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01. Juli 2004

Wie man den Bock zum Gärtner macht

Grundlegende Schwächen der amerikanischen Reformpläne

Präsident George W. Bushs große Pläne für den Mittleren Osten haben aus der Sicht von Nikolas
K. Gvosdev, Wissenschaftler und Publizist, während des G-8-Gipfels ein Staatsbegräbnis erster
Klasse erhalten. Jetzt gehe es nur noch darum, diesen Staaten technische Hilfe für Reformen anzubieten
– falls sie überhaupt welche durchführen wollen.

Im Vorfeld des jüngst stattgefundenen G-8-Gipfels gab Präsident George W. Bush seiner Hoffnung Ausdruck, dass die anderen führenden Demokratien des Westens sich den Vereinigten Staaten anschließen würden, um „politische, wirtschaftliche und soziale Freiheit im Weiteren Nahen Osten zu stärken“.

Zu einem Zeitpunkt, da die Glaubwürdigkeit Amerikas in der arabischen Welt dramatisch gesunken war un angesichts des Missbrauchsskandals im Gefängnis von Abu Ghraib sowie des Auftauchens eines Memorandums des amerikanischen Justizministeriums, das vorschlug, die Folter von des Terrorismus Verdächtigen zu erlauben, erhoffte die Regierung Bush von den G-8, für die Förderung marktwirtschaftlicher, liberaler Demokratie überall in der arabischen und muslimischen Welt einzutreten.

Doch auf dem Gipfel von Sea Island kam keine lautstarke Billigung des amerikanischen Vorschlags zustande, der auf der im November 2003 zuerst präsentierten „Greater Middle East Initiative“ beruht und die Neugestaltung der politischen und wirtschaftlichen Institutionen der Region vorsieht. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac machte deutlich, dass in der Region kein Bedarf an, wie er es nannte, „Demokratie-Missionaren“ besteht, während Russlands Präsident Wladimir Putin fragte, warum denn der energiereiche Nahe Osten in so großem Umfang ausländische Finanzhilfe benötige, um Reformen durchzuführen. Im Wesentlichen markiert der Gipfel das Ende jeglicher dauerhafter Bemühungen der Amerikaner um die Transformation der Region.

Der schließlich vorgelegte Plan, der den neuen Namen „Partnership for Progress and a Common Future with the Region of the Broader Middle East and North Africa“ erhielt, hält Abstand zu jeder Art von Reformförderung und bietet stattdessen technische Unterstützung an. Anstatt intensiven diplomatischen und wirtschaftlichen Druck auszuüben, um zögerliche Staaten zu zwingen, sich mit Reformschritten zu befassen, ist der Plan gegründet auf „der Idee von Partnerschaft und Dialog und auf der Notwendigkeit eines langfristigen Engagements“, wie es der Sonderberater von Kommissionspräsident Romano Prodi für Fragen der G-8, Stefan Sannino, formulierte. Mit anderen Worten: die gesamte Strategie ist geändert worden – man sieht in den politischen Führern der Region nicht mehr das Haupthindernis für Reformen, sondern nimmt sie auf als Partner in einem gemeinsamen Unternehmen.

Und darin liegt die grundlegende Schwäche des Planes – in seiner Annahme, dass die herrschenden Regime ernsthaft den Willen haben, Reformen einzuleiten, dass ihnen aber die Kenntnis dazu fehle, diese auf den Weg zu bringen. So sind denn die Vorschläge darauf ausgerichtet, erzieherische Unterstützung zur Verfügung zu stellen – Ausbildungsprogramme für Richter und Wahlbeobachter, Sonderberatergruppen für Investitionen, ein „Ausbildungszentrum für beste Praktiken“ und so weiter – sowie mehr Hilfe an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) fließen zu lassen. Doch nichts in dieser neuen „Partnerschaft“ befasst sich mit dem Kernproblem – der Weigerung der Herrscher in der Region nämlich, Macht abzutreten.

Und so werden arabische, nordafrikanische und zentralasiatische Spitzenpolitiker, die routinemäßig wegen der Unterdrückung der Demokratie, der Verletzung der Menschenrechte und der Blockade wirtschaftlicher Reformen, kritisiert werden, Wege finden, um vor der Öffentlichkeit Wandel zu demonstrieren: durch die Abhaltung von Wahlen, die Erlaubnis zur Bildung von NGOs und sogar die Ermutigung für ausländische Investitionen, ohne indes auch nur ein einziges ihrer Privilegien abzutreten.

Schließlich sind relativ freie Wahlen bereits in Ländern wie Jordanien, Marokko und Katar abgehalten worden. Doch in allen diesen Ländern verfügt ein nicht gewählter Monarch nach wie vor über beträchtliche Macht. Der jordanische König, nicht das Parlament, ernennt den Ministerpräsidenten und das Kabinett, und er verfügt über die Vollmacht, jedes Gesetz durch sein Veto zu Fall zu bringen. In Marokko kontrolliert König Mohammed VI. das Oberhaus des Parlaments durch die dem König vorbehaltene Berufung seiner Mitglieder und kann jede Initiative des vom Volk gewählten Unterhauses abwehren. Und in Katar hat der Emir das Recht, ein Drittel der Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung zu ernennen.

Ein Großteil der G-8-Strategie zur Transformation des Nahen Ostens befasst sich mit der Unterstützung von NGOs und der Verpflichtung, „mit zivilgesellschaftlichen Gruppen und mit gutwilligen Regierungen in der Region zusammenzuarbeiten, um bereits bestehende Demokratieprogramme zu fördern“. Das vollzieht sich nach der Logik: Wenn es in Osteuropa funktioniert hat, warum soll es nicht auch im Nahen Osten funktionieren? Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass die NGOs im kommunistischen Lager – die „Charta 77“ in der Tschechoslowakei und die Gewerkschaft „Solidarität“ in Polen – als Grundlage für die Schaffung einer politischen Bewegung dienten.

Zwar gibt es im Weiteren Nahen Osten ein Übermaß an NGOs (sogar Staaten wie Usbekistan oder Tunesien haben Menschenrechtsvereinigungen), doch die meisten sind recht kleine Organisationen von Intellektuellen ohne Unterstützung durch die Basis oder sie werden von den jeweiligen Regimen wirksam kontrolliert. Auch an Diskussionsgruppen herrscht kein Mangel.

Im Januar 2004 trafen sich 820 Delegierte aus dem gesamten Nahen Osten in Jemen und gründeten ein „Arabisches Demokratisches Dialogforum“, um „den Dialog zwischen unterschiedlichen Akteuren zu fördern, die Demokratie zu stärken, insbesondere die Meinungs- und die Redefreiheit, und um die Partnerschaft zwischen Behörden und der Zivilgesellschaft zu festigen“. Im März hielt der ägyptische Staatspräsident Hosni Mubarak eine programmatische Rede auf einer Konferenz in Alexandria, zu der sich 170 Intellektuelle aus der gesamten arabischen Welt versammelt hatten, um über die Rolle der NGOs in der arabischen Gesellschaft zu diskutieren. Doch die beeindruckende Liste von Vorschlägen, die auf derartigen Treffen entstehen, Vorschläge, die zweifellos auch auf den routinemäßigen Treffen zur Sprache kommen werden, die im kommenden Herbst zwischen den Staats- und Regierungschefs der G-8, arabischen Politikern, Geschäftsleuten und NGO-Führern stattfinden sollen, werden von keinerlei Mechanismen für ihre Umsetzung begleitet.

Nur echte politische Parteien, die sich frei organisieren und sich dem Wettbewerb in Wahlen stellen können, können Träger einer Volksbewegung sein. Das ist der Grund, warum die herrschenden Regime die Aktivitäten von NGOs dulden, die Entstehung von Parteien jedoch aktiv zu verhindern suchen. Die Unterstützung von Diskussionsgruppen ist gut und schön, doch die politische Kultur in der Region wird sich nur dann wandeln, wenn politische Parteien die Massen mobilisieren und die Macht in der politischen Arena herausfordern können. Doch auf diesem Gebiet reagieren die Herrscher der Region schnell, um zu verhindern, dass aus NGOs politische Akteure werden. Und sogar Katar, das gewöhnlich als ein Modell für Reformen im Nahen Osten angesehen wird, hat eine Bestimmung in seiner Verfassung aus dem Jahr 2003, die die Bildung von politischen Parteien untersagt.

Auch ein verstärktes wirtschaftliches Engagement im Verhältnis zu den G-8-Staaten wird keinen systematischen Wandel schaffen, wenn nicht Maßnahmen wie präferenzbegünstigte Handelsvereinbarungen und besserer Zugang zu amerikanischen und europäischen Märkten ausdrücklich an dem Fortschritt gemessen werden, den diese Regime in Richtung Demokratie machen.

 Schließlich beweist das saudische Beispiel schlüssig, dass ausländische Firmen zwar eine sehr wichtige Rolle in der einheimischen Wirtschaft spielen können, dass sie aber keinen wie auch immer gearteten Einfluss auf politische oder wirtschaftliche Reformen haben. Ähnlich hat die seit einem Jahrzehnt bestehende „Euro-mediterrane Partnerschaft“ zwischen der Europäischen Union und den nordafrikanischen Staaten lediglich begrenzte Stolperschritte in Richtung Liberalisierung zustande gebracht und ganz bestimmt nicht zu irgendwelchen umfassenden Übernahmen von demokratischen, transparenten Regierungsformen bei den Regimen der Region geführt.

Letzten Endes haben die G-8 einem Programm den Vorzug gegeben, das zunehmende Liberalisierung im Rahmen bestehender Regime statt einer echten Demokratisierung fördern soll. Denn die selben Machthaber, deren antidemokratische, antimarktwirtschaftliche Politiken verurteilt werden, werden andererseits als wichtige, vitale Verbündete des Westens im Krieg gegen den internationalen Terrorismus in die Arme geschlossen. Damit soll die Bedeutung selbst der verwässerten Vorschläge, die auf Sea Island angenommen wurden, nicht heruntergespielt werden. Liberale autokratische Staaten wie etwa Singapur wären gewiss ein Fortschritt gegenüber politisch repressiven, wirtschaftlich stagnierenden Regimen – aber es wären eben keine funktionierenden Demokratien.

Außerdem haben liberale Autokratien nur einen begrenzten Spielraum, um sich mit der systemimmanenten Funktionsstörung der arabisch-islamischen Welt auseinanderzusetzen, die verfaulende Institutionen, wirtschaftliche Stagnation und ein weit verbreitetes Gefühl der Entfremdung hervorgerufen und dazu beigetragen haben, dass radikale Bewegungen entstanden sind, die die Sicherheit der westlichen Welt bedrohen. Und der Nahe Osten hat seine größte Herausforderung noch vor sich: die Schaffung von etwa 100 Millionen neuer Arbeitsplätze im Verlauf der nächsten 15 Jahre, um die „Jugendexplosion“ unterbringen zu können. Doch die Staaten in der Region können die Reformen nicht durchführen, die notwendig sind, um das Wirtschaftswachstum zu fördern, ohne auch die politische Modernisierung einzubeziehen, da die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Übergang zur Marktwirtschaft wie etwa Rechtsstaatlichkeit, Verantwortlichkeit und Transparenz ebenso wesentliche Komponenten eines demokratischen Regimes sind. Mehr als jede von außen kommende Initiative ist es diese Realität, die die führenden Politiker der Region dazu ermutigen wird, die Notwendigkeit für Reformen ernsthaft in Betracht zu ziehen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7, Juli 2004, S. 45-48

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