Internationale Presse

02. Jan. 2023

Zementierte Spaltung der USA

Nach den Zwischenwahlen haben sich die Lager der Demokraten und Republikaner fest eingegraben. Das Land ist zerrissen in der Frage, wer oder was es sein will. ­Erneuerung scheint weit entfernt, das gilt wohl auch für die Spitzenkandidaten.

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„Trump oder Biden? Wie wäre es mit keinem von beiden?“ Knapp zwei Jahre vor der nächsten Präsidentschaftswahl in den USA sieht es so aus, als ob diese Überschrift eines Wall Street Journal-Kommentars ein frommer Wunsch bleiben würde. Im Lager der Demokraten werden nach glimpflich ausgegangenen Zwischenwahlen (Midterms) die ersten Weichen gestellt: Joe Biden hat selbst erklärt, an einer erneuten Kandidatur 2024 Interesse zu haben. Tritt er an, so heißt es, sei ihm die Nominierung fast sicher – trotz seines Alters von bereits heute 80 Jahren. Anfang 2023 will er seine Entscheidung nach Beratungen mit seiner Familie bekanntgeben.



Das hat Donald Trump bereits getan: Nur wenige Tage nach den Midterms kündigte der Ex-Präsident an, 2024 wieder ins Rennen zu gehen. Kommt es also zu einem Rückspiel Biden-Trump?



Dabei ist es eigentlich vertrackt. Biden verhalf seiner Partei bei den Midterms im November 2022 zu einem besseren Abschneiden, als es in den vergangenen mindestens fünf Jahrzehnten je einem US-Präsidenten gelungen war. Die Demokraten verloren zwar die Mehrheit im Repräsentantenhaus, verteidigten sie aber im Senat und gewannen dort sogar noch einen Sitz hinzu: Nach der Stichwahl in Georgia Anfang Dezember stand fest, dass kein demokratischer Amtsinhaber verloren hatte und dass die Partei zunächst 51 Senatoren stellte, die Republikaner nur noch 49. Auch nach der Ankündigung von Senatorin Sinema, künftig parteilos zu agieren, können die Demokraten  Richter- und Regierungsstellen mit Mehrheit leichter bestätigen. Bemerkenswert ist auch, dass die Demokraten in Gouverneurswahlen und Landesparlamenten zulegen konnten – etwas, was der Partei des amtierenden Präsidenten seit 88 Jahren nicht gelungen war. Aber dem Ansehen Bidens hat das kurioserweise nicht genutzt. Seine Zustimmungswerte in Umfragen dümpelten Anfang Dezember weiter auf niedrigem Niveau herum. Dennoch galt er bis Ende 2022 als Favorit für die Präsidentschaftswahl 2024. Die Erklärung: Weil es auch dann wieder höchstwahrscheinlich um die Frage gehen wird, ob Trump gewinnen soll oder nicht. Biden hat ihn einmal geschlagen und traut sich das nach eigenen Worten ein zweites Mal zu.



Was für Biden spricht

Auf der anderen Seite kann Biden auf große gesetzgeberische und andere Erfolge verweisen. So verabschiedete der Kongress mehrere milliardenschwere Gesetzespakete etwa im Kampf gegen die Pandemiefolgen, für die Infrastruktur und einen besseren Klimaschutz. Zudem sank die Arbeitslosigkeit auf den niedrigsten Stand seit 50 Jahren. Zwar ist die Inflation immer noch enorm, aber selbst die Benzinpreise bewegten sich zuletzt nach unten.



Auch in der Außenpolitik glückt Biden nach anfänglichen Flops wie dem chaotischen Afghanistan-Abzug inzwischen vieles. So wird sein Agieren im Ukraine-Krieg als kraftvoll und gleichzeitig integrierend angesehen: Die Alliierten fühlen sich eingebunden und folgen unter ihm der amerikanischen Führung weitgehend widerspruchslos, wie nicht zuletzt der G20-Gipfel auf Bali zeigte. Selbst im Umgang mit dem großen und größer werdenden Rivalen China kann Biden nach seinem Treffen mit Xi Jinping zumindest darauf verweisen, dass man wieder miteinander spreche. Und ob es den Deutschen gefällt oder nicht: Die Amerikaner gehen aus der dem Ukraine-Krieg folgenden Energiekrise stärker hervor als viele Länder in Europa. Mit milliardenschweren Subventionen locken sie immer mehr Unternehmen auf die andere Seite des Atlantiks.



Im November 2024, wenn der nächste Präsident der USA gewählt wird, wird Joe Biden 82 Jahre alt. Gegen Ende einer zweiten Amtszeit wäre er dann 86. Die New York Times ist nicht das einzige Medium, das meint, das sollte dem Präsidenten zu denken geben. So schreibt ihr Chefkorrespondent für das Weiße Haus, Peter Baker: „Auch wenn die aus historischer Sicht überraschenden Midterms dabei geholfen haben, einige der unmittelbaren politischen ­Probleme des Präsidenten zu lösen, haben sie ihn nicht über Nacht jünger gemacht.“ Biden ist schon jetzt der älteste US-Präsident der Geschichte.



Absetzbewegung von Trump

Ähnlich kompliziert ist die Ausgangslage bei den Republikanern: Da der „rote Tsunami“ am 8. November ausblieb und es nicht einmal eine Welle republikanischer Siege gab, hieß der größte Verlierer des Wahl­abends Trump, was den Ex-Präsidenten auch selbst kalt erwischte. Die meisten der von ihm unterstützten Kandidaten, die seine „big lie“ vom Wahlbetrug 2020 verbreitet hatten, waren von den Wählern abgestraft worden. Die Amerikaner, so die Interpretation, lehnten allzu radikale Kräfte ab. „Die Midterms waren ein Hoffnungsschimmer für die amerikanische Demokratie“, kommentierte das Editorial Board der Financial Times am Tag danach.



Das historisch schlechte Abschneiden der Oppositionspartei führte auch zu einer Absetzbewegung von Teilen der rechtskonservativen Medien – ­besonders bemerkenswert ist die des Verlegers Rupert Murdoch. Der TV-Sender Fox News postete bei dem von Trump nach seiner Sperrung auf Twitter gegründeten Online-Dienst Truth Social noch in der Wahlnacht, dass Konservative bei der Suche nach einem Sündenbock nun mit dem Finger auf den Ex-Präsidenten zeigen würden. Und der Sender schrieb dazu: „Nie war er schwächer.“



Die New York Post, ebenfalls aus dem lange Trump-freundlichen Murdoch-Konzern, machte sich auf dem Cover über den Ex-Präsidenten lustig, der es nicht geschafft habe, eine Mauer zu bauen, und jetzt tief gefallen sei. Dazu zeigte sie einen in ein menschenähnliches Ei verwandelten Trump, der von einer Mauer fällt, und spottete, angelehnt an den Kinderreim „Humpty Dumpty“: „Trumpty Dumpty“.



Ganz besonders hatte es die New York Post auf Trumps bekanntlich labiles Gemüt abgesehen, als sie am Tag nach dessen Ankündigung seine erneute Präsidentschaftskandidatur vermeldete. Ganz unten auf der Titelseite stand der spartanische Satz: „Florida man makes announcement“ (Mann aus Florida macht eine Ankündigung). Begraben wurde die Story auf Seite 26 – Höchststrafe für den einstigen New Yorker Immobilienmogul und Reality-TV-Star. Twitter-Amerika war aus dem Häuschen ob dieses Tiefschlags. Trump-Biografin und New York Times-Journalistin Maggie Haberman, die lange für die New York Post gearbeitet hatte, kommentierte auf CNN, nichts treffe den heute 76-Jährigen mehr, als seinen Namen nicht zu nennen. Auch Influencer wie die rechte Publizistin Ann Coulter erklärten Trump für einen Politiker der Vergangenheit und nicht der Zukunft. Coulter twitterte drei Tage nach den Midterms: „Sie hatten Ihre Chance, mit einem republikanischen Repräsentantenhaus. Sie haben die Innenpolitik Ihrem Schwiegersohn und Gary Cohn übertragen (ein Investmentbanker, der unter Trump nicht viel mehr war als ein Jahr lang Direktor des Nationalen Wirtschaftsrats). Sie haben die Außenpolitik Ihrem Schwiegersohn und einem Land (Saudi-Arabien) übertragen, das Ihrem Schwiegersohn zwei Milliarden zukommen ließ. Halten Sie die Klappe. Für immer.“



Wie über Trump berichten?

Die Frage, wie die amerikanischen Medien zwei Jahre vor der Wahl mit dem nun offiziellen Präsidentschaftskandidaten Trump umgehen und welchen Raum sie ihm geben sollen, wird aber weiter rauf und runter diskutiert. Die Erfahrungen aus dem Wahlkampf 2016 wirken nach. Das führt dann zu kuriosen Situationen. So übertrug zum Beispiel CNN mehr von Trumps Ankündigung als Fox News. Der linksliberale Sender MSNBC, bei dem gleich zwei prominente Ex-Mitarbeiterinnen der Biden-Harris-­Regierung angeheuert haben, Jen Psaki und Symone Sanders, zeigte die Rede überhaupt nicht live.



Journalistik-Studierenden als beispielhaft für einen ersten Satz empfohlen wurde eine Formulierung des Radiosenders NPR nach der Kandidatur-Ankündigung. Der Sender tweetete: „Donald Trump, der versuchte, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2020 zu kippen und in einem verzweifelten Versuch, an der Macht zu bleiben, zu einem tödlichen Aufstand am Kapitol anstachelte, hat offiziell seine Unterlagen für eine erneute Präsidentschaftskandidatur 2024 eingereicht.“ Der Tweet wurde mehr als 44 000 Mal geteilt.



Trump, soviel scheint festzustehen, wird es seinen professionellen Beobachtern nicht leicht machen in den kommenden zwei Jahren. Noch immer ist es so – und das übrigens längst nicht nur in Deutschland –, dass der Ex-Präsident gut für das Mediengeschäft ist. Obwohl er in seiner Kandidatur-Ankündigung kaum etwas Neues sagte, und ohnehin schon feststand, was er da tun würde, wurden weltweit Eilmeldungen versandt. Und kaum ein Medium verzichtete auf Berichterstattung und Kommentierung.



Besonders kurios wurde die Situation an dem besagten 15. November, da Präsident Biden sich ungefähr zur gleichen Zeit am Rande des G20-Gipfels auf Bali zu den in Polen eingeschlagenen Raketen zu Wort meldete. Auf der einen Seite Weltpolitik, auf der anderen Trumps Rede – bei CNN nahmen die Ereignisse ungefähr den gleichen Raum ein. Vier Jahre Trump haben aber auch dazu geführt, dass die Faktenchecker nun stets im Einsatz sind. So brachten im Grunde alle seriösen Medien schnell Analysen, die Falschaussagen des notorisch lügenden Ex-Präsidenten kenntlichmachten. Wenig überraschend betraf dies einen großen Teil seiner Rede.



Trump und die GOP

Die Gretchenfrage bleibt indes, wie es die „Grand Old Party“ (GOP) mit ihrem ehemaligen Präsidenten hält. „Schafft die Republikanische Partei die Abkehr von Trump“, fragt sich nicht nur die New York Times. Die Einschätzungen schwanken von „Dieses Mal hat er den Bogen wirklich überspannt“, „Er kann nicht mehr gewinnen“, „Selbst die eigenen Leute haben genug von seiner Litanei über 2020“ bis hin zu „Donald Trump wird wie immer alle überraschen“, „Die Basis lässt niemand anderen zu“ und „Die Partei wird sich wieder hinter ihm vereinen“.



Dabei wird auch eine Rolle spielen, ob eine der vielen Untersuchungen gegen den Ex-Präsidenten erfolgreich sein kann. Derzeit laufen fünf größere Ermittlungen gegen ihn. Justizminister Merrick Garland hat den Staatsanwalt Jack Smith eingesetzt, um zwei der Untersuchungen zu überwachen. Smith, der schon Kriegsverbrecher vor Gericht gebracht hat, könnte sich für eine Anklage von Trump aussprechen – es wäre die erste eines Ex-Präsidenten in der amerikanischen Geschichte und hoch brisant, da Trump ja bereits vor Smiths Einberufung seine erneute Kandidatur verkündet hatte. Derzeit sieht es so aus, als ob sich die Republikaner hier einmal mehr hinter Trump vereinen. Sie werfen den regierenden Demokraten eine Politisierung der Justiz vor. Sollte wirklich Anklage erhoben werden – ein Schritt, der Trump nicht automatisch aus dem Rennen nehmen würde –, droht eine schwere Systemkrise. Smith, so heißt es, lasse sich davon nicht beeindrucken.



Eine Erkenntnis der Midterms war: Die jungen Wähler haben Bidens Partei gerettet. „Ohne junge Wähler hätten die Demokraten diese Wahl krachend verloren“, analysiert CNN-Umfrageexperte Harry Enten. Verloren die Demokraten bei der Wahl zum Repräsentantenhaus in der Gruppe der über 45-Jährigen zehn Prozentpunkte, gewannen sie in der Gruppe der unter 45-Jährigen 13 Punkte hinzu. Ähnlich wie 2018, den Midterms nach Trumps Wahl, erreichte die Wahlbeteiligung der Unter-30-Jährigen eine Rekordhöhe. Für sie ist Trump das Feindbild schlechthin, da er die Demokratie gefährde und ihre Freiheitsrechte bedrohe.



Interessant wird, wie sich diese Wäh­lergruppe bei einer Neuauflage Biden versus Trump verhalten würde. Haben die jungen Menschen die Geduld, noch länger auf den Generationswechsel zu warten, oder wenden sie sich entnervt ab?



Polarisierung nimmt weiter zu

Die Midterms haben keine großen Hoffnungen gemacht, dass Biden sein Versprechen, das Land zu einen, in den verbleibenden zwei Jahren seiner Amtszeit noch umsetzen kann. Die tiefe Kluft zwischen dem roten (konservativen) und dem blauen (liberalen) Amerika nimmt zu – nicht zuletzt durch Entscheidungen des unter Trump nach rechts gerückten ­Supreme Court. Vor allem das Urteil in der Abtreibungsfrage, das den einzelnen Bundesstaaten das Recht zuwies, Schwangerschaftsabbrüche zu regulieren, zementiert die Lager erst recht. Wer sich dieses Recht nicht nehmen lassen will, wird wohl kaum in einem Bundesstaat wohnen bleiben wollen, der dies verbietet – und umgekehrt. Der Eindruck verstärkt sich, dass es in den USA zwei unvereinbare Visionen davon gibt, wie das Land aussehen soll. Das Gerrymandering, also das Neuzeichnen der Wahlkreiszuschnitte durch die Parteien, leistet der Spaltung weiteren Vorschub. Das Land steht vor unruhigen Jahren.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2022, S. 116-119

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Juliane Schäuble ist Politikwissenschafterin und berichtet seit Juni 2018 aus Washington für den Berliner Tagesspiegel.

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