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01. Febr. 2006

Atomkraft, ja bitte!

Nachhaltige Politik braucht einen ausgewogenen Energiemix

Ein ausgeglichener Energiemix ist die Basis für eine nachhaltige Energiepolitik. Sollte Atomenergie zu dieser Energiekombination gehören? Meine Antwort ist: Ja. Wenn wir den Klimawandel in den Griff bekommen und nachhaltige Energiepolitik betreiben möchten, bleibt keine andere Möglichkeit.

In der Internationalen Energiebehörde (IEA) erachten wir drei Komponenten als unerlässlich für eine vernünftige Energiepolitik: Energiesicherheit, Energiewachstum, Umweltschutz. Das sind die Säulen der Nachhaltigkeit. Man kann unmöglich auf eine der drei verzichten, ohne das gesamte Gebäude ins Wanken zu bringen.

Sind wir auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energiepolitik und steht die gegenwärtige Energiepolitik in Einklang mit der Forderung nach den drei oben genannten Komponenten? Die ernüchternde Antwort ist: Nein.

Gehen wir von relativ ungestörten Entwicklungen aus, wie sie in den Szenarien des World Energy Outlook 2005 der IEA beschrieben werden, würde der Energiebedarf in den nächsten 25 Jahren um mehr als 25 Prozent steigen. Der Transportsektor wäre hauptsächlich auf Öl angewiesen und die Energiezufuhr verstärkt von einigen Regionen wie dem Mittleren Osten und der früheren Sowjetunion abhängig. Die Preise würden erheblich steigen. Auch der Ausstoß an Kohlenstoffdioxid, wesentliche Ursache für die globale Erwärmung, würde sich um etwa 60 Prozent erhöhen. Das ist alles andere als nachhaltige Energiepolitik. Was können wir also tun?

Kurzfristig muss sich die Politik auf ältere Technologien konzentrieren, denn die Entwicklung und Vermarktung neuer Technologien braucht Zeit. Das ist nicht weiter problematisch, denn selbst mit den bereits existierenden Technologien lassen sich wesentliche Fortschritte erzielen. Die besten Ergebnisse sind im Bereich der Energieeffizienz zu erzielen. Mit diesen Technologien ist es durchaus möglich, den Energieverbrauch pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts immens und mit geringem Kostenaufwand oder sogar einer Kostenersparnis zu reduzieren.

Warum geschieht das nicht, trotz starker Marktanreize wie Emissionszertifikaten? In vielen Fällen sind sich die Konsumenten gar nicht bewusst, wie viel Energie gespart werden kann. Der Politik fällt hier eine Schlüsselrolle zu. Sie sollte sich um die Einführung von Normen und Standards bemühen. Bis 2030 können nach Schätzungen der IEA 15 Prozent des Verbrauchs durch Einsparungen und durch den Rückgriff auf bereits existierende Technologien gedrosselt werden. Das würde allen drei Komponenten einer gesunden Energiepolitik zugute kommen. Keine Energie ist sicherer als jene, die wir nicht verbrauchen. Nicht verbrauchte Energie kann auch die Umwelt nicht belasten. Und mit Hilfe bereits existierender Technologien würde das Energiewachstum gefördert, da diese Energie zu geringen Kosten (oder sogar gewinnbringend) nutzbar wäre.

Langfristig kann Nachhaltigkeit jedoch nicht nur durch Energiesparen und den Gebrauch existierender Technologien garantiert werden; deshalb muss wesentlich mehr getan werden. Wir benötigen eine diversifizierte Energieversorgung, um Sicherheit zu garantieren; moderate Preise, um Wachstum zu generieren und eine massive Reduktion von Treibhausgasen, um die globale Erwärmung zu stoppen. Ohne immense Investitionen in neue Technologien ist das nicht möglich. Ein Zaubermittel gibt es dabei nicht.

Wir brauchen mehr erneuerbare Energien. Doch stoßen wir auf physikalische Grenzen, was den Gebrauch und die Kosten vieler Energien wie Biomasse und Photovoltaik (Erzeugung von elektrischer Energie aus Sonnenlicht) betrifft. Vor allem die Kosten müssen durch koordinierte und signifikante Bemühungen im Bereich Forschung und Entwicklung verringert werden.

Auch sollten wir verstärkt auf Atomenergie zurückgreifen, zumindest in Ländern, die gegen diese Form der Energie politisch nichts einzuwenden haben. Durch die Nutzung von Atomenergie lassen sich große Mengen an Elektrizität kostengünstig produzieren, wobei der Ausstoß an Treibhausgasen deutlich reduziert ist. Ein Problem muss dabei noch gelöst werden: die sichere Zwischen- und Endlagerung von Atommüll. Auch hier gilt wieder: Forschung und Entwicklung sind notwendig und spielen eine entscheidende Rolle.

Überdies benötigen wir mehr fossile Energie, ganz besonders Kohle. Gleichzeitig aber müssen wir die Kohlenstoff-Emissionen reduzieren. Das können wir durch einen weitreichenden Gebrauch von Technologien zur Speicherung größerer Kohlendioxid-Mengen (CSS – capture and storage) erreichen – ein Verfahren, das bereits erfolgreich, allerdings noch nicht in ausreichendem Maß getestet wird. Einmal mehr sind Forschung und Entwicklung hier essentiell.

Wasserstoff für Brennstoffzellen könnte sich zumindest im Transportsektor ebenfalls zu einer Alternative zum Öl entwickeln. Aber Wasserstoff kommt als natürliche Ressource kaum vor. Er kann nur unter Ausnutzung einer anderen Energiequelle generiert werden. Produktion und Transport von Wasserstoff erfordern Energie. Den größten Nutzen aus Wasserstoff-energie können wir erzielen, wenn der dafür notwendige Energieverbrauch durch eine effektive Verwendung in Brennstoffzellen aufgewogen wird. Für eine solche grundlegende Veränderung des Energiesystems müssen aber eine Reihe technologischer und wirtschaftlicher Hürden überwunden werden. Ist das bereits geschehen, kann Wasserstoff als Energiequelle äußerst interessant werden, sofern diese Energie ohne großen CO2-Austoß erzeugt wird – also durch Atomenergie oder durch Technologien zur Speicherung von Kohlendioxid.

Noch einmal möchte ich betonen, welch zentrale Bedeutung der Politik zufällt. Eine gesunde Energiepolitik erfordert ungeheure Investitionen, eine enorme Verringerung der Kosten und eine Förderung der effizientesten Lösungen. Auch wenn dies am besten durch die Kräfte des Marktes geschieht, sind Regierungen keineswegs zur Tatenlosigkeit verurteilt. Sie müssen dafür sorgen, dass sich – auch in Bereichen wie der Reduzierung von CO2 durch den Handel mit Emissionszertifikaten – die Mechanismen des Marktes entfalten können, indem sie Subventionen streichen. Sie müssen aber auch eingreifen, wenn diese Marktmechanismen nicht funktionieren, indem sie intensiv in Forschung und Entwicklung investieren, Normen und Standards einführen, ein gutes Investitionsklima schaffen und Bürgern und Kommunen, die oft Energiesicherheit wünschen, aber die Produktion von Energie nicht gerne in ihrer Nähe sehen, erklären, dass das eine nicht ohne das andere möglich ist.

CLAUDE MANDIL, geb. 1942, absolvierte die Ecole Polytechnique und war u.a. als Berater des französischen Premierministers tätig. Er ist Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2006, S. 58 - 59

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