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20. Apr. 2012

Amerika oder Asien?

Wie der alte Hegemon mit der neuen Supermacht China kooperieren könnte

Wie standhaft ist der „liberale Leviathan“ Vereinigte Staaten? Bleibt die „amerikanische Weltordnung“ bestehen? Und was zeichnet Macht und Hegemonie im 21. Jahrhundert aus? Dem Aufstieg Asiens zum Trotz: Für drei namhafte Autoren steht fest, dass Amerika auch künftig die entscheidende Macht im Weltsystem bleiben wird.

Drei Bücher über Amerika, wo doch Asien heute viele in den Bann schlägt? Die Frage suggeriert natürlich eine falsche Alternative, spiegelt aber nichtsdestotrotz eine starke Tendenz wider, unabhängig davon, ob der Beobachter amerikakritisch oder allein ökonomisch orientiert ist, schlicht dem Neuen zuneigt oder aus der Finanz- und Wirtschaftskrise ein neues Zeitalter ableitet. Da ist es gut, wenn zwei Doyens der amerikanischen Politikwissenschaft mit Praxiserfahrung (Joseph S. Nye/Harvard, G. John Ikenberry/Princeton) und ein britischer außenpolitischer Denker mit historischer Tiefenschärfe (Ian Clark/Aberystwyth) den Debatten neue Richtungen geben.

Bei allen Unterschieden sind sich die Autoren, stark verkürzt, in einem einig: Ja, Amerika ist gegenwärtig schwach; ja, einige ostasiatische Volkswirtschaften sind atemberaubend erstarkt und wachsen militärisch rasant. Aber: Global hat sich eine – in sich facettenreiche – Form des Marktwirtschaftens durchgesetzt, die westlicher Innovationskraft langfristig entgegenkommt (Nye). Politisch mag das chinesische Modell kurzfristig für einige afrikanische oder südamerikanische Eliten attraktiv sein, langfristig wird auch China nicht an der für Amerika schmerzhaften, gleichwohl immer mal wieder in Frage gestellten Erkenntnis vorbeikommen: Trotz aller militärischen und wirtschaftlichen Macht – wer führen will, muss Gefolgschaft und damit Legitimität in der Welt gewinnen, sonst wird es einsam und auf Dauer politisch teuer.

Dass Großmächte die vom Völkerrecht und internationalen Organisationen ausströmende Legitimität trotzdem zuweilen missachten, ist allen Autoren wohlbekannt (und vielleicht Teil einer Erklärung, warum solche wichtigen Bücher seit Jahrzehnten nicht von Deutschen geschrieben werden); es hält sie davon ab, sich luftigen Governance-Idealen hinzu­geben. Stattdessen suchen sie nach unvollkommenen, aber gangbaren Wegen der Großmachtkooperation.

Vier Themenkomplexe stehen dabei im Mittelpunkt: die häufig so aufgefasste Dialektik vom Abstieg der USA und dem Aufstieg Chinas; die Alternative von „stakeholder“ und „free rider“ im internationalen System; die verbreitete Annahme liberaler Denker, dass dieses Weltsystem schwerlich umzustürzen, ihm beizutreten hingegen relativ einfach sei; und zuletzt: die Formen, in denen Amerika mit anderen Großmächten kooperieren kann. Joseph Nye hütet sich gleich zu Beginn explizit davor, „Macht allein mit materiellen Ressourcen zu verwechseln“ (hier und im Folgenden Übersetzung des Rezensenten) und spricht folgerichtig lieber von „drei Aspekten relationaler Macht“ („Veränderungen durchsetzen, Kontrolle über Agenden ausüben, Präferenzen bestimmen“). Wichtig ist ihm dabei, dass diese nicht getrennt, sondern mit Umsicht komplementär angewendet werden sollten.

Im Ergebnis führt dies zur Synthese von harter und weicher Macht, mithin zu dem, was Nye als Smart Power bezeichnet. In den anderen Kapiteln greift er dann weiter aus und exemplifiziert die Bestandteile der harten Macht (militärisch, ökonomisch) und weicher Macht, die durch Agendasetting, Strahlkraft und Überzeugungsarbeit erreicht werden kann. Nye führt hier überzeugend vor, wie sehr diese Politik der Legitimität seit Ende des Kalten Krieges sowohl aufgrund des amerikanischen, historisch aufgeladenen Sendungsbewusstseins als auch infolge überbordender materieller Macht (Stichwort: Unipolarität) von der politikwissenschaftlichen Theorie und auch in der amerikanischen Praxis für weitgehend irrelevant erachtet wurde.

Den Befund eines „amerikanischen Niedergangs“ weist Nye schon seit 30 Jahren zurück; in der historischen Rückschau sticht hervor, „wie stark amerikanische Schätzungen sowjetischer und japanischer Macht in den Siebzigern beziehungsweise Achtzigern überzogen waren“. Mit Blick auf das amerikanisch-chinesische Verhältnis mahnt er zur Besonnenheit: „Selbst wenn China keinen größeren innenpolitischen Rückfall erleiden sollte, basieren viele der mannigfachen gegenwärtigen Projektionen allein auf dem BIP-Wachstum und sind deshalb viel zu eindimensional, da sie nicht nur amerikanische Vorteile hinsichtlich der Soft Power unterschätzen, sondern auch Chinas geostrategische Nachteile in Asien im Vergleich zu Amerikas guten Beziehungen zu Europa, Japan, Indien und anderen.“ Trotz des „innergesellschaftlichen Verfalls“ bleiben Amerikas Innovationskraft und prinzipielle Offenheit wichtige Güter. Wenngleich sie den relativen Abstieg wohl nicht aufhalten können, scheint das Szenario eines absoluten Abstiegs der Großmacht USA abwegig.

Smart-Power-Strategie

Nye empfiehlt Amerika deshalb mit krisenfestem Optimismus eine Smart-Power-Strategie. Im Kern gehe es nicht um „Machtmaximierung oder den Erhalt einer unklar gefassten Hegemonie, sondern darum, angemessene Wege zu finden, wie materielle Ressourcen im neuen Kontext der Machtdiffusion und des Aufstiegs der übrigen Welt in erfolgreiche Strategien umgemünzt werden können“. Was heißt das? Amerika muss sich im Sinne von Nyes Machtkonzeption nüchtern die Stärke seiner Macht und deren Grenzen vergegenwärtigen. Diese neue, liberal-realistische Strategie hat folgende Kernziele: „Sicherheit für die USA und deren Verbündete zu garantieren, eine starke US- und internationale Wirtschaft zu erhalten … und gleichzeitig Demokratie und Freiheitsrechte in den Vereinigten Staaten und im Ausland zu fördern – wo immer dies zu einem vernünftigen Preis zu machen ist.“ Sehr skeptisch ist Nye, ob China weltpolitisch als „responsible stakeholder“ auftreten wird. Vielmehr sieht er in Peking langfristig einen „free rider“, da China zu sehr mit sich selbst beschäftigt sei und sein werde. Da dieser Befund auf die Vereinigten Staaten gleichfalls zutrifft, belässt Nye die Frage, wie realistisch Ordnung geschaffen werden kann, vage im Ermessen der USA.

Weitere Erkenntnisse liefert Ian Clarks umsichtige Studie. So nimmt er das Konzept des „stakeholder“ stärker unter die Lupe und stellt mit der ihm eigenen historischen Tiefenschärfe fest: „Es war keineswegs die Gesamtheit der in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre geschaffenen Institutionen, die die US-Hegemonie quasi zufällig begründeten; vielmehr wurde die Schaffung der Institutionen möglich, weil eine Gruppe von Staaten das hegemoniale Prinzip zumindest für ihre Sphäre der internationalen Politik bereits akzeptiert hatte.“ Genau mit dieser Kritik am funktionalen Institutionenverständnis legt er ein wichtiges Dilemma offen: China war an den institutionellen Weichenstellungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs nicht beteiligt und fühlt sich mithin nicht an sie gebunden. Mitgliedschaft in diesen Institutionen schließt dies zwar nicht aus. Zu glauben allerdings, dass man China nunmehr einfach zum „stakeholder“ machen könne, sei irrig, denn was eine solche Sichtweise nicht ausreichend berücksichtige, „ist die Frage, ob diese Behandlung China genügen wird. Haben im Niedergang begriffene Hegemone irgendeine Berechtigung, eine von ihnen geschaffene Ordnung festzuschreiben, und von ihren Nachfolgern zu erwarten, diese einfach zu übernehmen?“

Diese Beobachtung stellt Clark selbst vor ein Dilemma, das er übersieht. Wenn die USA in ihrem Bemühen, China in einen „stakeholder“ zu verwandeln, keine Fortschritte machen, dann scheint der Rückgriff auf die eigentlich „risikoreichste Strategie von allen, die Verfolgung einer Koalitionshegemonie“, naheliegend – was wiederum im Fall Chinas das Free- rider-Denken nur bestärken würde. Solche Koalitionen, bisweilen als „league of democracies“ gedacht, sind ihrer Natur nach exklusiv und führen zu diplomatischen Verwerfungen.

Dass aber der Hegemonietyp kollektiven Zuschnitts anderen vorzuziehen ist, steht für Clark außer Frage. Die bestehenden Dilemmata kann er jedoch letztlich nur dadurch auflösen, dass er die USA als „einzigartig relevant“ bezeichnet, wissend, dass ohne den diplomatischen Willen der USA neue Formen der Kooperation nicht zu haben sind. Da auch er die an BIP-Wachstumsraten festgemachte China-Euphorie skeptisch betrachtet, stellt sich für ihn die Legitimitätsfrage umso deutlicher. China werde „genauso fundamental auf Gefolgschaft angewiesen sein wie die Vereinigten Staaten“. Ob daraus amerikanisch-chinesische Gemeinsamkeiten im Handeln abzuleiten sind, bleibt aber fraglich. Clark betont vielmehr die Notwendigkeit von „effektiver internationaler Zusammenarbeit“, weshalb die Vereinigten Staaten mit „einflussreichen Partnern zusammenarbeiten werden, wo immer sich diese finden“, und dies keineswegs nur „innerhalb formaler Institutionen und Rahmen“.

In seiner beeindruckenden historischen und theoretischen Studie bekräftigt derweil John Ikenberry seine Überzeugung, dass die im und nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA geschaffene liberale Ordnung weiterhin funktioniere. „Ich behaupte, dass es sich um eine Autoritätskrise handelt – um eine Auseinandersetzung darum, wie die liberale Weltordnung organisiert werden sollte, und nicht um eine Krise der Prinzipien, die der internationalen Ordnung, definiert als offenes und lose regelbasiertes System, zugrunde liegen.“ Er führt vier Gründe an, warum diese Ordnung auch in Zukunft die bestimmende sein wird. 1. Nuklearwaffen und die Dominanz liberaler Demokratien machen Krieg als traditionellen Wandlungsfaktor unmöglich. 2. Ökonomische Interdependenz hat ein enormes Interessengeflecht geschaffen, das von den jeweiligen Akteuren mit großem Nachdruck erhalten wird. 3. Aufstrebende Mächte formen keine feste Allianz, sie sind höchstens eine ex negativo definierte Gruppierung, die überdies marktwirtschaftlich denkt. 4. Nuklearwaffen und internationaler Handel machen alle Großmächte zu Status-quo-Mächten.

Gewiss sind diese Gründe nicht von der Hand zu weisen. Was aber verblüfft, ist die gleichsam deterministische Überzeugung, mit der Ikenberry, Francis Fukuyamas „Ende der Geschichte“ nicht unähnlich, die Vollendung des liberal-demokratischen Siegeszugs auch für Peking vorhersehen will. Im Gegensatz zu Clark bleiben kritische Fragen aus, wenn es um Chinas Mitgliedschaft in internationalen Organisationen geht. Dabei übersieht Ikenberry, dass die Mitgliedschaft substanzielle Veränderungen von innen gerade erst ermöglicht – eine Einschätzung, die Gespräche des Rezensenten mit hochrangigen Praktikern in den USA bestätigen. Und angesichts des „nuklearen Tabus“ lässt sich fragen, warum Ikenberrys liberal-sozialisierende Prognose eigentlich nicht bereits auf Deutschland und Japan vor dem Ersten Weltkrieg zugetroffen haben sollte.

In Zeiten, in denen viele den Untergang der Supermacht USA prophezeien, bestechen alle drei Werke durch ihren Optimismus. Wie die Vereinigten Staaten mit China und anderen aufstrebenden Mächten friedlich zusammenarbeiten könnten, skizzieren Clark und Nye sehr überzeugend. Ikenberry ist sich hingegen sicher: Der „liberale Leviathan“ bleibt der Welt erhalten und wird China in seine Ordnung inkorporieren können.

Joseph Nye: The Future of Power, Public Affairs, New York 2011, 320 Seiten, 18,95 €

Ian Clark: Hegemony in International Society, Oxford University Press, Oxford 2011, 296 Seiten, 35,99 €

G. John Ikenberry: Liberal Leviathan: The Origins, Crisis, and Transformation of the American World OrderPrinceton University Press, Princeton (NJ) 2011, 392 Seiten, 23,95 €

Dr. MAXIMILIAN TERHALLE ist Visiting Scholar am Saltzman Institute of War and Peace Studies der Columbia University, New York.

Bibliografische Angaben

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