„Wir sind Macher“
Der Trainer der US-Fußballnationalmannschaft und das Wesen der Nationen
Als der amerikanische Fußballverband vor drei Jahren Jürgen Klinsmann verpflichtete, war schon klar, dass er eine schwierige Aufgabe antreten würde. Man wollte ihn, weil man einen erfolgserfahrenen Reformer brauchte, der die US-Kicker aus dem Tal der Ratlosigkeit führen könnte. Man hatte keine Ahnung, dass man mit Klinsmann auch einen Historiker eingekauft hatte.
Der 49-Jährige verpackt seine Ausführungen über die „Soccer-Kultur“ gern in weitschweifigen Analogien aus der Weltgeschichte. So wie vor einem Jahr, als er in einem Interview verriet, dass die Deutschen geborene Stürmer seien. „Vielleicht ist das in unserer DNA“, sagte er und verwies auf die beiden Weltkriege, in denen deutsche Truppen die Nachbarländer überrannt hatten. Er räumte ein: „Vielleicht war das falsch.“ Aber ansonsten sei mit dem deutschen Wesen alles bestens bestellt: „Wir sind eine hart arbeitende Nation. Wir sind Macher.“ Macher, die mit den besten Fußball der Welt produzieren.
In den Vereinigten Staaten, die Klinsmann nach dem Ende seiner Spielerkarriere vor 16 Jahren zu seiner zweiten Heimat erkor, wäre man selbstverständlich ebenfalls gerne in dieser Kategorie. Aber dazu fehlt noch so einiges. Nicht nur geniale Instinktspieler und ein Förderband, auf dem aus Masse Klasse entsteht. Sondern das ungebremste Ja zu einer Mentalität, die der Schwabe aus der amerikanischen Geschichte abgeleitet hat. „Ihr wollt in allem die Führer in der Welt sein. Also dürft ihr auf dem Rasen nicht abwartend spielen“, mahnte er vor der Weltmeisterschaft zum wiederholten Mal. Nur eine Nationalmannschaft, die das nationalpolitische Kulturverständnis verkörpert, ist eine gute Nationalmannschaft.
Eine verführerische Idee. Und gleichzeitig so absurd wie alles aus der Schublade alter Nationalismustheorien. So symbolisierte die von Klinsmann geformte deutsche Nationalmannschaft bei der „Sommermärchen“-WM am Ende vor allem eine gesellschaftliche Realität: den Migrationsaspekt des modernen Deutschland. Nicht die selbstverachtende Brutalität der Panzerarmeen von Guderian und Rommel.
Nach drei Jahren geht der Fußballlehrer übrigens den ersten Kritikern mit seinen Deutungen von Politik, Kultur und Gesellschaft auf den Keks. Als er neulich beklagte, dass der Sport in den USA darunter leide, dass den Stars im Vorfeld Unsummen garantiert würden, platzte dem prominenten Sportjournalisten Michael Wilbon der Kragen: „Herr Klinsmann will dem gesamten amerikanischen Sport sagen, wie er zu funktionieren hat“, nölte er in der Sendung „Pardon the Interruption“ auf dem Sportsender ESPN. „Zur Hölle, verschwinden Sie. Verschwinden Sie aus Amerika.“
Jürgen Kalwa lebt seit 1989 in New York und berichtet u.a. für die Frankfurter Allgemeine Zeitung über Sportthemen.
Internationale Politik 4, Juli/August 2014, S. 144