Weltspiegel

02. Jan. 2023

Auf geradem Weg in die Klimahölle?

Wa­rum die COPs womöglich schlicht zu groß und angreifbar sind, warum Klimapolitik auch Machtpolitik ist und warum man 2023 nicht auf Dubai hoffen sollte.

Seitdem die rund 40 000 Menschen, die am UN-Klimagipfel im ägyptischen Scharm El-Scheich teilgenommen haben, wieder in alle Winde zerstreut sind, befindet sich die internationale Umweltpolitik in einer Sinnkrise. Ist die COP 28, die Ende 2023 in Dubai stattfinden wird, schon jetzt zum Scheitern verurteilt?

Sind solche Mega-Ereignisse, bei denen Vertreterinnen und Vertreter von knapp 200 Staten mit großem medialem Tam­tam über zwei Wochen hinweg in licht­losen Hallen verhandeln, überhaupt dafür geeignet, gute Ergebnisse zu liefern? Mehr noch, können die UN-Klimagipfel rechtzeitig die nötigen Ergebnisse liefern, damit die gefährliche „Heißzeit“ ausbleibt, die jenseits von 1,5 Grad Celsius Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit droht?



Die Frist dafür, unterhalb dieser von Klimaforschern definierten Schwelle zu bleiben, ist im Abschlussdokument der COP 27 in Ägypten festgehalten, immerhin: Bis zum Jahr 2030 müsste der globale Ausstoß an Kohlendioxid um 43 Prozent im Vergleich zu 2019 sinken, steht da, und man möchte sich die Augen reiben. Das entspricht einer Minderung um gut 15 Milliarden Tonnen allein aus fossiler Energie – das ist mehr als der CO2-Ausstoß von China. Die Umbrüche, die so eine Minderung in der Energieversorgung, bei der Mobilität und in der Landwirtschaft binnen sieben Jahren erfordern würde, wären geradezu epochal.



Vor zehn oder 15 Jahren wäre es noch deutlich einfacher gewesen, diesen Pfad einzuschlagen. Aber die weltweiten Emissionen etwa aus Schornsteinen, Auspuffen, brennenden Wäldern und austrocknenden Mooren sind – mit kurzen Unterbrechungen während der Weltwirtschaftskrise 2008/09 und der Anfangsphase der Corona-Pandemie 2020/21 – stetig gestiegen. Von 2021 auf 2022 wird wieder ein Plus von 1 Prozent erwartet, auf dann 37,5 Milliarden Tonnen allein aus der Energieerzeugung. Auch die alles entscheidende Konzentration von CO2 in der Atmosphäre eilt immer neuen Rekorden entgegen, während etwa der Ozean einen schrumpfenden Teil der menschlichen Emissionen zu speichern vermag.



Was das bedeutet, hat das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) ausgemalt: Auf dem heutigen Kurs steuert die Menschheit einer Erderwärmung zwischen 2,4 und 2,8 Grad Celsius entgegen.



Ein Vergleich mit der Eiszeit hilft

Wem das wenig erscheint, dem hilft vielleicht der Vergleich mit dem Höhepunkt der letzten Eiszeit, als der Meeresspiegel ganze 120 Meter niedriger lag und sich in Norddeutschland hohe Gletscher auftürmten. Die Durchschnittstemperatur war damals etwa 5 bis 6 Grad niedriger als heute. Zudem lebten noch nicht Milliarden Menschen, die alle ernährt sein wollen, zu einem großen Teil in überschwemmungsgefährdeten Küstenstädten. Bei einer Erwärmung um 2,5 Grad bleibt auf der Erde für Mensch und Natur nichts so, wie es bisher war – und die meisten Veränderungen werden negativ sein.

Die internationale Klimapolitik gleicht einem Bergsteiger, der es versäumt hat, rechtzeitig vom Gipfel für den Abstieg aufzubrechen und nun den steilsten Hang nutzen müsste, um rechtzeitig im Tal anzukommen. Entsprechend frustriert zeigte sich UN-Generalsekretär António Guterres nach Abschluss der Konferenz: „Wir müssen die Emissionen jetzt drastisch reduzieren – und das ist ein Thema, das auf dieser COP nicht adressiert wurde.“



Dabei hätte die COP 27 genau dies leisten sollen, nachdem der Gipfel im Vorjahr im britischen Glasgow diese Aufgabe ans Rote Meer verschoben hatte. Stattdessen gewannen die Bremser die Oberhand. So berichtete die New York Times nach dem Gipfel ausführlich, wie zum Beispiel Saudi-Arabien erfolgreich jeden Hinweis wegverhandelte, wonach der Konsum von Erdöl zu Ende gehen muss.



„Nehmen wir nicht den Highway to hell“, hatte EU-­Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Beginn der COP 27 den Delegierten zugerufen. „Wir müssen dieses Rennen in Richtung Abgrund stoppen“, forderte der frisch wiedergewählte brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, als die entscheidende Phase der Verhandlungen begann. Doch am Ende standen die Unterhändler, was die alles entscheidende CO2-Reduktion betrifft, mit nahezu leeren Händen da.



Sind Megakonferenzen noch sinnvoll?

Wissenschaftler gaben nach der COP 27 sehr unterschiedliche Antworten, wie sinnvoll die UN-Konferenzen ganz grundsätzlich noch sind. Die Schwachstellen des Formats sind schon seit der COP 1 im Jahr 1995 in Berlin, damals von einer noch weitgehend unbekannten deutschen Politikerin namens Angela Merkel geleitet, ziemlich offenkundig: Dass jeweils ein Konsens aller Nationen gefunden werden muss, führt meist nur zum kleinsten gemeinsamen Nenner und macht Obstruktion sehr attraktiv. Dass die Verhandlungen in Hunderte Stränge aufgeteilt sind, in Fachchinesisch geführt werden und vor allem gegen Ende auch nachts nonstop weiterlaufen, macht es für Staaten mit kleinen Delegationen unmöglich, wirklich mitzuwirken. Zudem fehlt den Vereinten Nationen das Mandat, effektiv zu überwachen, dass Beschlüsse auch umgesetzt und eingehalten werden. COPs sind also letztlich zahnlos.



Als ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler kann zudem gelten, dass die UN-Klimagipfel von Anfang an auf den Ausstoß von Kohlendioxid konzentriert waren und darauf, bestimmte Reduktionen durchzusetzen. Die Minderung wurde sogar offiziell als „burden“ definiert, also als Last, die es zu verteilen gilt. Aus diesem Wording entstand eine bis heute prägende Verhandlungsdynamik, bei der die Staaten versuchen, sich gegenseitig diese Lasten zuzuschieben. Der Klimavertrag von Paris aus dem Jahr 2015 hat zwar erstmals einen globalen Rahmen für alle Nationen geschaffen, aber ist in dieser Logik geblieben.



Dabei steht Klimapolitik ja eigentlich für einen Kurs wirtschaftlicher und technologischer Modernisierung: Der Aufbau einer umweltfreundlichen Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen geht mit Investitionen einher, die sich auf Dauer bezahlt machen; saubere Luft und fahrradfreundliche Städte können Millionen Menschen vor einem vorzeitigen Tod bewahren; neue grüne Verfahren in der Chemie und eine regenerative Landwirtschaft sichern Erträge auch langfristig.  



Die COP braucht ein neues Konzept

Eine tiefgreifende Alternative wäre es, die Gipfel von solchen positiven Aktionen und Chancen her zu konzipieren. Eine ebenso gute Metrik zur Bekämpfung der Klima­krise wäre es zum Beispiel, die Investitionen oder Patente in der Energieforschung zu messen oder den Anteil erneuerbarer Strom- und Wärmequellen. Gäbe es ganz offiziell einen Wettbewerb um die Wirtschaftskraft und die Zahl der Arbeitsplätze, die auf der Basis nachhaltiger Produktion entstanden sind, wäre die Dynamik der COPs womöglich anders.



Statt unerwünschte Lasten zu verteilen, könnten COPs als Überbietungswett­bewerbe für Investitionen in grünes Wirtschaften inszeniert werden. Ein solcher Ansatz wäre kein „Greenwashing“, wie es die Umweltaktivistin Greta Thunberg mit Blick auf die UN-Klimagipfel beklagt, sondern schlichtweg ein positiverer Denk­rahmen, der eher dazu animiert, neue wirtschaftliche Potenziale zu nutzen.



Dass die bisherigen Klimagipfel nicht die erforderlichen Ergebnisse erbracht haben, liegt auf der Hand. Der Klimaforscher Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel fordert deshalb nun, dass statt der UN-Konferenzen zum Beispiel die Industriestaaten der G20 das Heft des Handelns übernehmen sollten. Die G20 seien für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich, auf sie komme es an, argumentierte der Wissenschaftler. Auch eine „Allianz der Willigen“ hält er für das bessere Format als Zusammenkünfte von 200 Ländern.



Latif stellt sich diese Allianz als einen eigenen, geografisch verteilten Wirtschaftsraum vor, in dem einheitliche strenge Klimaschutzregeln gelten sollen. Einen „Klimaclub“ besonders ­engagierter ­Staaten hat auch Bundeskanzler Olaf ­Scholz bereits ins Gespräch gebracht – nicht als Alternative zu den COPs, sondern als Ergänzung.



Ganz im Gegensatz zu Latif mahnt der prominente amerikanische Klimaforscher Michael Mann, eine UN-Klimakonferenz sei kein Covid-Test, bei dem es entweder ein gutes oder ein schlechtes Ergebnis gebe. Der letzte Gipfel „blieb, wie jeder Gipfel, hinter dem zurück, was nötig ist“, analysiert Mann, „aber insgesamt sind Fortschritte zu verzeichnen und es ist nicht die richtige Zeit, den weltweit einzigen funktionierenden Rahmen zur Bekämpfung des Klimawandels aufzugeben“.



Fortschritt Klimafonds?

Nicht nur Michael Mann rechnet es zu den Fortschritten des Klimagipfels in Ägypten, dass ein Grundsatzbeschluss für einen Fonds gefällt wurde, aus dem ärmere Länder für Schäden durch die Klimakrise entschädigt werden sollen. So ein Fonds war im Licht verheerender Überschwemmungen wie in Pakistan und Nigeria, in denen Wissenschaftler bereits einen Effekt menschengemachter Klimaveränderungen sehen, unversehens in den Fokus der COP 27 gerückt.



Das Schlüsselwort, um das es dabei geht, ist „Klimagerechtigkeit“. Die ärmeren Länder haben bisher nur einen kleinen Teil der Emissionen verursacht, aber sind durch Geografie und Klimazonen Leidtragende für einen großen Anteil der negativen Folgen. Darin steckt eine Ungerechtigkeit von welthistorischem Ausmaß. Nachdem das Zeitalter der Kolonialisierung bereits zu einem erheblichen Transfer von Wohlstand aus dem globalen Süden in den Norden geführt hat, drohen nun seine ökologischen Auswüchse hauptsächlich die ärmeren Weltregionen zu belasten.



Dass Industrieländer wie die USA einem Fonds skeptisch gegenüberstehen, liegt nahe. Die Stimmung in dem Land hat sich ohnehin gegen die bisherigen engen internationalen Verflechtungen gerichtet. Die Republikaner werben weiterhin erfolgreich damit um Stimmen, dass der Rest der Welt auf Kosten der USA lebe und es nun Zeit sei, dies zu beenden. Und die Demokraten führen das Land unter Präsident Joe Biden zumindest in Teilen auf einen Weg der Deglobalisierung – wie jüngste Initiativen zeigen, den Export von Mi­krochips nach China zu beenden und bei der Transformation zu sauberer Energie nur heimische Anbieter zum Zuge kommen zu lassen. Eine Art globaler Reparationsfonds für Klimaschäden muss aus Sicht Washingtons da wie eine Bedrohung erscheinen und angesichts des Ausmaßes der zu erwartenden Schäden wie ein potenzielles Fass ohne Boden.



Skepsis gegenüber dem Fonds gibt es auch von Seiten Chinas. Das Land, das sich auf Klimakonferenzen seit jeher als Schutzmacht der armen Länder inszeniert, unterstützt zwar grundsätzlich die Logik. Doch beharrt es darauf, selbst nicht einzahlen zu müssen. Die Position, dass China noch Entwicklungsland sei, erscheint vor dem Hintergrund eines phänomenalen wirtschaftlichen Aufstiegs allerdings immer fragwürdiger. Dieser Aufstieg schließt ein, dass China inzwischen größter CO2-Emittent der Welt ist. Dass der Anteil an den historisch kumulierten Emissionen der vergangenen 200 Jahre immer noch unter dem der USA liegt, ist da mit Blick auf die Zukunft ein schwaches Argument.  



Dass die COP 27 diesem Widerwillen zweier Großmächte zum Trotz eine Grundsatzeinigung über einen Fonds zum Ausgleich von „loss and damages“ erzielen konnte, ist in jedem Fall ein diplomatischer Erfolg. Wie genau der Fonds funktionieren und um welche Summen es gehen soll, ist noch offen. Dabei ist noch nicht einmal die Verpflichtung reicherer Länder aus dem Jahr 2009 umgesetzt, jährlich 100 Milliarden Dollar für Investitionen in die klimafreundliche Transformation von Energieversorgung und Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Der UN-Klimaprozess schleppt eine ganze Reihe solcher uneingelöster Versprechen hinter sich her – eine moralische wie administrative ­Hypothek.



Klimapolitik ist Machtpolitik

Die Kontroverse um den „Loss and Damages“-Fonds zeigt aber, dass die Klimapolitik nun endgültig ihren Ruf als „softes“ und randständiges Thema hinter sich gelassen hat. Es geht hier jetzt um harte Machtpolitik und um das Abzirkeln geopolitischer Sphären und Interessen. Das bekam auch die Europäische Union zu spüren, die sich gerne als großer Gönner der Klimapolitik sieht, aber in Ägypten mit vielen Vorbehalten und Kritik konfrontiert war, letzteres vor allem wegen mangelnder Glaubwürdigkeit.



Offen bleibt mit Blick auf die COP 28 die Frage, ob die Klimagipfel wirklich Motor der notwendigen Veränderungen sein können. Oder ob sie eher ein nachlaufender administrativer Prozess und ein Forum sind, um die Klimakrise einmal im Jahr in den Fokus der Weltöffentlichkeit zu bringen. In jüngster Zeit haben sich statt der COPs eher Städte wie etwa Paris und Kopenhagen mit ihrer ökologischen Modernisierung, Gerichte wie das Karls­ruher Bundesverfassungsgericht beim deutschen Klima-Urteil, Manager von ­Rentenfonds, die ihr Geld von fossiler Energie abziehen, oder inspirierende Einzelpersonen als Antriebskräfte des Klimaschutzes erwiesen.



Zur nächsten COP geht es an den Golf

Dass ausgerechnet die Vereinigten Arabischen Emirate als Golf-Staat Ende 2023 einen Durchbruch bei den Emissions­reduktionen erzielen, ist unwahrscheinlich – während die Uhr in Richtung 2030 tickt, wenn die Emissionen bereits fast halbiert sein müssen. Eine noch härtere Warnung als die von UN-Generalsekretär Guterres vor einer „Klimahölle“, die drohe, wenn die Ziele nicht erreicht würden, ist kaum denkbar.



Eine solche Begrifflichkeit ist leider keine pseudoreligiöse Übertreibung. Auch der stets nüchtern-sachliche Klimageologe Gerald Haug vom Max-Planck-Institut für Chemie, derzeit Präsident der Nationalakademie Leopoldina, warnt davor, die Erde könne in wenigen Jahrzehnten „bis zur Unkenntlichkeit“ verändert sein. Die rhetorischen Bilder lassen sich nicht mehr steigern. Das gilt nicht für die Taten, ihr Eintreten noch abzuwenden.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2023, S. 97-101

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Christian Schwägerl war Korrespondent für die FAZ und den Spiegel, bevor er 2017 die Journalismus-Plattform www.riffreporter.de mitgründete.

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