IP

01. Juli 2008

Auf dem Weg zum Weltstaat?

Am Beginn einer neuen Ära internationaler Kooperation

Erst Blockierer, jetzt Vermittler: Unter dem Zwang weltweiter Krisen und dem Druck, globale öffentliche Güter wie Frieden, Klima- und Finanzstabilität bereitzustellen, ändert der Nationalstaat seine Rolle. Mehr und mehr verzahnen sich binnenländisches Handeln und internationale Anforderungen – die politische und soziale Globalisierung folgt der ökonomischen.

Klimawandel, Epidemien, multilateraler Handel, internationale Finanzarchitektur, Rechte am geistigen Eigentum, Biodiversität, internationaler Terrorismus, schließlich Frieden und Sicherheit: Globale Themen spielen eine immer bedeutendere Rolle in der nationalen und internationalen Politik. Ihnen ist eins gemeinsam: Sie sind grenzüberschreitend und bedürfen einer ausgreifenden politischen Koordination und Harmonisierung über Grenzen hinweg. Hierin unterscheiden sie sich von konventionellen Politikfeldern, die entweder auf ein Land beschränkt sind oder aber die Außenpolitik, die Beziehungen zwischen Nationen, betreffen.

Mit der wachsenden Bedeutung globaler Herausforderungen und der politischen Aufmerksamkeit, die ihnen geschenkt wird, haben sich die bisher üblichen Muster politischer Steuerung wesentlich verändert, und zwar sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene. Am bedeutsamsten ist, dass sich die Rolle des Staates gewandelt hat – und zwar vom Westfälischen Modell, das auf dem Prinzip ausschließlicher nationaler politischer Souveränität beruhte, zu dem eines Mittlers, basierend auf dem Prinzip verantwortlich handelnder -Souveränität.

Der vermittelnde Staat bemüht sich um den Ausgleich zwischen innerstaatlichen und außenpolitischen Aufgaben und Möglichkeiten. Einhergehend mit Veränderungen auf internationaler Ebene – so die stärkere Betonung der Ergebnisorientierung von Initiativen für eine internationale Zusammenarbeit und ein verbessertes Stimmrecht in multilateralen Institutionen –, signalisiert sein Aufstieg, dass die Welt in eine neue Ära der Politikgestaltung (Governance) eingetreten ist. Eine weniger krisenanfällige, stärker gestaltete Globalisierung rückt damit näher. Betrachtet man die frühere Ära einer oft gewalttätigen, vom Machtkalkül bestimmten Aufteilung der Welt in einzelne Nationalstaaten als „Global Governance 1“ und die jüngste Vergangenheit seit den 1940er Jahren mit ihren stärker auf Regeln basierenden internationalen Beziehungen als „Global Governance 2“, so könnte man die neue Ära „Global Governance 3“ nennen. Sie erkennt Nationalstaaten und deren partikulare Interessen an, zielt aber auch darauf ab, diese wieder in den globalen Kontext einzuordnen – und zollt damit der Tatsache Tribut, dass es im kollektiven Eigeninteresse der Menschheit liegt, sich die Erde so zu teilen, dass die Würde und die Vielfalt des Menschen ebenso gewahrt bleiben wie die Bedürfnisse der Natur.

Um die Wechselbeziehungen zwischen globalen politischen Herausforderungen und Veränderungen der Herrschaftsmuster klarer zu erkennen, ist es notwendig, sie unter dem Aspekt der globalen öffentlichen Güter zu betrachten. Diese haben, gerade wegen ihrer universellen Bedeutung, zu einem einschneidenden Wandel von Governance geführt – tangieren sie doch das Wohl aller oder zumindest vieler Länder und Menschen und erfordert ihre Bereitstellung den Einsatz aller.

Globale öffentliche Güter

Öffentliche Güter1 erklären sich am besten in der Gegenüberstellung zu privaten. Letztere sind Güter, von denen andere ausgeschlossen werden können und denen sich eindeutige Besitzrechte zuordnen lassen, wie etwa Nahrungsmittel, Kleidung, Häuser oder Bücher. Im Gegensatz dazu sind öffentliche Güter im öffentlichen Raum und dort allen zugänglich – und dies oftmals unabhängig davon, ob Menschen sie nutzen oder nicht. Positive Beispiele hierfür sind die Sonnenenergie, Recht und Ordnung, Frieden und Sicherheit; auf der Negativliste stehen Verbrechen und Gewalt, ansteckende Krankheiten oder Naturgewalten wie Stürme oder Flutwellen. Mit anderen Worten: Das wichtigste Merkmal eines öffentlichen Gutes ist, dass niemand davon ausgeschlossen werden kann. Existiert es, so existiert es für alle, im Positiven wie Negativen.

Der Nutzen oder die Kosten eines öffentlichen Gutes können lokal, regional, national oder global sein. Güter mit weltweiten allgemeinen Nutzen oder Kosten sind also globale öffentliche Güter (GPGs/Global Public Goods). Hierbei sind zwei Aspekte zentral: Erstens bedingen GPGs eine Gleichheit des Konsums, in einer Welt, die durch einen hohen Grad an Verschiedenheit und Ungleichheit geprägt ist. Und zweitens erzeugen sie eine Interdependenz des politischen Handelns – in einer Welt, die sich aus individuellen Nationalstaaten zusammensetzt.

Die Gleichheit des Konsums mag strittig sein: Wie die Präferenzen für private Güter können auch die Präferenzen für öffentliche Güter unterschiedlich sein. Besonders für GPGs, denn die Unterschiede und die Ungleichheit zwischen Nationen sind oft ausgeprägter als die Differenzen innerhalb von Nationen selbst. Im Fall der GPGs sehen sich jedoch alle denselben Gütern auf derselben Stufe der Bereitstellung gegenüber, unabhängig von lokalen oder nationalen politischen Bedingungen und Vorzügen. Viele GPGs sind deshalb umkämpfte Güter und lösen erbitterte Debatten darüber aus, in welchem Umfang sie bereitgestellt werden, in welcher Form, mit welcher Wichtigkeit und mit welchen Kosten für wen.

Die Interdependenz des politischen Handelns, welche die GPGs bedingen, ist oft eine Folge des Wettbewerbs, der in ihrer Natur liegt. Etliche oder sogar die meisten von ihnen werden öffentlich bereitgestellt, was bedeutet, dass nahezu alle Länder parallel zu öffentlichen oder privaten Akteuren ihre Politik, ihre Institutionen und ihr wirtschaftliches Verhalten ändern oder zusätzliches, gemeinsames Handeln auf internationaler Ebene unterstützen müssen – oder beides. In vielen Fällen wird rein binnenländisches Handeln aber nicht ausreichen – damit ein GPG irgendwo zugänglich ist, sind unter Umständen bestimmte politische Initiativen überall notwendig! Um etwa das Risiko des Klimawandels zu mindern, bedarf es der weltweiten Intervention – von Regierungen oder anderen öffentlichen Akteuren (Regulierung), von Unternehmen (Einführung saubererer Produktionstechnologien) und Haushalten (Anwendung energiesparender Geräte und Transportmittel).

Oftmals werden internationale Verwaltungssysteme erarbeitet, um Staaten zu ermutigen oder zu zwingen, konzertiert politische Reformen in die Wege zu leiten, um so gemeinsam vereinbarte Ziele zu erreichen. Ein solches Vorgehen auf internationaler Ebene ist mühsam, oft aber die einzige entsprechende Vorleistung für die Bereitstellung von GPGs. Manche Theorien über internationale Beziehungen sagen jedoch voraus, dass Staaten, treten sie in internationale Verhandlungen ein, dazu neigen, sich vor allem von nationalen Interessen leiten zu lassen. Aus globaler Sicht verfolgen sie partikularistische, quasi private Interessen. Dies würde bedeuten, dass Staaten genauso handeln, wie es die Theorie über öffentliche Güter für private Akteure vorhersagt – hinsichtlich ihrer Bereitstellung im nationalen Kontext. Staaten werden demnach versuchen, bei der Bereitstellung von GPGs als „Trittbrettfahrer“ kostenlos mitzufahren; sie überlassen es anderen, die notwendigen Beiträge zu leisten und profitieren dennoch von Gütern wie internationaler Finanzstabilität oder Frieden und Sicherheit – und das ganz ohne eigenes Dazutun oder zu geringeren Kosten, als es ihrem eigentlichen Anteil entspräche. Aber in welchem Ausmaß geschieht dieses kostenlose „Mitfahren“ gegenwärtig? Wäre die Vorhersage haltbar, befände sich die Welt dann nicht in einer schlimmeren Lage als sie ist? Zwar würde dies erklären, warum internationale Verhandlungen über Probleme mit hohen Verteilungslasten – wie multilateraler Handel oder Klimawandel – so langsam, vielleicht zu langsam vorankommen. Gleichwohl werden viele andere GPGs angemessen bereitgestellt. Man denke nur an die globalen Kommunikations- und Transportsysteme sowie die schrittweisen, aber dennoch stetigen Fortschritte bei der Bekämpfung von HIV/AIDS oder der weltweiten Durchsetzung elementarer Menschenrechte. Wie sind solche Trends zu erklären?

Aufstieg des Vermittlerstaats

Politische Herausforderungen globalen Ausmaßes wie die Liberalisierung von Finanzmärkten, die Reduzierung von Treibhausgasemissionen oder die Eindämmung von übertragbaren Krankheiten erfahren heutzutage eine eindeutige Entsprechung auf nationaler Ebene. Nationale Politik und internationale Prioritätensetzung bewegen sich also im Tandem. Mit anderen Worten: Von außen herangetragene politische Anforderungen wie die Gefahren des Klimawandels oder die Rufe nach einer Harmonisierung nationaler Steuer- und Investitionsregelungen werden von Regierungen bei der Formulierung nationaler Politik berücksichtigt.

Somit lässt sich auf der Basis aktueller Theorien über internationale Beziehungen und öffentliche Güter erklären, warum die Unterversorgung mit vielen GPGs nicht derart schlimm ist, wie man erwarten könnte. Dies weist auf einen wichtigen Wechsel in der Rolle des Nationalstaats hin: Offensichtlich bewegt sich staatliches Verhalten immer weniger in Übereinstimmung mit dem Idealtyp des Westfälischen Staates; vielmehr scheint es so, dass Staaten als Makler oder Vermittler zwischen jenen politischen Anforderungen auftreten, die auf das bloße Abschöpfen von Vorteilen für heimische Wählerkreise abzielen, und denen, die globale Interessen im Auge haben und dabei die Erwartungen anderer Staaten (und möglicherweise auch die der Akteure auf internationalen Märkten und der globalen Zivilgesellschaft) berücksichtigen. Wir erleben demnach einen neuen, sich verbreitenden Typus des „Vermittlerstaats“. Natürlich kommen nicht alle externen Anforderungen ausschließlich von außen – es gibt Fälle, in denen einflussreiche nationale Akteure, ausländische Investoren oder international vernetzte Aktivisten sich ebenfalls für eine Angleichung nationaler und internationaler politischer Entscheidungswege einsetzen.

Eine Reihe von Staaten, insbesondere jüngere, weniger entwickelte Länder wie die Schwarzafrikas, gehören hierbei eher zu denen, die politische Entscheidungen übernehmen, während andere, insbesondere die wichtigsten Industrieländer, die politische Entscheidungen treffen und sich hierbei auf Institutionen wie die G-8, IWF, Weltbank oder die Welthandelsorganisation stützen. Demnach ist der sich herausbildende Typus des „Vermittlerstaats“ in Entwicklungsländern oftmals ein „einarmiger Staat“: Einer, der zwar politische Erwartungen in die nationale Politik übernimmt, aber nicht in der Lage ist, nationale Präferenzen effektiv zu bündeln und sie zielgerichtet in internationale Verhandlungen einzubringen – weswegen in der Vergangenheit eher die Entwicklungsländer als die Industrieländer die Lasten politischer Anpassungsmaßnahmen zu schultern hatten. Nun allerdings deutet einiges auf einen Wechsel hin, „vom zweifelnden Süden zum ängstlichen Norden“.2 Nachdem die Entwicklungsländer in großem Stil Anpassungsmaßnahmen vollzogen haben, agieren sie auf der Weltbühne immer selbstbewusster und üben so Druck auf die Volkswirtschaften der Industrieländer aus.

Mehr noch: Mit der sich beschleunigenden Globalisierung von Märkten wie Risiken beginnen selbst die gegenwärtig militärisch und wirtschaftlich stärksten Mächte zu begreifen, dass ihre Macht wenig zählt, wenn sie von globalen Katastrophen wie der Vogelgrippe oder Stürmen und Überflutungen als Resultate der Erderwärmung erfasst werden. Um sich gegen diese Bedrohungen zu wappnen, sind auch sie auf die Kooperation mit anderen, insbesondere schwächeren und weniger entwickelten Staaten angewiesen.

Die Schnelligkeit, mit der sich dieser grundlegende Wandel vollzog, ist überraschend. Studien über internationale Beziehungen haben allzu oft nur auf die Probleme staatlicher Nichteinhaltung internationaler Normen und Vereinbarungen hingewiesen. Ein Großteil von ihnen bezieht sich jedoch auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die späten achtziger Jahre. In dieser Ära wurden die entsprechenden Normen hauptsächlich formuliert und ihre Umsetzung von nationalstaatlich verwurzelten, internationalen Akteuren überwacht. Heute jedoch ist auch ein breites Spektrum nichtstaatlicher Akteure sowohl in die Festlegung als auch in die Überwachung internationaler Standards eingebunden. Unabhängige Kreditrating-Agenturen sind ein Beispiel dafür. Sie können ihre Macht ausspielen, weil sie die Möglichkeit haben, die Kreditkosten für Regierungen festzulegen. Darüber hinaus haben zahlreiche international handelnde nichtstaatliche Akteure wie auch multilaterale Einrichtungen so genannte Indizes „guter Regierungsführung“ entwickelt, anhand derer sie periodisch die politische Performance auf nationaler Ebene messen und eine Rangfolge festlegen.3 Auf diese Weise geraten Regierungen von selbst ins globale Rampenlicht und sind mehr als jemals zuvor Gegenstand öffentlicher Beobachtung – was zweifellos zur Harmonisierung nationalstaatlich orientierter Politik und zum Aufstieg des „Vermittlerstaats“ beiträgt, dessen Anstrengungen mehr und mehr dahin gehen, Innen- und Außenpolitik miteinander zu verzahnen. Doch stellt der Wandel nationalstaatlichen Regierungshandelns unter den weiterhin vorherrschenden Bedingungen wirtschaftlicher Liberalisierung und Globalisierung nur die eine Seite von Global Governance dar. Die andere Seite betrifft das Regieren auf internationaler Ebene. Haben die globalen öffentlichen Güter auf dieser Ebene bereits einen Wandel bewirkt?

Wandel auf Weltebene

Die wachsende Bedeutung der GPGs hat in letzter Zeit auch zu Veränderungen im weltweiten System internationaler Zusammenarbeit geführt. Ausdruck davon sind die stärkere Gewichtung eines ergebnisorientierten Managements und effektiven Follow-ups internationaler Vereinbarungen sowie der steigende politische Druck hinsichtlich einer stärker partizipatorischen, demokratischen Entscheidungsfindung bei multilateralen Veranstaltungen – insbesondere, was die Forderung nach einer angemessenen Vertretung der Entwicklungsländer angeht.

Zeichen dieses Trends sind etwa die ausufernde (wenngleich mittlerweile auch wieder abnehmende) Verknüpfung von Entwicklungshilfe an Bedingungen, die Einführung strikter Vorgaben wie den Millenniumsentwicklungszielen und nicht zuletzt die Herausbildung neuer Normen wie die staatliche „Responsibility to Protect“. Und – vielleicht das wichtigste – die rasant steigende Zahl neuer, themenspezifischer Mechanismen internationaler Zusammenarbeit, die im Zusammenhang der Stärkung der GPGs seit den frühen neunziger Jahren explosionsartig gewachsen sind. Mehr als 400 globale Public-Private-Partnerships finden sich inzwischen darunter, prominente Beispiele sind der „Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria“, die „Chicago Climate Exchange“, der „Prototype Carbon Fund“ oder „One World Health“.

Diese neuen Mechanismen agieren neben den bestehenden multilateralen oder bilateralen Organisationen praktisch unabhängig; viele von ihnen sind gemeinnützig, manche sogar gewinnorientiert. Für gewöhnlich zielen sie auf ein einzelnes, genau definiertes Sachgebiet wie etwa die AIDS-Bekämpfung oder den Emissionshandel. Alle auf diesem Weg anfallenden Schritte sind klar umrissen, der Preis kann klar bestimmt werden. Die dem zugrunde liegenden Anreizstrukturen werden berücksichtigt und können durch angemessene Impulse angepasst und „belohnt“ werden – darunter fallen Entschädigungszahlungen und andere Formen begleitender Finanzierungen, die dazu beitragen können, globale politische Absichtserklärungen in die Tat umzusetzen.

Die meisten dieser Vereinbarungen zielen konkret darauf ab, die Unterversorgung mit einem GPG zu lindern oder fokussieren sich auf einen grenzüberschreitenden externen Effekt – in der Hoffnung, die damit einhergehenden Schäden einzudämmen und zu verhindern, dass sie weiter den Wohlstand in den betroffenen Ländern unterminieren. Sie deuten somit auf die Stärkung des Managements auf internationaler Ebene hin, ohne dass die dort eingeführten Normen und Standards Gefahr laufen, nur begrenzt oder gar nicht eingehalten zu werden. Solche Vereinbarungen können somit als notwendige Ergänzung zum vermittelnden Staat gesehen werden: Sie tragen dazu bei, dass sich schwache Bindeglieder – Regierungen, denen der politische Wille oder die Ressourcen fehlen, um mit an Bord zu kommen – beteiligen und stärken auf diese Weise auch das Vertrauen innerhalb der Staatengemeinschaft darauf, dass die Anstrengungen eines einzelnen Landes nicht dadurch zunichte gemacht werden, dass sich andere nicht daran halten.

Die Forderung nach mehr Demokratie auf internationaler Ebene, einschließlich formaler zwischenstaatlicher Einrichtungen wie die Bretton-Woods-Institutionen, deutet dabei auf unterschiedliche Kräfte hin. Sie spiegelt zum einen wider, dass „Entwicklung“ – wie unzureichend sie in vielerlei Hinsicht gewesen sein mag – stattgefunden und in einer Reihe von Entwicklungsländern zu einer Stärkung nationaler Politikgestaltung und von Verhandlungskapazitäten geführt hat. Zum anderen stellt der Ruf auch eine Antwort auf jenen Druck dar, den internationale Marktakteure, die globale Zivilgesellschaft und die Regierungen der Industrieländer auf die – um einiges jüngeren – Entwicklungsländer ausüben, damit diese die Rolle eines „Mittlerstaats“ anerkennen und sich den externen politischen Erwartungen anpassen. Hierbei könnte die Tatsache, dass die Regierungen der Industrienationen zunehmend auf die „Bestimmung“ über Entwicklungsländer drängen, also Maßnahmen durchsetzen, bei deren Ausarbeitung letztere nur wenig mitzubestimmen haben, mit dazu beigetragen haben, dass die Rufe aus dem Süden immer lauter wurden, im globalen Konzert endlich mitzuspielen.

Tatsächlich könnte mehr Demokratie auf der Weltbühne zu einer stärker auf Wettbewerb beruhenden internationalen Entscheidungsfindung führen, könnte größerer Wettbewerb bei der Festlegung von politischen Agenden effizientere Wege und eine gerechtere Aufteilung der Lasten bewirken. All dies wiederum könnte im Gegenzug eine freiwillige und nachhaltigere politische Partizipation fördern als dies heute unter dem Signum von Machtpolitik der Fall ist – und nicht zuletzt die Industrieländer dazu bewegen, bei bestimmten Themen, einschließlich des Klimawandels und multilateralen Handels, größere Anpassungslasten als gegenwärtig zu akzeptieren.

Global Governance 3

Halten die beschriebenen Trends an, tritt die Welt in eine neue Ära der Global Governance ein. Nach etlichen von Konflikten und Kriegen geprägten Jahrhunderten, die überwiegend von Machtpolitik bestimmt waren (Global Governance 1) und einer relativ kurzen Ära seit Mitte der vierziger Jahre mit einer Konsolidierung des Westfälischen Staatssystems und seiner normativen Basis der Nichteinmischung und kollektiven Sicherheit (Global Governance 2) deutet das nun beginnende Zeitalter (Global Governance 3) auf die bewusste Abkehr von neuen Abgrenzungen hin. Dazu zählen insbesondere das verbesserte Management grenzüberschreitender (Schadens-)Effekte und die Bereitstellung von GPGs, die für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine ebensolche Entwicklung zwingend notwenig sind.

Zwar steht die territoriale Souveränität weiterhin außer Frage, doch ändert sich die Vorstellung von politischer Souveränität und den damit befassten Institutionen. Im Hinblick auf politische Entscheidungen verzahnen sich nationale und internationale Arbeitsfelder – die politische und soziale Globalisierung folgt offensichtlich der ökonomischen. Der Wandel in diese Richtung befindet sich noch in einem frühen, zögerlichen Stadium. Damit er an Fahrt gewinnt und den Charakter der nächsten Ära bestimmt, sind weitere, tiefergreifende Reformen der Global Governance notwendig. So mag der Diskurs internationaler Zusammenarbeit offener geworden sein und den Entwicklungsländern mehr politischen Spielraum geben. Doch kann der schlichte Transfer von nationaler Stimmabgabe und Modellen der Entscheidungsfindung allein nicht funktionieren. Neue, innovative Wege der Organisierung von Demokratie auf internationaler Ebene müssen gefunden werden. Wie immer das Rezept auch aussehen mag: Besonders die heutigen Industrieländer müssen sich anpassen, sich auf härteres Verhandeln und eine gerechtere Lastenverteilung einstellen.

Bezieht man die Anforderungen an ein globales Krisenmanagement mit ein, müssen neue Verbindungen zwischen den legislativen Körperschaften und den exekutiven Instanzen multilateraler Politik entworfen werden. Dies ist vor allem auf dem Gebiet der humanitären Hilfe eine große Herausforderung – angesichts des Anstiegs der Natur- und vom Menschen verursachten Katastrophen, die uns schon jetzt heimsuchen und in Zukunft wohl weiter zunehmen werden. So zeitigt die anbrechende Ära der Global Governance 3 viele neue Herausforderungen und setzt eine Vielzahl von Strategien und Debatten auf die Tagesordnung. Sie verheißt aber auch die Aussicht auf eine nachhaltige, friedliche Zukunft.

Dr. INGE KAUL ist außerordentliche Professorin an der Hertie School of Governance in Berlin und war zuvor Direktorin im Entwicklungshilfeprogramm der Vereinten Nationen in New York.

  • 1Für eine ausführlichere Diskussion der öffentlichen Güter und der globalen öffentlichen Güter siehe Inge Kaul u.a. (Hrsg.): Providing Global Public Goods, New York 2003; Inge Kaul und Pedro Conceição (Hrsg.): The New Public Finance: Responding to Global Challenges, New York 2006.
  • 2Jagdish Bhagwati: A Stream of Windows: Unsettling Reflections on Trade, Immigration, and Democracy, Boston 1998, S. 29.
  • 3Gegenwärtig werden mehr als 150 solcher zusammengesetzter Indizes benutzt. Siehe Romina Bandura: A Survey of Composite Indices Measuring Country Performance: 2006 Update. A UNDP/ODS Working Paper, United Nations Development Programme, Office of Development Studies, New York 2006; www.newpublicfinance.org/background/Measuring%20country%20performance_n….
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7-8, Juli/August 2008, S. 146 - 153

Teilen