IP

05. Mai 2025

Wie Merz der Ukraine zu einer Kriegskasse von 300 Milliarden Dollar verhelfen kann

Der designierte deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sollte Führungsstärke zeigen, um der Ukraine ein Reparationsdarlehen auf Basis der eingefrorenen russischen Vermögenswerte zu verschaffen. 

Bild
Bild: Merz bei einem Besuch in der Ukraine 2022
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beim Besuch der ukrainischen Stadt Iprin nördlich von Kyjiw im Mai 2022.
Lizenz
Alle Rechte vorbehalten

Die baldige Vereidigung von Friedrich Merz als Bundeskanzler bedeutet, dass Deutschland bei der Verteidigung der Ukraine eine Schlüsselrolle zukommt. Der designierte Kanzler, Vorsitzender der CDU, weiß, welche Bedeutung das Schicksal der Ukraine für Europa hat. Er ist willens, bei der Unterstützung Kyjiws weiterzugehen als sein Vorgänger Olaf Scholz. Merz hat auch erklärt, dass Deutschland bei der europäischen Reaktion auf die russische Aggression eine führende Rolle spielen soll.

Kyjiw eine gut gefüllte Kriegskasse zu verschaffen, sollte dabei ein zentrales Element sein, aber natürlich nicht das einzige. Europa muss der Ukraine rasch mehr militärische Hilfe zukommen lassen, auch deutsche Taurus-Marschflugkörper. Es muss sich außerdem auf die Entsendung von Truppen zur Friedenssicherung vorbereiten, falls die Ukraine und Russland eine Einigung erzielen.

Aber noch gibt es keinen Waffenstillstand, geschweige denn ein umfassendes Friedensabkommen – und bis es soweit ist, kann es noch Monate oder Jahre dauern. Deshalb ist es unerlässlich, dass die Ukraine über genug Geld verfügt, um einen Abnutzungskrieg zu überstehen. Das verbessert die Aussichten, Russland zur Akzeptanz eines fairen Abkommens zwingen zu können – oder den Konflikt so einzufrieren, dass die Souveränität der Ukraine gewahrt bleibt. Gerade jetzt, da die russischen Staatsfinanzen unter dem schwachen Ölpreis leiden, ist das besonders wichtig.
 

Den Finanzbedarf der Ukraine decken

Kyjiw benötigt jährlich rund 100 Milliarden Dollar an externer Unterstützung, von denen es einen Großteil für Waffen verwendet. Das Geld muss von den Europäern kommen, weil US-Präsident Donald Trump keine neuen Finanzhilfen mehr gewähren wird. Angesichts knapper Budgets und der Notwendigkeit von hohen Investitionen in die eigene Verteidigung dürfte es sich allerdings als schwierig erweisen, die europäischen Steuerzahler dazu zu bewegen, große Summen für die Ukraine bereitzustellen.

Die beste Lösung besteht daher darin, die eingefrorenen russischen Vermögen zu nutzen, um Kyjiw zu unterstützen. Zu dem Zeitpunkt, als Moskau in die Ukraine einmarschierte, befand sich russisches Staatsvermögen im Umfang von rund 300 Milliarden Dollar im Westen. Etwa 200 Milliarden Dollar davon liegen in Belgien. Weitere große Summen befinden sich in Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Außerhalb Europas lagert die größte Summe in Japan.

Die politische Logik, Russlands Reserven zur Unterstützung der Ukraine einzusetzen, ist überzeugend. Den Steuerzahlern wird einleuchten, dass Moskau für seine Aggression zahlen soll. Allerdings muss die Europäische Union rechtlich einwandfrei vorgehen, wenn sie Russlands Vermögenswerte nutzen will. Sie einfach zu beschlagnahmen und der Ukraine zu übergeben, könnte zu rechtlichen Schwierigkeiten führen.

Deshalb schlagen wir als alternativen Mechanismus ein „Reparationsdarlehen“ vor. Dieses würde wie folgt funktionieren:

Die EU und andere willige Partner würden der Ukraine bis zu 300 Milliarden Dollar leihen. Im Gegenzug würde Kyjiw seinen Anspruch gegen Russland auf Kriegsreparationen als Sicherheit verpfänden. Das Darlehen hätte auf diese Weise ein eingeschränktes Rückgriffsrecht, wobei die Sicherheit die einzige Quelle für die Rückzahlung wäre. Die ukrainischen Ansprüche auf die Entschädigung der Kriegsschäden würden von einer internationalen Schadensersatzkommission geprüft. Sollte der Kreml die Zahlung verweigern, was wahrscheinlich ist, würden die Kreditgeber die Sicherheit pfänden und damit die Forderung gegenüber Russland erben. Die EU und andere Kreditgeber würden diese Forderung dann mit den eingefrorenen Vermögenswerten verrechnen und so ihr Darlehen an die Ukraine in voller Höhe zurückerhalten.

Dieser Mechanismus ist rechtlich unbedenklich, weil er auf zwei seit Langem etablierten Grundsätzen aufbaut: Der erste ist, dass ein Land Wiedergutmachung für Schäden leisten muss, die es durch illegale Handlungen verursacht hat. Der zweite ist, dass ein Gläubiger das Vermögen eines Schuldners mit dessen unbezahlten Schulden verrechnen kann. Diese Rechtsgrundlage unterscheidet sich von der der Gegenmaßnahmen, die zur Rechtfertigung der Beschlagnahmung russischen Vermögens zur Unterstützung der Ukraine herangezogen wurden. Sie unterliegt daher nicht denselben rechtlichen Bedenken.
 

Koalition der Willigen

Der Europäischen Union kommt bei dem Reparationsdarlehen eine zentrale Rolle zu, da rund drei Viertel der eingefrorenen russischen Vermögenswerte bei ihren Mitgliedstaaten liegen. Sie sollte das Darlehen im Namen der ganzen EU gewähren, weil es dann keine Auswirkungen auf die Schuldenquoten der Mitgliedstaaten hätte. Zwar müsste die EU das Darlehen vorübergehend finanzieren, würde es aber vollständig und mit Zinsen zurückgezahlt bekommen, sobald die Kommission für Schadensersatz Kyjiw Entschädigungen zugesprochen hat.

Merz, der bereits Interesse an der Verwendung der eingefrorenen russischen Vermögen zur Unterstützung der Ukraine bekundet hat, kann hier eine Führungsrolle übernehmen, insbesondere gegenüber Frankreich, Belgien und den USA.
 

Frankreich

Der designierte Bundeskanzler wird zunächst den französischen Präsidenten Emmanuel Macron überzeugen müssen, der sich bisher dagegen sträubt, die russischen Vermögenswerte zu beschlagnahmen und der Ukraine zu übergeben. Er befürchtet, dies wäre illegal. Nun wird das Reparationsdarlehen aber so strukturiert, dass dieser Einwand ausgeräumt wird.

Ein weiterer Einwand Macrons ist, dass Staaten wie China und Saudi-Arabien ihre Euro-Bestände verkaufen könnten, wenn sie ihre staatlichen Vermögenswerte in Europa für nicht mehr sicher hielten. Doch dieses Risiko ist weniger groß als gedacht. Peking und Riad haben ihr Geld auch nicht aus Europa abgezogen, als die Entscheidung fiel, die russischen Vermögenswerte auf unbestimmte Zeit einzufrieren. Außerdem gibt es für sie nicht viele andere Optionen, ihr Geld anzulegen. Sie werden kaum in Rubel und Rupien investieren wollen.

Außerdem gilt: Auch wenn eine willkürliche Beschlagnahmung von Vermögenswerten andere Länder beunruhigen könnte, sieht der vorgeschlagene Mechanismus ganz anders aus. Russlands Vermögenswerte würden erst dann mit den Reparationszahlungen verrechnet, wenn eine internationale Kommission für Schadensersatz Moskau auferlegt hat, Entschädigungen zu leisten, und der Kreml deren Zahlung verweigert hat.

Eine solche Kommission muss allerdings erst noch eingerichtet werden – und der russische Präsident Wladimir Putin würde sie zweifellos ablehnen. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat jedoch mit 94 zu 14 Stimmen für die Einrichtung eines Entschädigungsmechanismus ausgesprochen. Diese Entscheidung legitimiert die Einrichtung einer Kommission zur Verhandlung des Falls gegen Russland. Als erster Schritt wurde in Den Haag bereits ein Schadensregister eingerichtet. Die EU und über 50 Staaten aus allen Kontinenten haben formelle Verhandlungen über die Einrichtung einer Kommission für Schadensersatz aufgenommen.
 

Belgien

Merz wird auch die belgische Regierung davon überzeugen müssen, das Reparationsdarlehen zu unterstützen. Belgien wird sich keinem noch so geringen Risiko aussetzen wollen, am Ende selbst für 200 Milliarden Dollar haften zu müssen.

Die Mitgliedstaaten, bei denen die Vermögenswerte liegen, darunter Belgien, Frankreich und Deutschland, werden womöglich auch nationale Gesetze verabschieden müssen, um weitere Risiken bei der Kreditvergabe zu minimieren. Dies könnte unter anderem bedeuten, die russischen Vermögenswerte „auf unbestimmte Zeit“ einzufrieren. Damit würde vermieden, dass alle sechs Monate ein einstimmiger Beschluss auf EU-Ebene gefasst werden muss, um den Status aufrechtzuerhalten. Ungarn hat bereits mehrfach mit der Aufhebung der Sanktionen gedroht. Es könnte auch erforderlich sein, die Gelder von den derzeitigen privaten Verwahrern wie der belgischen Euroclear an die jeweilige Notenbank zu übertragen. Schließlich ist die ausdrückliche Genehmigung eines Aufrechnungsmechanismus für den Fall denkbar, dass Russland die von der Kommission für Schadensersatz zugesprochenen Entschädigungszahlungen nicht leistet.

Notfalls könnte die EU Belgien eine Entschädigung zur Deckung etwaiger Restrisiken gewähren.


Die USA

Im Idealfall würde sich Washington dem Reparationsdarlehen für die Ukraine anschließen. Auf diese Weise könnte Trump Putin zeigen, dass er bereit ist, Druck auf Russland auszuüben, damit es einem Waffenstillstand zustimmt. Allerdings ist unklar, ob der US-Präsident dazu bereit ist. Da auch lediglich fünf Milliarden Dollar eingefrorener russischer Vermögenswerte in den USA liegen, ist ihre Beteiligung nicht unbedingt erforderlich.

Die EU sollte nicht ewig darauf warten, dass Amerika mitmacht. Sie muss zeigen, dass sie bereit ist, selbst Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine zu ergreifen. Ohne US-Hilfe dürfte es für Europa zwar schwierig, Kyjiw Sicherheitsgarantien zu geben, doch ein Reparationsdarlehen ist auch ohne Zustimmung Washingtons möglich. Großbritannien und Kanada würden sich einer Koalition der Willigen höchstwahrscheinlich anschließen.

Womöglich befürchtet Frankreich noch immer, dass China oder Saudi-Arabien ihre Euro-Reserven verkaufen und in Dollar investieren, falls sich die USA nicht an dem Reparationsdarlehen beteiligen. Aber in einem Moment, in dem Trump einen Handelskrieg gegen China und einen Großteil der übrigen Welt begonnen hat und die internationalen Investoren das Vertrauen in den Dollar als Reservewährung zu verlieren beginnen, erscheint diese Annahme nicht länger realistisch.

Sobald Merz die Koalition der Willigen zusammengebracht hat, sollte er Trump einladen, sich ihr anzuschließen. Er sollte aber deutlich machen, dass die anderen Staaten notfalls auch ohne die USA vorangehen werden.


Druckmittel gegen Amerika und Russland

Die Europäer sind zu Recht besorgt, dass Trump ein bilaterales Abkommen mit Putin schließt und es der Ukraine und Europa als vollendete Tatsache präsentiert. Ein Reparationsdarlehen an Kyjiw würde ihnen einen Platz am Verhandlungstisch sichern.

Das Darlehen sollte so gestaffelt werden, dass die Aussichten auf einen fairen Waffenstillstand maximiert werden und Putin gleichzeitig einen Anreiz erhält, die Gespräche nicht länger hinauszuzögern. So würde die Koalition der Ukraine eine erste Kredittranche in Höhe von 50 Milliarden Dollar bereitstellen, wenn Putin bis zum G7-Gipfel vom 15. bis 17. Juni keinen Waffenstillstand vereinbart hat. Alle sechs Monate würde eine weitere Tranche von 50 Milliarden Dollar folgen, bis Russland die Kämpfe einstellt. Sobald der Kreml einen Waffenstillstand vereinbart hat, würde die Kreditvergabe pausieren. Sollte es jedoch erneut zu Kampfhandlungen kommen, würde die Koalition wieder eine Tranche bereitstellen. Auf diese Weise weiß Putin, dass jedes Mal, wenn er zögert, mehr und mehr von seinem Vermögen an seinen Feind fließt.

Merz hat versprochen, dass Deutschland in Europa und der Ukraine Führungsstärke zeigen wird. Europa dazu zu bewegen, Kyjiw ein Reparationsdarlehen zu gewähren, ist der einfachste Weg, um rasch eine große Wirkung zu erzielen. 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik, Online-Veröffentlichung, 05. Mai 2025

Teilen

Annegret Kramp-Karrenbauer war von 2019 bis 2021 Bundesverteidigungsministerin und von 2018 bis 2021 Vorsitzende der CDU.

Hugo Dixon ist freier Kommentator für Reuters.

Lee Buchheit ist Honorarprofessor an der University of Edinburgh Law School.