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01. Jan. 2003

Zypern: Vertane Chance

Der Plan, im Jahr 2004 ein geeintes Zypern als Mitglied der Europäischen Union begrüßen zu können, ist gescheitert. Der Politikwissenschaftler von der Universität Duisburg, Heinz-Jürgen Axt, untersucht die Gründe für dieses Scheitern.

Ein von UN und EU erzeugter Zeitdruck sollte das Wunder vollbringen: Beide Volksgruppen Zyperns sollten sich bis zum Europäischen Rat am 12./13. Dezember 2002 in Kopenhagen zumindest auf die Grundzüge einer Konfliktlösung einigen, damit 2004 ein geeintes Zypern Mitglied der Europäischen Union werden könne. Der Plan dürfte gescheitert, der gordische Knoten im östlichen Mittelmeer nicht durchschlagen sein.

Schuld daran waren nicht nur die Erkrankung und Altersschwäche, die den Führer der türkischen Zyprer daran gehindert haben, persönlich in Kopenhagen anwesend zu sein; Rauf Denktasch begab sich lieber nach Ankara ins Krankenhaus, vielleicht auch, um Zeit zu schinden. Der Führer der griechischen Zyprer, Glafkos Klerides, hatte noch in Nikosia seine Zustimmung zum Friedensplan von Kofi Annan erklärt. Unterschrieben hat Klerides den Plan nicht. Denktasch ließ seinen Außen- und Verteidigungsminister Tahsin Ertugruloglu erklären: „Wir können das Annan-Dokument nicht unterzeichnen. ... Gebt uns Zeit, um mit den griechischen Zyprern zu verhandeln.“ Am Freitag, dem 13. Dezember, lief die Frist ab. Es kam zu keinem Einvernehmen. Nunmehr wird ein geteiltes Zypern den Weg in die EU nehmen. De jure wird die gesamte Insel Mitglied der EU, de facto jedoch nur der von den Griechen regierte Süden. Auf absehbare Zeit dürfte die letzte Chance zur Konfliktbeilegung vertan worden sein. Formal verbleibt die Möglichkeit, noch bis zur Unterzeichnung des Beitrittsvertrags mit Zypern im März 2003 die Ergebnisse einer etwaigen Verständigung zu berücksichtigen. Allzu wahrscheinlich ist eine solche Perspektive allerdings nicht. Die beiden großen „alten Männer“ auf Zypern haben die Chance vertan, als Begründer eines neuen Gesamtstaats in die Geschichtsbücher einzugehen.

Wie sah der Plan aus, den der UN-Generalsekretär in buchstäblich letzter Minute, nämlich am 11. November, den beiden Volksgruppenführern übermittelt hatte? Annan wollte mit einem engen Zeitplan den nötigen Druck zur Verständigung ausüben. Schließlich hatte man sich seit Januar 2002 in über 40 bilateralen Treffen auf Zypern nicht auf ein Grundsatzabkommen einigen können. Bis zum 18. November hatten beide Seiten zu erklären, ob sie den Plan als Grundlage einer Verständigung akzeptieren. Bis zum Gipfel von Kopenhagen sollten die Grundzüge einer Lösung stehen, damit der Europäische Rat die Aufnahme eines geeinten Zyperns beschließen könne. Bis Ende Februar 2003 sollte das „Gründungsabkommen“ in seinen Einzelheiten vereinbart sein, so dass am 30. März die Bevölkerungen beider Seiten in getrennten Volksabstimmungen darüber entscheiden könnten. Der neue Staat sollte dem Muster Belgiens oder der Schweiz entsprechen; separate Teilstaaten würden den beiden Volksgruppen weitgehende Autonomie sichern, ohne diesen allerdings eine eigenständige Souveränität zuzusprechen. Die Präsidentschaft würde zwischen den Repräsentanten beider Volksgruppen rotieren; der türkischen Seite wäre eine Vetoposition zugesprochen worden. In der EU hätte das geeinte Zypern mit einer Stimme gesprochen. Vom Inhalt her bot der Annan-Plan nichts wirklich Neues, erinnert er doch sehr stark an das 1992 vom damaligen UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali präsentierte „Set of Ideas“. So wie auch jetzt hatte die türkische Seite damals den Plan zurückgewiesen. Aber heute regt sich Opposition gegen den Denktasch-Kurs: 30 000 türkische Zyprer demonstrierten auf einer der größten Kundgebungen Ende Dezember für die Annahme des UN-Planes – stark motiviert durch die Hoffnung auf eine verbesserte wirtschaftliche Lage.

In der Türkei gab sich der neue starke Mann Recep Tayyip Erdogan konziliant und kompromissbereit. Ihm trat die alte Garde der Diplomatie und des Militärs entgegen, auch der für die Zypern-Intervention 1974 verantwortliche Bülent Ecevit. Denktasch hatte die Unterstützung der für „Staatspolitik“ und Sicherheit in der Türkei Verantwortlichen. Es mag zutreffen, dass der Schlüssel zur Zypern-Lösung in Ankara liegt. Doch gibt es mittlerweile zwei davon, die nur gemeinsam funktionieren: einen haben die EU-orientierten Reformer, den anderen die Kräfte der Beharrung. Die griechischen Zyprer brauchten ihre Vorbehalte gegen den Annan-Plan erst gar nicht zu offenbaren, ihr Einigungswille wurde nicht ernsthaft getestet. Ihr Ziel, der Beitritt zur EU, wurde – unterstützt durch griechische Drohungen mit dem Veto gegen die gesamte Osterweiterung – in Kopenhagen erreicht. Sollte Erdogan die vom Europäischen Rat in Betracht gezogene Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei im Jahr 2004 im eigenen Land nicht als Erfolg verkaufen können, dann stehen für die EU die Zeichen im östlichen Mittelmeer auf Konfrontation und nicht auf Entspannung – mit dem Unterschied freilich, dass künftig in der EU die griechischen Zyprer mitbestimmen werden.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar 2003, S. 23 - 24

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