Kommentar

20. Okt. 2022

Berlins falsche Iran-Politik: Warum ein ­Vergleich mit Russland hilfreich ist

Der russische Überfall auf die Ukraine erzwingt eine radikale Neuorientierung der deutschen Außenpolitik. Angesichts der Ereignisse im Iran mahnt unser Autor eine „Zeitenwende“ auch in der Iran-Politik Berlins an. 

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Bild: Grafische Illustration eines Schwertes dessen Spitze in einen Stift übergeht
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Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der im Anschluss von Bundeskanzler Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ steht die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik nicht nur vor einer vollkommenen Neuausrichtung, sondern vor den Trümmern ihrer Russland-Politik der vergangenen 20 Jahre. Die Realität kann nicht länger ignoriert werden; auch der Blick auf China und die fatale Anhängigkeit, in die sich ganze Zweige der deutschen Industrie und damit die deutsche Volkswirtschaft insgesamt gebracht haben, ist endlich Gegenstand einer breiten öffentlichen Diskussion. Dagegen kann von einem Umdenken mit Blick auf den Umgang mit dem Iran keine Rede sein.

Ganz im Gegenteil: Der Iran ist in der Debatte um die „Zeitenwende“ entweder vollkommen abwesend, oder es werden nur jene Konzepte und Ideen wiederholt, die die deutsche Iran-Politik seit Jahrzehnten prägen. Das wird aber nicht nur der Gefahr nicht gerecht, die vom Iran ausgeht. Es steht vielmehr zu befürchten, dass die gleichen Fehler gemacht werden wie im Falle Russlands – und das trotz aller offensichtlichen Parallelen.

Da ist zum einen die Vorstellung, dass man über ökonomische Verflechtung und stete Diplomatie zu einer innen- wie außenpolitischen Liberalisierung beitragen könnte. Es sei angemerkt, dass „Wandel durch Handel“ historisch zumindest Erfolge vorweisen konnte, etwa mit der Anerkennung der Menschenrechte im Abschluss der Helsinki-Schlussakte, auf die sich dann russische Dissidenten beriefen. Im Gegensatz dazu kann der „Kritische Dialog“ mit Teheran, mit dem ähnliche Ziele verfolgt werden, seit über drei Jahrzehnten keinerlei Erfolge verzeichnen. Die Menschenrechtslage im Iran ist nach wie vor katastrophal, daran hat sich auch unter dem hierzulande als „Reformer“ geltenden Hassan Rouhani nichts geändert. Unter Präsident Ebrahim Raisi wird sich die Menschenrechtslage eher noch verschlimmern, wie die vergangenen Wochen gezeigt haben.

An Stabilität in Nahost hat Teheran kein Interesse

Beide Konzepte sind indes nicht nur mit Blick auf die Innenpolitik gescheitert. Gleiches gilt auch für die Außenpolitik beider Länder: Hier wird die unlängst von Norbert Röttgen in einem Interview angeprangerte Realitätsverweigerung besonders offensichtlich. Im Falle Moskaus galt entgegen jeder Evidenz in Berlin und anderen westlichen Hauptstädten das Mantra, dass es in Europa keine Sicherheit gegen Russland gäbe. In der Debatte über den Iran dominiert bis heute die Vorstellung, dass das Land ein Partner bei der Stabilisierung des Nahen Ostens sein könnte. Das ist umso erstaunlicher, als das iranische Regime keinen Zweifel daran lässt, dass eine Stabilisierung der Region überhaupt nicht in seinem Interesse ist. Erst Instabilität und gescheiterte Staatlichkeit eröffnen dem schiitischen Regime die Räume für seine Interventionen in den mehrheitlich sunnitischen Nachbarstaaten. Im Irak, im Jemen, in Syrien und nicht zuletzt im Libanon ist es gerade Teheran, das mit den Revolutionsgarden und den ihr unterstellten oder verbündeten schiitischen Milizen systematisch jegliche Stabilisierung verhindert und dabei schwerste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit begeht.

Ähnlich wie Putins Russland mit Blick auf die Ukraine und Georgien hat das Khamenei-Regime keinerlei Interesse an Stabilität oder Demokratisierung in seiner Nachbarschaft. Beide begreifen eine solche Entwicklung, vollkommen zu Recht, als Gefahr für die eigene Herrschaft, könnten die eigenen Bürgerinnen und Bürger doch ebenso Demokratie und Menschenrechte einfordern und sich dem Westen zuwenden.

Es ließen sich weitere Beispiele anführen. Im Kern aber steht die Auffassung, dass ein Vergleich sehr lohnenswert ist, lassen sich doch daraus Erkenntnisse für den Umgang mit dem Iran ableiten.

Das falsche Ausblenden der Ideologie

Ganz wesentlich: Der Faktor Ideologie muss von der deutschen Außenpolitik endlich ernstgenommen werden. Auf der anderen Seite eines Verhandlungstisches sitzen zuweilen Regime und Akteure, deren Interessen auf irrationalen Ideen und Prämissen basieren, an denen klassische Diplomatie scheitern muss.

Im Falle Putins wird dieses Ignorieren des Faktors Ideologie deutlich, in seinem Fall die Verneinung des Existenzrechts der Ukraine. Weder die Annexion der Krim 2014 noch die Publikation von Putins historisch und politisch wirrem Traktat „Über die historische Einheit der Russen und Ukrainer“ oder der beginnende Aufmarsch an der Grenze seines Nachbarlands im Sommer 2021 haben zu einer nennenswerten Reaktion in Berlin geführt. Unbeirrt sprach man in Westeuropa weiter über diplomatische Lösungen, statt zur Kenntnis zu nehmen, dass Putin, wie andere totalitäre Herrscher vor ihm, durchaus meint, was er sagt. Bis zuletzt schien unvorstellbar, dass Putin in seinem irrationalen und von imperialistisch-­revisionistischen Motiven geprägten Wahn tatsächlich in seinem Nachbarland einmarschiert. Und dass er dies sogar dann tun würde, obwohl ihm zwar spät, aber deutlich die katastrophalen ökonomischen und damit politischen Folgen seines Handelns aufgezeigt wurden. Es ist nicht davon auszugehen, dass frühere massive Waffenlieferungen an Kiew Putin vom Krieg abgehalten hätten, aber zumindest hätten diese die Ukraine in eine militärisch deutlich bessere Position zu Kriegsbeginn gebracht.

Dieses Versagen der Vorstellungskraft im Fall Putins hat an der deutschen Debatte über den Iran nichts geändert. Bis heute wird in Berlin kaum zur Kenntnis genommen, dass die antiwestliche, verschwörungsideologische und paranoide Weltsicht der Herrscher im Iran tatsächlich handlungsleitend ist. Die messianisch-apokalyptische Staatsideologie der Mullahs, in deren Zentrum ein eliminatorischer Antisemitismus steht, der auf die Vernichtung Israels und damit auf die Ermordung von Millionen von Juden hinarbeitet, wird nicht ernst genommen, sondern als Propaganda abgetan. Es stellt sich gerade in Deutschland die Frage, warum dies kaum Widerhall in der politischen Debatte findet. Was bedeutet denn das so oft beschworene Lernen aus der Geschichte, wenn ein Regime ankündigt, Millionen Juden ermorden zu wollen – und dies ausgerechnet hierzulande nicht als ernstzunehmende Drohung verstanden und entsprechend darauf reagiert wird?

Diplomatie braucht Hard Power

Der russische Überfall auf die Ukraine und die Vernichtungsdrohungen des iranischen Regimes gegenüber Israel sollten zu der Erkenntnis führen, dass Diplomatie auch gegenüber Teheran ohne Hard Power kaum Aussichten auf Erfolg hat. Es geht um harte Sanktionspolitik, kombiniert mit glaubwürdiger militärischer Abschreckung.

Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik hat in der jüngeren Vergangenheit in anderen Fällen im Umgang mit totalitären Akteuren durchaus die richtigen Schlüsse gezogen. So ist zum Beispiel vollkommen zu Recht niemand in Berlin auf die Idee gekommen, mit dem „Islamischen Staat“ oder Al-Kaida zu verhandeln. Dies ist kein Plädoyer für eine militärische Intervention gegen den Iran. Dennoch ist das Regime in Teheran nichts anderes als die schiitische und in Staatsform gegossene Form eines islamistischen und antisemitischen Fanatismus. Die Bundesregierung sollte dies endlich zur Kenntnis nehmen und daraus die notwendigen Schlüsse ableiten.

 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2022, S. 110-111

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Dr. Remko Leemhuis ist Direktor des American Jewish Committee Berlin.