Brief aus...

01. März 2021

Bsssss

Trumps Abgang versöhnt Washington, doch die Rückkehr zur Normalität hält nur dem ersten Blick stand.

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Bild: Zeichnung Statue A. Lincoln
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Manchmal wandert mein Blick reflexhaft noch dorthin, wo in der Ära Trump das Leben tobte. Es macht Bsssss, ich schaue und erst dann merke ich: Eine neue Zeit hat begonnen.



Das Surren meines Handys war der Puls der Trump-Zeit. Als pflichtbewusster Korrespondent hatte ich einen Alarm auf dem Smartphone eingerichtet, der immer anschlug, wenn der US-Präsident einen Tweet absetzte. Trump prahlte, während er Frühstücksfernsehen schaute, er sei der größte Präsident aller Zeiten – bsssss. Trump drohte dem NATO-Partner Türkei mit der „wirtschaftlichen Auslöschung“ – bsssss. Trump log über den angeblichen Wahlbetrug – bsssss. Mittags beim Essen, abends auf dem Sofa, nachts im Bett: bsssss, bsssss, bsssss.



Wenn ich jetzt auf das surrende Handy schaue, finde ich eine SMS aus der Heimat, eine Eilmeldung der New York Times – und manchmal auch gar nichts. Ich leide wohl an einem mittelschweren Fall des Phantomsummens. Die Jahre mit Trump sind an niemandem spurlos vorbeigegangen. Die Sache mit dem Handy ist nur eine der vielen kleinen und großen Geschichten, die davon erzählen, wie sich der Ausnahmezustand namens Trump aus dem Leben hier in Washington verabschiedet. Vier Jahre lang hing die Hauptstadt an den Tweets, den Launen, den Drohungen des Präsidenten.



Die ersten Wochen zurück in der neuen Normalität umwehte ein kleiner Zauber. Für uns Journalisten kehrte so etwas wie Planbarkeit ins Leben zurück. Unter Trump war bekanntlich stets mit allem zu rechnen. Die wenigen Pläne, die er hatte, warf er meist über den Haufen, aus blanker Angst, auch nur ein paar Stunden einmal nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.



Es war aufregend, aber zusehends ermattend und gegen Ende immer schlechter auszuhalten, je mehr Energie der Präsident aufwendete, um sowohl die Corona-Bekämpfung als auch die Demokratie selbst zu hintertreiben. Bei Joe Biden hingegen weiß man meist schon am Sonntagabend, was die Woche im Weißen Haus bringen wird. Die Pressekonferenzen finden wieder täglich statt, konfrontativ, so wie es sein soll, aber ohne Beschimpfungen und Verachtung. Es geht dabei sogar wieder um Inhalt. Es wird nach Plan regiert, statt per Tweet Regieren zu simulieren. Der Fokus liegt auf tatsächlichen Problemen wie dem Kampf gegen Covid-, Wirtschafts- und Klimakrise und nicht länger auf Fantasien des Regenten. Das mag am Ende nicht genug sein, aber es ist so viel mehr als in den Vorjahren.



Dementsprechend erleichtert ist die Stimmung in Washington. In der Hauptstadt, die zu 92 Prozent demokratisch gewählt hatte, war das kollektive Aufatmen wochenlang förmlich zu hören. Das Gefühl hielt so lange an, weil der Machtwechsel so traumatisch abgelaufen war.



Da war die erste emotionale Entladung, die am 8. November rund ums Weiße Haus stattfand, nachdem die Medien Biden nach Tagen des Zitterns zum Sieger erklärt hatten: Sektkorken knallten, „You’re fired“-Plakate wurden geschwenkt. Doch schon ein paar Stunden später erklärte Trump: In Wahrheit habe nicht Biden, sondern er selbst gewonnen. Der Auftakt zur groß angelegten Lügengeschichte, die im 6. Januar gipfelte. Es war der Tag, an dem Bidens Sieg im Kongress letztmalig besiegelt wurde und die Demokraten nach der Nachwahl in Georgia offiziell die Senatsmehrheit zurückeroberten. Aber es war niemandem zum Feiern zumute, weil der Trump-Mob das Kapitol stürmte.



Erst nach der Inauguration Bidens setzte wahre Erleichterung ein. Washington und Trump – sie dienten einander als Feindbild. Washington und Biden – das ist eine Art Wiedervereinigung von Präsident und Hauptstadt. Am Sonntag nach der Amtseinführung, als ich gerade an meinem Bagel-Laden ankam, fuhr die Wagenkolonne des Präsidenten vor. Biden winkte durch die Scheibe, schickte seinen Sohn Hunter mit einem Geldschein an den Tresen. Auf der Straße bildete sich umgehend eine Traube Schaulustiger. Die leuchtenden Augen, die staunenden Blicke haben sich mir eingeprägt. Sie sagten: Wir haben wieder einen Präsidenten. Biden hatte nach vier Tagen bereits so viele Mahlzeiten in der Stadt zu sich genommen wie Trump in vier Jahren – der Ex-Präsident speiste nur einmal außerhalb des Weißen Hauses. Steak im Restaurant des Trump-Hotels. Es sind solche kleinen Gesten, die die Stadt versöhnt haben.



Aber: Diese Normalität regiert nur oberflächlich. Allein Sperrzäune und Stacheldraht, die noch Wochen nach dem Machtwechsel das sonst so nahbare Kapitol umgeben, sind eine lebendige Erinnerung an das Drama vom 6. Januar und Symbol für die Wunden, die dieser Sturm Washington zugefügt hat. Auch als ich Wochen später mit Kongressmitarbeitern sprach, waren ihre Erschütterung und das Trauma noch zu greifen.



Trump selbst war zunächst in Florida abgetaucht, doch halten der Irrsinn und die Lust an Verschwörungstheorien, denen er Tür und Tor öffnete, die Republikaner gefangen. Der Trump-Flügel der Partei fühlt sich gar im Aufwind. Der Markt für ihre Fantasien ist weiterhin riesig, von vielen Medien wird er weiter eifrig bedient.

In Washington ist die Versuchung groß, das einfach zu vergessen. Immerhin ist der offenkundige Wahnsinn ja sowohl aus dem Weißen Haus wie aus dem ständigen Bewusstsein zunächst abgewandert. Auch Biden twittert natürlich, allerdings nicht im Affekt, sondern via von Beratern sorgsam durchkomponierten Botschaften – professionell, etwas langweilig und vor allem: keinen Alarm auf dem Handy wert.

 

Fabian Reinbold ist der US-Korrespondent von t-online und Autor des Newsletters „Post aus Washington“.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2021, S. 114-115

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