„Das ist reine Symbolpolitik“
Es ist ein Begriff, der nahezu ausschließlich abwertend gebraucht wird: Wenn die Rede davon ist, dass eine bestimmte Initiative „Symbolpolitik“ sei, dann fehlt der Zusatz „nur“ – wahlweise auch „pure“ oder „bloße“ – ganz selten. Zuletzt etwa wurden in der Debatte um den Energie-Notstand das Kaltduschen, das vorgeschlagene Tempolimit und die Tankrabatte von Gegnern der Maßnahmen als „reine Symbolik“ abgetan.
Wie schlicht dieses Kritikmuster ist, zeigt sich besonders in der Außenpolitik, die auf Symbolik weit mehr angewiesen ist als die Innenpolitik. Zum Wesen der internationalen Politik gehört ein unverzichtbares, zusätzliches Element der Übersetzung. Es braucht oft ein Symbol, um der anderen Seite (und manchmal der Welt) unsere Haltung, unsere Interessen und roten Linien verständlich zu machen. Außenpolitik ist immer auch Symbolpolitik, und das ist kein Manko.
Und doch tun deutsche Politiker gern so, als sei Außenpolitik ohne kommunikative Dimension möglich. Er werde nicht für ein „kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin“ nach Kiew reisen, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz im Frühjahr seine Ablehnung einer Reise nach Kiew begründet. Darin schwang Kritik an all jenen Politikern mit, die diese Reise schon angetreten hatten. Scholz verweigere sich bloßer „Symbolpolitik“, er sei ein Mann der Substanz, verteidigten ihn Parteigenossen.
Das war peinlich, weil es Scholz’ Unterstützung der Ukraine ja eben auch an Substanz mangelte – und er auch deshalb die starke Symbolik eines Kiew-Besuchs scheute. Scholz schien von der Furcht getrieben, durch eine Kiew-Reise Erwartungen zu wecken, die er nicht erfüllen wollte oder konnte.
Natürlich ist Symbolpolitik kein Ersatz für „richtige“ Politik. Es war klar, dass eine Reise nach Kiew in Zeiten des Krieges eine Selbstverpflichtung zum entschlosseneren Handeln erzeugen würde, an der man sich messen lassen müsste. Scholz hat sie dann schließlich zusammen mit den Regierungschefs Frankreichs, Italiens und Rumäniens angetreten – ein starkes, gelungenes Symbol europäischer Solidarität.
Die Symbolpolitik-Kritik operiert mit einem allzu einfachen Gegensatz: In journalistischen Kommentaren, aber auch im Sprachgebrauch vieler Politiker schwingt mit, symbolische Politik sei Ablenkung, Ausflucht, Betrug, Frivolität. Zweifellos kommt das vor, aber es ist doch zu schlicht, die wahre, authentische, substanzielle Politik gegen das flüchtige, eitle, trügerische symbolische Handeln auszuspielen.
Bedeutende Momente der deutschen Außenpolitik waren oft sorgsam choreografierte Auftritte. Konrad Adenauer unternahm eine achtzehntägige Schiffreise nach Amerika, um die Westbindung zu verankern (1953), Reisen nach Moskau (1955) und Israel (1966) legten die Basis für Ostpolitik und Wiedergutmachung. Willy Brandts Kniefall in Warschau (1970) war sicher ein Höhepunkt der Symbolpolitik, aber auch Schmidts frühe Reise nach Peking (1975) und Helmut Kohls Strickjackendiplomatie mit Gorbatschow (1990) machten die deutsche Außenpolitik im In- und Ausland fassbar.
Diese Momente stehen für eine politische Tugend: den Mut, sich festzulegen; öffentlich für etwas einzustehen; eine klare Haltung zu zeigen. Sie wird auch heute gebraucht.
Internationale Politik 5, September/Oktober 2022, S.