In 80 Phrasen um die Welt: Instrumentenkasten
Sie betreiben Außenpolitik und stoßen ständig auf die Grenzen des Machbaren? Sie wollen davon ablenken und suggerieren, Sie hätten eine Vielzahl von Eingriffsmöglichkeiten? Da hätten wir was für Sie.
Wenn Außenpolitiker vom „Instrumentenkasten“ reden, wollen sie suggerieren, sie hätten eine Vielzahl von Eingriffsmöglichkeiten. Dieses überaus beliebte Klischee signalisiert Handlungswillen – und -optionen.
Bezeichnenderweise ist es der respektablen Sphäre der Medizin entlehnt. Es geht nicht um Geigen oder Kontrabässe, sondern um Skalpelle, Sägen, Spritzen und dergleichen. Der Politiker oder Diplomat ist der Doktor, der die krisenhaft erkrankte Welt durch kundigen Gebrauch seiner Instrumente auf den Weg der Genesung schickt. Ein schmeichelhaftes Bild, das allerdings ein wenig aus der Zeit gefallen scheint, wenn man sich die Krise der deutschen Außenpolitik vor Augen hält.
Dieses Sprachklischee hat vor ungefähr zehn Jahren Fuß gefasst, unter dem damaligen Minister Frank-Walter Steinmeier. Der hatte den Prozess „Review2014“ angestoßen; mithilfe internationaler Experten sollte über Ziele, Mittel und Prozesse deutscher Außenpolitik reflektiert werden. Der Hintergrund: Die Erwartungen an Deutschland stiegen permanent – durch die Eurokrise, durch den in Bürgerkrieg und Terrorherrschaft abgleitenden Arabischen Frühling, durch die beginnende totalitäre Wende Putins und seine Bedrohung der Ukraine. 2014 war auch das Jahr, in dem Außenminister, Bundespräsident und Verteidigungsministerin bei der Münchner Sicherheitskonferenz koordiniert gelobten, Deutschland werde „mehr Verantwortung“ übernehmen.
In dieser Zeit begann Steinmeier im Bundestag davon zu reden, „den Instrumentenkasten der Außenpolitik in seiner ganzen Bandbreite anzuwenden. Und dieser Werkzeugkasten ist viel reichhaltiger gefüllt als manch verkürzte Debatte ihn darstellt.“ Das Wort Bandbreite, aus der Signaltechnik, passt hier eigentlich nicht, aber man versteht die Richtung: Außenpolitik habe viele Möglichkeiten jenseits von klassischer Diplomatie und militärischer Gewalt.
Was war gemeint? Steinmeier sprach wolkig von „multilateralen Strukturen“, „Friedensmediation“ und „ziviler Krisenprävention“. Eine „vorsorgende Außenpolitik“ setze solche Instrumente ein, um Krisen zu vermeiden, statt sie nachträglich zu meistern. Sein Haushaltsentwurf, so der Minister 2015, „stärke den gesamten außenpolitischen Instrumentenkasten, von der humanitären Hilfe über die Krisenprävention bis hin zur auswärtigen Kulturpolitik“.
Heute ist das Klischee überall vorzufinden: In einem Tätigkeitsbericht zur deutschen Maghreb-Politik heißt es, der „Instrumentenkasten der Politik“ sei „immer größer und breiter geworden“. Bei der Klimaaußenpolitik, behauptet das AA, bediene man sich „eines umfassenden Instrumentenkastens“. Der beschworene Instrumentenkasten voller Handlungsoptionen wird immer „größer“, „stärker“, „reichhaltiger“, „umfassender“. Mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun, im Gegenteil: Überall stößt die deutsche Außenpolitik heute auf die Grenzen des Machbaren. Entschlossene Gegner, unwillige Partner und endliche Ressourcen zwingen zur Priorisierung. Das Sprachklischee des prall gefüllten Instrumentenkastens lenkt davon ab. Es ist das ultimative außenpolitische Angeber-Wort.
Internationale Politik 4, Juli/August 2024, S. 15
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