Unterm Radar

27. Febr. 2023

Zukunftsfähige Agrarpolitik

Die Landwirtschaft der EU soll die Versorgung mit Lebensmitteln sicherstellen und gleichzeitig ökologisch und gerecht sein. Insbesondere in Zeiten der Krise muss dieses Politikfeld aber noch stärker mit anderen Bereichen koordiniert werden.

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Bild: Ein Bauernmarkt in Lissabon
Eine optimistisch stimmende Initiative der Europäischen Union ist die „Farm-to-Fork“-Strategie, die einen landwirtschaftlichen Beitrag zum klimapolitischen Green Deal der EU-Kommission leisten kann: Wochenmarkt in Cascais nahe Lissabon.
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Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) ist seit ihrer Gründung vor 70 Jahren von Spannungen zwischen Zielen und Akteuren gekennzeichnet. Zu Beginn dominierte nach den Weltkriegserfahrungen das Ziel, die europäische Bevölkerung möglichst mit eigenen Agrarprodukten zu versorgen.



Hierzu wurden produktionssteigernde Preisanreize gesetzt, die durch hohe Außenzölle abgesichert wuren. Mit steigender Produktionsmenge – bis hin zu Butterbergen und Milchseen – geriet diese Politik in die Kritik. Bemängelt wurden ihre ökonomische Ineffizienz, der hohe Anteil der Agrarausgaben am EU-Haushalt sowie die Umweltbelastungen. International wurden vor allem die hohen Agrarzölle und Exportsubventionen kritisiert. Dies belastete die oft teurere Produktion in Entwicklungsländern und war auch für andere starke Exportländer wie die USA, Kanada oder Australien ein ständiges Ärgernis.



Diese Nachteile sowie die WTO-Vorgaben des Agrarabkommens von 1994 führten zum Um- und Abbau von Subventionen und Zöllen, die auch heute noch grundlegend für die GAP sind. Aus Preisanreizen für bestimmte Produkte wurden einzelbetriebliche Zahlungen als Einkommensausgleich für den Abbau von Subventionen; diese sind pro Hektar Fläche definiert und wirken weniger wettbewerbsverzerrend auf den internationalen Märkten. Auch kam es verstärkt zu Nachhaltigkeitsanforderungen und zu speziellen Agrarumweltprogrammen, die staatlich unterstützt werden. Außenwirtschaftlich wurden Zölle reduziert und Exportsubventionen schrittweise abgeschafft.



Aktuell liegt der Anteil der Agrarausgaben am EU-Haushalt bei 31 Prozent; Anfang der 1980er Jahre waren es noch 66 Prozent. Die Geschichte der GAP zeigte immer schon Zielkonflikte. Diese basieren auf unterschiedlichen Interessen von EU-Staaten – abhängig von der Bedeutung des Agrarsektors und der Handelsposition als Im- oder Exportland – sowie von Landwirtschaftsverbänden und sozial- und umweltpolitischen NGOs.

Aktuelle Herausforderungen



Künftig könnte es über die GAP hinaus weitere Interessenskonflikte geben, da die aktuellen Herausforderungen nach umfassenden Antworten verlangen.



Die eigene nationale Versorgungssicherung rückt gerade in politisch und wirtschaftlich unsicheren Zeiten in den Fokus. ­Agrarmärkte neigen systematisch zu Preisextremen. Gibt es nur wenig weltweite Überschüsse, die kurzfristig auch tatsächlich auf den Markt kommen, kann es bei weiteren Angebots­einbrüchen – zum Beispiel durch Unwetterkatastrophen und andere Naturereignisse oder durch Krieg – in einer weltweit wichtigen ­Agrarregion schnell zu Preisspitzen kommen.



Einen Ausweg bieten hier nicht allein agrarspezifische, sondern breit gefächerte Ansätze, die auch aus anderen Politikfeldern stammen. Hierzu zählen Maßnahmen der Friedenssicherung oder zur Offenhaltung von Grenzen und auch Transportmöglichkeiten. Handelspolitisch hilft zudem der Verzicht auf typische Krisenreflexe wie Exportrestriktionen zur vermeintlich eigenen Versorgungssicherung, die aber Preise noch weiter anheizen können. Derzeit werden solche Maßnahmen zwar nicht von der EU, aber von etwa 30 auch preisbeeinflussenden Staaten genutzt.



Umgekehrt können Jahre mit global gesehen guten Ernten zu einem Preisverfall führen, der dann den vielen gerade im Globalen Süden von der Landwirtschaft abhängigen, oft kleinbäuerlichen Betrieben einen Einkommensrückgang und ein Risiko für Produktion und Versorgung beschert. Hier ist mehr die eigene Agrarpolitik der betroffenen Länder oder die Entwicklungspolitik relevant als die GAP.



Die Sozialdimension der Versorgungssicherung jenseits von reinen Produktionsaspekten wird in Phasen hoher Preise in vielen Ländern wichtig. So steigt auch in der EU die Nahrungs­mittelinflation auf historisch hohe Werte und trifft zuerst die einkommensschwachen Haushalte. Die Inflation hängt dabei nicht allein von agrarpolitisch zu beeinflussenden Komponenten ab, sondern neben der Geld- und Fiskalpolitik auch von Energie- und Rohstoffkosten etwa für Dünger, was in Bereiche der Energie-, Handels- und Investitionspolitik fällt. Abfederung leisten hier die Sozial- sowie die Wettbewerbspolitik, die die Preissetzung an verbrauchsrelevanten Stufen der Lebensmittelkette beeinflussen können.



Eine außenpolitische, geo­strategische Politikausrichtung wurde spätestens durch den russischen Angriffskrieg auf die ­Ukraine auch für die Landwirtschaft als wichtig wahrgenommen. Politische Ansätze betreffen stabilen Düngemittel- und Energiebezug, die Suche nach hierfür verlässlichen Handelspartnern und sichere Transportrouten.



Die hier genannten Herausforderungen verlangen nach einer Koordinierung der GAP mit einer Vielzahl anderer Politikfelder, die bislang aber eher begrenzt ist.



Ihre langfristigen Schwerpunkte legt die EU-Agrar­politik in Sieben-Jahres-Rhythmen fest; es gibt dabei für die Mitglied­staaten aber auch einige Freiräume für eigene Schwerpunkte. Die Entscheidungsfindung auf der europäischen Ebene läuft auch über Debatten zwischen Budget- und Nettozahlern, die von den Interessen nationaler Akteure der Mitgliedstaaten beeinflusst sind.



Hindernisse und Chancen

Rückflüsse aus dem EU-Haushalt sind ein wichtiges und gut zu kommunizierendes Argument für nationale Regierungen, um den politischen Vorteil aus der EU-Mitgliedschaft zu unterstreichen. Für große Agrarstaaten wie Deutschland, Frankreich und ­Polen speisen sich diese Rückflüsse stark aus dem EU-­Agrarhaushalt und hemmen daher systematische Reformen.



Diese ausdefinierte und langfristige Choreografie des mehrjährigen Finanzrahmens spielt in nicht-budgetrelevanten Politikfeldern keine Rolle und kann daher nicht als koordinierende Klammer dienen, um verschiedene Politikbereiche zusammenzudenken.



Allerdings könnten andere, ohnehin vorgesehene, aber bislang eher isoliert in einzelnen Politikfeldern genutzte Ansätze eine Koordinierung unterstützen. So prüfen die Folgenabschätzungen der EU die Notwendigkeit und Wirkung von neuen Initia­tiven, bevor die Kommission einen legislativen Vorschlag vorlegt. Diese könnten Zusammenarbeit gezielter fördern, indem gemeinschaftliche Abschätzungen explizit auch zum Bedarf an Koordinierung erfolgen. Bei festgestellten ­Kohärenzdefiziten sollten zudem Lösungen für vielgestaltige Koordinierung vorgeschlagen werden.



Auch sollten diese mit handelspolitisch ohnehin eingeforderten Nachhaltigkeitsabschätzungen von Handelsabkommen verknüpft werden, um gezielt handelsbezogene und internationale Effekte anderer Politikentscheidungen abzuprüfen.



Vom Hof auf den Tisch

Ein zuversichtlich stimmendes Beispiel ist die EU-Initiative „Farm-to-Fork-Strategie“ (F2F). Sie kann als landwirtschaftlicher Beitrag zum klimapolitischen Green Deal der Europäischen Kommission bezeichnet werden, denn sie versteht landwirtschaftliche Nachhaltigkeit umfassender als nur im Sinne von Agrarproduktion.



F2F wurde als Strategie von mehreren Generaldirektionen der Kommission (Landwirtschaft, Gesundheit und Lebens­mittelsicherheit, maritime Angelegenheiten und Fischerei, Umwelt) entwickelt und bietet damit die Chance, politikumfassende ­Ansätze zu formulieren. Vor allem die darin enthaltene Initiative für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem zeigt ­Ideen für mehr institutionelle Zusammenarbeit – inklusive einer dafür gegebenenfalls neu zu gründenden übergeordneten EU-­Organisation.



Krisenfest und nachhaltig  

Die F2F-Initiative kann zumindest als Leitidee eine breit gefächerte Koordinierung weiter vorantreiben. Die Stärke der GAP sollte in dieser Politikpartnerschaft proaktiv eingesetzt werden, indem der vorhandene finanzielle Steuerungsspielraum für eindeutig auf Nachhaltigkeit ausgerichtete agrarpolitische Subventionen ­genutzt wird.



Hierzu sollte der bereits eingeschlagene Weg der GAP hin zur Nachhaltigkeit klarer als bislang auf gesellschaftlich zu entscheidende nachhaltige öffentliche Güter ausgerichtet sein. Zusammen mit der F2F-Initiative bietet sich dann die Chance, eine integrierte, krisenfestere und nach­haltigere EU-Agrarpolitik in Kooperation mit anderen ­Politikfeldern zu entwickeln.

 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2023, S. 12-14

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Mehr von den Autoren

Dr. Bettina Rudloff arbeitet in der Forschungsgruppe EU/Europa der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

 

Prof. Dr. Christine Wieck leitet das Fachgebiet Agrar- und Ernährungspolitik an der Universität Hohenheim.

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