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01. Juli 2011

Zähne für den Tiger

Bevor die neue Nachbarschaftspolitik wirken kann, muss die EU ihre Hausaufgaben machen

Für Brüsseler Verhältnisse ging alles atemberaubend schnell: Am 8. März 2011, nur sechs Wochen nach dem Beginn der Protestbewegung in Ägypten, präsentierten die EU-Kommission und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ein umfangreiches Paket mit Hilfsmaßnahmen für Europas veränderte südliche Nachbarschaft. Bis zum 25. Mai hatte man den Großteil dieser Ideen dann sogar noch in die zeitgleich überarbeitete Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) eingewoben.

Bei der Präsentation war der Beifall groß, denn das neue Kernprinzip für Europas Gestaltungsanspruch an seiner Süd- und Ostflanke lautet: Wer Hilfe von uns will, der muss reformwillig sein. Diese Kopplung europäischer Geldausschüttung an die Reformbereitschaft der Empfängerstaaten (im Brüsseler Jargon „conditionality“ genannt) ist allerdings gar nicht so neu, wie es den Anschein hat. Schon seit Jahrzehnten ist das die Grundregel für Handelsabkommen und Hilfsprojekte der EU. Richtig durchgesetzt wurde sie aber nur selten, denn Mittelabfluss und fragile Beziehungen sollten durch übertriebenes Controlling nicht allzu sehr gestört werden. Diese laxe Handhabung eigentlich selbstverständlicher Prinzipien hatte ihren Preis: Zig Millionen Euro an Entwicklungsgeldern wurden ohne sichtbares Ergebnis vergeudet, ein veritabler Skandal, der auch der Hauptanlass für die Reform der ENP war.

Mit dem Wind of Change des arabischen Frühlings im Rücken wollen die Europäer nun Ernst machen: „Conditionality is back“. Nur wer mehr Reformen durchzieht, kriegt auch Geld („more for more“), und wer keine Fortschritte macht, dem wird der Hahn zugedreht („less for less“) heißen die Zauberformeln. Und statt breiiger Reformrhetorik werden die Ziele dieser Politik explizit mit den Werten Europas verbunden: Demokratie, Freiheit, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit. So beeindruckend war diese entwicklungspolitische „show of force“, dass amerikanische Neokonservative, verärgert über Präsident Obamas kühle Realpolitik, auf Konferenzen schon verängstigt nachfragten, ob es nun statt Amerika plötzlich das von ihnen stets etwas verachtete Europa sei, welches mit der Missionierung unbefreiter Weltgegenden Ernst mache.

Die Antwort auf diese Frage lautet wohl: Nein. Denn erstens ist es nach wie vor völlig unklar, ob sich die zentrale Voraussetzung für die neue „conditionality“, nämlich der tatsächliche Wille zur Reform in den Ländern des Südens (und auch des Ostens), durchsetzen wird. Dieser Mangel an Öffnungsbereitschaft (sprich: die Angst der Diktatoren vor Machtverlust) bleibt weiterhin das Haupthemmnis jeder Entwicklungszusammenarbeit.

Zweitens ist auch das neue Papier sehr schweigsam zur Frage, wie „more for more“ und „less for less“ in der Realität durchgesetzt werden sollen. Bisher konnten sich die Reformverweigerer darauf verlassen, dass langwierige Prozesse, Personalmangel und das störrische Haushaltsrecht der EU eine effektive Erfolgskontrolle von Entwicklungsprojekten verhinderten. Neue Regeln und neue Formen des Controllings präsentiert die reformierte ENP aber nicht, sodass es fraglich erscheint, ob der Tiger tatsächlich endlich die Zähne bekommt, die er hier vorsorglich schon mal fletscht.

Drittens bleiben auch Europa und seine Mitgliedstaaten trotz des nun demonstrierten robusten Idealismus realpolitische Akteure, für die entwicklungspolitische Ziele nur ein Teil des außenpolitischen Programms sind. Es ist nicht zu erwarten, dass den Reformhoffnungen des arabischen Frühlings (oder Osteuropas) jedes andere geopolitische Interesse untergeordnet wird. Das ist auch nicht verwerflich. Interessen sind vielschichtig, und auch das moralisch Richtige ist oft nicht so unzweideutig festlegbar, wie es Idealisten aller Couleur gerne weismachen wollen.

Selbst wenn man all diese Hindernisse und Missstände ausräumen könnte, bliebe in der neuen ENP in jedem Fall noch ein anderes, fundamentaleres Problem: Am Ende ist sie doch wieder vor allem eins, nämlich Außenpolitik per Projektmanagement. In Ermangelung eines europäischen Gesamtinteresses und des Auftretens mit einer Stimme war es schon immer leichter, EU-Außenpolitik nicht in den erforderlichen  Großzusammenhängen zu denken und zu praktizieren, sondern durch das kleinteilige Durchführen zahlloser Einzelvorhaben zu ersetzen. Selbst wenn wie jetzt die EU in der Außenpolitik einmal Vision und Programm zügig zur Hand hat, ist es diese Verwaltungskultur, die das echte Gestalten blockiert.

In der Debatte um die Krise der europäischen Außenpolitik wird dieses Hindernis meist ausgespart, obwohl es mindestens ebenso problematisch ist wie all die anderen oft genannten Strukturprobleme. Der Europäische Auswärtige Dienst, der die strategische Anleitung ja eigentlich leisten sollte, ist ein gutes halbes Jahr nach seiner Gründung noch zu sehr mit sich selbst befasst, um hier schon etwas zu bewirken. Die Maßstäbe der neuen ENP halten also auch eine Botschaft für die EU selbst bereit: Wer die Welt verändern will, der muss damit bei sich selbst anfangen.

JAN TECHAU ist Direktor von Carnegie Europe, Brüssel, und Associate Fellow der DGAP

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2011, S. 126-127

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