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01. Sep 2010

Abrüsten – aber mit Verstand

Neun Gründe gegen "Global Zero"

Global Zero, eine atomwaffenfreie Welt, ist eines der Kernanliegen von Außenminister Guido Westerwelle. Aber würde eine völlige Abrüstung tatsächlich dem Frieden nützen? Gefährdet sie nicht vielmehr eine ohnehin schon prekäre Stabilität? Und ist ein nuklearer Sicherheitsschirm nicht immer noch notwendig? Neun Gründe gegen Global Zero.

1. Lernfähigkeit

Dass die Menschheit mit Atomwaffen die Möglichkeit besaß, die gesamte Welt zu vernichten, hat ohne Frage zu einer Dämonisierung des Kalten Krieges beigetragen. Schon die Zeitgenossen neigten im Gefühl einer unmittelbar bevorstehenden Apokalypse zu einem existenziellen Fatalismus. 1960 erklärte der britische Schriftsteller C.P. Snow, es sei so sicher wie eine mathematische Gleichung, dass ein Atomkrieg innerhalb der nächsten zehn Jahre ausbrechen würde, sollten die Supermächte nicht abrüsten.1

Snow irrte sich. Die schreckliche Zerstörungskraft der Atombomben war in Hiroschima und Nagasaki offenbar geworden und führte zu einem nachhaltigen Lerneffekt. Die großen Krisen der fünfziger und sechziger Jahre wurden politisch gelöst, heiße Kriege wie in Korea und Vietnam blieben begrenzt. Die atomaren Supermächte hatten sich die Logik der gegenseitigen Verwundbarkeit zu eigen gemacht: „Obwohl ihnen eine gemeinsame Sprache, Ideologie und Interessenlage fehlte, führten die Atomwaffen in allen Staaten zu der Erkenntnis, dass sie durch das Überleben des anderen etwas zu gewinnen hatten.“2

Dennoch setzt der frühere Generaldirektor der IAEO, Mohammed El-Baradei, Nuklearwaffen mit Übeln wie Sklaverei und Genozid gleich.3 Das ist nicht nur moralisch höchst fragwürdig. Vielmehr sind „Nuklearwaffen teils kraft der faktischen Verhältnisse, teils als Resultat außenpolitischen Wollens zu einem politischen Instrument konkurrierender Ordnungsvorstellungen geworden“.4 Eine Dämonisierung der Nuklearwaffen und Idealisierung einer nuklearwaffenfreien Welt sind deshalb irreführend. Dass Staaten durch das Überleben des anderen etwas zu gewinnen hatten – diese Logik war mit dem Besitz von Nuklearwaffen zutiefst verbunden. Ein Rückfall in eine Welt ohne Nuklearwaffen ist nicht wünschenswert, denn ohne sie wäre auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich konventionell geführte Kriege bis hin zu einem Weltkrieg ausweiten.

Krieg und Konflikt sind nicht erst mit der Atombombe in die Weltpolitik gekommen, sie können auch nicht mit der Abschaffung der Atombombe gebannt werden. Die Welt von 1914 bis 1945 war nuklearfrei, aber „es gibt einen Gedenkstein in jedem französischen Dorf, der an das Scheitern konventioneller Abschreckung erinnert“.5 Zudem war die Logik der Nuklearstrategie schon immer zu kompliziert – und auch zu fürchterlich –, um der Öffentlichkeit vermittelt zu werden. Heute gibt es nur deshalb „schlechte Atombomben“, weil jede einzelne der Vision einer totalen nuklearen Abrüstung im Wege steht. Die Realität aber ist vielschichtiger und widersprüchlicher.

2. Unterschiedliche Interessen 
verhindern Global Zero

Alle Nationen richten ihre Sicherheitserwägungen in der Regel zuerst nach ihren jeweiligen nationalen Interessen aus. Nur führt die Summe einzelner nationaler Interessen nicht notwendigerweise zur Schnittmenge eines übergeordneten Interesses für die gesamte Staatenwelt, die seit jeher von Gegensätzen und Konflikten geprägt ist. Die Beziehungen zwischen den USA und den aufsteigenden Großmächten China und Russland sind von enormer Machtdynamik gekennzeichnet: Während die USA das Ende der Pax Americana zu verhindern suchen, fordern Russland und China globale Veränderungen zu ihren Gunsten. Im Spannungsfeld von Aufstieg und Fall der Großmächte spielt auch nukleare Macht eine nicht zu unterschätzende Rolle; sie fördert Prestige und Sicherheit eines Staates wie keine andere.

Wenn Präsident Obama jetzt eine atomwaffenfreie Welt anstrebt, versucht er, den USA wieder einen Vorteil auf dem Sektor Rüstungskontrolle und Abrüstung zu verschaffen, den sein Amtsvorgänger verspielt hat. Aber es kann nicht nur um eine wirkungsvolle „Public Diplomacy“ gehen. Wichtig ist eine mutige Abrüstung von strategischen und taktischen Atomwaffen. Nicht Global Zero, sondern „Global 1000 minus X“ wäre eine realistische Perspektive.

Nichts wäre unangemessener, als Barack Obamas Abrüstungsinitiativen idealistisch auf Global Zero zu verkürzen. Vielmehr lassen die Nuclear Posture Review und der START-III-Vertrag keine Zweifel aufkommen, dass Kernwaffen für die USA wie auch für Russland unverzichtbar bleiben, um strategische Stabilität und politische Machtbalance zu wahren.

3. Die Attraktivität von Atomwaffen unterläuft Global Zero

In den vergangenen Jahrzehnten war Nichtverbreitung die Regel. Doch das war weniger dem Nichtverbreitungsvertrag (NPT) geschuldet als der erweiterten nuklearen Abschreckung der USA. Weil mit der Entstehung einer multipolaren, in ihrer Machtdynamik noch diffusen Welt auch die Zweifel an der amerikanischen Abschreckungs-garantie gewachsen sind, streben immer mehr und vor allem autoritäre Staaten aus unterschiedlichen nationalen Interessen, historischen Erfahrungen und bestimmten politischen Konstellationen ebenfalls den Besitz von Nuklearwaffen an. Sicherheit wird immer stärker national definiert.

Diese „verstärkte Proliferation“ läuft den Bemühungen um ein Global Zero zuwider. Es wird immer attraktiver, selbst in den Besitz von Nuklearwaffen zu gelangen: Atomwaffen sind prestigeträchtig, weshalb gerade ärmere Staaten sie besitzen wollen. „Wenn es nötig ist, werden wir Gras fressen, um die Bombe zu bauen“, erklärte 1974 Pakistans Premierminister Zulfikar Ali Bhutto. Nordkoreas Führung nahm diese Ankündigung wörtlich. Staaten wie Pakistan oder Nordkorea werden einem Global Zero nichts abgewinnen können, müssten sie doch auf einen Status verzichten, den sie sich nur mit größten Mühen verschafft haben. Atomwaffen sind für sie die Trittleiter, die es ihnen ermöglicht, „auf Augenhöhe“ mit den großen Atommächten zu sprechen.

Nuklearwaffen dienen der eigenen Sicherheit. Keine Waffe schreckt den Gegner so sicher von Angriffen ab, weil es nie eine absolute Garantie geben wird, dass sie nicht eingesetzt wird. Gerade autoritäre Regime, denen die innere politische Legitimation fehlt, suchen durch den Nuklearstatus äußere Anerkennung, um ihre undemokratische Herrschaft zu stabilisieren, wie die Beispiele Nordkorea und Iran zeigen. Diese bislang unbekannte und erfolgreiche asymmetrische Abschreckung zwischen einer verarmten Diktatur wie Nordkorea und dem liberalen Hegemon USA fasziniert Diktaturen wie den Iran – der an Image in der Region gewinnt, weil er dem „großen Satan“ die Stirn bietet. Fraglich bleibt allerdings, ob der Iran mit einer „globalen Hartz IV-Versorgung mit Regimegarantie“ rechnen kann wie derzeit Nordkorea; dessen Zusammenbruch wird mehr gefürchtet als das Atomwaffenarsenal.

Der Besitz von Atomwaffen bedeutet nicht automatisch Aggression; er dient der Erfüllung von Sicherheitsbedürfnissen. „Wenn sich eine Nation vielleicht auch bereit findet, auf den offensiven Gebrauch von Atomwaffen zu verzichten, wird sie sich doch dagegen sträuben, ihren defensiven Gebrauch aufzugeben“, stellte Henry Kissinger einmal fest.6 Da verwundert es nicht, dass Nordkorea recht unangenehm wird, sobald man es in die Enge treibt und beispielsweise dazu bringen will, wieder in den NPT einzutreten.

Gegenwärtig überwiegt zwar die Meinung, dass eine Atommacht Iran für größere Instabilität sorgen würde und dass das iranische Beispiel Schule machen könnte. Aber wird nicht auch eine Nuklearmacht Iran – ebenso wie totalitäre Nuklearstaaten in den vergangenen Jahrzehnten – lernen müssen, rational mit dem neuen Machtstatus umzugehen?

4. Global Zero schwächt die freie Welt

Nicht die Proliferation an sich, sondern die Weitergabe von Nuklearwaffen an undemokratische Staaten wird zur Hauptgefahr für das nukleare Zeitalter im 21. Jahrhundert.

Freiheitliche und demokratische Werte spielen in dieser Diskussion eine zentrale Rolle. Die nukleare Abschreckung, gerade in ihrer erweiterten Form durch die USA, hat also nach wie vor eine strategische und politische Dimension, weil sie nicht nur die Beziehungen zwischen den großen Mächten stabilisiert, sondern auch Demokratien Schutz bietet. Sie sichert zum einen amerikanische Vormacht und Handlungsfreiheit, zum anderen garantiert sie die Sicherheit der freien Welt. Was strategisch gut ist für die USA, ist auch strategisch gut für die freie Welt.

Waffen sind nicht von Natur aus aggressiv oder defensiv, sondern sie werden erst durch ihren Zweck näher bestimmt. So verhält es sich auch mit Nuklearwaffen, die man weder dämonisieren noch idealisieren, sondern erst im politischen und geostrategischen Kontext bewerten sollte. Diesen Faktor ignorieren die Verfechter eines Global Zero. Sie übersehen, dass Nuklearwaffen im Besitz von demokratischen Staaten prinzipiell eine andere Funktion haben als im Besitz von Diktaturen oder Terroristen. Die Anhänger eines Global Zero schaden sich selbst, indem sie die äußeren Sicherheitsbedingungen der freien Welt schwächen und damit den aufstrebenden autoritären Mächten in die Hände spielen. Sie entpolitisieren internationale Politik durch weltfremden Idealismus, indem sie regionale Konflikte, geostrategische Interessen, nationale Phobien und nicht zuletzt den Jahrtausende alten Wettkampf zwischen Demokratie und Diktatur weitgehend vernachlässigen. Würden Nuklearwaffen gänzlich verboten, könnten Diktatoren und andere Schurken mit dieser Trumpfkarte den Westen trefflich erpressen. Es kommt also darauf an, wer nach Atomwaffen strebt. Deshalb ist ein Global Zero nicht nur wenig hilfreich; es könnte die Ausgangsbedingungen für die weitere Dynamik in der internationalen Politik zum Nachteil der freien Welt verändern.

5. Nuklearwaffen bleiben für die Sicherheit bedeutsam

Nach dem Ende des Kalten Krieges ist die Welt noch fragmentierter und widersprüchlicher geworden. Gleichzeitig müssen die USA heute erkennen, dass sie trotz ihrer überwältigenden waffentechnischen und nuklearen Überlegenheit nicht mehr in der Lage sind, asymmetrische Kriege zu gewinnen. Zugegeben: Das Prinzip der nuklearen Abschreckung greift hier immer weniger. Auch wächst die Gefahr des nuklearen Terrorismus. Aus dem Bedeutungsverlust der nuklearen Abschreckung und der erhöhten Gefahr des atomaren Terrors lässt sich aber schwerlich ein Vorteil für Global Zero ableiten.

Die neue „Feindschaft aus purem Hass“, die in die internationale Politik Einzug gehalten hat, macht es deshalb notwendig, dass der Westen, insbesondere die USA, auf Nuklearwaffen als Ultima Ratio nicht verzichten.

6. Der nukleare Geist ist aus der 
Flasche

Selbst wenn es plötzlich keine Atomwaffen mehr geben sollte: Das Wissen um die Herstellung bleibt. Der nukleare Geist ist endgültig aus der Flasche. Die Weiterverbreitung von Atomwaffen ist deshalb auch nach einem Global-Zero-Abkommen nicht zu stoppen. Jedes Land, das sich darauf verließe, würde die eigenen Sicherheitsinteressen sträflich vernachlässigen.

7. Global Zero lenkt von dringlicheren Problemen ab

Weil die Vision eines Global Zero nicht zuletzt wegen ihrer prominenten Protagonisten große mediale Aufmerksamkeit erlangt, entsteht bisweilen der Eindruck, als sei dies die dringlichste Frage der Weltpolitik.

Davon kann keine Rede sein. Wichtigere Probleme harren der Lösung: die Kriege in Afghanistan, Pakistan, im Irak oder Jemen, die schwelenden Krisen auf dem Balkan und in Afrika, der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern bzw. Arabern, die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise, die Krise der freiheitlichen Demokratien, prekäre energiepolitische Abhängigkeit von autoritären Regimen, der Aufstieg undemokratischer Großmächte, die Brüche innerhalb der atlantischen Zivilisation und nicht zuletzt Amerikas dramatische Schwäche. Die Vision von Global Zero lenkt davon nur ab.

Vor allem drohen die zu hohen Erwartungen, die die Vision einer Welt ohne Atomwaffen erweckt, in Enttäuschung und Frustration umzuschlagen. Darunter würde eine realistische und zugleich ambitionierte Abrüstungspolitik leiden.

8. Überprüfung und Kontrolle von Global Zero sind unmöglich

Die bislang gescheiterten Vorschläge und Ansätze für globale Überprüfungssysteme stimmen skeptisch – auch für Global Zero. Schon 1945 bemühten sich die USA vergeblich um nukleare Abrüstung. So gingen der Baruch-Plan und der Acheson-Lilienthal-Plan aus dem Jahr 1946 von der Annahme aus, dass eine internationale Behörde mit entsprechenden umfassenden Inspektionsvollmachten imstande sein sollte, die Atomwaffen aus dem Arsenal der Mächte zu verbannen. Doch diese Hoffnungen erwiesen sich als trügerisch. Misstrauen, Machtambitionen und gegenläufige nationale Interessen verhinderten eine Einigung. So würde es auch bei Global Zero geschehen.

Aber angenommen, das Unmögliche träte ein und alle könnten sich auf eine komplette Abrüstung einigen. Dann wären bislang unbekannte und unerprobte Maßnahmen vonnöten. Um den nuklearen Geist in der Flasche zu halten, müsste ein globales Verifikations- und Kontrollverfahren sicherstellen, dass niemand sich heimlich wieder Atomwaffen zulegt. Vor allem das Problem der Sanktionen und der Bestrafung von Vertragsbrüchigen, das schon 1945 unlösbar war, würde das Projekt zu Fall bringen.

9. Global Zero ist tautologisch

Im Grunde genommen reduziert sich Global Zero auf eine glänzend organisierte Werbekampagne, die ohne Rücksicht auf die widrigen Realitäten trotzig mit dem Gefühl moralischer Überlegenheit sicherheitspolitische Wolkenstürmerei betreibt.

Zudem ist sie zutiefst tautologisch: Sie „funktioniert nur dann, wenn zuvor Bedingungen geschaffen wurden, die einen Nuklearwaffenbesitz ohnehin überflüssig machen“.7 Anders ausgedrückt: Global Zero kann nur weltweit Frieden, Sicherheit und Vertrauen schaffen, wenn vorher Frieden, Sicherheit und Vertrauen herrschen.

In Wirklichkeit steht die internationale Politik nicht vor der Alternative zwischen nuklearer und nichtnuklearer Welt, sondern vor einer gänzlich anderen: Entweder stabilisiert man eine ungerechte nukleare Ordnung, in der die Nuklearwaffen unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen auf ein Minimum reduziert werden, oder Global Zero bringt neue Unsicherheiten und Rüstungswettläufe.

Realismus statt Weltflucht

Leider wird eine realistische Debatte über Global Zero auch deshalb erschwert, weil große Staatsmänner wie Henry Kissinger oder Helmut Schmidt, die Atomwaffen als aktive Politiker nie in Frage stellten, nun in die Rolle altersweiser Idealisten schlüpfen. Einer größeren Sicherheit in der Welt dient das nicht, denn sie machen eine Vision intellektuell und politisch hoffähig, die den freien Westen schwächt, autoritäre Regime stärkt, die stabilisierende Rolle von Nuklearwaffen negiert, die Pluralität der Weltpolitik übersieht und schließlich von den wirklich drängenden weltpolitischen Fragen und Problemen ablenkt. Global Zero entpuppt sich als besondere Form von politischem Eskapismus.

Doch nicht Weltflucht, sondern Realismus tut Not. Nicht die Vision einer nuklearwaffenfreien Welt, sondern eine multinukleare Welt wird für das 21. Jahrhundert kennzeichnend sein. An die Stelle passiver Abschreckung sind neue Kriege von ungewisser Dauer und mit ungewisser Erfolgsaussicht getreten. Bislang unbekannte nukleare Bedrohungen und der Aufstieg neuer Atommächte machen das nukleare sicherheitspolitische Management heute ungleich schwieriger. Es kommt also darauf an, das Konzept der nuklearen Abschreckung an die neuen Sicherheitsprobleme anzupassen und die Bedrohungen präzise zu analysieren, anstatt sie zu dramatisieren. Außenminister Westerwelle wäre deshalb gut beraten, nicht mehr für Global Zero, sondern für „Global 1000 minus X“ einzutreten. Eine Abrüstung der etwa 23 000 Nuklearwaffen auf nur 1000 wäre weitaus zustimmungsfähiger. Deutschland könnte dann eine zentrale Maklerposition einnehmen, die von den Atommächten, der NATO und den Nichtatomwaffenstaaten gleichermaßen anerkannt würde.

Denn abgestufte Abschreckung unter Einschluss strategischer und taktischer Nuklearwaffen bleibt auch für das Gleichgewicht der Weltpolitik essenziell. Global Zero erschwert sinnvolle Abrüstung, weil es einem simplifizierten und idealisierten Weltbild das Wort redet. Diese Vision beharrt auf der irrigen Annahme, dass sich Kriege wie von allein abschaffen würden, wenn nur erst alle Waffen abgeschafft würden. Doch die Menschen kämpfen nicht, weil sie Waffen haben. Sie haben Waffen, weil sie sie für notwendig halten. Der Verzicht auf bestimmte Waffentypen wird daran nichts ändern.

Henry Kissinger, der Altmeister des außenpolitischen Realismus, bemerkte einmal, dass viele Anhänger einer Rüstungskontrolle erkennen müssten, dass Eifer kein Ersatz für Präzision sei und dass niemand das Monopol besäße, sich um den Frieden zu kümmern. Friedrich Nietzsche hatte die Schwächen eines allzu großen Idealismus schon früher erkannt: „Alle Idealisten bilden sich ein, die Sachen, welchen sie dienen, seien wesentlich besser als alle anderen Sachen in der Welt“, schrieb er in „Menschliches, Allzumenschliches“. Aber „sie wollen nicht glauben, dass, wenn ihre Sache gedeihen soll, sie genau desselben übel riechenden Düngers bedürfen, welchen alle mensch  lichen Unternehmungen nötig haben“.

Prof. Dr. CHRISTIAN HACKE ist emeritierter Professor für Politische Wissenschaft und Zeitgeschichte an der Universität Bonn.

  • 1Zitiert nach Thomas C. Schelling: An Astonishing Sixty Years, Vortrag an der University of Maryland, College Park, 8.12.2005
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  • 2John Lewis Gaddis: Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte, Berlin 2007, S. 71, S. 107.
  • 3Vgl. Bruno Tertrais: The Illogic of Zero, The Washington Quarterly, April 2010, S. 126.
  • 4Uwe Nerlich: Krieg und Frieden. Beiträge der Sozialwissenschaften II, München 1966, S. 11 f.
  • 5Margaret Thatcher, zitiert nach Tertrais (Anm. 3), S. 127.
  • 6Die Anwendungsmöglichkeiten würden dann ausgearbeitet, so Kissinger, wenn eine Waffe erst einmal fertig entwickelt wäre. Henry Kissinger: Kernwaffen und Auswärtige Politik, München 1974 (zuerst 1957), S. 183.
  • 7Siehe Michael Rühle: Gute und schlechte Atombomben, Berlin muss die nukleare Realität mitgestalten. Ein Standpunkt. Hamburg 2009, S. 69.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2010, S. 101 - 107

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