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01. Juli 2020

Wie wir lernten, die Pandemie zu stoppen

Die Welt im Jahre 2035: Ein neuartiges Virus bricht aus, doch nach wenigen Monaten ist es eingedämmt. Wie das? Weil man die Lehren aus 2020 gezogen hat.

Es begann mit einem Patienten in Jakarta. Der Mann wurde im April 2035 mit Grippesymptomen in ein Krankenhaus in der indonesischen Hauptstadt eingeliefert. Innerhalb weniger Wochen verbreitete sich der neuartige Erreger, den die WHO Flu-35 nannte, zunächst in weiteren Teilen Asiens und dann in Europa, Afrika sowie in Nord- und Südamerika.



Angeführt durch die WHO reagierte die internationale Gemeinschaft schnell mit Gegenmaßnahmen. Die Krankheit weckte Erinnerungen an die Covid-19-Pandemie aus den Jahren 2020/21. Nachdem man dieses Virus ab Herbst 2021 durch einen Impfstoff sukzessive kontrolliert hatte, leitete man umfangreiche Reformen ein und investierte massiv in Prävention, Früherkennung und Krisenreaktion. Im Zentrum der Reformen stand der Umbau der WHO zu einer schlagkräftigeren und unabhängigen Global Public Health Organisation.



Von den Lehren aus der Covid-19-Pandemie konnte die Weltgemeinschaft nun profitieren und Flu-35 rasch eindämmen – ohne dass sich der Krankheitsausbruch zu einer globalen Krise entwickeln konnte. Dass bereits nach zehn Monaten das Ende der Krise erklärt werden konnte, zeigte, dass seit 2020 große Fortschritte bei der Pandemiebekämpfung gemacht wurden.



Eindämmung dank Früherkennung

Rückblick: Nachdem es im besagten April 2035 in Jakarta zu einer Häufung der neuartigen Grippeerkrankung gekommen war, meldeten die örtlichen Gesundheitsbehörden die Vorfälle rasch an die WHO. Diese entsandte innerhalb weniger Tage ein Team aus Virologen, Ärzten und Epidemiologen nach Indonesien, um gemeinsam mit den Behörden vor Ort erste Erkenntnisse über das neuartige Grippevirus zu sammeln, auszuwerten und darauf basierend Maßnahmen für alle Mitgliedstaaten zu empfehlen.



In der Vergangenheit war es oft zu Vertuschungsversuchen von Krankheitsausbrüchen durch örtliche Behörden oder nationale Regierungen gekommen, auch weil die betroffenen Länder wirtschaftliche Schäden durch Reise- und Handelsbeschränkungen befürchteten. Je früher aber Ausbrüche entdeckt und gemeldet werden, desto größer ist die Chance, schwere Gesundheitskrisen zu vermeiden. Deshalb hat sich die internationale Gemeinschaft intensiv mit der Verbesserung von Frühwarnung beschäftigt.



Zum einen hatte man nach Corona vermehrt Anreize zur raschen Meldung von Ausbrüchen sowie zur verbesserten Kooperation mit der WHO geschaffen. So steht ein schlagkräftiger Fonds bereit, aus dem betroffene Länder rasch und unkompliziert Gelder für die Bekämpfung der Krankheit erhalten können, wenn sie Ausbrüche melden. Außerdem stellt die WHO vermehrt Notfallteams zur Verfügung, um die Länder bei der Bewältigung der Krankheit zu unterstützen.



 Neben Anreizen zur frühen Meldung von Ausbrüchen hatte die internationale Gemeinschaft Mechanismen geschaffen, um Vertuschungsversuche aufzudecken und von den Regierungen Rechenschaft zu verlangen. Die Sorge vor massiven Reputationsverlusten trieb den Preis für Vertuschungsversuche in die Höhe.



Daneben war es gelungen, bestehende Frühwarnsysteme entscheidend zu verbessern. Zum einen durch die verstärkte Überwachung von Erregern bei Tieren in „Disease Hotspots“: Virologen und Experten können dadurch mehr darüber erfahren, welche Pathogene sich im Tierreich verbreiten und möglicherweise auf Menschen überspringen und die nächste Epidemie auslösen könnten.



Zum anderen hatte man nach der Corona-Krise erhebliche Ressourcen in die epidemiologische Lage- und Risikobewertung gesteckt. Die WHO hatte die Epidemic Intelligence from Open Sources-Initiative ausgebaut und die Methoden der Informationssammlung über Ausbrüche und die Risikobewertung von Krankheitsgeschehen optimiert. Hier werden auch Daten aus informellen Quellen – wie sozialen Netzwerken und Medien – ausgewertet und bewertet. Auch dadurch wird die Bereitschaft zur raschen Meldung von Krankheitsausbrüchen gesteigert, denn die Länder müssen befürchten, dass die Ausbrüche auch auf anderen Wegen entdeckt und öffentlich gemacht werden.



Unabhängige und wirkungsvolle WHO

Im Zentrum der erfolgreichen Reaktion auf Flu-35 steht eine wirkungsmächtige und führungsstarke WHO. Ihre Empfehlungen werden von den Mitgliedern rasch umgesetzt und nicht – wie in früheren Fällen – belächelt und missachtet.



Die Corona-Krise hatte gezeigt, dass die Welt eine stärkere WHO braucht, um Pandemien besser zu begegnen. Die Organisation hatte zwar nach Einschätzung vieler Experten 2020/21 gute Arbeit geleistet, allerdings waren ihre Möglichkeiten als Sekretariat von 194 Mitgliedstaaten, ohne Weisungsbefugnisse und mit einem zu geringen Budget, stark eingeschränkt.



Wie nach der SARS-Epidemie 2002/03 wurde deshalb 2022 eine Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften – dem zentralen, rechtlich verbindlichen Instrument der WHO bei der Ausbruchsbekämpfung – eingeleitet. Diese wurde 2025 abgeschlossen und stärkte das Mandat der WHO deutlich. So konnte die WHO nun bei Nichtbefolgung ihrer Empfehlungen und bei Verweigerung der Kooperation öffentlich Rechenschaft von den Mitgliedstaaten verlangen und nicht wie in der Vergangenheit nur tatenlos zusehen, wenn die Länder die Organisation ignorierten. Darüber hinaus konnte sie Sanktionen verhängen, etwa Geldbußen oder vorübergehende Stimmrechtsverluste in den UN-Institutionen.



Die WHO konnte auch deshalb schlagkräftig auftreten, weil ihre dramatische Unterfinanzierung nach der Covid-19-Pandemie beendet wurde. Es war zwar ein schwerer Schlag, als der größte Geldgeber, die USA, die Organisation 2020 verließen. Durch eine breite Koalition von Mittelmächten und privaten Geldgebern unter Führung der EU konnte die dadurch entstandene Finanzierungslücke aber aufgefangen werden. Zudem hatten sich die Mitglieder darauf verständigt, die Pflichtbeiträge deutlich zu erhöhen. So konnten operative Kräfte auf- und ausgebaut sowie Frühwarnung und Prävention verbessert werden. Die WHO war nun in der Lage, wesentlich unabhängiger von Einzelinteressen der Mitglieder oder privater Akteure zu agieren.



Pandemic Playbook

Als die Generaldirektorin der WHO im Frühjahr 2035 vor dem neuen Grippevirus warnte, konnten Regierungen weltweit auf ihre nationalen Pandemic Playbooks zurückgreifen. Unter Anleitung der WHO hatte 2022 die Pandemic Playbook-Initiative begonnen, bei der alle Mitgliedstaaten ihre teilweise stark veralteten nationalen Pandemiepläne einer Evaluierung unterzogen und diese überarbeiteten. Eine regelmäßige Anpassung dieser Pläne war im Turnus von drei Jahren angesetzt worden; Übungen zur Pandemiebewältigung fanden ebenfalls auf nationaler und internationaler Ebene regelmäßig statt.  



Die Pandemic Playbooks umfassen den Gesundheitssektor, den Katastrophenschutz sowie weite Teile der Privatwirtschaft – insbesondere die Unternehmen, die an der Aufrechterhaltung der Versorgung beteiligt sind. Neben dem Aufbau von Strukturen und Maßnahmen zur Prävention von Krankheiten enthalten die Pläne umfangreiche Handlungsanweisungen für die konkrete Pandemiebewältigung, die auf die jeweiligen Gegebenheiten in den Staaten abgestimmt sind.



Während der Flu-35-Pandemie begannen die Länder weltweit zunächst rasch, ihre Testkapazitäten hochzufahren sowie die Ein- und Ausreise an den Flughäfen stärker zu überwachen und Passagiere zu tracken – wie in den Pandemieplänen vorgesehen. Da man in den vergangenen Gesundheitskrisen gelernt hatte, dass Reise- und Handelsbeschränkungen zur Eindämmung wenig effektiv sind, war man verstärkt zur Nachverfolgung Infizierter und ihrer Kontakte sowie zu Quarantänemaßnahmen übergegangen. Die Gesundheitssektoren konnten durch den zeitlichen Vorsprung ihre Kapazitäten hochfahren, um einem eventuellen Ansturm von Erkrankten standzuhalten.



Durch die Bevorratung mit großen Mengen an Schutzkleidung sowie von antiviralen Medikamenten, die regelmäßig durch die WHO überprüft wurde, konnte das Personal in Krankenhäusern und den Arztpraxen effektiv vor Flu-35 geschützt und den Erkrankten eine bessere Therapie geboten werden. Zudem lieferten die Playbooks Orientierungshilfen für Entscheidungsträger bei der Verordnung von Quarantäne- und Schutzmaßnahmen wie der Schließung von Kindergärten und Schulen und dem Herunterfahren des wirtschaftlichen Lebens.



Die Pandemic Playbook-Initiative wurde durch umfangreiche Mittel der WHO sowie privater Stiftungen und Geldgeber und einzelner Mitgliedstaaten unterstützt. Die Erkenntnis, dass Investitionen in Prävention und Pandemiebewältigung kostengünstiger sind als die Beseitigung der enormen Schäden einer Pandemie, hatte nach Covid-19 zu einer erhöhten Investitionsbereitschaft geführt. Insbesondere ärmere, instabile oder durch Krieg und Konflikt zerrüttete Regionen, die sich kaum auf Krankheitsausbrüche vorbereiten können, werden so beim Aufbau von Strukturen und Kapazitäten unterstützt.

Auch deshalb konnte Flu-35 sich nicht zu einer schweren globalen Krise entwickeln, da auch Regionen der Welt, die bei früheren Krankheitsausbrüchen diesen nahezu schutzlos ausgeliefert waren, Maßnahmen ergreifen konnten.



 „Die internationale Reaktion auf Flu-35 hat gezeigt: Pandemien können erfolgreich bekämpft werden“, so die WHO-Generaldirektorin in ihrer Erklärung zum Ende der Krise im Februar 2036. Seit 2020 wurden enorme Fortschritte in der Ausbruchsbekämpfung erzielt, erzielt, so wurden die Früherkennung ausgebaut, die WHO gestärkt und nationale Pandemiepläne verbessert. Flu-35 hat die Welt nicht in eine schwere Krise mit langfristigen und schweren sozioökonomischen Folgen gestürzt. Langfristig muss es zwar das Ziel sein, Erreger so frühzeitig zu entdecken und zu kontrollieren, dass es gar nicht erst zu größeren Ausbrüchen kommt. Doch in einer hypervernetzten Welt mit steigender Weltbevölkerung, Zunahme von Megacities und voranschreitender Umweltzerstörung bleiben Epidemien auch weiterhin ein realistisches Szenario, auf das es sich vorzubereiten gilt. Auch im Jahr 2036 und darüber hinaus.

 

Daniela Braun ist Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik bei der Konrad-Adenauer-Stiftung und promoviert zum Thema Health Security.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2020, S. 38-41

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