„Ausdauer, Geduld, Nerven wie Drahtseile“
Was Investoren in Argentinien brauchen: Der Künstler Dieter Meier im Gespräch
In den 1970er Jahren kaufte er New Yorker Passanten wahlweise das Wort „Yes“ oder „No“ für einen Dollar ab, und in den 1980ern stürmte er als Teil des Popduos Yello weltweit die Charts: Dieter Meier, Musiker, Künstler und Bio-Unternehmer, betreibt in Argentinien Viehzucht und Weinanbau. Warum das trotz allem funktioniert, erzählt er im IP-Interview.
IP: Herr Meier, glaubt man den Experten der Weltbank, dann ist es nicht unbedingt eine gute Idee, in Argentinien Geschäfte machen zu wollen. Im aktuellen Doing-Business-Index belegt das Land gerade einmal Platz 116 von 190 Ländern. In Kategorien wie Unternehmensgründung oder Erhalt von Baugenehmigungen steht man in unmittelbarer Nachbarschaft zu Ländern wie dem Sudan, Belize und Nigeria. Warum haben Sie sich dennoch in den neunziger Jahren entschlossen, hier zu investieren?
Dieter Meier: Nun, zunächst einmal bietet Argentinien hervorragende Möglichkeiten für biologischen Anbau. Hier finden Sie sämtliche Klimazonen und Bodenbeschaffenheiten vor; Sie können also dort hingehen, wo die Pflanzen und die Rinder unter idealen Bedingungen gedeihen. Trotz der willkürlichen Export- und Importrestriktionen unter den Regierungen der Familie Kirchner konnte ich mit Weinbau und Viehzucht zwei Marken aufbauen, die erfolgreich sind und weiter wachsen. Das hat auch damit zu tun, dass ich nicht nur die Commodities exportiere, also die landwirtschaftlichen Rohstoffe, sondern die fertigen Produkte – Honig, Nüsse, verarbeitetes Fleisch, Weine. Dank der guten Bedingungen in Argentinien kann ich qualitativ hochwertige Ware zu einem vernünftigen Preis anbieten. Dafür gibt es in Europa einen großen Markt.
IP: Worin sehen Sie die größten Potenziale des Landes, wo die größten Probleme?
Meier: Argentinien hat einen geradezu gigantischen Erneuerungsbedarf in der gesamten Infrastruktur – Transport, Straßen, Eisenbahnnetz, Verwaltung, Bildung, Nahrungsmittelproduktion. In den 60 Jahren des populistischen Peronismus, der eines der reichsten Länder der Welt zu einem darbenden Dritte-Welt-Land heruntergewirtschaftet hat, sind erfolgreiche Industriezweige einfach verschwunden. Heute geht es um eine weitreichende Aufforstung der verschiedensten Branchen, allen voran der Nahrungsmittel verarbeitenden Industrie. Das bietet eine ganze Reihe von Investitionsmöglichkeiten, vor allem weil noch einiges Know-how aus besseren Zeiten vorhanden ist.
IP: Zwei Themen spielen seit Jahrzehnten eine Hauptrolle in der argentinischen Wirtschaft: die chronisch hohe Inflationsrate und der Streit zwischen Protektionismus und Handelsliberalisierung. Wie hat das Ihre Geschäfte in Argentinien beeinflusst?
Meier: Die vergangenen 20 Jahre würde ich mit einer verrotteten Achterbahn vergleichen. Niemand war gewillt zu investieren; selbst viele argentinische Farmer sind nach Uruguay oder Paraguay ausgewichen. Jetzt kommen sie nach und nach wieder zurück, weil die Bedingungen in Argentinien entscheidend besser geworden sind und Hoffnung besteht, das Präsident Macri in den kommenden Jahren seine liberale Handelspolitik dauerhaft implementieren kann.
IP: Als Landwirt hat man es in Argentinien zurzeit nicht ganz leicht. Unter der Regierung Cristina Fernández de Kirchner beklagten die Bauern Exportsteuern von bis zu 35 Prozent. Zudem macht Argentiniens Landwirtschaft einen tiefgreifenden Wandel durch, von kleinbäuerlichen Betrieben zu immer großflächigeren Strukturen, von der Vieh- zur Sojawirtschaft. Was motiviert Sie, sich hier weiterhin zu engagieren?
Meier: Macri hat die Exportsteuern ja schon entscheidend abgebaut – außer für Soja, wo die Steuern um jeweils 5 Prozent pro Jahr zurückgehen. Ich konzentriere mich vermehrt auf Nischenprodukte wie Nüsse, Honig, Quinoa, Chia und vor allem Weine aus Lagen über 2500 Metern, die hohe Parker-Punkte (in der Bewertungsskala des amerikanischen Weinkritikers Robert Parker, die Red.) erzielen.
IP: Inwieweit unterscheidet sich die argentinische Wirtschaftskultur grundsätzlich von der in der Schweiz oder Deutschland?
Meier: In Argentinien herrschen Unsicherheit, Korruption und, zumindest im Falle der Familie Kirchner, auch unterschwellig tolerierte Kleptokratie.
IP: Was würden Sie jemandem raten, der dennoch in Argentinien Geschäfte machen will? Was muss er unbedingt beachten, was unbedingt vermeiden?
Meier: In Argentinien braucht man Ausdauer, Nerven wie Drahtseile und Geduld, um honorable Partner zu finden. Es gibt sie, aber sie sind rar. Unter allen Umständen vermeiden würde ich es, von Unterhändlern, den so genannten „Comisionistas“, Land zu kaufen. Landkauf ist Vertrauenssache, und die Comisionistas sind in der Regel alles andere als zuverlässig.
IP: Sie haben einmal von der argentinischen „Tragödie, dass es kaum Investitionen gibt und Investoren immer wieder abgeschreckt werden“ gesprochen. Was sind die Hauptprobleme?
Meier: Willkürliche Regierungsentscheide, Rechtsunsicherheit, Korruption – die Liste ist lang. Dazu kommen noch Gewerkschaften, die zusammen mit den Peronisten das Land jederzeit per Generalstreik in ein neues Elend stürzen können, das so auch gewollt ist.
IP: Wer oder was ist denn Ihrer Ansicht nach daran schuld, dass Argentinien von einer Wirtschaftskrise in die nächste taumelt?
Meier: Das Land verfügt über einen enormen Reichtum, der aber seit Jahrzehnten populistisch umverteilt wird. Dazu kommen die enormen Partikularinteressen in der korrupten Parteistruktur der Peronisten und Gewerkschaften, und, daraus resultierend, die Zurückhaltung ausländischer Investoren, die immer wieder betrogen wurden.
IP: Argentiniens Präsident Mauricio Macri ist mit dem Versprechen angetreten, die Wirtschaft des Landes zu reformieren. Wie sehen Sie seine bisherige Bilanz? Was erwarten Sie von ihm?
Meier: Macri macht das einzig Richtige, stößt aber überall dort auf Widerstand, wo das Pfründesystem des Peronismus ausgetrocknet werden muss. Wenn Macri oder zumindest seine Politik sich acht bis zehn Jahre lang durchsetzen können, wird Argentinien eines der erfolgreichsten Länder dieser Welt sein.
IP: „In Argentinien gibt es keine Wirtschaftskrise, sondern eine systemische Staatskrise“, lautet ein weiteres Zitat von Ihnen. Was macht Sie trotz allem optimistisch für die Zukunft des Landes?
Meier: Ich hoffe, dass immer größere Teile der Bevölkerung die Pyramide der Kleptokratie erkennen und einsehen, dass das Land so von Pleite zu Pleite taumelt. Dieses System wird in Zukunft nicht mehr funktionieren – weder für den Staatsangestellten noch für den Arbeiter oder den Sozialhilfeempfänger.
Die Fragen stellte Joachim Staron.
Dieter Meier (geboren am 4. März 1945 in Zürich) ist ein Schweizer Konzeptkünstler und Musiker, der vor allem als Sänger des Elektropop-Duos Yello international bekannt wurde. Neben seiner Viehzucht und dem Weinanbau in Argentinien baut Meier Kaffee und Kakao in Mittelamerika an und besitzt Restaurants in Buenos Aires, Zürich, Frankfurt und Berlin.
IP Wirtschaft 2, Juli - Oktober 2017, S. 50 - 52