Pro & Contra

01. Mai 2020

Würde mit Joe Biden eher wieder transatlantische Normalität einkehren?

Ein Pro und Contra

Pro

Mit Biden würde vieles besser …

Von Anna Kuchenbecker

 

Auch wenn die Umstände tragisch sein mögen, so sind die Aussichten auf eine Präsidentschaft Joe Bidens in den vergangenen Wochen erheblich gestiegen und damit auf einen Reparaturversuch der transatlantischen Beziehungen. Das bedeutet nicht, dass die Regierungen da weitermachen können, wo sie aufgehört haben.



Aber es wird Folgen haben, dass sich Bidens Weltsicht grundlegend von der Trumps unterscheidet und damit auch die Fundamente seiner Außenpolitik. Trumps Welt des „America First“ sieht die USA als Opfer, multilaterale Abkommen als Fessel, Kooperation als Schwäche; sie hält Menschenrechte für Geschwätz, bewundert Diktatoren und verachtet die europäischen Partner als Schmarotzer und Konkurrenten.



Mit Joe Biden würde dagegen ein Präsident ins Weiße Haus einziehen, der die liberale internationale Ordnung nicht zerstören will, sondern unterstützt; der davon ausgeht, dass Amerikas Sicherheit am besten durch globale Allianzen garantiert wird, dass sich die großen Probleme der Welt wie Klimawandel, Abrüstung, Pandemien nur gemeinsam lösen lassen und dass die Förderung von Demokratie und Menschenrechten ein wichtiger Teil amerikanischer Außenpolitik sein muss. Ein Präsident Biden würde danach streben, die Glaubwürdigkeit und Führungsfähigkeit der USA wiederh

erzustellen. Gelänge es ihm, Vertrauen schrittweise zurückzugewinnen, könnte auch die transatlantische Partnerschaft erneuert werden.

Zwar wird die unterschiedliche Weltsicht von Biden und Trump nicht zwangsläufig zu einem europäischen Wünsch-dir-was führen. Differenzen dürften bleiben, etwa im Hinblick auf das Verhältnis zu Russland und China, die Lastenteilung in der NATO und ganz generell die Führungsrolle der USA bei der Lösung von Konflikten. Auch eine Biden-Administration müsste die Müdigkeit der Amerikaner gegenüber globalem Engagement, hohen Lasten zur Verteidigung von Alliierten und ihre unveränderte Skepsis gegenüber Freihandel und Globalisierung berücksichtigen. Doch wer eine ähnliche Wertebasis besitzt und Allianzen als langfristige strategische Investments begreift, kann besser mit Differenzen umgehen und Kompromisse finden.



Vielleicht könnte eine Biden-Administration für Deutschland sogar anstrengender werden als diejenige Trumps. National-pazifistische, isolationistische und solidaritätsverweigernde Impulse ließen sich dann nicht länger hinter dem Republikaner verstecken. Kein Wunder also, dass jene, die sich Deutschland als große Schweiz erträumen, kaum Unterschiede zwischen Biden und Trump entdecken wollen und von der Unrettbarkeit des transatlantischen Verhältnisses raunen.

 

Dr. Anna Kuchenbecker ist Senior Director, Strategic Partnerships beim European Council on Foreign Relations (ECFR).

 

Contra

… aber längst nicht alles gut

Von Josef Braml

 

Trumps unprofessionelles Krisenmanagement in der Corona- und Wirtschaftskrise könnte die Experimentierlaune der Amerikaner dämpfen und ihr Sicherheitsbedürfnis erhöhen, also dem steteren Demokraten Joe Biden in die Karten spielen – so die Hoffnung vieler deutscher Beobachter. Erinnert der ehemalige Vizepräsident Barack Obamas doch auch viele westliche Verantwortliche wehmütig an das globale, multilaterale Krisenmanagement der Vorgängerregierung.



Doch es ist genau jene, in ihren sozioökonomischen Folgen bis heute nicht ganz bewältigte Wirtschafts- und Finanzkrise 2008, die die politischen Koordinaten in den USA verschoben und Trumps Wahl begünstigt hat. Zudem wurden durch maßloses Finanzgebaren, vor allem der US-Notenbank, die Mittel verbraucht, die für die Bewältigung der nun absehbaren, viel größeren Wirtschaftskrise notwendig wären.



Noch knapper werdende Ressourcen werden den Verteilungskampf und die politische Radikalisierung in Washington weiter befeuern und umso heftigere Auswirkungen auf die US-Außenpolitik haben. Bereits heute zeigt sich – auf beiden Seiten des politischen Spektrums, vor allem unter der demokratischen Wählerschaft Bidens, um die auch Trump buhlt – Widerstand gegen den seit dem Zweiten Weltkrieg geltenden international engagierten außenpolitischen Kurs der USA.



Die traditionellen, den Gewerkschaften nahen Demokraten befürchten insbesondere, dass Mittel für internationale beziehungsweise militärische Zwecke verbraucht werden und somit für innere soziale Belange fehlen. Transatlantische Lastenteilung und Protektionismus in der Handelspolitik werden insbesondere von demokratischer Seite gefordert – nicht zuletzt auch in der amerikanischen Legislative. So war der Widerstand der Demokraten im Kongress ursächlich dafür, dass die transatlantischen Freihandelsgespräche (TTIP) nicht, wie von US-Vizepräsident Biden seinerzeit angekündigt, „mit einer Tankfüllung“ zu Ende gebracht werden konnten.



Ohnehin war für Präsident Obama und seinen Vize Biden – zum Verdruss der Europäer – die „Hinwendung nach Asien“, also die Transpazifische Partnerschaftsinitiative (TPP), wichtiger, mit der sie China handelspolitisch einzudämmen versuchten und von ihren Alliierten wirtschaftlichen Tribut und Gefolgschaft forderten. Das würde sich wohl auch unter einem Präsidenten Biden kaum ändern.

Auch unter einem Demokraten würden die Vereinigten Staaten im härter werdenden geoökonomischen Wettbewerb ihre Wirtschafts- und Militärmacht als kompetitiven Wettbewerbsvorteil einsetzen; das gilt erst recht gegenüber schutzbedürftigen Ländern wie Deutschland.



Dr. Josef Braml leitet das Amerika-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2020, S. 112-113

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