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01. Sep 2005

Alternativen zur Souveränität

Neue Institutionen für kollabierte und scheiternde Staaten

Das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten funktioniert nicht mehr. Prekäre Staaten können sich nicht selbst „reparieren“. Aber das Instrumentarium für auswärtige Akteure ist ebenfalls mangelhaft. Es muss durch Konzepte geteilter Souveränität ergänzt werden. Das wäre durchaus im Eigeninteresse prekärer Staaten. Aber eine internationale Anerkennung dieses neuen Prinzips ist dringend notwendig.

Der herkömmliche Souveränitätsbegriff setzt eine Welt selbständiger, international anerkannter und stabil regierter Staaten voraus. Die grundlegenden Regeln der konventionellen Souveränität – Anerkennung rechtlich unabhängiger territorialer Einheiten und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten – wurden nur selten in Frage gestellt, obwohl in der Praxis häufig gegen sie verstoßen wurde. Doch diese Regeln funktionieren nicht mehr, ihre Unzulänglichkeiten haben eine Reihe negativer Konsequenzen. Das politische Instrumentarium, das mächtigen und stabil regierten Staaten zur Verfügung steht, um schlecht regierte oder zerfallende Staaten zu „reparieren“ – in erster Linie Regierungshilfe und vorübergehende Verwaltung – greifen nicht mehr. Künftig wird die Installierung einer besseren Regierungsform in solchen Staatswesen die Veränderung bislang akzeptierter Regeln bis hin zur Schaffung geteilter Souveränität in bestimmten Gebieten erfordern.

Schwierigkeiten bei der Etablierung besserer Regierungsformen entstehen auch, wo nationale Herrschaftsstrukturen weniger durch interne Konflikte als durch äußere Einmischung und Besetzung zusammengebrochen sind. Die Verfügbarkeit von Massenvernichtungswaffen und die Existenz eines transnationalen Terrorismus schufen eine völlig neue Situation: Staatsgebilde mit sehr beschränkten materiellen Möglichkeiten sind in der Lage, die Sicherheit sehr viel mächtigerer Staaten zu bedrohen. Diese Staatsgebilde können zwar relativ leicht erobert und besetzt werden, doch stehen die Besatzungsmächte danach vor der sehr viel schwierigeren Aufgabe, annehmbare interne Regierungsstrukturen zu etablieren. Überließe man kollabierte und unzureichend regierte Staaten sich selbst, wären sie aufgrund ihrer beschränkten administrativen Fähigkeiten nicht in der Lage, sich selber zu „reparieren“.1 Besatzungsmächte kommen daher nicht umhin, entscheiden zu müssen, welche neuen Regierungsformen ausgewählt und etabliert werden sollen.

Um die internationalen Gefährdungen zu reduzieren und die Zukunftsaussichten für die Menschen in diesen Staatsgebilden zu verbessern, sollte die Liste politischer Optionen durch alternative institutionelle, von externen Akteuren begleitete Arrangements wie die De-facto-Treuhandverwaltung und eine geteilte Souveränität ergänzt werden, denn das bisherige Arsenal politischer Maßnahmen im Umgang mit kollabierten und zerfallenden Staaten ist dürftig. Es besteht vor allem in der Einrichtung einer Übergangsverwaltung und auswärtiger Hilfe. Beide Maßnahmen gehen davon aus, dass die betroffenen Staaten wieder in der Lage sein werden, eigenständig zu funktionieren. Nationenbildung oder Staatsaufbau werden in diesem Zusammenhang fast ausschließlich als Maßnahmen beschrieben, die lokale Autoritäten befähigen sollen, Verantwortung für eine Souveränität im herkömmlichen Sinne zu übernehmen. Die Aufgaben externer Kräfte werden als beschränkt definiert. Obwohl die Gesetze der konventionellen Souveränität de facto verletzt, wenn nicht de jure in Frage gestellt werden, gehen wir weiterhin von einer aus vollständig souveränen Staaten bestehenden Welt aus.

Alternativen zur konventionellen Souveränität

Konventionelle Souveränität besteht aus drei Elementen: internationale rechtliche Souveränität, Westfälische Souveränität und innere Souveränität. Das Grundprinzip der internationalen rechtlichen Souveränität besteht in der juristischen Anerkennung unabhängiger territorialer Gebilde. Diese Gebilde verfügen über die Entscheidungsfreiheit, welchen Vereinbarungen oder Verträgen sie beitreten wollen oder nicht. Dieses Recht wird weitgehend, wenn auch nicht universell respektiert. Das Grundprinzip der Westfälischen Souveränität ist der Verzicht auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Die innere Souveränität definiert sich nicht durch einzelne Normen oder Regeln, sondern beschreibt die Struktur der inneren Gewalten und deren Befugnis, das Geschehen innerhalb der Staatsgrenzen zu kontrollieren. Im Idealfall sichert diese Gewaltenteilung eine Gesellschaft, die friedlich ist, die Menschenrechte garantiert, über Kontrollmechanismen verfügt und die Herrschaft des Gesetzes respektiert.

Einer der auffallendsten Aspekte der Welt von heute ist das Ausmaß, in dem einige Staaten immer noch internationale Souveränität genießen, obwohl ihre innere Souveränität völlig zusammengebrochen ist. Somalia ist weiterhin eine international anerkannte Einheit, obwohl so gut wie keine nationalen Institutionen mehr existieren.

Konventionelle Souveränität ist gegenwärtig die einzige vollständig legitimierte Institutionsform. Leider funktioniert sie nicht immer. Soll in gescheiterten, scheiternden und besetzten Staaten eine ordentliche Regierungsgewalt abgesichert werden, sind neue institutionelle Formen notwendig, welche die Prinzipien der Westfälischen Souveränität für einen unbegrenzten Zeitraum einschränken. Geteilte Souveränität als Vereinbarung, wonach Einzelpersonen, die von internationalen Organisationen, mächtigeren Staaten oder Ad-hoc-Gebilden ausgewählt wurden, sich mit nationalen Kräften die Entscheidungsgewalt über einige Aspekte der inneren Souveränität teilen, wäre eine nützliche Ergänzung des politischen Repertoires. Im Idealfall würde die geteilte Souveränität durch einen Vertrag zwischen nationalen Behörden und einem auswärtigen Beauftragten abgesichert. In anderen Fällen könnten internationale Vermittler zu dem Schluss kommen, dass die beste Lösung in der Einrichtung einer De-facto-Treuhandschaft oder eines Protektorats besteht. Bei einem solchen Arrangement würde die Westfälische Souveränität der betreffenden politischen Einheit verletzt, die Exekutive wäre weitgehend mit auswärtigen Akteuren besetzt und die internationale rechtliche Souveränität außer Kraft gesetzt. Es wird allerdings keinerlei Bestrebungen geben, durch eine internationale Konvention oder einen Vertrag den Grundregelkanon einer solchen Option zu formalisieren.

Scheitern der konventionellen Souveränität

Gescheiterte, inkompetente, ungeeignete oder missbräuchliche staatliche Strukturen sabotieren die Wirtschaft, verletzen grundlegende Menschenrechte und gefährden die physische Sicherheit der Bevölkerung in diesen Ländern. Unruhen bis hin zum Bürgerkrieg sind in einigen Teilen der Welt inzwischen endemisch. In diesen prekären Staaten ist die Infrastruktur aus den Fugen geraten, Korruption weit verbreitet, sind die Grenzen ungeklärt, geht das Nationaleinkommen zurück oder stagniert, ist Kriminalität weit verbreitet und wird die nationale Währung kaum noch akzeptiert. Die Macht der Zentralregierung, des Gebildes, das die Hoheitsrechte im Sinne der internationalen rechtlichen Souveränität ausübt, ist auf Teile des „Staatsgebiets“ beschränkt. Schwache Institutionen sind oft im Interesse der Eliten (siehe den Beitrag von Christoph Zürcher in diesem Heft). Für viele Länder funktioniert die innere Souveränität nicht und eine Besserung ist nicht in Sicht.

Mächtige Staaten können das Phänomen prekärer Staaten nicht ignorieren, denn deren Sicherheits- und wirtschaftliche Interessen sind durch diese Staaten gefährdet. Humanitäre Krisen beunruhigen die Gesellschaften fortgeschrittener Demokratien. Für deren Regierungen entsteht die unmögliche Situation kritisiert zu werden, wenn sie intervenieren, aber auch, wenn sie abseits stehen. Die Verfügbarkeit von Massenvernichtungswaffen, das einfachere Passieren von Staatsgrenzen und das Entstehen terroristischer Netzwerke ermöglichten es auch scheinbar schwachen Akteuren, größten Schaden anzurichten. Staaten mit beschränkten Mitteln können heute chemische und biologische Waffen produzieren. Auch die Herstellung nuklearer Waffen ist selbst für bitterarme Länder wie Nordkorea nicht mehr außer Reichweite. Prekäre Staaten sind Rückzugszonen für Terrororganisationen. Auch kriminelle Aktivitäten wie der internationale Drogenhandel blühen erst dort richtig auf, wo die Souveränität nicht mehr intakt ist. Nicht zuletzt verlangen schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte unangenehme politische Entscheidungen von der demokratischen Führung in mächtigeren Staaten. In den vergangenen Jahren hat sich eine Reihe humanitärer Katastrophen ereignet. Zu nennen sei hier nur der Genozid in Ruanda Mitte der neunziger Jahre.

Die politischen Führungszirkel in starken wie in schwachen Staaten haben es bisher versäumt, die herkömmlichen Normen der Souveränität in Frage zu stellen. Die politischen Optionen, die zurzeit für die „Instandsetzung“ prekärer Staaten zur Verfügung stehen, stimmen mit diesen Normen überein. Sie haben in der Vergangenheit dazu beigetragen, die staatliche Verwaltung in solchen Staaten zu verbessern. Doch die politischen Entscheidungsträger könnten besser agieren, wenn ihnen ein breiteres Repertoire zur Verfügung stünde.

Governance-Hilfe

Im letzten Jahrzehnt wandten internationale Organisationen, die Vereinigten Staaten und andere Geberländer große Mittel zur Förderung von Good Governance auf. Seit den fünfziger Jahren beschäftigen sich internationale Finanzinstitutionen mit politischen Fragen und gelegentlich auch institutionellen Reformen in Schuldnerländern.2 Ausländische Hilfe zur Verbesserung von Governance in schwachen Staaten widerspricht grundsätzlich nicht den Regeln der konventionellen Souveränität. Regierungen schließen Ausbildungsverträge für unterschiedlichste Gebiete mit auswärtigen Stellen (Ländern, multilateralen Organisationen, NGOs) ab. Solche Vertragsabschlüsse stimmen solange mit internationaler rechtlicher Souveränität überein und entsprechen den Grundsätzen der Westfälischen Souveränität, wie der Einfluss der ausländischen Akteure auf die nationalen Entscheidungsstrukturen, bestimmte Politikbereiche oder die Verbesserung der Qualifikation der Staatsbediensteten beschränkt bleibt. Divergiert die Stärke der Verhandlungspartner beträchtlich, was bei Verhandlungen zwischen internationalen Finanzinstitutionen und Schuldnerländern möglich ist, kann die Westfälische Souveränität gefährdet sein.

Ausländische Akteure können nicht nur einzelne Politikfelder, sondern auch Vereinbarungen in den Zielländern beeinflussen. Das Schuldnerland steht besser da mit der Vereinbarung als ohne sie; sonst hätte es sie nicht abgeschlossen. Dennoch ist es möglich, dass die politische Führung die Einmischung der ausländischen Akteure akzeptiert, da die Alternative bedeuten würde, den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten zu verlieren. Die Effektivität von Governance-Hilfe wird trotzdem immer beschränkt bleiben, und manche Politiker werden lieber ihre Bevölkerung ausbeuten als Reformen einzuführen. Der Einfluss ausländischer Akteure ist normalerweise begrenzt.

Übergangsverwaltung

Die Übergangsverwaltung ist gegenwärtig die einzig anerkannte Alternative zur konventionellen Souveränität, womit wir explizit nicht die grundlegenden Normen der Souveränität in Frage stellen wollen. Übergangsverwaltung kann von Peacekeeping- oder Peacebuilding-Operationen und der Übernahme der vollständigen Exekutivgewalt durch die Vereinten Nationen für einen bestimmten Zeitraum bis hin zu Unternehmungen wie der Überwachung der Umsetzung von Friedensvereinbarungen reichen. Die Übergangsverwaltung, die meist durch den UN-Sicherheitsrat autorisiert wurde, ist immer als eine zeitlich begrenzte Maßnahme verstanden worden, die Bedingungen schaffen soll, unter denen die konventionelle Souveränität wieder hergestellt werden kann. Die Westfälische und die internationale rechtliche Souveränität werden dabei kurzfristig verletzt, um sie langfristig wieder herstellen zu können.

Die Bilanz der Peacebuilding-Missionen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist durchwachsen. Eine neuere Studie zählt 124 solcher Missionen durch die internationale Staatengemeinschaft. Davon gelten 43 Prozent als erfolgreich, wobei sich der Erfolg durch die Abwesenheit von Feindseligkeiten definiert. Kämen als Kriterium noch Fortschritte bei der Demokratisierung hinzu, reduzierte sich die Quote auf 35 Prozent.3

Eine Übergangsverwaltung ist besonders problematisch in Fällen, bei denen die lokalen Akteure sich entweder untereinander oder mit den ausländischen Akteuren uneinig sind. Unter solchen Umständen erhöht die zeitliche Begrenzung einer Übergangsverwaltung die Schwierigkeit, stabile Institutionen aufzubauen. Divergieren unter den lokalen Gruppierungen die Vorstellungen von Machtverteilung und Verfassungsstruktur, setzt die politische Führung dieser Gruppen alles daran, die eigene Position in Vorbereitung auf den Abzug der fremden Akteure zu stärken. Dies erreichen sie, indem sie sich um die maximale Unterstützung ihrer Gefolgschaft kümmern und nicht um effektive nationale Institutionen. Andererseits haben lokale Führer, die während der Übergangsverwaltung vom Wohlwollen der ausländischen Akteure abhängig geworden sind, kein Interesse daran, sich für neue institutionelle Vereinbarungen einzusetzen – denn das würde ja nur zum frühzeitigen Abzug ihrer ausländischen Wohltäter führen.4

Vielfältigste ausländische Akteure mit unterschiedlichsten Interessen und wenig Neigung, ihre Aktivitäten zu koordinieren, sind der Grund für viele der Probleme, die in Übergangsverwaltungen entstehen. Die bürokratischen und finanziellen Interessen der einzelnen internationalen Organisationen sind nicht unbedingt identisch. NGOs sind auf Spenden und ihren Ruf bedacht. Auch die Interessen der ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, dem die UN-Peacekeeper letztendlich rechenschaftspflichtig sind, gingen oft weit auseinander.

In den einfachsten Fällen, bei denen die Hauptakteure sehr früh eine für alle akzeptable Grundvereinbarung gefunden hatten, funktionierte das Instrument der Übergangsverwaltung bestens. Hier hat die Übergangsverwaltung eine weitgehend beobachtende Funktion. So kann sie tatsächlich neutral zwischen den rivalisierenden Gruppen agieren. Eine solche Mission erfordert keine schwere Bewaffnung. In Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan und im Irak – also in Fällen, in denen die lokalen Führer eben keine Übereinkunft darüber getroffen haben, was am Ende für ihr Gemeinwesen herauskommen soll, ist die Übergangsverwaltung mit größeren Schwierigkeiten konfrontiert.

Neue institutionelle Optionen

Die beschränkten Erfolge und Möglichkeiten von Governance-Hilfe und Übergangsverwaltung erfordern andere Optionen für den Umgang mit prekären Staaten. Zwei Möglichkeiten stünden zur Verfügung. Die erste wäre die Wiederbelebung der Treuhandschaft oder eines (eher de facto als de jure) Protektorats. Bei der zweiten müssten wir eine geteilte Souveränität evaluieren. In diesem Fall würden lokale Herrscher ihre internationale rechtliche Souveränität dazu benutzen, Institutionen innerhalb ihres Staates zu legitimieren, in denen die Macht zwischen internen und externen Akteuren geteilt wird. De-facto-Treuhandschaften sind auf internationaler Bühne inzwischen zur Tatsache geworden. Dennoch ist es nicht einfach, eine Alternative zur konventionellen Souveränität zu entwickeln, besonders, wenn damit die internationale rechtliche Souveränität explizit außer Kraft gesetzt wird und ausländische Akteure große Bereiche der inneren Souveränität für unbegrenzte Zeit kontrollieren sollen. Bis heute gab es keine Bemühungen, eine Konvention auszuarbeiten, die eine neue Form der Treuhandschaft definieren und in das internationale Rechtssystem integrieren würde. Im Gegenteil. Alle wichtigen Akteure, einschließlich der Vereinigten Staaten, verpflichteten sich, die Herrschaft lokaler Akteure zum frühestmöglichen Zeitpunkt wieder herzustellen.

Die Festschreibung eines Prinzipienkatalogs für eine neue Form der Treuhandschaft oder des Protektorats müsste klare Richtlinien umfassen. Wer installiert die neuen Herrscher und überwacht ihre Handlungen? Der UN-Sicherheitsrat? Eine regionale Organisation wie die Europäische Union? Eine Koalition der Willigen? Ein einzelner Staat? Welchen Umfang soll die Macht der Zentralregierung haben? Alle Aktivitäten des Staates inklusive der Sicherheit und der internationalen Beziehungen? Vorausgesetzt, es ist kein Zeitpunkt festgelegt, an dem das Mandat der Treuhandschaft oder des Protektorats endet, wie wird der geeignete Zeitpunkt für die Übergabe der Herrschaft an die lokalen Akteure festgelegt? Welche Zwischenschritte sollten unternommen werden? Könnte einer Treuhandschaft internationale Anerkennung und Souveränität zugestanden werden, wenn einige Bereiche der Innenpolitik unter der Kontrolle des Protektors verblieben?

Das entscheidende Hindernis auf dem Weg zu einem solchen internationalen Vertrag ist, dass keiner der unmittelbar Betroffenen ihn befürwortet. Denn die Starken müssten ihn umsetzen; die Schwachen wären ihm ausgesetzt. Eine anerkannte und legitimierte Alternative zur Souveränität setzt mindestens eine Vereinbarung unter den führenden Mächten voraus. Viel besser wäre die Unterstützung führender Staaten, die wie Brasilien, China, Indien, Indonesien, Nigeria und Südafrika, nicht Mitglieder der OECD sind. Optimal wäre eine durch Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats und der Vollversammlung getragene Vereinbarung.

Für eine so weitgehende Unterstützung gibt es allerdings keine Indizien. Die führenden Mächte, die die Fähigkeit hätten, eine solche Treuhandschaft zu entwickeln, wollen sich nicht nur die Entscheidungsfreiheit erhalten, wo sie eingreifen, sondern auch, welche Politik sie dann verfolgen. Und für Dritte-Welt-Länder würde jegliche Nachfolgeregelung des Völkerbund-Mandatssystems oder das System der Treuhandschaft nach Kolonialismus aussehen.

Geteilte Souveränität beinhaltet die Beteiligung ausländischer Akteure an den inneren Machtstrukturen für einen unbegrenzten Zeitraum.5 Solche Vereinbarungen würden durch Verträge legitimiert, die von anerkannten nationalen Autoritäten unterzeichnet sind. Diese Akteure würden ihre internationale rechtliche Souveränität einsetzen, um Vereinbarungen abschließen zu können, die zwar die Westfälische Souveränität verletzen, aber die innere Souveränität verbessern. Ein Kernelement der Souveränität, die Vertragsfreiheit, wäre gesichert; ein anderes, das Autonomieprinzip, verletzt. Nationale Führer können geteilte Souveränität durch Verträge oder einseitige Verpflichtungen einführen. Die politischen Eliten im Zielland müssten jedoch davon überzeugt sein, dass sie ohne geteilte Souveränität schlechter dastünden.

Beispiel Tschad

Ein jüngeres Abkommen, das Elemente der geteilten Souveränität enthält, ist das Programm zur Entwicklung der Ölreserven des Tschad. In den neunziger Jahren wollte ein Ölkonsortium unter der Führung von Exxon die Ölvorkommen des Tschad erschließen. Allerdings befürchtete das Konsortium, dass der seit Jahren schlecht regierte Tschad vertragsbrüchig werden könnte, wenn er in die Kritik von Umweltschützern geriete oder von NGOs vor Gericht gebracht würde. Deshalb bestanden die Ölfirmen auf einer Minderheitenbeteiligung der Weltbank. Diese wiederum beharrte auf einer sanften Variante geteilter Souveränität. Unter dem Druck von Weltbankfunktionären erließ die Regierung des Tschad 1998 das Revenue-Management-Law. Nach diesem Gesetz werden die Einkünfte aus der Ölproduktion in zwei Kategorien eingeteilt: direkte Einkünfte (Dividenden und Tantiemen) und indirekte Einnahmen (Steuern, Gebühren und Zoll). Die direkten Einnahmen gehen auf ein ausländisches Konto, zehn Prozent dieses Geldes ist für zukünftige Generationen reserviert. Von den verbleibenden 90 Prozent werden 80 Prozent in soziale Dienste investiert, 15 Prozent stehen für Regierungsausgaben zur Verfügung, die restlichen fünf Prozent kommen der ölexportierenden Region zugute.

Auf die Einführung dieses Projekts haben internationale Akteure beträchtlichen Einfluss ausgeübt. Es bescherte dem Tschad eine 50-prozentige Steigerung seiner Einnahmen. Ohne die Ölkonzerne hätte der Tschad das Projekt nicht beenden können. Die Konzerne wiederum hätten ohne Beteiligung der Weltbank nicht investiert. Die Bank verfügte so, im Gegensatz zu den Konzernen, über die Legitimation, Bedingungen bezüglich der inneren institutionellen Strukturen des Tschad auszuhandeln.

Aus diesem Projekt müssen wir allerdings auch die Lehre ziehen, dass die Installation potenterer Institutionen geteilter Souveränität weit schwieriger ist. Weitergehende Vorschläge der Weltbank wurden nach dem Einspruch einiger Mitglieder des Bankvorstands, zu denen die Repräsentanten der afrikanischen Staaten gehörten, fallen gelassen. Vereinbarungen über geteilte Souveränität können nur funktionieren, wenn sie ein selbst auferlegtes Gleichgewicht schaffen, das interne wie externe Akteure einbezieht. Es gibt mindestens vier Umstände, die Vereinbarungen über geteilte Souveränität für politische Entscheidungsträger in den Zielländern attraktiv machen können: Habsucht, Besatzung nach einem Konflikt, Ausweglosigkeit und Wahlen.

Der Fluch des schwarzen Goldes

Angesichts des Reichtums und der Macht, die Rohstoffvorkommen – vor allem Erdöl – den Regierenden versprechen, läuft ihnen oft der Speichel im Mund zusammen. Ihre Verhandlungsposition hängt allerdings davon ab, dass sie die Spielregeln der konventionellen Demokratie akzeptieren: Dem Staat gehört das Öl, und er hat das Recht, Verträge abzuschließen und die Spielregeln der Förderung festzulegen. Weder Unternehmen noch Abnehmerstaaten oder internationale Organisationen haben diese Eigentumsrechte des Staates in Frage gestellt. Niemand hat bisher vorgeschlagen, dass das Öl schlecht regierter Staaten zum Bestandteil des Welterbes erklärt werden und unter die Kontrolle vielleicht der Weltbank gestellt werden sollte. Für diese Länder sind die Rohstoffvorkommen, besonders Erdöl, zu einem Fluch geworden, der die Herrschaft der Oligarchie gefördert und die Demokratie unterminiert hat. Das Erdöl konzentriert die Ressourcen in den Händen des Staates. Für jedes ehrgeizige Individuum ist somit der Weg zu Reichtum und Macht nicht der des individuellen Unternehmertums oder der produktiven ökonomischen Aktivität, sondern er führt durch die Büros der Zentralregierung.6

Abkommen über eine geteilte Souveränität auf dem Gebiet der Rohstoff-industrie könnten eine Alternative zur traditionellen Praxis darstellen: Sie könnten für bessere Governance in ölreichen Staaten sorgen, mehr Einkommen für die Bevölkerung generieren und weniger Anreize für Korruption und Konflikte bieten. Solche Vereinbarungen hängen allerdings von der Bereitschaft der reicheren Staaten ab, die Versuchungen für politische Führer in den schlecht regierten, aber rohstoffreichen Ländern zu reduzieren.

Politiker in den Gastländern wären dann mit der konkreten Alternative konfrontiert, die Wahl zwischen wenig und gar nichts treffen zu müssen. Ein Abkommen über geteilte Souveränität beim Umgang mit Rohstoffressourcen könnte so aussehen: Auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem Gastland und der Weltbank wird ein Trust gebildet. Der Trust hätte seine Basis in einer Industrienation, wo ein effektives und funktionierendes Rechtssystem existiert. In der Trustvereinbarung wäre festgeschrieben, dass ein großer Teil der Einnahmen für Programme der sozialen Fürsorge eingesetzt würde, ebenso gäbe es bestimmte Zuwendungen für das Gesundheitswesen oder das Erziehungssystem des Gastlands.

Wenn sich die großen Demokratien juristisch darauf verständigen könnten, dass jede Form des Ölimports einer Trustkontrolle unterläge, könnte die Habgier bei den politischen Führern ressourcenreicher Länder sogar zur Akzeptanz geteilter Souveränität führen. Denn wenn sie nicht zustimmten, könnte es sein, dass sie überhaupt nichts bekommen.

Besatzung nach bewaffneten Konflikten

Bei militärischer Intervention und Besatzung haben lokale Führer diese Wahl nicht. In Afghanistan, Bosnien, Osttimor, Irak und Kosovo war die lokale politische Führung gezwungen, die Anwesenheit von Ausländern zu akzeptieren. Im Kosovo gab es gemeinsame Initiativen zum Aufbau von Verwaltungsstrukturen; in Afghanistan wird die Aufrechterhaltung der Sicherheit weitgehend von ausländischen Streitkräften wahrgenommen.

Verträge über eine geteilte Souveränität könnten solchen Vereinbarungen einen permanenten Status geben. So wäre die Anwesenheit fremder Akteure nicht das Ergebnis der einseitigen Entscheidung eines auswärtigen Beraters, sondern eines Vertrags zwischen aus- und inländischen Akteuren, denen die internationale rechtliche Souveränität zugestanden wird. Solche Vereinbarungen können auf Dauer nur dann erfolgreich sein, wenn sie von einer erfolgreichen Koalition im Gastland getragen werden. Im Gegensatz zu den Möglichkeiten der Öltrusts wäre es sehr schwierig, externe Zwangsmechanismen zu etablieren. Dennoch gilt, dass Vereinbarungen über geteilte Souveränität Erfolg versprechender sind als das Schreiben von Verfassungen, worauf bei den jüngsten Besatzungsregimen das Hauptaugenmerk gerichtet war.

Wenn man sich auf eine Verfassung oder andere rechtliche Verpflichtungen verlässt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter Druck entstanden sind, dann wird man nach Ende der Besatzung mit dem Problem konfrontiert, dass der Anreiz für die einheimischen Akteure, zu ihren früheren Verpflichtungen zu stehen, sich radikal ändern kann. Im Gegensatz dazu kann geteilte Souveränität eine sich selbst verstärkende Balance fördern, vorausgesetzt, dass sie eine ausreichend große Anzahl der einheimischen Akteure mit Einnahmen versorgt.

Ausweglosigkeit. Oder Wahlen

Für jene Länder, die durch Bürgerkrieg oder eine schlechte Regierung in den Abgrund gestürzt sind und kaum über Rohstoffressourcen verfügen, kann ausländische Hilfe zur Haupteinnahmequelle werden. Die Verhandlungsmöglichkeiten der politischen Führung sind in solchen Fällen begrenzt. Dadurch ist die Chance für externe Akteure, geteilte Souveränität auszuhandeln, sehr hoch. Im Falle einer Besatzung, dem Erfolg versprechendsten Umfeld für eine geteilte Souveränität, würde beispielsweise die monetäre Politik keine größeren Ressourcen der auswärtigen Akteure erfordern. In kollabierten oder scheiternden Staaten müssen sie dagegen zumindest für einen bestimmten Zeitraum Mittel zur Verfügung stellen. Das eröffnet Möglichkeiten für geteilte Souveränität in Bereichen, die von auswärtigen Gebern finanziert werden. So könnte ein System von Gesundheitseinrichtungen, das von ausländischen NGOs verwaltet wird, unabhängig vom nationalen Gesundheitsministerium aufgebaut werden. Allerdings sind Spender selten bereit, Projekte quasi ad infinitum zu finanzieren. Deshalb können solche Vereinbarungen nur durchgehalten werden, wenn eine einheimische Koalition bereit ist, das Projekt weiterzuführen, falls die ausländischen Spenden nicht mehr fließen.

Schließlich können Wahlen in illiberalen Demokratien einen Anreiz für Verträge über geteilte Souveränität schaffen. Die Kandidaten könnten solche Politik zum Bestandteil ihrer Wahlplattform machen. Illiberale Demokratien sind politische Gebilde, die zwar Mehrparteienwahlen durchführen, aber ein großes Defizit in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit, Bürgerbeteiligung und Pressefreiheit haben. Die Regierung in illiberalen Demokratien funktioniert nicht gut. Die Beziehungen zwischen der Administration und der Bevölkerung sind schlecht. Selbst potenziell fortschrittlichen Kandidaten werden ihre Versprechungen nicht mehr geglaubt. Verträge über geteilte Souveränität könnten für Oppositionskandidaten eine reizvolle Strategie darstellen: Eine solche politische Plattform könnte den Wählern signalisieren, dass der Kandidat entschlossen ist, mit der Vergangenheit zu brechen, indem er ausländische Akteure in die nationalen Entscheidungsprozesse integriert.

Dass solche Verträge über geteilte Souveränität auch langfristig glaubwürdig bleiben, hängt von ihrer Effizienz ebenso ab wie von einer internationalen Legitimation dieser Praxis. Je üblicher solche Verträge über geteilte Souveränität werden, desto leichter wird es für einen Politiker, sich gegen den Vorwurf zu verteidigen, er habe die staatliche Souveränität verraten. Je besser die Governance durch solche Vereinbarungen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie langfristig funktionieren.

Neue Optionen: De-facto-Treuhandschaft und geteilte Souveränität

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden die Normen der internationalen rechtlichen Souveränität universell anerkannt. Oft wurde damit stillschweigend unterstellt, dass das Einhalten dieser Normen begleitet sei von Regierungsstrukturen, die eine kompetente Kontrolle über die Bevölkerung und das Territorium des Landes garantierten. Diese Annahme hat sich als falsch erwiesen. Schlecht regierte Staaten sind zu einer Bedrohung für sehr viel mächtigere Staaten geworden. Das politische Handwerkszeug, das den externen Akteuren zur Verfügung steht, ist unzureichend.

Die Bandbreite der Optionen im Umgang mit scheiternden und kollabierten Staaten muss mindestens in zwei Richtungen erweitert werden. Erstens könnten Großmächte, regionale oder internationale Organisationen eine Art von De-facto-Treuhandschaft über ein bestimmtes Land übernehmen, auch wenn es keine generelle internationale Konvention gibt, die solche Vereinbarungen definiert. Innerhalb einer Treuhandschaft übernähmen die internationalen Akteure lokale Angelegenheiten für eine zeitlich unbegrenzte Periode. Sie könnten auch die internationale rechtliche Souveränität des Gebildes außer Kraft setzen bzw. die Vertragshoheit im Ganzen oder teilweise übernehmen (z.B. auf bestimmten Gebieten wie Sicherheit und Handel).

Zweitens könnte die innere Souveränität in kollabierten oder unzureichend regierten Staaten durch Verträge über geteilte Souveränität verbessert werden. Diese Verträge hätten gemeinsame Machtstrukturen in bestimmten Bereichen zur Folge. Diese würden keinen direkten Angriff auf die Souveränitätsnormen bedeuten, da sie formal in Übereinstimmung mit dem Prinzip der internationalen rechtlichen Souveränität sind. Allerdings verletzen sie die Westfälische Souveränität. Politiker in den Zielländern könnten solche Vereinbarungen akzeptieren, um sich auswärtige Finanzhilfe zu sichern, den Abzug der Besatzungsmächte zu beschleunigen oder Wählerstimmen zu sammeln. Damit dieses Prinzip der geteilten Souveränität langfristig Bestand hat, braucht es entweder internationale oder wachsende einheimische Unterstützung, die aber abhängig ist von dem bis dahin Erreichten.

Für externe Signatarmächte sind am attraktivsten solche Vereinbarungen über geteilte Souveränität, die sie nicht zu großen materiellen Investitionen verpflichten. In den Fällen von Staaten, bei denen die Aussicht auf ausländische Hilfe der Anreiz für nationale Führer ist, geteilte Souveränität zu akzeptieren, lassen sich Finanzverpflichtungen zumindest kurz- bis mittelfristig nicht vermeiden. Langfristig gilt allerdings, dass die Institutionen geteilter Souveränität nur dann überleben können, wenn ihre Leistungen aus nationalen Einnahmen finanziert werden.

Es gibt kein Allheilmittel für den Fall des Scheiterns der inneren Souveränität. Selbst mit den besten Absichten versehen und ausgestattet mit gewichtigen materiellen Ressourcen können auswärtige Akteure nicht von heute auf morgen die Ursachen für das Scheitern eliminieren: Armut, schwache einheimische Institutionen, Unsicherheit und den Fluch der Rohstoffe. Aber das Instrumentarium, das der internationalen Politik gegenwärtig zur Verfügung steht, um mit Situationen wie im Kongo, in Liberia oder im Irak umzugehen, ist erbärmlich unzureichend.

1 James D. Fearon und David D. Laitin: Neotrusteeship and the Problem of Weak States, International Security, Spring 2004, S. 36–37.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2005, S. 44 - 53

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