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02. Sep 2024

Brief aus Durban: Südafrikas neue Regierung vor großen Herausforderungen

Reset der Hoffnung? Die neue Regierungskoalition in Südafrika muss spürbare Verbesserungen bringen.  

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Bild: Zeichnung Haus in Durban
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Auf einer Verkehrsinsel, inmitten einer chaotischen Kreuzung in Durban, stehen zwei Polizisten neben ihrem Streifenwagen. Dort, wo Junkies regelmäßig Autofenster einschlagen, um eine Tasche oder ein Handy zu erbeuten – und wo Polizisten in den letzten Jahren nur auftauchten, nachdem mal wieder etwas passiert war. Doch diesmal scannen meine Augen das Umfeld ohne Ergebnis. Nichts ist geschehen, und die Beamten sollen offenbar sicherstellen, dass es auch so bleibt. Einen Moment lang bin ich darüber verblüfft, denn Polizisten als Ordnungshüter waren rar in den vergangenen Jahren. Ihre Abwesenheit gehörte zu den prägendsten Eindrücken der Massenplünderungen und Ausschreitungen, die sich im Juli 2021 von Durban bis nach Johannesburg ausgeweitet hatten. Anarchische Zustände, die den Einwohnern bis heute in den Knochen stecken und von denen sich viele Geschäftsleute der Hafenstadt nicht erholt haben. Es ging, wie so oft in der Provinz KwaZulu-Natal, um Jacob Zuma. 

Damals spielte der Haftantritt des Ex-Präsidenten eine entscheidende Rolle. Mittlerweile hat seine Partei, der African National Congress (ANC), ihm die Mitgliedschaft entzogen. Zuma ist Kopf der neuen ethno-nationalistischen Partei ­uMkhonto weSizwe (MK), deren Anhänger gern Stärke in Tarnfleck-Uniformen demonstrieren. Zuma zieht einen ganzen Rattenschwanz an Korruptionsvorwürfen, Anklagen und anhängigen Prozessen hinter sich. Der südafrikanische Journalist Max du Preez warnt in einem Zeitungsartikel von Anfang Juni vor einem Mann, der „mit Mord davongekommen“ sei. „Er war der Teflon-Mann, der starke Mann der ­Zulus, mit dem sich niemand anlegen wollte.“ Und der wolle Südafrika nun unregierbar machen. Rund um den Wahltermin waren die Sicherheitsbehörden in Alarmbereitschaft und die Angst vor Ausschreitungen verbreitet, vor allem in Zumas Heimatprovinz. Nachbarn deckten sich mit Konserven und Benzinvorräten ein. 

Die MK-Partei wurde bei den Parlaments- und Provinzwahlen Ende Mai mit fast 15 Prozent drittstärkste politische Kraft in Südafrika und mit gut 45 Prozent Wahlsieger in KwaZulu-Natal. Doch die Partei und ihre Anhänger sprechen von Wahlfälschung, auch kürzlich wieder bei einem Protestmarsch durch Durban. Koalitionsverhandlungen wollte die MK-Partei zunächst ignorieren, ihre Parlamentsabgeordneten ließen sich erst verspätet vereidigen. Heute regiert die MK-Partei weder in Zumas Heimatprovinz noch in Pretoria mit: Ihre politischen Gegner haben ein Bündnis aus Zumas MK und den linken Economic Freedom Fighters verhindert. 

In einem politischen Kraftakt wurden Koalitionen ohne ihre Beteiligung geschmiedet. In Pretoria regiert nun mit einer „Regierung der nationalen Einheit“ ein breites Koalitionsbündnis, an dem mit ANC und Demokratischer Allianz (DA) insgesamt elf Parteien beteiligt sind, neun von ihnen stellen Ministerinnen, Minister oder deren Stellvertretende. 

In KwaZulu-Natal regieren vier Parteien gemeinsam, auch sie betonen die Bedeutung politischer und gesellschaftlicher Einheit. Dies sei „die Gelegenheit, den Reset-Knopf zu drücken“, sagte der neue Provinz-Premier Thami Ntuli von der In­khata Freedom Party. Das gelte auch für die Sicherheit in seiner Provinz, die einen Ruf als „Hauptstadt der Auftragskiller“ habe. Ntuli spricht damit neben der hohen Gewaltkriminalität auch die große Zahl politischer Morde an. Südafrika habe gute Gesetze, die es nur anwenden müsse. Das war lange nicht der Fall. Wie auch Staatspräsident Cyril Ramaphosa verspricht Ntuli ein Ende der Korruption und einen effektiven Staat, der sich an konkreten Ergebnissen messen lassen will. Explizit forderte er seine Beamten dazu auf, „nicht länger zu spät zur Arbeit zu kommen, Anrufe zu beantworten und auf Korrespondenz zu reagieren“. Zurück zu den Basics also.


Die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Geld ist knapp

„Es ist erstaunlich, was möglich ist, wenn die Leute einfach nur ihren Job machen“, sagte eine Freundin kürzlich, als wir über die ersten spürbaren Auswirkungen des neuen Regierungsstils sprachen. Innerhalb von Tagen wurden beispielsweise Arbeitsvisa ausgestellt, auf deren Verlängerung die Antragsteller teils seit Jahren gewartet hatten. Doch bislang gibt es mehr Worte als Taten, und auf letztere kommt es mehr denn je an. Die Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent ist in Städten wie Durban spürbar, zum Monatsende leeren sich die Straßen der Innenstadt und die Einkaufszentren zunehmend – dann, wenn vielen in Südafrika das Geld ausgeht. Es sind dürre Wochen, bis sich zum Monatsersten wieder lange Menschenschlangen vor den Geldautomaten bilden, wenn Kindergeld oder Renten ausgezahlt werden. Südafrika hat mehr Sozialhilfeempfänger als Steuerzahler. 

Der südafrikanische Finanzminister Enoch Godongwana (ANC) hält im neuen Etat an den Plänen für einen umfassenderen Zuschuss zu einem Grundeinkommen fest, ohne jedoch Details oder einen Zeitrahmen zu verkünden. Die Parteien von Südafrikas „Regierung der nationalen Einheit“ sind sich über dieses Thema uneins. Und auch andere ANC-Projekte, wie die Einführung einer staatlichen Gesundheitsversicherung, sind umstritten. Noch ist das Bemühen zu Kompromissen spürbar, aber die Härtetests für die Koalition stehen noch bevor. Die ideologischen Gräben sind nicht verschwunden, die Herausforderungen enorm und Zumas Anhänger bereit, Öl in jedes aufflackernde Feuer zu gießen. Zwei Polizisten, die „einfach ihren Job machen“, sind ein Anfang, aber Hoffnungsfunken allein werden nicht ausreichen. Südafrika braucht einen Reset der Hoffnung.

Dieser Artikel ist in der gedruckten Version unter dem Titel „Reset der Hoffnung" erschienen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2024, S. 114-115
 

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Leonie March lebt und arbeitet seit 2009 als freie Korrespondentin u.a. für Deutschlandfunk und Frankfurter Rundschau in Südafrika. Sie ist Mitglied bei weltreporter.net.

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