Wie man den Bock zum Gärtner macht
Grundlegende Schwächen der amerikanischen Reformpläne
Präsident George W. Bushs große Pläne für den Mittleren Osten haben aus der Sicht von Nikolas
K. Gvosdev, Wissenschaftler und Publizist, während des G-8-Gipfels ein Staatsbegräbnis erster
Klasse erhalten. Jetzt gehe es nur noch darum, diesen Staaten technische Hilfe für Reformen anzubieten
– falls sie überhaupt welche durchführen wollen.
Im Vorfeld des jüngst stattgefundenen G-8-Gipfels gab
Präsident George W. Bush seiner Hoffnung Ausdruck, dass
die anderen führenden Demokratien des Westens sich den
Vereinigten Staaten anschließen würden, um
„politische, wirtschaftliche und soziale Freiheit im
Weiteren Nahen Osten zu stärken“. Zu einem
Zeitpunkt, da die Glaubwürdigkeit Amerikas in der
arabischen Welt dramatisch gesunken war und angesichts des
Missbrauchsskandals im Gefängnis von Abu Ghraib sowie des
Auftauchens eines Memorandums des amerikanischen
Justizministeriums, das vorschlug, die Folter von des
Terrorismus Verdächtigen zu erlauben, erhoffte die
Regierung Bush von den G-8, für die Förderung
marktwirtschaftlicher, liberaler Demokratie überall in der
arabischen und muslimischen Welt einzutreten.
Doch auf dem Gipfel von Sea Island kam keine lautstarke
Billigung des amerikanischen Vorschlags zustande, der auf der
im November 2003 zuerst präsentierten „Greater
Middle East Initiative“ beruht und die Neugestaltung der
politischen und wirtschaftlichen Institutionen der Region
vorsieht. Der französische Staatspräsident Jacques
Chirac machte deutlich, dass in der Region kein Bedarf an, wie
er es nannte, „Demokratie-Missionaren“ besteht,
während Russlands Präsident Wladimir Putin fragte,
warum denn der energiereiche Nahe Osten in so großem
Umfang ausländische Finanzhilfe benötige, um Reformen
durchzuführen. Im Wesentlichen markiert der Gipfel das
Ende jeglicher dauerhafter Bemühungen der Amerikaner um
die Transformation der Region.
Der schließlich vorgelegte Plan, der den neuen Namen
„Partnership for Progress and a Common Future with the
Region of the Broader Middle East and North Africa“
erhielt, hält Abstand zu jeder Art von
Reformförderung und bietet stattdessen technische
Unterstützung an. Anstatt intensiven diplomatischen und
wirtschaftlichen Druck auszuüben, um zögerliche
Staaten zu zwingen, sich mit Reformschritten zu befassen, ist
der Plan gegründet auf „der Idee von Partnerschaft
und Dialog und auf der Notwendigkeit eines langfristigen
Engagements“, wie es der Sonderberater von
Kommissionspräsident Romano Prodi für Fragen der G-8,
Stefan Sannino, formulierte. Mit anderen Worten: die gesamte
Strategie ist geändert worden – man sieht in den
politischen Führern der Region nicht mehr das
Haupthindernis für Reformen, sondern nimmt sie auf als
Partner in einem gemeinsamen Unternehmen.
Und darin liegt die grundlegende Schwäche des Planes
– in seiner Annahme, dass die herrschenden Regime
ernsthaft den Willen haben, Reformen einzuleiten, dass ihnen
aber die Kenntnis dazu fehle, diese auf den Weg zu bringen. So
sind denn die Vorschläge darauf ausgerichtet,
erzieherische Unterstützung zur Verfügung zu stellen
– Ausbildungsprogramme für Richter und
Wahlbeobachter, Sonderberatergruppen für Investitionen,
ein „Ausbildungszentrum für beste Praktiken“
und so weiter – sowie mehr Hilfe an
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fließen zu lassen.
Doch nichts in dieser neuen „Partnerschaft“ befasst
sich mit dem Kernproblem – der Weigerung der Herrscher in
der Region nämlich, Macht abzutreten.
Und so werden arabische, nordafrikanische und
zentralasiatische Spitzenpolitiker, die routinemäßig
wegen der Unterdrückung der Demokratie, der Verletzung der
Menschenrechte und der Blockade wirtschaftlicher Reformen,
kritisiert werden, Wege finden, um vor der Öffentlichkeit
Wandel zu demonstrieren: durch die Abhaltung von Wahlen, die
Erlaubnis zur Bildung von NGOs und sogar die Ermutigung
für ausländische Investitionen, ohne indes auch nur
ein einziges ihrer Privilegien abzutreten.
Schließlich sind relativ freie Wahlen bereits in
Ländern wie Jordanien, Marokko und Katar abgehalten
worden. Doch in allen diesen Ländern verfügt ein
nicht gewählter Monarch nach wie vor über
beträchtliche Macht. Der jordanische König, nicht das
Parlament, ernennt den Ministerpräsidenten und das
Kabinett, und er verfügt über die Vollmacht, jedes
Gesetz durch sein Veto zu Fall zu bringen. In Marokko
kontrolliert König Mohammed VI. das Oberhaus des
Parlaments durch die dem König vorbehaltene Berufung
seiner Mitglieder und kann jede Initiative des vom Volk
gewählten Unterhauses abwehren. Und in Katar hat der Emir
das Recht, ein Drittel der Mitglieder der Gesetzgebenden
Versammlung zu ernennen.
Ein Großteil der G-8-Strategie zur Transformation des
Nahen Ostens befasst sich mit der Unterstützung von NGOs
und der Verpflichtung, „mit zivilgesellschaftlichen
Gruppen und mit gutwilligen Regierungen in der Region
zusammenzuarbeiten, um bereits bestehende Demokratieprogramme
zu fördern“. Das vollzieht sich nach der Logik: Wenn
es in Osteuropa funktioniert hat, warum soll es nicht auch im
Nahen Osten funktionieren? Ein wesentlicher Unterschied besteht
jedoch darin, dass die NGOs im kommunistischen Lager –
die „Charta 77“ in der Tschechoslowakei und die
Gewerkschaft „Solidarität“ in Polen –
als Grundlage für die Schaffung einer politischen Bewegung
dienten.
Zwar gibt es im Weiteren Nahen Osten ein Übermaß
an NGOs (sogar Staaten wie Usbekistan oder Tunesien haben
Menschenrechtsvereinigungen), doch die meisten sind recht
kleine Organisationen von Intellektuellen ohne
Unterstützung durch die Basis oder sie werden von den
jeweiligen Regimen wirksam kontrolliert. Auch an
Diskussionsgruppen herrscht kein Mangel.
Im Januar 2004 trafen sich 820 Delegierte aus dem gesamten
Nahen Osten in Jemen und gründeten ein „Arabisches
Demokratisches Dialogforum“, um „den Dialog
zwischen unterschiedlichen Akteuren zu fördern, die
Demokratie zu stärken, insbesondere die Meinungs- und die
Redefreiheit, und um die Partnerschaft zwischen Behörden
und der Zivilgesellschaft zu festigen“. Im März
hielt der ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak
eine programmatische Rede auf einer Konferenz in Alexandria, zu
der sich 170 Intellektuelle aus der gesamten arabischen Welt
versammelt hatten, um über die Rolle der NGOs in der
arabischen Gesellschaft zu diskutieren. Doch die beeindruckende
Liste von Vorschlägen, die auf derartigen Treffen
entstehen, Vorschläge, die zweifellos auch auf den
routinemäßigen Treffen zur Sprache kommen werden,
die im kommenden Herbst zwischen den Staats- und
Regierungschefs der G-8, arabischen Politikern,
Geschäftsleuten und NGO-Führern stattfinden sollen,
werden von keinerlei Mechanismen für ihre Umsetzung
begleitet.
Nur echte politische Parteien, die sich frei organisieren
und sich dem Wettbewerb in Wahlen stellen können,
können Träger einer Volksbewegung sein. Das ist der
Grund, warum die herrschenden Regime die Aktivitäten von
NGOs dulden, die Entstehung von Parteien jedoch aktiv zu
verhindern suchen. Die Unterstützung von
Diskussionsgruppen ist gut und schön, doch die politische
Kultur in der Region wird sich nur dann wandeln, wenn
politische Parteien die Massen mobilisieren und die Macht in
der politischen Arena herausfordern können. Doch auf
diesem Gebiet reagieren die Herrscher der Region schnell, um zu
verhindern, dass aus NGOs politische Akteure werden. Und sogar
Katar, das gewöhnlich als ein Modell für Reformen im
Nahen Osten angesehen wird, hat eine Bestimmung in seiner
Verfassung aus dem Jahr 2003, die die Bildung von politischen
Parteien untersagt.
Auch ein verstärktes wirtschaftliches Engagement im
Verhältnis zu den G-8-Staaten wird keinen systematischen
Wandel schaffen, wenn nicht Maßnahmen wie
präferenzbegünstigte Handelsvereinbarungen und
besserer Zugang zu amerikanischen und europäischen
Märkten ausdrücklich an dem Fortschritt gemessen
werden, den diese Regime in Richtung Demokratie machen.
Schließlich beweist das saudische Beispiel
schlüssig, dass ausländische Firmen zwar eine sehr
wichtige Rolle in der einheimischen Wirtschaft spielen
können, dass sie aber keinen wie auch immer gearteten
Einfluss auf politische oder wirtschaftliche Reformen haben.
Ähnlich hat die seit einem Jahrzehnt bestehende
„Euro-mediterrane Partnerschaft“ zwischen der
Europäischen Union und den nordafrikanischen Staaten
lediglich begrenzte Stolperschritte in Richtung Liberalisierung
zustande gebracht und ganz bestimmt nicht zu irgendwelchen
umfassenden Übernahmen von demokratischen, transparenten
Regierungsformen bei den Regimen der Region geführt.
Letzten Endes haben die G-8 einem Programm den Vorzug
gegeben, das zunehmende Liberalisierung im Rahmen bestehender
Regime statt einer echten Demokratisierung fördern soll.
Denn die selben Machthaber, deren antidemokratische,
antimarktwirtschaftliche Politiken verurteilt werden, werden
andererseits als wichtige, vitale Verbündete des Westens
im Krieg gegen den internationalen Terrorismus in die Arme
geschlossen. Damit soll die Bedeutung selbst der
verwässerten Vorschläge, die auf Sea Island
angenommen wurden, nicht heruntergespielt werden. Liberale
autokratische Staaten wie etwa Singapur wären gewiss ein
Fortschritt gegenüber politisch repressiven,
wirtschaftlich stagnierenden Regimen – aber es wären
eben keine funktionierenden Demokratien.
Außerdem haben liberale Autokratien nur einen
begrenzten Spielraum, um sich mit der systemimmanenten
Funktionsstörung der arabisch-islamischen Welt
auseinanderzusetzen, die verfaulende Institutionen,
wirtschaftliche Stagnation und ein weit verbreitetes
Gefühl der Entfremdung hervorgerufen und dazu beigetragen
haben, dass radikale Bewegungen entstanden sind, die die
Sicherheit der westlichen Welt bedrohen. Und der Nahe Osten hat
seine größte Herausforderung noch vor sich: die
Schaffung von etwa 100 Millionen neuer Arbeitsplätze im
Verlauf der nächsten 15 Jahre, um die
„Jugendexplosion“ unterbringen zu können. Doch
die Staaten in der Region können die Reformen nicht
durchführen, die notwendig sind, um das
Wirtschaftswachstum zu fördern, ohne auch die politische
Modernisierung einzubeziehen, da die Voraussetzungen für
einen erfolgreichen Übergang zur Marktwirtschaft wie etwa
Rechtsstaatlichkeit, Verantwortlichkeit und Transparenz ebenso
wesentliche Komponenten eines demokratischen Regimes sind. Mehr
als jede von außen kommende Initiative ist es diese
Realität, die die führenden Politiker der Region dazu
ermutigen wird, die Notwendigkeit für Reformen ernsthaft
in Betracht zu ziehen.
Internationale Politik 7, Juli 2004, S. 45-48
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