Gegen den Strich

01. Sep 2021

Afrikas Wirtschaft

Kontinent der Zukunft, Kontinent der Hoffnung? Die verbreiteten Schlagworte zu den Potenzialen Afrikas treffen bestenfalls zum Teil zu; in der Regel verleiten sie zu Fehlannahmen. Für die Diskussion über passende Reformen zur Ankurbelung der wirtschaftlichen Entwicklung ist es nötig, jede Menge überholte Thesen und Mythen aus dem Weg zu räumen. Versuch einer Klärung.

„Wer Afrika aus der Unterentwicklung befreien will, muss auf externe Akteure setzen“

Das ist zu kurz gegriffen. Als Ursachen für Afrikas wirtschaftliche Situation werden häufig mangelnde Ausbildung, die vorwiegend ländliche Subsistenzwirtschaft, der hohe Anteil des informellen Sektors an der Gesamtökonomie, das hohe Bevölkerungswachstum und die wenig produktiven Unternehmen genannt. Um Afrika einen Entwicklungsschub zu verpassen, so die Folgerung, seien Entwicklungshilfegelder, ausländische Direktinvestitionen und Geldtransfers von Afrikanern, die im Ausland leben, erforderlich.



Diese Kapitalflüsse könnten den Anhängern der These zufolge zu einem Durchbruch führen, wenn die externen Ressourcen produktiv eingesetzt würden, um den Industrialisierungsprozess anzuschieben und die Landwirtschaft zu modernisieren. Vorausgesetzt, es fänden Investitionen in Infrastruktur, Gesundheit und Bildung statt und der Zugang zu Wasser sei gewährleistet, ließe sich ein „Durchsickern“ des Wohlstands für alle hervorrufen. Da der afrikanische Binnenmarkt zu klein sei, seien außerdem Exporte notwendig, um die erforderlichen Devisen zu erwirtschaften und dem Staat zusätzliche Mittel bereitzustellen.



Aber: Es ist nicht bewiesen, dass Afrika die Armut nur beseitigen kann, wenn Hilfe von außen fließt. Diese seit den 1960er Jahren bestehende Mär von extern induzierten Kreisläufen hat sich nicht als tragfähig erwiesen. Im Gegenteil. Aus der Geschichte und den Erkenntnissen der Entwicklungsökonomie wissen wir, dass eine solche externe Agenda strukturelle Ungleichheit mit extern dominierten Enklaven hervorrufen kann. Afrika steht beispielhaft für dieses Modell, das einer autozentrierten Entwicklung entgegensteht.



Entwicklung ist nur möglich, wenn sie von innen kommt – auch wenn sie dabei externe Ressourcen und den Außenhandel nutzt, um die Produktivität zu heben. Das wäre eine autozentrierte Entwicklung, wie sie der Sozialwissenschaftler Dieter Senghaas Anfang der 1980er Jahre definiert hat. China, Taiwan, Südkorea und alle entwicklungsökonomischen Erfolgsgeschichten zeigen, dass ein Durchbruch an die Entwicklung heimischer Potenziale gekoppelt ist – eine Erkenntnis, die in den vergangenen Jahrzehnten leider in Vergessenheit geraten ist. Allzu sehr haben Organisationen wie der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank ihre Aktivitäten auf Marktliberalisierung, Struktur­anpassung und Stabilisierung konzentriert. Doch ohne Veränderungen in den internen Wirtschaftskreisläufen, ohne eine moderne Landwirtschaft, die weitgehend in der Lage ist, die eigene Bevölkerung zu ernähren, und ohne die Entwicklung einer Industrie, die das unbegrenzte Angebot an Arbeitskräften nutzt, kann Entwicklung nicht gelingen.



Nimmt man Staaten wie Marokko, Mauritius und Südafrika aus, so lässt sich anhand der meisten Länder Afrikas aufzeigen, dass sich die strukturelle Ungleichheit im Transformationsprozess noch vertieft hat. Neben Rohstoff-Enklaven breiten sich kleine Industrie- oder Sonderwirtschaftszonen heraus, die meist auf den Export ausgerichtet sind und kaum Jobs schaffen. Die Folge: Der informelle Sektor wächst weiter. Dieses Modell der nach außen gerichteten und gesteuerten Aktivitäten, das von den Eliten des Kontinents unterstützt wird, verzerrt die afrikanischen Wirtschaftsstrukturen. Wir erleben eine deutliche Konzentration auf wenige produktive Sektoren, in die rohstoff- und kapitalintensive industrielle Investitionen  fließen. Eine große Armee von informell Beschäftigten bildet die Kehrseite dieses Transformationsprozesses.



„China ist die Entwicklungsrolltreppe Afrikas“

Nein. China hat die Spielräume Afrikas auf den ersten Blick vergrößert, doch Pekings Aktivitäten verstärken eher die Probleme, als dass sie diese lösen. Die Vorstellung, dass China als externer Akteur Afrikas Entwicklung befördert, es aus der Armut befreit und konkurrenzfähig zu anderen Ländern macht, hat wenig mit der Realität zu tun. Afrikas Hoffnungen lägen in ­China, so die Lesart, während Europa versagt habe. Millionen von Arbeitsplätzen könnten durch chinesische Investitionen entstehen. Gerade wenn die Löhne in China weiter stiegen, würde das einen erheblichen Schub für den afrikanischen Arbeitsmarkt bedeuten.



Von bis zu 100 Millionen Arbeitsplätzen, die in Niedrigeinkommensländern entstehen könnten, sprach im Jahr 2011 der damalige Vizepräsident für Entwicklungsökonomie der Weltbank, Justin Lin. Da die Industrien aus China in kostengünstigere Regionen verlagert würden, sei es möglich, dass Afrika nach Asien das nächste große Produktionszentrum der Welt würde. China könnte so eine „Entwicklungsroll­treppe“ für Afrika sein.



Zwar haben sowohl chinesische Unternehmen als auch staatliche Stellen in Afrika investiert, unter anderem in Infrastrukturprojekte und Sonderwirtschaftszonen. Dabei haben sie auch Arbeitsplätze für Afrikaner geschaffen – aber längst nicht so viele wie ursprünglich propagiert. In den Jahren 2014 bis 2018 entstanden dank chinesischer Investoren gerade einmal 137 000 neue Jobs.



Wer genauer auf Pekings Engagement in Afrika schaut, wird zudem feststellen, dass die chinesische Industrie in den vergangenen Jahrzehnten die afrikanischen Märkte mit einfachen Konsum- und Industriegütern beliefert und so zum Niedergang der verarbeitenden Industrie in vielen Ländern beigetragen hat. Verschärft wird diese Deindustrialisierung dadurch, dass chinesische Unternehmen seit Langem vor allem in Rohstoffsektoren investieren. Die Aktivitäten konzentrieren sich auf kapitalintensive Sektoren, was Devisen bringt und die Vermögen der wirtschaftlichen und politischen Eliten Afrikas mehrt. Die Staaten erzielen relativ hohe Einnahmen und können so die öffentlichen Verwaltungen mit hohen Gehältern bedienen.



Künftig müsste es das Ziel Afrikas sein, mehr chinesische Industrieinvestitionen anzulocken und Arbeitsplätze zu schaffen. Ob das gelingen kann, lässt sich mit Hilfe der Lohnstückkosten ermitteln. Bis vor einigen Jahren lagen die Reallöhne und die Produktivität im verarbeitenden Gewerbe Afrikas deutlich über dem Niveau Chinas, wobei der Unterschied in den Reallöhnen größer war als in der Produktivität. Folglich waren die Lohnstückkosten in den Volkswirtschaften Afrikas deutlich höher als in China. Mittlerweile sind die chinesischen Löhne hochgeschnellt, während das Produktivitätswachstum weniger stark anstieg. Das hat Chinas Wettbewerbsvorteil in der verarbeitenden Industrie ­vermindert und es einigen afrikanischen Ländern ermöglicht, Investitionen anzulocken. Die relativen Reallöhne sind in afrikanischen Ländern im Vergleich zu China schneller gesunken als die relative Produktivität, was ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China etwas erhöht hat – aber kaum im Vergleich zu asiatischen Konkurrenten wie Bangladesch oder Kambodscha.



Die Stückkosten liegen in Afrika deutlich höher als in Asien, was Investitionen auf dem Kontinent weniger attraktiv macht. Darüber hinaus wirken sich die unzureichende und teure Infrastruktur (Straßen, Strom, Informations- und Kommunikationstechnologien, Forschung und Entwicklung) ebenso negativ auf das Geschäftsumfeld für ausländische Investoren aus wie die schwachen Institutionen. Die Möglichkeiten afrikanischer Länder, ausländische Direktinvestitionen anzulocken, sind daher begrenzt. Und das hat auch damit zu tun, dass China in seiner Fertigungstechnologie (etwa für „Made in China 2025“) in wachsendem Maße auf Roboterisierung gemäß der Direktive „jiqi huanren“ (Maschinen ersetzen Arbeiter) setzt.



„Industrie 4.0 wird dafür sorgen, dass Afrika den wirtschaftlichen Aufstieg schafft“

Ausgesprochen schwer vorstellbar. Wenn moderne afrikanische Unternehmen neue Technologien einsetzen, die Digitalisierung und Roboterisierung vorantreiben, dann könnte das für einen Schub in der Entwicklung sorgen, so lautet die These. Wenn es gelänge, die technologische Revolution lokal umzusetzen, dann könnten afrikanische Unternehmen die Produktion effizienter gestalten, die Produktivität steigern, die Kosten senken und folglich auch die Nachfrage nach Arbeitskräften erhöhen. Das könnte auch neuen afrikanischen Unternehmen eine Chance bieten. Industrie 4.0 ließe sich außerdem dafür nutzen, Bildung, Gesundheit und die Lebensbedingungen zu verbessern und ökologisch nachhaltigere Produktions- und Konsummuster zu fördern.



Aber Digitalisierung, Roboterisierung und Künstliche Intelligenz können auch „kreative Zerstörung“ hervorrufen, also dazu führen, dass nicht ganz so innovative Unternehmen vom Markt verschwinden und Arbeitsplätze vernichtet werden. Gerade in einer Phase, in der viele Länder sich industrialisieren und in Lieferketten etablieren wollen, können die neuen Technologien viele Hoffnungen auf mehr Investitionen und höhere lokale Wertschöpfung zunichtemachen.



Hinzu kommt, dass die digitale Revolution räumliche Divergenzen verschärft. Ländlichen Gebieten und Kleinstädten ist der Zugang zu Digitalisierung wegen fehlender Elektrizität und mangelndem Zugang zu Kommunikationstechnologien nicht so ohne Weiteres möglich. Derweil werden die entsprechenden Strukturen in den Wirtschaftszentren ausgebaut, was Enklaven von Unternehmen mit hochqualifizierten Arbeitsplätzen entstehen lässt.



Die „Globotik-Umwälzung“ (Richard Baldwin) wird durch Automatisierung und Digitalisierung neue Formen der sozialen Spaltung schaffen: auf der einen Seite informelle Arbeitsplätze, die durch die Automatisierung von Routinearbeiten besonders benachteiligt werden, und auf der anderen eine Gruppe von besser ausgebildeten Arbeitnehmern, die von den neuen Technologien profitieren.



„Für das Wachstum in Afrika ist ein wachsender Mittelstand entscheidend“

Richtig. Seit Jahren kreisen viele Diskussionen um die Mittelschichten in Afrika und ihr Konsumverhalten. All jene, die zwischen vier und 20 US-Dollar pro Tag verdienen, bilden den Kern dieser neuen Mittelschichten. Prinzipiell besteht ein Zusammenhang zwischen der wachsenden Mittelschicht in den urbanen Zentren und der Entwicklung eines innovativen Mittelstands, der die wachsende und sich verändernde Konsumnachfrage bedient.



Der Mittelstand ist dynamischer und produktiver als die Kleinunternehmen; er spielt vor allem im Dienstleistungssektor, der Metallverarbeitung und der Textilindustrie eine wichtige Rolle. Seine Marktstellung hat er in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut, vor allem in den Millionenstädten Johannesburg, Lagos, Nairobi oder Abidjan, wo sich moderne Industrie- und Dienstleistungszentren mit entsprechenden Möglichkeiten für technologisch fortgeschrittene und produktive mittelständische Unternehmen entwickeln können. Auch eine innovative Start-up-Szene fasst in wachsendem Maße Fuß.



Aber bei alledem handelt es sich um Nischen in den Hauptstädten und einigen Industriezonen. So sind 99 Prozent aller Unternehmen in Nigeria Mikro- und Kleinunternehmen des informellen Sektors. Nur in der Metropole Lagos zählen inzwischen rund 10 Prozent der Unternehmen zum Mittelstand. 85 Prozent der Firmen in Tunesien sind Ein-Personen-Unternehmen, die rund 30 Prozent der Arbeitsplätze schaffen. Der Mittelstand macht gerade mal 2 Prozent der Unternehmen aus.



Der lokale Mittelstand zeigt seine Wettbewerbsfähigkeit vor allem da, wo es ihm gelingt, als Unterauftragnehmer Teil einer globalen oder regionalen Wertschöpfungskette zu werden, wie etwa in der südafrikanischen Wein- und Automobilindustrie oder der Blumen- und Gemüseproduktion in Kenia und Uganda. Das Beispiel Tunesien zeigt jedoch, dass der Mittelstand kaum wächst. Es hat damit zu tun, dass ausländische exportorientierte Großunternehmen hier von überragender Bedeutung sind – und sie profitieren auch noch überdurchschnittlich von staatlicher Förderung, während der Mittelstand in seinen Möglichkeiten beschnitten wird.



All dies führt dazu, dass der Mittelstand in den afrikanischen Ökonomien bislang noch nicht die Größe und Bedeutung hat, die er auf anderen Kontinenten besitzt. Man spricht von der „missing middle“. Der Mittelstand ist eingeklemmt zwischen den Großunternehmen, die vom Klientelsystem profitieren und ihre Markt- und Lobbymacht nutzen, und auf der anderen Seite den Mikro- und Kleinunternehmen, die in der Mehrheit der Länder bis zu 90 Prozent aller Unternehmen ausmachen.



„Ein hohes Wirtschaftswachstum wird Afrika aus der Krise führen“

Ja, sofern Wachstum mit Beschäftigung verbunden wird. Länder wie Äthiopien, Ruanda oder der Senegal haben durch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von 6 bis 8 Prozent einen großen Sprung gemacht und sind zu Mitteleinkommensländern geworden. Dadurch gelang es vielen von ihnen nicht nur, die Armut zu reduzieren, sondern auch, ihre Ökonomien zu diversifizieren und zu industrialisieren. Allerdings hat das Jobwachstum nicht Schritt mit dem Wirtschaftswachstum gehalten. Es hat sich geradezu abgekoppelt.



Aus diesem Grund hat man in den vergangenen Jahren auf Strategien des inklusiven Wachstums gesetzt, mit deren Hilfe die Zahl der Arbeitsplätze erhöht werden sollte. Inklusives Wachstum lässt sich erreichen, wenn Unternehmen investieren und wachsen, wenn die armen Regionen an die Dynamik des Wachstumsprozesses angekoppelt werden und wenn die Landwirtschaft ihre Potenziale in einem solchen Maße ausschöpfen kann, dass sie in der Lage ist, die urbanen Märkte zu bedienen. Inklusives Wachstum erfordert vor allem ein Durchsickern der hohen Wachstumsraten auf die Einkommen großer Teile der Bevölkerung.



„Durch makroökonomische Steuerung sollte es Afrika möglich sein, die nächste Stufe der Entwicklung zu erklimmen“

Jein: Diese Maßnahmen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Internationale Organisationen wie die G-20 oder der Internationale Währungsfonds betonen immer wieder, die Lage auf dem Kontinent lasse sich mithilfe makroökonomischer Reformmaßnahmen verbessern. Diese Idee steht Pate für umfangreiche Interventionen in die afrikanischen Ökonomien. Marktliberalisierung, makroökonomische Stabilität und institutionelle Reformen stehen im Mittelpunkt fast aller Reformen seit den 1980er Jahren. In diesen Steuerungsprozessen sind solche Maßnahmen von zentraler Bedeutung, die zu höheren lokalen und ausländischen Investitionen führen: gute Regierungsführung, bessere Wirtschaftsindikatoren, Transparenz, Anti-Korruptionsmaßnahmen und freier Handel, besonders innerhalb Afrikas.



Doch so brauchbar dieses Instrumentarium ist, die ausschließliche Fokussierung darauf ist letztlich mitverantwortlich für die zahlreichen Krisen auf dem afrikanischen Kontinent, weil sie wichtige Aspekte ausblendet. Seit einiger Zeit regen sich daher verstärkt Kräfte in internationalen und afrikanischen Organisationen, die anderen Faktoren einen höheren Stellenwert beimessen: etwa der Sozialpolitik, der staatlichen Steuerung des Transformationsprozesses, der Industrie- und Unternehmensentwicklung, Ausbildungsfragen oder der Schaffung von Sonderwirtschaftszonen.



Dazu gehören auch die von zahlreichen afrikanischen Regierungen und von der Afrikanischen Union verfolgten Agenden, die Bildungs- und Gesundheitsreformen oder das Thema menschenwürdige Arbeit in den Mittelpunkt stellen. Andere Programme konzentrieren sich auf die Entwicklung der Industrie, der Landwirtschaft oder des Dienstleistungssektors. Diese Politik soll zu mehr lokaler Wertschöpfung führen, etwa durch die Förderung der Agrarindustrie und des verarbeitenden Gewerbes. Das hätte den doppelten Vorzug, dass mehr Arbeitsplätze in Sektoren mit höherer Produktivität entstünden und die Einkommen von Berufsgruppen wie den Landwirten steigen würden. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Ideen, wie sich „Industrien ohne Schornsteine“ besser fördern lassen – so zum Beispiel hochwertige Landwirtschaft, Tourismus, Informations- und Kommunikationstechnologien und ­Kreativindustrien.



„Afrika ist der Zukunftskontinent schlechthin“

Nach dem Gesagten sollte klar sein, dass diese Vereinfachung nicht haltbar ist. Afrika ist ein Kontinent, auf dem große Umbrüche in verschiedenen Geschwindigkeiten stattfinden. Die 55 Länder des afrikanischen Kontinents entwickeln sich ausgesprochen unterschiedlich. Manche von ihnen sind von Niedrigeinkommensländern zu Mitteleinkommensländern geworden. Einige haben sich industrialisiert, andere haben sich auf die Nutzung der Rohstoffressourcen konzentriert. In nur wenigen Ländern gibt es eine demografische Transition, also einen Übergang von hohen zu niedrigeren Geburtenraten. Die Mehrheit der Länder verzeichnet ein sehr hohes Bevölkerungswachstum. Es wird geschätzt, dass die Bevölkerung bis ins Jahr 2060 noch über 2 Prozent pro Jahr wachsen wird.



Der Grad der Urbanisierung wächst deutlich, dennoch spielt das ländliche Afrika weiterhin eine große Rolle; hier ist Armut weit verbreitet und das Wachstum der Bevölkerung am stärksten. In den Städten wie auf dem Land dominiert die informelle Ökonomie. Obwohl die Durchschnittseinkommen auf dem Kontinent gestiegen sind und die relative Armut fiel, ist die Zahl der Armen auf über 400 Millionen Menschen gewachsen. Andererseits ist, wie geschildert, eine Mittelschicht entstanden, die besser gebildet ist und über höhere Einkommen verfügt. Aus ihrer Mitte sind Klein- und Mittelunternehmen gegründet worden.



Insgesamt ist der afrikanische Kontinent ungleicher geworden. Eine kleine Schicht von Privilegierten im Staat und in der Wirtschaft dominiert die Entwicklungsprozesse. Einfache Lösungen zur Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen gibt es nicht. Es wird notwendig sein, die Strategien und Lösungsansätze immer wieder zu hinterfragen und neu anzupassen. Was vor Jahren noch funktionierte, ist angesichts des gestiegenen Globalisierungsdrucks und des Klimawandels heute keine tragfähige Strategie mehr.



Dabei drängt die Zeit, denn die Zahl der Jobsuchenden wird in den nächsten Jahrzehnten weiter steigen. Die Klima­krise erfasst ganz Afrika, und die Pandemie hat verdeutlicht, wie fragil afrikanische Ökonomien sind. Das bisher verfolgte Wachstumsmodell hat beschäftigungsarmes Wachstum und steigende Informalität hervorgerufen. Afrika ist der ärmste Kontinent und wird dies aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums auch vorerst bleiben. Versuche über reines Wachstum, die Fokussierung der Reformen auf Institutionen, Marktderegulierungen und auf Wettbewerbsfähigkeit reichen nicht aus, um die Herausforderungen zu bewältigen.



Auf der anderen Seite beobachten wir neue Industrialisierungsstrategien, Infrastrukturmaßnahmen, Bildungserfolge, dynamische Start-up-Szenen und die Entwicklung einer Afrikanischen Freihandelszone. Das zeigt, dass man in einigen Ländern die endogenen Entwicklungspotenziale Afrikas erkannt hat. Es gibt Anlass zum Optimismus.

 

Prof. Dr. Robert Kappel ist ehemaliger Präsident des German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg und Prof. em. der Universität Leipzig.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2021, S. 104-109

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