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01. Nov. 2015

Das Imperium wird zurückschlagen

Kann Präsident Rohani die Islamische Republik retten? Dafür spricht wenig

Wer, wie Hassan Rohani, den Hauptfeind des Iran nicht in Amerika oder Israel sieht, sondern in Arbeitslosigkeit oder Umweltkatastrophen, der macht sich bei den Hardlinern im Land nicht unbedingt beliebt. Die Hardliner sind mächtig, und sie werden immer mehr. So bedauerlich das ist: Allzu große Hoffnungen sollte man auf den Präsidenten nicht setzen

Keine Frage: Präsident Hassan Rohani ist bei vielen Iranern beliebt. Warum auch nicht? Mit dem Segen des Obersten Geistlichen Führers Ali Khamenei hat Rohanis Außenminister Dschawad Sarif eine Einigung in den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm erzielt und so erreicht, dass die gegen sein Land verhängten Sanktionen ausgesetzt wurden. Zu diesem Erfolg hat Sarifs diplomatisches Geschick viel beigetragen, und die Iraner wissen das. Vorbei die Tage, als sich der damalige Chefunterhändler Said Dschalili mit weinerlicher Stimme in nicht enden wollenden Monologen über die Arroganz und Verdorbenheit des Westens, allen voran der USA, verlor. Schon wegen dieses Erfolgs müsste Rohani eigentlich größeren Einfluss in der iranischen Politik gewinnen. Und doch könnte er am Ende politisch schwächer dastehen. 

Hürden gegen die Konterrevolution

Dafür gibt es viele Gründe. Entscheidend ist der institutionelle Aufbau der Islamischen Republik Iran. Nach der Revolution von 1979 war es nicht möglich, alle Institutionen aus der Schahzeit einfach zu zerstören. Gleichzeitig wollten die islamischen Revolutionäre sicherstellen, dass aus diesen Institutionen heraus keine „Gegenrevolution“ erwachsen konnte. Man legte also in der Verfassung mit Bedacht fest, dass die neu geschaffenen revolutionären Institutionen wie das Amt des Obersten Geistlichen Führers über den republikanischen Institutionen standen, wesentlich mehr Macht besaßen und so jegliche aus dem alten Gefüge kommenden Versuche unterbinden konnten, die neue Ordnung in Frage zu stellen. Das galt natürlich auch und in besonderem Maß für die Armee. Die Furcht vor einer Gegenrevolution der Streitkräfte war nicht unberechtigt. Im Juli 1980 flog ein Komplott von Militärangehörigen zum Sturz des neuen Regimes auf. Die schon im Mai 1979 gegründeten Revolutionsgarden sollten weitere Putschversuche des Militärs verhindern. 
 

All die neuen revolutionären Institutionen, die man dem alten Gefüge „aufpropfte“– von den Revolutionsgarden bis hin zum Wächterrat – hatten im Wesentlichen drei Zielen zu dienen: den Obersten Geistlichen Führer politisch zu schützen, keine Opposition gegen ihn zuzulassen und der Regierung das Leben schwer zu machen. 
 

So ist der aus zwölf Mitgliedern bestehende Wächterrat (die eine Hälfte wird mit Geistlichen, die andere mit Juristen besetzt) im Grunde in der Lage, die Regierung zu steuern. Denn da er die Prüfung der Kandidaten für das Parlament verantwortet, kann er dafür sorgen, dass der Regierung nahe stehende Kandidaten disqualifiziert und umgekehrt so viele oppositionelle Kandidaten zugelassen werden, dass sie eine Mehrheit bilden. Das iranische Parlament hat zumindest so viel Macht, dass es wichtige Projekte der Regierung bremsen oder ganz blockieren kann, indem es Gesetzesinitiativen torpediert, mit denen die Regierung Wahlversprechen gerade im wirtschaftlichen Bereich umsetzen will, indem es Minister zur Befragung ruft oder indem es deren Berufung rundheraus ablehnt. In solchen Fällen kann der Schlichtungsrat seinem Auftrag entsprechend als Vermittler auftreten. Doch in der Realität sind die Machtverhältnisse ganz klar geregelt: Der Wächterrat ist nach dem Obersten Geistlichen Führer die wichtigste Institution des iranischen Regimes. Gegen ihn kann auch der Schlichtungsrat nicht viel ausrichten. 
 

Auch die Revolutionsgarden können der Regierung Stolpersteine in den Weg legen, obgleich sie sich laut Verfassung eigentlich nicht politisch betätigen dürfen. Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Khomeini hatte während seiner Herrschaft als Oberster Geistlicher Führer noch alles getan, um die Streitkräfte aus Politik und Wirtschaft herauszuhalten. Mit der Machtübernahme durch Ayatollah Khamenei hat sich das jedoch fundamental geändert. Heute greifen die Revolutionsgarden nicht nur in die Politik ein, sie spielen auch eine zentrale Rolle in der iranischen Wirtschaft, zum Beispiel in den Bereichen Energie, Bau, Telekommunikation, Kraftfahrzeuge, Banken und Finanzen. Das erschwert es der Regierung, die Wirtschaft für Wettbewerb und Investitionen zu öffnen und schränkt gleichzeitig deren Gestaltungsmöglichkeiten ein. 
 

Denn die Revolutionsgarden haben wenig Scheu, auch öffentlich ihre wirtschaftlichen Claims abzustecken oder darauf hinzuweisen, dass sie diese notfalls auch mit recht nachdrücklichen Methoden durchzusetzen gedenken. Das wurde klar, als sie die Verwaltung des neuen Imam-Khomeini-Flughafens durch ein internationales Konsortium mit Waffengewalt verhinderten (siehe dazu den Beitrag von Ali Alfoneh, S. 32 ff.). 
 

Reformgegner, wohin man schaut

Als wären das nicht genug Gegenspieler, muss sich die Regierung auch noch mit der Justiz auseinandersetzen. Natürlich gab es auch unter dem Schah -einen Justizapparat. Doch heute steht die Justiz unter dem Patronat des Geistlichen Führers, er ernennt den Obersten Richter. Indirekt ist es auch den Vertretern des Justizapparats möglich, sich in die Regierungspolitik einzumischen, etwa beim Thema Korruption. Drückt der Justizapparat in Sachen Korruption ein Auge zu, dann erschwert das auch die Bemühungen der Regierung, Wirtschaftswachstum zu fördern und die Wirtschaft für ausländische Investoren zu öffnen. Aber auch über das Thema Menschenrechte und die Behandlung von Minderheiten kann der Justizapparat Einfluss auf die Außenpolitik des Präsidenten nehmen. Beide Bereiche bieten ideale Hebel, um die Politik einer Regierung zu diskreditieren, die bessere Beziehungen vor allem zum westlichen Ausland sucht. Ein Beispiel war die Verhaftung von 13 Juden aus der Stadt Shiraz Anfang 1999, die der Spionage angeklagt wurden. Das war ein eindeutiger Versuch, eine Annäherung des Reformpräsidenten Mohammed Khatami an den Westen zu verhindern. 
 

Die internationale Gemeinschaft sollte verstehen, dass das Gleichgewicht der Kräfte innerhalb des Iran sich strukturell gegen die Regierung neigt. Hinzu kommt, dass alle postrevolutionären Institutionen wie der Wächterrat, die Revolutionsgarden und andere mächtige Einrichtungen wie die Justiz von konservativen Hardlinern geleitet werden. Sie alle stehen in ideologischer Opposition zu Rohanis Außenpolitik und zu seinen Plänen, die Beziehungen zum Westen – insbesondere zu den USA – zu verbessern.
 

Trojanisches Pferd der Amerikaner

Nach Ansicht iranischer Hardliner wie Hamid Reza Moghadamfar gefährdet der Kurs der Regierung die Islamische Republik stärker als die Erzfeinde des Revolutionsregimes, die Volksmudschahedin. Moghadamfars Argument ist simpel: Rohani und seine „prowestlichen Partner“ wollten es „den USA ermöglichen, die Entscheidungsgremien des Iran zu infiltrieren und den revolutionären Eifer seiner Vertreter zu beeinflussen, um endlich den von den USA ersehnten Regimewechsel herbeizuführen“. Die Behauptung, Rohani sei gefährlicher als die Volksmudschahedin, auf deren Konto zahlreiche Terrorattentate gehen, hat Moghadamfar nicht etwa privat oder im engeren Kreis aufgestellt, sondern Mitte September in Teheran beim Freitagsgebet vor tausenden Gläubigen. Moghadamfar nannte den Präsidenten zwar nicht beim Namen; aber es gibt keinen Zweifel, wem seine Anschuldigungen einer „westlichen Unterminierung“ galten. 
 

Hamid Reza Moghadamfar ist stellvertretender Kulturbeauftragter der Revolutionsgarden. Zuvor hatte er die mit den Garden eng verbundene Nachrichtenagentur Fars News geleitet. Auch wenn er im Iran relativ unbekannt ist, sollten seine jüngsten öffentlichen Angriffe auf Rohani die Alarmglocken klingeln lassen – nicht nur bei Rohanis Anhängern, sondern bei allen, die hoffen, dass der Präsident die Innen- und Außenpolitik des Landes substanziell verändern wird. Dies vor allem auch deshalb, weil Moghadamfar am 18. September nur wiederholte, was der mächtigste Mann des Iran, Aya-tollah Khamenei, zwei Tage zuvor erklärt hatte. Bei einem Treffen mit höheren Offizieren der Revolutionsgarden warnte Ayatollah Khamenei, „der Feind“, die USA, versuche, „die Entscheidungszentralen des Landes zu beeinflussen“, und wolle, dass der Iran „seine Philosophie der Revolution ad acta legt“.
 

Für iranische Hardliner wie Moghadamfar sind Rohanis scheinbar prowestlichen Ansichten nichts anderes als ein trojanisches Pferd der Amerikaner, mit dessen Hilfe die USA das Gefüge der Revolution zerstören können. Die Islamische Republik und ihre Hardliner haben größere Angst vor einem Frieden mit den USA als vor einem Krieg. Durch einen Frieden mit den USA könnten sie eine der letzten Legitimationsgrundlagen der Revolution verlieren: den Antiamerikanismus. Denn viele Versprechen und Ziele der Revolution von 1979 wurden nicht verwirklicht. 
 

Nicht das Geringste erreicht

Es ging dabei ursprünglich ja nicht nur um Antiimperialismus und nicht nur um die Bekämpfung westlicher Einflüsse im Iran. Die Revolution hatte auch zutiefst soziale Elemente: Dazu gehörten die Forderung nach einem Ende der schamlosen Korruption auf den höheren und höchsten Ebenen des Schah-Regimes und eine Wirtschaftspolitik, die die enorme Kluft zwischen Arm und Reich schließen würde. Doch auf dieser Ebene hat die Revolution nicht das Geringste erreicht. Die Korruption ist heute noch schlimmer als zu Zeiten des Schahs. Und was soziale Unterschiede betrifft, so gehört es für die Kinder der Reichen zum guten Ton, mit Ferraris und Porsches durch die Straßen Nord-teherans zu cruisen und ihre Rolex-Uhren auf Instagram zu posten, während nur ein paar Blocks weiter südlich (und nicht nur dort) die Armut grassiert. Prostitution ist nicht mehr auf Mädchen und Frauen aus armen Familien beschränkt, oder auf „Outcasts“, die ihren Ehemännern oder Familien entflohen sind. Einer iranischen Studie zufolge ist die Hälfte der Frauen, die als Prostituierte arbeiten, verheiratet, und die Mehrheit kommt aus der Mittelschicht. 
 

Das ist nicht die einzige Sorge, die die Hardliner des Regimes umtreibt. Sie wissen genau, dass mit engeren Beziehungen zu Washington auch das Image der USA in der iranischen Gesellschaft besser würde. Westliche kulturelle Einflüsse würden an Popularität gewinnen, was wiederum dazu führen dürfte, dass sich noch mehr Iraner von der Religion abwenden. Und das ist eine Gefahr für das Regime. Denn seine Vertreter wissen genau: Je säkularer die Iraner werden, je weniger sie Religion als Grundlage der Politik akzeptieren oder je weniger ihnen Religion überhaupt etwas bedeutet, desto schlechter sind sie zu kontrollieren. 
 

So beunruhigt ist das Regime, dass man für diese lauernde Gefahr einen eigenen Begriff geprägt hat: „Andalusisation“. In einem Beitrag für die Oktober-Ausgabe des British Journal of Middle Eastern Studies haben Afshin Shahi und Alam Salehi den historischen und religiösen Kontext des Begriffs erklärt. „Andalusisation“ ist ihnen zufolge eine neue Wortkonstruktion, die den Prozess der Deislamisierung Andalusiens beschreibt. „Die Region stand viele Jahrhunderte lang unter muslimischer Herrschaft (711–1492), aber der Islam als maßgebliche soziale und politische Identität wurde allmählich aus der Region verdrängt. Obwohl es weder historisch noch geopolitisch eine einleuch-tende Verbindung zwischen dem vormodernen islamischen Andalusien und der Islamischen Republik gibt, instrumentalisiert die religiös--politische Elite des Iran das Konzept, um die Gefahren einer Deislamisierung der iranischen Gesellschaft aufzuzeigen.“1
 

Berechtigte Sorgen

Die Hardliner haben tatsächlich Grund zur Sorge. Immer mehr Iraner betrachten sich als säkular, schreiben Afshin Shahi und Alam Salehi aufgrund ihrer Recherchen in dem oben erwähnten Artikel. Laut einer Studie der Regierung haben mehr junge Iraner Sex vor der Ehe als je zuvor, fasten weniger während des Ramadan, trinken immer mehr Alkohol oder konsumieren Drogen. Auch die Anzahl der Scheidungen steigt. Am Tag des Aschura-Fests, dem höchsten Trauertag des schiitischen Islam, an dem des Märtyrertods des Imam Hussein gedacht wird und religiöse Schiiten gehalten sind, sich zu geißeln, steigt einem Bericht der Cyberabteilung der Revolutionsgarden zufolge die Anzahl der Besuche auf Pornowebseiten sprunghaft.
 

Nach Ansicht der Hardliner müssen Rohani und dessen reformorientierte Bundesgenossen unbedingt gestoppt werden – je eher, desto besser. Nicht nur, weil sie die Beziehungen zu den USA verbessern und damit den zerstörerischen Einflüssen des „großen Satans“ Tür und Tor öffnen wollen. Vor allem aber sind Rohani und seine Mitreformer der Beweis dafür, dass die Behauptung der Hardliner, die USA wollten in Wirklichkeit nichts weiter als einen Regimewechsel, schlicht falsch ist. Dass es Rohani gelungen ist, ein Atomabkommen unter Einbeziehung der Amerikaner abzuschließen, zeigt ja, dass der „große Satan“ bereit ist, mit der Islamischen Republik zu verhandeln und sich mit ihrer Existenz zu arrangieren – ungeachtet der anhaltenden Propaganda, die USA hätten nichts weiter im Sinn, als das iranische Volk zu unterwerfen und zu demütigen. Immerhin erklären die USA, dass der Iran das Recht besitze, Atomkraft friedlich zu nutzen – was in deutlichem Gegensatz zur Propa-ganda der Hardliner steht, die behaupten, das werde einer stolzen Nation wie dem Iran verwehrt. Damit ist die Legitimationsgrundlage des -Regimes in Gefahr, die mit der Niederschlagung der Proteste ohnehin schon heftige Einbußen erlitten hat. 
 

Deshalb sind die Hardliner der Auffassung, dass jeder, der mit dem Präsidenten zusammenarbeitet, geschwächt oder marginalisiert werden muss. Ein Politiker wie Rohani, der das islamisch-revolutionäre Regime zu einer islamischen Republik umformen will, also den Interessen des Landes mehr Gewicht beimisst als einer revolutionären Ideologie, ist eine existenzielle Gefahr für all jene, die die Prinzipien der Revolution aufrechterhalten wollen. 
 

Sowohl der Befehlshaber der Revolutionsgarden als auch der Oberste Geistliche Führer haben – ohne Namen zu nennen – explizite Warnungen ausgesprochen, dass es „gewisse Lager“ gebe, die solche Pläne verfolgten. Sollte der Iran die revolutionäre Phase hinter sich lassen und in eine republikanische eintreten, so ihre Sorge, könnten die Hardliner ihren Einfluss verlieren, der ja auf den revolutionären Prinzipien wie Unterstützung der palästinensischen Sache, Hilfe für das Assad-Regime und Feindschaft zu den USA beruht. Mit anderen Worten: Wenn der Iran republikanischer und weniger revolutionär wird, könnte er sich in einen normalen Staat verwandeln. In der Folge müsste (und könnte) sich eine Regierung stärker um innenpolitische Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut, Korruption und Missmanagement kümmern. Das würde die Gemäßigten im Iran stärken, die solche Probleme für dringlicher halten als die ständigen Auseinandersetzungen mit den USA. 
 

Rohani scheut sich nicht, das offen anzusprechen. Anfang dieses Jahres erklärte er vor den Revolutionsgarden: „Der Hauptfeind der Islamischen Republik Iran sind weder die USA noch Israel, sondern vielmehr Arbeitslosigkeit, Inflation, Anstieg der Lebenshaltungskosten, Wassermangel und Umweltkatastrophen. Dafür müssen sofort Lösungen gefunden und umgesetzt werden.“ Zu behaupten, dass die USA und Israel nicht die größten Feinde des Iran seien, ist gleichbedeutend mit Blasphemie. Und noch schlimmer wird es, wenn diese Blasphemie vor den Revolutionsgarden geäußert wird. 
 

Der Präsident versucht sein Bestes, die Islamische Republik zu retten. Indessen sind seine konservativen Rivalen darauf konzentriert, den Iran als revolutionären Staat zu erhalten. Die Realitäten sprechen gegen Rohani, auch nach dem jüngsten Atomabkommen. So bedauerlich das vor allem für die Iraner selbst ist: Man sollte nicht allzu große Hoffnungen auf ihn setzen. Ihm sind die Hände gebunden.

Meir Javedanfar ist Dozent am Interdisciplinary Center (IDC) in Herzliya, Israel.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2015, S. 8-13

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