern und den Mehrwert dieses Produktivitätspotenzials nutzen.

Denn wer sich komplexe Projektrealitäten wirklich eingesteht, kann nur auf vielfältige Expertise und interdisziplinäre Ansätze setzen. Die gemeinsame offene Erstellung von Projektansätzen über Wikis-Webseiten, deren Text von jedem Nutzer bearbeitet werden kann, ist zwar technisch simpel, verlangt aber eine neue Kultur des Wissensaustauschs. So zeigt etwa der jüngste Bericht des UN-Weltklimarats Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) die Notwendigkeit der Zusammenarbeit angesichts komplexer Probleme, aber auch das Potenzial der Öffnung von Organisationen und Unternehmen. Viele Enthusiasten des neuen Webs glauben, dass etwa der offene Quellcode von frei zugänglicher Software völlig neue gemeinsame Problemlösungen möglich macht. Dies geht einher mit Bemühungen, vielerorts unter dem Schlagwort Open Access wertvolle Informationsquellen zur Verfügung zu stellen, wie zum Beispiel die Conservation Commons Initiative der World Conservation Union zur Dokumentation der Biodiversität, bei der viele unterschiedliche Organisationen mitwirken. Die Frage wird sein, wie sich Entwicklungsorganisationen diese neuen Wissensressourcen erschließen und selbst dazu beitragen können, in diesen neuen Konstellationen ihre Arbeit effektiver zu gestalten.

Die Zyklen der Veränderungen des Internets sind schnell, die Widerstände angesichts seiner Dynamik groß. Auch muss der Mehrwert dieser Kollaboration immer wieder unter Beweis gestellt werden. Denn die Gefahr einer Kakophonie der Diskurse besteht. Ob die Theorie des Long Tail, die in der Nische eine Triebfeder des Internets sieht, für die Entwicklungszusammenarbeit funktionieren kann, weiß heute niemand. Fraglich ist auch, inwieweit die Transparenz im Netz vor der Gefahr des Missbrauchs von Geldmitteln schützen wird.

Eine offensichtliche Herausforderung ist die fehlende Beteiligung am Netz. Allein die Kosten für den Zugang zum Internet in vielen afrikanischen Ländern übertreffen sogar die Preise in Deutschland. Die fehlende Technik ist nur eines von vielen Problemen; oft ist die Qualifikation zur ausreichenden Nutzung nicht vorhanden. Eine wichtige Rolle spielt das Mobiltelefon, das eine Brücke zum Internet bietet und derzeit auf keinem anderen Kontinent solche Wachstumsraten aufzuweisen hat wie in Afrika. Noch ist es nur eine Minderheit, die in den Entwicklungsländern das Netz nutzt. Doch es sind Social Entrepreneurs in Afrika und Nichtregierungsorganisationen, die längst die Chance ergriffen haben und an einer Vielzahl von Initiativen und Ideen arbeiten. Langsam kommen auch Entwicklungsorganisationen hinzu, die von der Öffnung und dem horizontalen Dialog viel lernen können. So sagte Pierre Jacquet zur Eröffnung von „Ideas4Development“: „Das Blog ist in Ihrer Hand. Lassen Sie uns die Debatte beginnen.“

Benin: Schluss mit dem Schmutzwasser

Rund die Hälfte der Bevölkerung Benins bezieht ihr Trinkwasser aus offenen Tümpeln und Flussläufen oder anderen gesundheitsgefährdenden Quellen. Kein Wunder, dass die Diarrhöe zu den häufigsten Erkrankungen gehört. Fehlende Abwasser- und Sanitäranlagen vergrößern das Infektionsrisiko noch. Da für den langfristigen Aufbau einer sicheren Wasserversorgung das Bauen von Brunnen nicht genügt, entwirft die GTZ im Auftrag des BMZ gemeinsam mit den Fachministerien für Wasser und Gesundheit Entwicklungskonzepte und berät bei der Umsetzung. Auf regionaler und kommunaler Ebene beraten GTZ-Experten die Fachministerien sowie die zuständigen kommunalen Einrichtungen, und auf lokaler Ebene klären sie gemeinsam mit lokalen Kräften die Bevölkerung über Hygiene und Krankheitsrisiken auf. Daneben fördert die GTZ die Gründung dörflicher Wassernutzungsgemeinschaften, sie qualifiziert Handwerker und private Dienstleister, die das Management und die Wartung der Wasseranlagen übernehmen.

Damit die getätigten Investitionen nachhaltig Bestand haben, wird der Staat Benin an den Investitionskosten beteiligt. Die Übertragung der Verantwortung auf Wassernutzungsgemeinschaften und die privatwirtschaftliche Organisation von Wartung und Instandhaltung der Anlagen schaffen eine zusätzliche Basis für den langfristigen Erfolg der Maßnahmen. Mittlerweile arbeiten auf dem Lande mehrere hundert Wassernutzungsgemeinschaften mit großem Erfolg, und auch die Ausstattung von öffentlichen Einrichtungen, insbesondere Schulen und Krankenstationen, mit Latrinen und Sanitäranlagen hat sich deutlich verbessert.

Uganda: Klein aber Kredit

Die Versorgung armer und von den großen Banken vernachlässigter Bevölkerungsgruppen mit Kleinkrediten ist das Ziel der zahlreichen in den neunziger Jahren in Uganda entstandenen Mikrofinanz-Institutionen. Starteten die meisten dieser kleinen Institute mit Hilfe einer Anschubfinanzierung aus Entwicklungsgeldern, so stellten sich bald viele Fragen: Wie kann ein solches Institut auf eigenen Beinen stehen? Wie können Mitarbeiter qualifiziert und fortgebildet werden? Welche Rolle sollen die Kleinbanken innerhalb des ugandischen Finanzsystems spielen?

Im Auftrag des BMZ und der Schwedischen Agentur für internationale Entwicklung berät die GTZ die ugandische Zentralbank darin, die Leistungsfähigkeit des Finanzsystems im Land zu stärken. Ein erster Erfolg war das Gesetz aus dem Jahr 2003 über Mikrofinanz-Institutionen. Es ermöglicht einigen besonders leistungsfähigen Kleinbanken, Spareinlagen aufzunehmen und stellt sie unter staatliche Aufsicht. Bislang weitgehend informell funktionierende Kleinbanken sollten sich jetzt zu formellen Microfinance Deposit Taking Institutions (MDI) zusammenschließen. Und was die Qualifizierung der Mitarbeiter angeht, so entstand auf Anregung der GTZ-Berater vor Ort die Idee, an der katholischen Martyrs University in Nkosi Fortbildungskurse für Banker anzubieten. Inzwischen lernen dort nicht nur Mitarbeiter von Mikrofinanz-Institutionen und Banken, sondern rund 200 Studierende aus 16 afrikanischen Ländern.

CHRISTIAN KREUTZ, geb. 1975, ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH. Der Artikel gibt ausschließlich die Meinung des Autors wieder.

  • 1Charles Leadbeater: We-Think. The Power of Mass Creativity, www.wethinkthebook.net. Der Text ist letztes Jahr als Entwurf im Internet erschienen und wird 2008 als Buch veröffentlicht.
  • 2Don Tapscott und Anthony D. Williams: Wikinomics. Die Revolution im Netz, Hanser Fachbuch 2007.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2007, S. 32 - 37.

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