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01. Juli 2007

Annäherung ohne Wandel

Vereint in Ohnmacht: Die EU und ihr Verhältnis zu Russland

In Heiligendamm ist die Bundeskanzlerin an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen – wohlgemerkt: ihrer Möglichkeiten, nicht ihrer Fähigkeiten. Als Präsidentin der G-8 und der EU hat Angela Merkel erneut bewiesen, wie souverän sie zu verhandeln weiß. Sie leitet, ohne sich aufzudrängen, sie vermittelt, aber lenkt auch, sie ist bereit zum Kompromiss, ohne dabei ihre Prinzipien aufzugeben. Diese doppelte Präsidentschaft hat aber die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit – und damit auch der Handlungsfähigkeit aller Europäer – erwiesen. So wurde George W. Bush in Heiligendamm zum Einlenken gezwungen, ohne aber das wichtigste Zugeständnis zu machen: eine verbindliche Akzeptanz internationaler Regulierungen in Sachen Klimawandel.

In keinem Falle war die Ohnmacht der Europäer derart mit den Händen zu greifen wie in den Beziehungen zu Russland. Das Russland Putins ist auf dem bestem Wege, undemokratisch zu werden. Die Freiheiten werden eingeschränkt, Oppositionelle drangsaliert, gar ermordet – und dann ist da noch der Krieg in Tschetschenien. In seiner Außenpolitik greift Putins Russland ebenfalls nach der Knute. Es verbietet die Ausfuhr von Öl und Gas oder die Einfuhr von Agrarprodukten in oder aus Ländern, deren Politik ihm nicht gefällt. Die Liste wird jährlich länger: von Georgien und Moldawien bis zur Ukraine, Weißrussland, Polen oder Estland. Der jüngste Vorfall dieser Art grenzt beinahe an eine Kriegserklärung: Denn was ist das massive Eingreifen in die Informationssysteme Estlands, wenn nicht ein Cyberwar?

Auf diese Politik der Einschüchterung hat die Europäische Union bis jetzt kaum reagiert. Im vergangenen Winter hat Brüssel versucht, eine gemeinsame Energiepolitik zu entwerfen, aber dazu fehlen der Union die Kompetenzen. Kommt noch hinzu, dass sich die Länder Europas von strategisch-wirtschaftlichen Zielen leiten lassen – ohne aber die strategisch-politischen Ziele in Rechnung zu stellen. In dieser Hinsicht hat die deutsche Präsidentschaft uns nicht weiter gebracht. Weit davon entfernt, sich zusammenzuschließen, reagieren die Europäer isoliert. Gazprom, der quasi staatliche Gasmonopolist, kauft Europa auf – von den Transportwegen bis zu den Einzelhändlern und Lagerungsstätten –, und Frankreich, Deutschland oder Ungarn lassen es zu, trotz aller Warnungen von Ländern wie Polen und Litauen. Putin mag Recht haben, wenn er sagt, dass es praktisch keine politisch zuverlässige Alternative zu Russland gibt. Zumindest aber könnten die Europäer versuchen, entschiedener aufzutreten und nicht gleich ihr Tafelsilber zu verkaufen. Es bedurfte schon des massiven Eingreifens Russlands in die estnischen Angelegenheiten, um die Europäer aufzuwecken – während vorher sich kaum jemand um Dinge wie das Einfuhrverbot für polnisches Fleisch nach Russland gekümmert hat, immerhin doch eine Angelegenheit mit Relevanz für den Gemeinsamen Markt.

Natürlich, Angela Merkel selbst hat die russische Politik immer wieder kritisiert. Andere Vertreter Europas aber – wie José Manuel Barroso – haben sich erst jetzt zu einer Verurteilung durchringen können. Insofern hat die russische Politik den Europäern einen Gefallen getan: Zumindest für den Augenblick haben ihre Drohgebärden West- und Osteuropäer einander näher gebracht. Dazu beigetragen hat sicherlich die Tatsache, dass Angela Merkel zu diesem Zeitpunkt die Union geleitet hat, und nicht etwa Gerhard Schröder, ein Freund des „lupenreinen Demokraten“.

Obwohl die Europäer derzeit ein bisschen mehr Einigkeit demonstrieren, bleiben sie aus unterschiedlichen, zum Teil geographischen und historischen Gründen geteilter Meinung. Und nicht nur die Europäer sind gespalten: Deutschland ist es eben auch. Wo Frau Merkel entschieden verurteilt, ist ihr sozialdemokratischer Außenminister bereit, den alten und manchmal falsch verstandenen Rezepten der Ostpolitik zu folgen – nach einer Devise, die sich mit „Annäherung ohne Wandel“ beschreiben lässt. Und weil Deutschland als wichtigster Staat des kontinentalen Europas gilt, ist das ein Problem.

ANNE-MARIE LE GLOANNEC, geb. 1954, ist Directrice de Recherches am Centre d’Études et de Recherches Internationales (CERI) in Paris.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2007, S. 146 - 147.

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