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01. Sep 2007

Wind machen und Wellen schlagen

Technologie

Die uralten Alternativenergien sind die Zukunft. Voraussetzung: Noch mehr Tempo, noch viel mehr Kapital

Nicht, dass sie nicht alles versuchen würden, die Herren Ingenieure. Vor schottischen Inseln etwa schwimmt jetzt manch neue Versuchsanlage im Meer – Kraftwerke mit Namen wie „Wavegen“ und „Pelamis“, die aus Wellen Strom machen sollen. Und auch andernorts suchen Forscher im Wasser Funken zu schlagen – mit neuen Gezeiten-, Strömungs- und Wellenkraftwerken. Denn das Meer ist immer da. Und stets in Bewegung.

Was uns daran erinnert, dass die vermeintlich neuen Alternativenergien viel älter sind als Kohle, Öl und Atom. Von Anbeginn scheint der Superenergieball namens Sonne auf uns nieder. Der Wind blies schon lange vor der Erfindung der Mühle. Von jeher strömt das Wasser von oben nach unten, wie auch in Gezeiten hin und her. Es geht also nicht um neue Energien, sondern um eine möglichst raffinierte Nutzung der klassischen, auf unserer Erde endlos verfügbaren Kräfte. Und ja, es geht voran. Während in diesem Sommer der Ölpreis wieder Kapriolen schlägt und sich viele deutsche AKWs in einer Großpannenserie vom Netz verabschieden, geht die Sonne jeden Morgen auf. Der Wind bläst. Und auch Wasser fließt weiterhin unbeirrbar von oben nach unten. Es dient übrigens schon seit dem Jahr 1881 der Stromerzeugung – als die Ottawa Electric Light Company ein Rad mit Turbine in einen Wasserfall schob, um die neuen Straßenlaternen und ein benachbartes Sägewerk mit Elektrizität zu beglücken. Zudem werden bestimmte Formen von Wasserenergieerzeugern, Pumpspeicherwerke etwa, immer wichtiger, weil sie verlässlich einspringen können, wenn unstetere Stromlieferanten wie Wind grade eine Flaute haben.

Die simple, aber gewaltige Kraft des Wassers liefert längst fast 20 Prozent der Weltstromproduktion. In glücklichen Ländern wie Norwegen (Anteil ca. 99 Prozent), Brasilien (80), Neuseeland (75), Kanada (70) und Österreich (65) ist der Anteil deutlich höher. Sollte es dank neuer Technologien gelingen, auch die Kraft der Brandung, der Gezeiten und Strömungen in großen Umfang anzuzapfen, dürfte die Wasserkraft weltweit eine noch gewichtigere Rolle spielen.

Auch beim Wind sind die Fortschritte deutlich. Irgendwann aber sind an Land Grenzen erreicht, will man nicht jeden Acker mit Rotoren zustellen. Verstärkt setzt nicht nur die Berliner Regierung nun auf so genannte Offshore-Windparks, weit draußen im Meer. Bis 2030 sollen in Nord- und Ostsee deutsche Windanlagen emporwachsen, die bis zu 25 000 MW produzieren – rund ein Sechstel des Strombedarfs. Geschätztes Investitionsvolumen: rund 50 Milliarden Euro. Auf einer Plattform im Rostocker Fischereihafen wird schon belastbare Technik getestet. Innerhalb der EU wächst die auf den Meeren besonders dringende Kooperationsbereitschaft. Optimisten rechnen damit, dass Rotoren vor den EU-Küsten schon in 13 Jahren an die 50 000 Megawatt herbeiquirlen könnten. Das Äquivalent von zwei Dutzend Atomkraftwerken. An Land produzierten die Windenergieanlagen der 27 EU-Staaten Ende letzten Jahres 48 000 Megawatt – davon 20 000 in Deutschland.

Deshalb fühlt sich Deutschland jetzt recht mustergültig auf dem Sektor der erneuerbaren Energien. Ihr Anteil daheim stieg allein 2006 um fast 13 Prozent. Zur Stromerzeugung steuern sie nun 12 Prozent bei. Die mutlose Vorgabe des schwarz-roten Koalitionsvertrags, bis 2010 einen Anteil von 12,5 Prozent zu erreichen, wird wohl schon in diesem Jahr überboten. Für das angepeilte EU-Ziel von 20 Prozent der Gesamtenergieversorgung müsste der Strombereich bis dahin auf etwa 34 Prozent klettern. Dies ist zu schaffen. Es sind heute bereits 15 Prozent. Eine Leitstudie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt schiebt die Zielmarke kräftig nach oben: Beim Strom, sagt sie, ist bis 2030 ein Anteil von 45 Prozent, bis 2050 gar 77 Prozent drin.

Erdwärme, Biomasse – überall gibt es Fortschritte. Automatisch kommen diese gleichwohl nicht. So braucht Europa für die Einspeisung von mehr Windkraft bessere Stromnetze. Auch benötigen Technologien, die etwas komplexer sind als das relativ schlichte Rotieren eines Propellers in Wind oder Wasser, Zeit und Kapital. Bei der Sonnenenergie ist das deutlich zu erkennen. Auch ihr Anteil wächst, aber sehr viel gemächlicher. 2006 wurden weit mehr als eine Million Quadratmeter Solarkollektoren installiert. Deutschland ist hier eher Technologieführer. Die Umsätze der Branche stiegen binnen sechs Jahren auf das Elffache.

Neue, immer bessere Technik ist Trumpf und Photovoltaik nicht der einzige Weg. In Jülich entsteht jetzt ein 50 Meter hoher Solarturm. Sein „Empfänger“ wird von einer Spiegelfläche von rund 20 000 Quadratmetern gespeist. In Nordafrika dürfte die Technologie noch größere Effizienz entfalten. Algerien etwa konstruiert gerade (mit spanischer Hilfe) einen Turm mit einer Spiegelfläche, die etwa neunmal größer ist als die des Jülicher Versuchsbaus – gekoppelt mit einer Gasturbine, die nachts und bei dichter Wolkendecke einspringt. Bis 2020 will Algerien etliche Millionen Megawatt Solarstrom gen Europa exportieren. Potenziell, sagt der Manager von New Energy Algeria, könne das Land dank der Sonne das Vierfache des derzeitigen Weltenergieverbrauchs liefern. Selbst in den Golf-Staaten plant man schon, den heimischen Energiebedarf mit üppig vorhandenem Sonnenlicht zu decken. Schon um noch mehr kostbares Öl auf dem Weltmarkt verkaufen zu können – zu maximalen Preisen.

TOM SCHIMMECK, geb. 1959, schreibt als freier Journalist über Politik und Wissenschaft für Zeitungen, Magazine und fürs Radio.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2007, S. 126 - 127.

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