Ausfuhr ist nicht alles
Dem Außenhandel verdankt das Land seinen Wirtschaftsboom der vergangenen 50 Jahre; heute scheint dem Modell langsam, aber sicher die Puste auszugehen. Mit zwei Gegenstrategien – forcierter Umstrukturierung der eigenen Volkswirtschaft und Absicherung der weltwirtschaftlichen Einbindung – will man dem entgegenwirken.
Der kometenhafte Aufstieg, den Südkorea seit den sechziger Jahren erlebt hat, gelang maßgeblich, weil Seoul auf eine außenorientierte Entwicklungsstrategie gesetzt hat. Die Konzentration auf Exporterfolge schuf bei allen Härten dieses Weges die Basis für eine stark wachsende Wirtschaft, auch über Krisen wie die Asien-Krise von 1997/98 und die globale Finanzkrise 2008/09 hinweg.
Dieses Modell stößt aber inzwischen an seine Grenzen, das Handelsvolumen sinkt: Sowohl Südkoreas Exporte als auch die Importe waren in den vergangenen Jahren rückläufig. Manches mag mit Zyklen und Sonderfaktoren zu erklären sein – viel spricht aber dafür, dass Südkoreas Volkswirtschaft sich auf ein Abebben der Globalisierungswelle einstellen und sich gegen Negativfolgen wappnen muss.
Zwischen 1966 und 2011 vertausendfachte sich der Außenhandel der Republik Korea von einer Milliarde auf eine Billion Dollar. Bei Industrieprodukten lag das Land 2014 im Ranking der Welthandelsorganisation (WTO) auf Rang 7 bei den Exporten und Rang 9 bei den Importen. Kurz: Lange war der Außenhandel Hauptmotor des „Tigerstaats“ – noch Anfang des neuen Jahrtausends trugen die Exporte 4 bis 5 Prozentpunkte jährlich zur zwischen 5 und 10 Prozent rangierenden Wachstumsrate bei. Heute macht dieser Beitrag nur noch 1 Prozentpunkt aus – bei Wachstumsraten, die der Internationale Währungsfonds (IWF) mittlerweile auf unter 3 Prozent schätzt.
Ein detaillierterer Blick auf den Außenhandel erlaubt Rückschlüsse auf die Hintergründe. Die Exporte gingen zwischen 2012 und 2015 um fast ein Zehntel zurück, von 603 auf 549 Milliarden Dollar. Die Importe schrumpften sogar noch stärker, von 554 auf 428 Milliarden Dollar. Für 2016 zeichnet sich noch keine Trendwende ab; vielmehr scheint sich das Globalisierungsmuster zu verändern: IWF und Weltbank warnten bereits 2014 vor einem „peak trade“. Ein Land wie Südkorea, dessen Wirtschaftsmodell wie wenige andere auf den Außenhandel fokussiert ist, dürfte die Auswirkungen besonders stark spüren.
Hausgemachte Ursachen
Aber es gibt auch hausgemachte Ursachen: Südkoreas Handel ist stark auf relativ wenige Partner konzentriert, allen voran China mit einem Exportanteil von 26 und einem Importanteil von 18 Prozent (2014). Bei den Exporten folgen die USA, die EU und Japan (mit 11, 9 bzw. 6 Prozent), bei den Importen Japan, die EU, die USA und dann Saudi-Arabien, mit 12, 11, 8 und 7 Prozent. Südkoreanische Firmen bemühen sich bereits, ihren Handel zu diversifizieren; bei Konsumgütern sind die ASEAN-Staaten inzwischen der zweitgrößte Absatzmarkt. Insgesamt hat sich aber noch wenig bewegt, was auch an der geringen Wachstumsentwicklung in vielen reifen Volkswirtschaften wie den USA und der EU liegt. Auch die Folgen der Brexit-Entscheidung machen sich bereits bemerkbar.
Ein anderer Grund für die Probleme sind veränderte Trends in den Wertschöpfungsketten: Gerade in Ostasien ist der südkoreanische Handel stark von Direktinvestitionen und dem Austausch im Zwischengüterhandel geprägt. Deshalb wirken sich Wandlungen in China besonders stark aus. Drei Faktoren kommen dabei zusammen: Erstens schwächt sich die chinesische Wirtschaftsentwicklung ab, verursacht auch durch Probleme mit dem eigenen Entwicklungsmodell; zweitens wird dieses Modell hin zur Stärkung des chinesischen Binnenmarkts rekalibriert; und drittens werden südkoreanische Vor- und Zwischenprodukte, die vorher eingeführt wurden, durch heimisch hergestellte Produkte ersetzt – kurz: Es vollzieht sich ein industrieller Strukturwandel. Modellrechnungen des IWF sehen für Südkorea vor diesem Hintergrund die Möglichkeit markanter Einkommenseinbußen und Reallohnrückgänge.
Ein ähnlicher Strukturwandel zeichnet sich auch im Handel mit Japan ab. Japanische Unternehmen sind stark in China und ASEAN-Ländern engagiert, mittlerweile werden viele Zwischenprodukte aber nach Japan reimportiert, zulasten südkoreanischer Zulieferer. Deren Anteil an den japanischen Importen von Industrieprodukten ist schon seit zehn Jahren rückläufig.
Südkoreas eigene Exportleistung hängt stark von Zulieferungen aus anderen Ländern ab. 2011 lag der Anteil von aus dem Ausland importierten Vor- und Zwischenprodukten bei Südkoreas eigenen Ausfuhren bei fast 42 Prozent; im Jahre 1995 waren es noch 22 Prozent. Zum Vergleich: Japan hatte 2011 nach WTO-Angaben einen Anteil von nur 15 Prozent.
Bei einem Blick auf die „einfachen“ Handelsdaten fällt zudem auf, dass Südkoreas Handel auf relativ wenigen Branchen fußt. So machen allein Elektromaschinen – die größte Exportbranche – fast ein Viertel (24 Prozent) der Güterausfuhren aus, gefolgt von Autos und Autoteilen. Dies macht die Wirtschaft anfällig für Trendwenden in der Weltmarktnachfrage und für Preisänderungen. Zugleich hat Südkorea ein „Sandwich-Problem“: Technologisch muss das Land immer noch daran arbeiten, den Anschluss an die führenden Länder zu finden, während gleichzeitig Schwellenländer „von unten“ nachdrängen, allen voran China. Bei der Importpalette fällt vor allem die große Bedeutung von Erd- bzw. Mineralöl auf (33 Prozent). Das Land ist dabei nicht nur Selbstverbraucher, sondern exportiert Ölprodukte auch wieder in verarbeiteter Form, als immerhin viertgrößte Ausfuhrbranche (9 Prozent für 2014), noch vor dem Schiffbau (knapp 7 Prozent). Die niedrigen Ölpreise haben die Importwerte deutlich gedrückt – allerdings auch, weniger stark, die Exportwerte.
Bedenklich hoher Handelsbilanzüberschuss
Weil sich die rückläufigen Importe in der Handelsbilanz stärker auswirken als die ebenfalls sinkenden Exporte, hat Südkorea beim Handelsbilanzüberschuss zuletzt noch zugelegt. 2015 lag er bei 7,75 Prozent des BIP, während er im vergangenen Jahrzehnt (1999–2009) bei 1,5 Prozent lag. Spiegelbild dieser Entwicklung ist ein starker Kapitalexport, der trotz jahrzehntelanger Auslandsverschuldung, um die eigene Entwicklung zu finanzieren, 2015 zu einer positiven Nettoinvestitionsposition gegenüber dem Ausland in Höhe von 14 Prozent des BIP geführt hat. Der bedenklich hohe Handelsüberschuss ist einigen Sonderfaktoren zuzuschreiben – dem niedrigen Ölpreis, aber auch der Alterung der Bevölkerung, womit größere Sparneigung bei begrenzten Investitionen im Inland einhergeht, was u.a. zu Sparüberhang führt. Selbst unter Anrechnung solcher Sonderfaktoren kommt der IWF zu dem Ergebnis, dass der Handelsbilanzüberschuss um etwa 3 Prozentpunkte „zu hoch“ liegt.
Zur Abhilfe empfiehlt der IWF eine Stärkung der binnenwirtschaftlichen Kräfte, auch um die heimischen Investitionen zu stärken. Die Argumente ähneln denen in der Debatte um die (zu) hohen deutschen Handelsüberschüsse: Sind sie ein hausgemachtes Problem und sollten sie durch eine Nachfragestärkung im Inland, auch mittels höherer Verschuldung des Staates, überwunden werden? Oder wäre eine staatlich betriebene Unterstützung der Binnenwirtschaft gefährlich, wenn sie die Anreizstruktur der Wirtschaft schwächt? Häufig wird übersehen, dass die übermäßige Versorgung der Weltwirtschaft mit Liquidität sowie extreme Niedrigzinsen zu schuldenfinanziertem und nicht nachhaltigem Konsum einladen. Dies führt dann in frugalen Ländern wie Deutschland und Südkorea zu Überschüssen.
In Sachen Wechselkurs verfolgt Südkorea eine flexible Politik. Währung und Außenwirtschaft bleiben anfällig für Schocks, etwa den Effekt der „Abenomics“, der seit Ende 2012 betriebenen japanischen monetären Expansionspolitik, die zu einer Abwertung des Yen auch gegenüber dem südkoreanischen Won geführt hat. Auch destabilisierende Ereignisse in Nordkorea führen schnell zu – temporären – Kapitalabflüssen und wirken sich auf den Won aus. Angesichts von Währungsreserven in Höhe von 370 Milliarden Dollar (Stand: Juni 2016) – den siebtgrößten der Welt – und der Tatsache, dass ausländische Anlagen weniger kurzfristig als früher sind, besteht kein Anlass, sich über eine neuerliche Währungskrise Sorgen zu machen. So sah es auch jüngst der IWF. Außenwirtschaftliche Risiken bleiben aber virulent.
Zwei Strategien gegen außenwirtschaftliche Risiken
Nun kann eine offene, vergleichsweise kleine Volkswirtschaft wie Südkorea daran nicht grundsätzlich etwas ändern. Um die eigene Position dennoch zu verbessern, reagiert das Land auf zweierlei Weise: zum einen mit einer binnenwirtschaftlichen Neujustierung der Wirtschaftspolitik, zum anderen mit einer stärkeren institutionellen Absicherung seiner weltwirtschaftlichen Einbindung.
Eine erste Strategie ist auf die Intensivierung des Strukturwandels im Innern gerichtet. Wichtige Stichworte sind Investitionen in Forschung und Entwicklung, Überwindung der markanten Produktivitätslücke im Dienstleistungsbereich, eine gestärkte Rolle für kleine und mittlere Unternehmen, ein funktionstüchtiger Wettbewerb für Großkonzerne sowie eine Abfederung der Einkommensunterschiede. Viele dieser Aspekte versucht die Regierung unter dem Oberbegriff der Entwicklung einer „Kreativwirtschaft“ zu verfolgen. Ob dieses Schlagwort die nächsten Präsidentenwahlen, die Ende 2017 anstehen, überstehen wird, ist aber offen. Allerdings ist es bemerkenswert, wie klar das Land jenseits zermürbender parlamentarischer Querelen die langfristigen Herausforderungen für seine Wirtschaftspolitik im Blick zu behalten weiß.
Auch die zweite Strategie wird nicht immer gradlinig verfolgt. Bis Ende der neunziger Jahre setzte Seoul im internationalen Handel vor allem auf den multilateralen Ordnungsrahmen – also vornehmlich auf die WTO. Nach dem Scheitern des Neustarts einer WTO-Runde in Seattle 1999 rückten dann aber bilaterale Freihandelsabkommen in den Vordergrund; allerdings zeigte sich Südkorea hier zunächst nicht gerade ambitioniert, als es beispielsweise ein erstes solches Abkommen mit dem fernen Chile (2004) abschloss. Auch die 2007 folgende Vereinbarung mit den ASEAN-Staaten blieb noch recht eindimensional.
Vor zehn Jahren begannen dann Verhandlungen sowohl mit den USA als auch mit der EU, bei denen es auch um vertiefte Fragen ging: nichttarifäre Handelshemmnisse etwa oder eine stärkere Öffnung „schwieriger“ Sektoren wie der Landwirtschaft. Seoul wollte mit den Abkommen zugleich den Strukturwandel forcieren, entsprechend stark waren die Widerstände in der Bevölkerung. Das Abkommen mit der EU ist seit 2011, das mit den USA seit 2012 in Kraft. Beide sind sehr umfassend und sehen weitgehende Zollbefreiungen vor, im Falle des EU-Südkorea-Abkommens sollten binnen fünf Jahren 99 Prozent aller Zölle gefallen sein. Bilaterale Arbeitsgruppen in verschiedenen Feldern, etwa der Autoindustrie, stimmen sich über Regulierungsfragen und Umsetzungsprobleme ab, was gerade bei innovativen Produkten wichtig ist.
Ausweitung des Handels durch Abkommen
Aus südkoreanischer Sicht ist binnen vier bzw. fünf Jahren eine erfreuliche Ausweitung des Handels zu konstatieren. Aus Sicht der USA dagegen hat sich der Export insgesamt nicht erhöht, wenngleich einige amerikanische Industriebranchen von dem Abkommen profitiert haben. Das US-Handelsdefizit hat sich ausgeweitet. Im EU-Südkorea-Handel hat sich dagegen das einstige EU-Defizit in einen Überschuss verwandelt. Seit Inkrafttreten sind die europäischen Exporte um 55 Prozent gestiegen. In umgekehrter Sicht war Südkorea nicht ganz so erfolgreich, was mit der schwachen europäischen Konjunktur und der Wechselkursentwicklung zusammenhängt, aber auch mit eigenen Strukturproblemen. Eine Problembranche ist etwa der Schiffbau, dessen Exporte nach Europa dramatisch eingebrochen sind. Bezeichnend ist die Insolvenz von Hanjin im September 2016, der siebtgrößten Reederei der Welt, die zu lange Überkapazitäten gefahren hat.
Von den Verhandlungen einer Trans-Pacific Partnership (TPP) mit ihren sehr ambitionierten Liberalisierungsschritten und der faktisch antichinesischen Frontstellung hielt sich Südkorea danach fern und setzte stattdessen auf ein bilaterales Abkommen mit China, das 2015 abgeschlossen wurde, sowie auf Verhandlungen im Rahmen einer Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), die 16 asiatisch-pazifische Staaten einschließlich Chinas umfasst. Die RCEP ist deutlich weniger ambitioniert als TPP.
Das Abkommen mit China trat Ende 2015 in Kraft. Seine politische Symbolkraft ist beachtlich, Südkorea unterhält nun Freihandelsvereinbarungen mit den drei wichtigsten Handelsräumen der Welt. Ökonomisch dürfte die Bedeutung des China-Südkorea-Abkommens jedoch nach Einschätzung vieler Beobachter beschränkt bleiben. So klammert es eine ganze Reihe sensibler Bereiche in Landwirtschaft und Industrie aus. Damit entfaltet es keine starke Strahlkraft für Wirtschaftsreformen im Innern. Auf dem Weg zu RCEP oder darüber hinaus könnte eine trilaterale Vereinbarung zwischen China, Japan und Südkorea (CJK) noch Bedeutung erlangen, die derzeit ebenfalls verhandelt wird. Allerdings sind die Vorbehalte so groß, dass in nächster Zeit kaum Beschlüsse in Richtung vertiefter Integration von CJK zu erwarten sind.
Möglicherweise aus diesem Grund hat Präsidentin Park Geun-hye im Herbst 2015 einen Kurswechsel vollzogen. Nun strebt Seoul doch eine Mitwirkung bei TPP an, was aber erst möglich wird, wenn TPP ins Leben gerufen wird und sich dann plangemäß für Nichtgründungsmitglieder öffnet. Bei der Entscheidung mag eine Rolle gespielt haben, dass man in TPP nun auch ein Vehikel sieht, um im 21. Jahrhundert globale Standards zu setzen, ebenso wie der Wunsch, sich zwischen China und den USA immer wieder neu zu justieren.
Seouls Führungsambitionen
Aktiv auf neue Kooperationsabkommen hinzuwirken ist die prominenteste, aber nicht einzige Strategie, um die institutionelle wirtschaftliche Vernetzung zu intensivieren. Im Rahmen der ASEAN+3-Initiativen, also der Zusammenarbeit zwischen ASEAN sowie China, Japan und Südkorea, hat sich Seoul profiliert. In der Entwicklungshilfe engagiert sich das Land immer stärker mit nunmehr 1,9 Milliarden Dollar (2015). Und auch politisch bringt sich Südkorea stärker ein, vor allem in Nordostasien. So geht die Einrichtung des Trilateral Cooperation Secretariat (TCS) zwischen den CJK 2011 auf eine südkoreanische Initiative zurück. Die noch kleine Einrichtung könnte einmal zu einem Nukleus für verstärkte Zusammenarbeit jenseits von Handelsfragen werden.
Südkorea werden Führungsambitionen in Richtung solcher Integrationsfragen zugesprochen – durchaus in Konkurrenz zur ASEAN, die sich ebenfalls gern in der Rolle des Mittlers und Bewegers sieht. Mit seinen Aktivitäten verfolgt Seoul offenbar nicht so sehr altruistische, sondern Eigeninteressen, was bei der Entwicklungshilfe besonders deutlich wird: Hier folgt man recht deutlich dem chinesischen und japanischen Politikansatz gegenüber Afrika. Inwieweit Südkorea als Newcomer und relativ kleiner Mitspieler dabei effektiv seine geopolitischen und gleichzeitig merkantilen Interessen wahrnehmen kann, ist freilich eine offene Frage.
Prof. Dr. Werner Pascha ist Professor für East Asian Economic Studies am Institute of East Asian Studies (IN-EAST) der Universität Duisburg-Essen.
IP Länderporträt 3, Oktober 2016 - Februar 2017, S. 48-53