Kommentar

18. Juni 2024

Budget-Einschnitte: Treibt die FDP Deutschland in den außenpolitischen Selbstmord?

Hinter den Kulissen des alljährlichen Haushaltstheaters droht sich die Bundesregierung eine folgenschwere außenpolitische Selbstverstümmelung zu verordnen, deren Folgen vor allem die Nachfolger und das Land zu tragen hätten.

Bild
German Finance Minister Christian Lindner gestures as he answers lawmakers' questions during a session of the lower house of parliament, the Bundestag, in Berlin, Germany, February 21, 2024.
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Finanzminister Christian Lindner will insgesamt zwischen 20 und 30 Milliarden Euro einsparen. Die Beiträge, die er dabei vom Außen- und Entwicklungssetat zu erzwingen versucht, würden zwar gemeinsam nicht einmal ein Zehntel dieser Summe ausmachen. Die wirksame Vertretung deutscher Interessen und Verantwortung im Ausland wären aber völlig demoliert. Denn was aus Sicht des Finanzministers wie Kleingeld aussehen mag – eine Milliarde hier, eineinhalb dort, in einem Gesamthaushalt von über 470 Milliarden Euro, erwirtschaftet aus einem Bruttoinlandsprodukt von etwa 4,4 Billionen Euro – ist ein großer Teil der Kernsubstanz Deutschlands internationalen Einflusses. 

Das Finanzministerium begründet die Kürzungen mit dem Prinzip, die internationalen Etats auf ein sogenanntes „Vorkrisenniveau“ von 2017 bis 2019 zurückzuführen. Das ist schon beim Blick in die Fernsehnachrichten absurd: Weder den Ukraine- noch den Gazakrieg hat der Finanzminister abgeschafft, vom hierzulande völlig vergessenen Krieg im Sudan ganz zu schweigen. Darüber hinaus ist die Vorstellung naiv, dass in den kommenden Monaten und Jahren keine neuen Krisen mehr hinzukommen – dafür reicht der Blick auf eine mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump als US-Präsident, auf die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China, die Eskalationsrisiken in der Westbalkanregion und die russische Bedrohung für Geor­gien und Moldau. Hinzu kommen die Sahelzone, Äthiopien und all die Regionen mit zusätzlichen Konfliktrisiken, die sich aus der fortschreitenden Klimakrise ergeben. 

Das Argument der Rückführung auf ein Niveau von 2017 bis 2019 ist nicht nur unklug, sondern – leider – fast schon Realität: Angesichts der hohen Inflation der vergangenen Jahre (in vielen anderen Ländern, wo ein Teil dieser Mittel ausgegeben wird, liegt er noch viel höher als bei uns) verdecken die hohen nominellen Zahlen die Tatsache, dass die Kaufkraft – also das, was wir uns als Deutschland praktisch außen- und entwicklungspolitisch kaufen können für diese Haushaltsmittel – bereits im laufenden Jahr unter das Niveau der Jahre vor der Corona-Pandemie gesunken sein dürfte. 

Das ganz genau auszurechnen, ist ohne sehr exakte Daten über die Verteilung der Kosten auf unterschiedliche Länder (die nicht veröffentlicht werden) nicht möglich. Denn praktisch geben beide Ministerien einen Teil ihrer Gelder in Deutschland aus – für Personal, Gebäude und so weiter – und einen anderen, größeren Teil im Ausland. Die Grafik zeigt diesen Zusammenhang als Flächen zwischen einer Minimal- und einer Maximalschätzung entlang der deutschen und der weltweiten Inflation, gedämpft um die Wechselkurseffekte zugunsten des Euro. Praktisch dürfte die Kaufkraft der internationalen Budgets innerhalb des markierten Korridors liegen. Zum Vergleich: Die Zahl der gewaltsam Vertriebenen weltweit hat sich nach UNHCR-Angaben von 4,5 Millionen (2017) auf über 13 Millionen (2024) verdreifacht. Die Krisen werden also nicht weniger. 

Bild


In der Entwicklungszusammenarbeit stehen für das nächste Jahr praktisch vor allem die Mittel zur Klimaanpassung und Krisenreaktion auf dem Spiel, also gerade die Investitionen in die Prävention weiterer Klimawandel-­induzierter Gewalt und die kurzfristige Finanzierung von Übergangshilfen, um die betroffenen Menschen nach ­Katastrophen wieder in die Lage zu versetzen, für sich selbst zu sorgen. Fast alle anderen Programme sind für mehrere Jahre rechtssicher zugesagt, hier könnte der deutsche Staat nicht so einfach seine Verträge mit Partnerregierungen und Umsetzungspartnern aufkündigen. Das folgt aus der entwicklungspolitischen Grundlogik, die auf langfristiger Unterstützung bei transformativen Veränderungen beruht, die eher Generationen brauchen als nur ein paar Jahre. 

Dauerkrise und schwache Partner

Noch krasser würde sich die Kürzung beim Auswärtigen Amt auswirken: Die von Lindner geforderte Reduzierung auf 5,1 Milliarden Euro für 2025 entspricht einem Minus von fast einem Viertel (23 Prozent) gegenüber 2024. Nun hat Baerbocks Ressort aber dieses Jahr auch schon krachend gespart, und im Vergleich zu 2023 – Start des Sparkurses – würden sich die Einsparungen auf 2,4 Milliarden Euro oder 32 Prozent summieren. Und das bei einem Ressort, das in den vergangenen Jahren erst mühsam damit begonnen hat, sich auf eine Welt in Dauerkrise und immer schwächere Partner einzustellen.

Fast ein Drittel des Haushalts für das Auswärtige Amt wegzukürzen hieße, dass überall der Rotstift regieren würde: Botschaften würden geschlossen, aber vor allem müssten die humanitäre Hilfe, die Krisenpolitik, die Goethe-Institute nochmal radikal zusammengestrichen werden, denn das meiste andere ist entweder nicht kurzfristig zu kürzen oder sowieso schon ein sehr kleiner Posten. 

Der einzige Weg, noch einmal über eine Milliarde Euro einzusparen, wäre die humanitäre Hilfe. Weltweit wachsen die Bedarfe, die Hilfswerke sind unterfinanziert; doch wenn Finanzminister Lindner sich durchsetzt, müsste Deutschland seine Hilfen sowohl bei akuter Nothilfe als auch bei Krisenprävention und Konfliktbewältigung um etwa ein Drittel kürzen. Die Folge wären fast 1,3 Milliarden Euro weniger bei der humanitären Hilfe, etwa 100 Millionen Euro bei Stabilisierung und Prävention: Das sind Kleinbeträge im Vergleich zu Verteidigungs- oder Sozialhaushalten, aber entscheidende Bausteine der deutschen Außenpolitik.

Die Konsequenzen derart tiefer Einschnitte wären enorm: Zunächst einmal menschlich – viele Tausend Menschen, die durch die immer löchrigeren Sicherungsnetze des humanitären Systems und der Krisen- und Konfliktbearbeitung fallen würden, verhungern oder fliehen. Dann politisch – es wäre ein Kahlschlag für Deutschlands Einfluss in der Welt. Erst vor zwei Jahren hat diese Bundesregierung den besorgten Regierungen in Afrika, Asien und Lateinamerika versprochen, dass die Mehrkosten für den Krieg in der Ukraine gerade nicht zu Lasten der Hilfen für diejenigen Krisen gehen würden, von denen sie jeweils viel direkter betroffen sind als wir. 

Dieses Versprechen war angesichts der durch den Wegfall ukrainischer Getreideexporte ausgelösten Ernährungskrise zentral dafür, Mehrheiten in den Vereinten Nationen für die zumindest politische und rechtliche Aufrechterhaltung der Grundregeln internationaler Ordnung zu bewahren. Das Ergebnis waren erfreulich große Mehrheiten, die Russlands Angriffskrieg zusammen mit den Staaten des Westens verurteilt haben. Und zwar trotz des großen Ärgers, der gegenüber den reichen Ländern wegen deren egoistischem Umgang mit Corona-Impfstoffen bestand. Ob Deutschlands relative humanitäre Großzügigkeit im Vergleich zum Beispiel zu den Golfmonarchien „fair“ ist, ist dabei egal: Einmal verloren, sind Vertrauen und Einfluss nur noch teurer wiederzuerlangen.

Internationales Ansehen und Einfluss in der Welt sind keine Wohlfühlthemen. Hilfe ist nicht allein moralisch geboten, im Gegenteil. Die heutige Welt ist nicht mehr die der 1990er oder 2000er Jahre, als deutsche Außenpolitik im Kern den USA, Frankreich und Großbritannien hinterhergelaufen ist. Die USA ziehen sich seit Jahren aus Europa und seinen Nachbarregionen zurück, mit der möglichen Wiederwahl von Donald Trump wird sich Berlin nicht auf die Weiterführung der derzeit guten Zusammenarbeit mit Washington verlassen können. Die Briten haben sich durch den Brexit selbst verzwergt; und die Franzosen sind nicht nur, wie wir Deutschen, allein zu schwach zur Führungsmacht, sondern auch – siehe Sahelregion – längst nicht immer auf dem richtigen Weg. Nachdem Deutschland nicht allzu viel Hard Power hat, sind sowohl die vielen deutschen Botschaften als auch die großzügigen Hilfen im Krisenfall dringend nötige Investitionen in eine Soft Power, ohne die Deutschland seine Interessen in Zukunft nicht wird verteidigen können.

Es stimmt ja, was FDP-Chef Lindner vor der letzten Bundestagswahl immer wieder verlangt hat – dass Deutschland nicht nur die von der NATO geforderten 2 Prozent in Verteidigung, sondern eher 3 Prozent insgesamt „in Verteidigung, aber auch in Diplomatie und Entwicklungspolitik als Maßnahmen zur Krisenprävention“ investieren müsste (ntv, 23.7.2019). Das gilt umso mehr, seitdem uns Wladimir Putin schmerzhaft daran erinnert hat, dass Europa keine Insel der Seligen, sondern konkreten Bedrohungen ausgesetzt ist. 

„Im Kern“, so Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022, „geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf (…) oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen. Das setzt eigene Stärke voraus.“ Eigene Stärke gibt es aber nicht umsonst, und sie lässt sich nicht von Jahr zu Jahr entlang der Steuereinnahmen auf- oder abbauen. Sie erfordert auch eine stärkere Wirkungsorientierung – hier gibt es in der Außen- und Entwicklungspolitik Nachholbedarf, nur wird aus dem Kaputtsparen kein Effektivitätsgewinn erwachsen – siehe Großbritannien.

Alle Bausteine internationaler Stärke stehen in diesem Haushaltsstreit auf dem Prüfstand. Dass der Verteidigungsminister nicht wie die Außen- und Entwicklungsministerinnen sparen soll, reicht auch nicht: Das Sondervermögen wird bald aufgebraucht sein, die damit angeschafften neuen Systeme werden in den Folgejahren erhebliche zusätzliche Betriebs- und Erhaltungskosten mit sich bringen. Hier fehlen mehrere Dutzend Milliarden zusätzlich. 

Dagegen sind die Summen, um die Lindner die deutsche Diplomatie und Entwicklungspolitik kleinsparen will, vergleichsweise gering – bei einer Differenz von 15 bis 20 Milliarden Euro wird er mit den geforderten 2,5 Milliarden aus der Außen- und Entwicklungspolitik sowieso keinen großen Sparerfolg erringen können. Wohl aber würde er die Axt an Deutschlands internationale Stärke legen.

Für Vollzugriff bitte einloggen.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2024, S. 110-112

Teilen

Mehr von den Autoren

Philipp Rotmann

Wandel muss wehtun!

Die von der Ampel vereinbarte „feministische Außenpolitik“ stellt die Diplomatie vor große Herausforderungen. In der Praxis braucht sie Härte nach Innen, Zuhören nach Außen und eine bessere Analyse der gesellschaftlichen Gegebenheiten vor Ort.

Philipp Rotmann ist Direktor beim Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin und leitet dessen Arbeit in der Friedens- und Sicherheitspolitik. Sein Buch „Krieg vor der Haustür“ (mit Sarah Brockmeier) erschien 2019.

0

Artikel können Sie noch kostenlos lesen.

Die Internationale Politik steht für sorgfältig recherchierte, fundierte Analysen und Artikel. Wir freuen uns, dass Sie sich für unser Angebot interessieren. Drei Texte können Sie kostenlos lesen. Danach empfehlen wir Ihnen ein Abo der IP, im Print, per App und/oder Online, denn unabhängigen Qualitätsjournalismus kann es nicht umsonst geben.