Wettstreit der Akteure
Die internationalen Verflechtungen revolutionieren das Regieren
Längst handelt nicht mehr nur das Auswärtige Amt international. Auch die traditionellen Binnenressorts der Bundesregierung agieren eigen-
ständig auf europäischer wie globaler Ebene. Doch trotz der zunehmenden Überlappung von innen- und außenpolitischen Aufgaben mangelt es weiterhin an vernetztem Denken. Und das nicht nur in den Ministerien.
Kaum ein Politikfeld schien über lange Zeit so übersichtlich strukturiert wie „Außenpolitik“. Im Zentrum auswärtiger Beziehungen standen Friedens- und Sicherheitspolitik, die Marktöffnung für eigene Exporte und die Gestaltung der Nord-Süd-Beziehungen im Rahmen der Entwicklungspolitik. Vor diesem Hintergrund ließen sich Innen- und Außenpolitik noch einigermaßen klar unterscheiden – so trennscharf, dass Theodore Lowi in seinem 1964 publizierten Artikel über die drei funktionalen Bereiche der öffentlichen Politik – regulative, distributive und redistributive – feststellte, die Außenpolitik nicht mit in seine Kategorisierung einbezogen zu haben, denn „in many ways it is not a part of the same universe“.1
Diese Wahrnehmung von „Außenpolitik“ als einem überschaubaren und deutlich von den „Innenpolitiken“ getrennten Feld mit leicht zu umschreibenden Aufgabenbereichen ist auch Grundlage dafür, dass in Deutschland – wie ein Blick in die Geschäftsordnung der Bundesregierung verrät – das Auswärtige Amt (AA) für die Gesamtheit der deutschen Außenbeziehungen zuständig ist. Einzig flankiert wird es hierbei durch das Bundeskanzleramt, das aufgrund der Richtlinienkompetenz des Kanzlers auch in der Außenpolitik eine starke Stellung besitzt. In der Geschäftsordnung finden sich auch Passagen, die erläutern, dass Mitglieder und Vertreter auswärtiger Regierungen sowie zwischenstaatlicher Organisationen nur mit Zustimmung des AA empfangen werden sollen. Verhandlungen mit internationalen Akteuren oder im Ausland dürfen nur mit Zustimmung oder Mitwirkung des AA geführt werden. Das Auswärtige Amt als Spitze und Zentrum der Außenbeziehungen: eine Aufgabenbeschreibung, die längst nicht mehr den Realitäten entspricht.
Seit gut einer Dekade ist eine Multiplikation der Außenbeziehungen und die Erosion der Grenzen von Innen- und Außenpolitik zu beobachten. Eine Bestandsaufnahme der auswärtigen Beziehungen der Bundesministerien2 zeigt, dass alle Fachressorts seit Anfang der neunziger Jahre ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten als Reflex auf Globalisierungsdynamiken stark ausgebaut haben. Dies drückt sich zum Beispiel in der hohen und steigenden Zahl der Arbeits- einheiten innerhalb der Bundesministerien aus, die sich mit internationalen Aufgaben beschäftigen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren in den Bundesministerien 336 Referate mit internationalen Fragen beschäftigt, davon 281 mit Problemstellungen, die auch über die „europäische Innenpolitik“ hinausreichen. Zum Vergleich: Das AA verfügte zu diesem Zeitpunkt über 74 Referate, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) über 48 Referate.
Global agierende Binnenressorts
Die Proliferation und Multiplikation von Außenbeziehungen lässt sich aber nicht nur an der Zahl der mit grenzüberschreitenden Fragen beschäftigten Referaten ablesen. Signifikant ist auch, dass internationale Aufgaben in allen Ministerien zunehmend in höheren Hierarchieebenen (Unterabteilungen, Abteilungen) verankert werden. Zudem übernehmen die Fachministerien vielfältige operative Aufgaben der internationalen Kooperation: Dazu gehören die Mitarbeit in internationalen Organisationen und Gremien sowie die Teilnahme an internationalen Konferenzen, die Verhandlung völkerrechtlicher Verträge und enge Beziehungen zu korrespondierenden Ressorts anderer Länder.
Die Ausdifferenzierung der Außenbeziehungen und die zunehmende Bedeutung einer Vielzahl von Ministe-rien jenseits des Außenamts als Akteure der internationalen Politik wurden auch im Verlauf der Weltkonferenzen der neunziger Jahre offensichtlich3: Im Verlauf dieses Zyklus lag die Delegationsleitung nur einmal beim AA (Menschenrechtskonferenz in Wien, 1993), in allen anderen Fällen bei den jeweiligen Fachressorts: für die Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio beispielsweise beim Bundesministerium für Umwelt (BMU) sowie dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; für die Weltkonferenz für Bevölkerung und Entwicklung 1994 in Kairo beim Bundesministerium des Innern (BMI), für den Weltsozialgipfel 1995 in Kopenhagen beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung sowie dem BMZ, für die Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Fachressorts, die üblicherweise als „Binnenressorts“ wahrgenommen wurden, drängen also zunehmend in das Terrain der traditionellen Außenpolitik und damit in die alte Domäne des Auswärtigen Amtes hinein. Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass Fachressorts nicht nur auf der Ebene internationaler Organisationen und der Aushandlungen von Konventionen tätig werden, sondern sich auch mit konkreten Projekten in Entwicklungsländern engagieren. Damit machen zum Beispiel das Umweltministerium, das Forschungsministerium und sogar (in bisher wenigen Fällen) das Verteidigungsministerium dem BMZ Konkurrenz.Faktisch ist also jedes Fachministerium längst zum „Außenministerium“ des von ihm bearbeiteten Politikfelds geworden.
Die zunehmende internationale Vernetzung und Ausrichtung aller Fachressorts sagt zunächst noch nichts über deren Bedeutung für die deutschen Beiträge zur Weltpolitik aus. Es könnte ja sein, dass sich die Fachressorts mit Randgebieten internationaler Politik beschäftigen, während das „Kerngeschäft“ weiter von der klassischen Außenpolitik gesteuert wird. Es zeigt sich jedoch, dass die Außenbeziehungen der Fachressorts nicht nur quantitativ wachsen, sondern einige zentrale Zukunftsthemen der Weltpolitik entscheidend von den Fachressorts und nur begleitend oder unterstützend von den klassisch außenorientierten Ministerien (AA und BMZ) gestaltet werden:
– Das Umweltministerium ist der zentrale Akteur in der globalen Umweltpolitik und federführend bei der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung, beim UN-Umweltprogramm (UNEP) und bei den globalen Klimaverhandlungen.
– Für die Weiterentwicklung der Weltwirtschaftsordnung, also die so dringliche institutionelle Einhegung der globalen Marktwirtschaft, ist vor allem das Finanzministerium verantwortlich. Es verfügt etwa über die Federführung im Internationalen Währungsfonds (IMF) und ist für eine Vielzahl internationaler Organisationen und Verhandlungsforen im Bereich der Finanz- und Währungspolitik (G-7, G-8, G-20, multilaterale Entwicklungsbanken, OECD) zuständig. Von Bedeutung sind auch die Zuständigkeiten des Wirtschaftsministeriums für die Welthandelsorganisation (WTO) und den Pariser Club, in dem internationale Verschuldungsfragen bearbeitet werden.
– Das Justizministerium verfügt seit Mitte der neunziger Jahre über eine Abteilung für Europa- und Völkerrecht, die angesichts der Debatten über die Notwendigkeit der weiteren Verrechtlichung internationaler Beziehungen stark an Bedeutung gewinnt. Das Justizressort ist außerdem zuständig für das globale Zukunftsfeld „Internet“.
– Das Gesundheitsministerium beschäftigt sich zunehmend mit grenz-überschreitenden Krankheiten und Seuchen wie AIDS und SARS.
– Selbst das Innenministerium, das die Abgrenzung zur Außenpolitik in seinem Namen trägt, ist zu einem Global Player geworden: wesentliche Bereiche der internationalen Terrorbekämpfung (wie die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit), der internationalen Kriminalität, der Asylpolitik und Fragen der Migration werden hier bearbeitet. Die Grenzen zwischen „innerer und äußerer Sicherheit“ werden immer fließender.
Die Liste lässt sich fortsetzen, und sie verdeutlicht: Der Prozess der Globalisierung hat dazu geführt, dass klassische Binnenressorts zu Akteuren der Außenbeziehungen Deutschlands geworden sind. Internationale Politik reicht also weit über die Felder der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik hinaus. Globalisierung zu gestalten und Global Governance weiterzuentwickeln ist in der Tat eine Herausforderung für die gesamte Ministerienlandschaft.4
Auch Nichtregierungsorganisationen (wie Greenpeace, amnesty international, transparency international) und global agierende Medienkonzerne wie CNN und Al Dschasira, aber auch Industrieunternehmen sind etwa im Rahmen des von Kofi Annan initiierten Global Compact zur Etablierung verantwortlicher Unternehmensführung zu wichtigen Einflussgrößen der internationalen Politik geworden. Dies komplettiert das Bild von der Transformation der Politik unter Bedingungen der Globalisierung. Insbesondere die NGOs haben deutlich schneller als die Parlamente auf die Entgrenzung der Politik reagiert. Ihnen gelang es, im Verlauf der neunziger Jahre zu sichtbaren Akteuren der großen Weltkonferenzen zu werden, deren Agenden zu beeinflussen und die beschlossenen Aktionspläne in die nationalen politischen Arenen zurückzuspielen. Alle großen multilateralen Organisationen – von der Weltbank über den IMF bis zur WTO – pflegen mittlerweile einen systematischen Austausch mit diesen privaten Akteuren der Weltpolitik. Manche Autoren sprechen daher gar von einem Übergang zu einem „societal multilateralism“ (Michael Zürn). Die Regierungen beherrschen das Terrain der internationalen Politik also längst nicht mehr allein.
Folgen für die Politikorganisation
Fragt man nach den Folgen der skizzierten Trends für eine leistungsfähige, wirksame und möglichst kohärente Organisation der deutschen Außenbeziehungen, führt dies zu fünf Herausforderungen:
Erstens sind die wesentlichen grenzüberschreitenden und weltweiten Probleme durch komplexe Interdependenzen zwischen unterschiedlichen Problemursachen und -dimensionen gekennzeichnet (zum Beispiel Handel und Umwelt, Armut und politische Instabilität, Umweltzerstörung, Flucht und Krieg, Proliferation von Waffen, Failing States als Ausgangspunkte für regionale Konflikte und Basis des transnationalen Terrorismus und internationaler Kriminalität). Grenzüberschreitende Problemkonstellationen und Zuständigkeitsbereiche von Ministerien sind nicht immer deckungsgleich. Zudem neigen Ministerien eher dazu, ihre Autonomie und ihre Zuständigkeiten zu verteidigen, als zur Kooperation mit anderen Ressorts. Das synergetische Zusammenspiel unterschiedlicher Ministerien und das Pooling von deren Problemlösungspotenzialen zur Bearbeitung globaler Interdependenzprobleme sind daher offensichtlich notwendig, um Politikversagen unter Bedingungen der Globalisierung zu verhindern. Sie stellen sich aber keineswegs automatisch ein.
Zweitens verkompliziert die steigende Zahl der Akteure internationaler Politik das Management der Außenbeziehungen im deutschen politischen System. Ging es in der Vergangenheit im Rahmen „überschaubarer Außenbeziehungen“ um Interessenausgleich sowie die Kohärenz und Bündelung politischer Strategien zwischen Auswärtigem Amt und dem BMZ, so muss heute die grenzüberschreitende Politik jedes Ressorts berücksichtigt werden. Das AA ist dazu oftmals kaum in der Lage, denn die sektoralen außenpolitischen Handlungen sind schon in sich sehr komplex und daher durch das Außenressort kaum zu steuern. An unterschiedlichsten, häufig zeitaufwändigen Formen interministeriellen Austauschs mangelt es nicht. Doch ein systematisches Schnittstellenmanagement hat sich im dichten Geflecht interministerieller Kommunikation bisher nicht durchgesetzt.
In seiner umfangreichen empirischen Studie zu grenzüberschreitendem Regierungshandeln im deutschen politischen System beobachtet Wolfgang Wessels ein Übermaß an Abstimmung im Detail, das oft einherzu-gehen scheint mit fehlender Kontextsteuerung sowie einem Mangel an strategischer Orientierung, Prioritätensetzung sowie gemeinsamer Problemlösungsorientierung zwischen den Ministerien.5 Wessels warnt vor einem Trend zum „atomisierten Staat“. Ursachen hierfür sind – neben dem skizzierten Komplexitätsproblem infolge der Multiplikation von Außenbeziehungen – Ressortegoismen und widerstreitende Interessen. Hinzu kommen mangelnde Erfahrungen in der Zusammenarbeit „neuer Partner“ in ungewohnten Allianzen sowie angesichts globaler Interdependenzprobleme untaugliche, aber internalisierte Leitbilder der etablierten Akteure der Außenbeziehungen, die auf eine möglichst große Autonomie ihrer jeweiligen Ressorts ausgerichtet sind.
Drittens müssen alle Ressorts ihre Aufgaben und Rollen überdenken sowie Strategien entwickeln, um sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Das Kanzleramt muss stärker als in der Vergangenheit die Vernetzung von Innen- und Außenpolitik voranbringen. Das Außenministerium muss sich von der Vorstellung, Zentrum, kontrollierende Spitze und Steuerungsinstanz aller Außenbeziehungen zu sein, verabschieden. Stattdessen sollte es Plattformen, Instrumente und Leitbilder entwickeln, um die Vielzahl von Außenbeziehungen in Bezug zueinander zu setzen: Das AA muss gemeinsame Referenzrahmen für die deutschen Außenbeziehungen entwerfen, deutsche Gesamtbeiträge zur internationalen Politik weltweit wirkungsvoll kommunizieren und die vielen außenorientierten Akteure des deutschen politischen Systems (und nicht nur die klassischen Akteure deutscher Außenbeziehungen) über die Wahrnehmung „deutscher Politik“ in den Partnerländern auf dem Laufenden halten. Das BMZ muss, um entwicklungsfreundliche globale Rahmenbedingungen mitgestalten zu können, mit anderen Ressorts enger als in der Vergangenheit kooperieren und wo nötig streiten. Die ehemaligen Binnenressorts können und müssen von den alten Außenressorts lernen und ihre Mitarbeiter systematisch auf die internationalen Aufgaben vorbereiten. Dies fängt mit Sprachkenntnissen an und geht über Verhandlungskompetenzen bis hin zu interkulturellem Know how.
Viertens muss eine der Kernkategorien der internationalen Politik, das vielbeschworene „nationale Interesse“, im Kontext der Globalisierung neu gefüllt werden. Die traditionelle Außen- und Sicherheitspolitik konnte und kann überzeugend argumentieren, dass es ein einheitliches und unstrittiges „nationales Gesamtinteresse“ an der Entwicklung friedlicher und partnerschaftlicher Beziehungen zu den Nachbarstaaten und an der Sicherung des Friedens in Deutschland und der Welt gibt. Doch der Versuch, ein einheitliches nationales Interesse in anderen sich globalisierenden Politikfeldern zu definieren, fällt sehr viel schwerer. Die Vorstellungen des deutschen Umweltministeriums zur globalen Umweltpolitik unterscheiden sich, völlig unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation, signifikant von denen des Wirtschaftsministeriums. Und während die einen ihre nationalen und internationalen Bündnispartner in der Community der Umweltforscher und -organisationen suchen, bilden die anderen Allianzen mit der global orientierten Wirtschaftswelt. Die Vorstellung, dass pluralistische Gesellschaften „im Inneren“ vielfältige Interessenkonflikte zu bewältigen haben, jedoch in den Außenbeziehungen ein einheitliches „nationales Interesse“ existiere, ist obsolet. In der auswärtigen Politik werden zukünftig komplexere Interessenbündel, Zielsysteme und Konfliktfelder zu managen sein als zu Zeiten des übersichtlichen Ost-West- Konflikts.
Fünftens müssen auch die politikberatenden Wissenschaftler- Communities lernen, globale Interdependenzprobleme in neuen Allianzen zu durchdringen, um politikrelevante Lösungsvorschläge zu erarbeiten: Entwicklungsforscher, Sicherheits- und Außenpolitiktheoretiker, Völkerrechtler, Kulturwissenschaftler wie Regionalkenner müssen zusammenarbeiten, um Strategien zur Stabilisierung von fragilen Staaten zu entwickeln. Meeresbiologen, Klimaforscher, Völkerrechtler, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler müssen nach Lösungen zur Bearbeitung globaler Umwelt- und Entwicklungsprobleme suchen. Die Grenzen zwischen Theoretikern der Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungsforschern, Energie- und Umweltexperten sowie Wirtschaftswissenschaftlern und anderen Disziplinen, die sich mit grenzüberschreitenden und globalen Fragen beschäftigen, müssen überwunden und Forschungs- sowie Beratungskapazitäten um die jeweiligen Problemkonstellationen herum gebündelt werden.
Hin zum vernetzten Regieren
Angesichts der irreversiblen Multiplikation der Außenbeziehungen ist die alte Diskussion der Zusammenführung internationaler Aufgaben in einem Ministerium obsolet. Die Grünen hatten in den frühen neunziger Jahren den Aufbau eines Ministeriums für internationale Strukturpolitik vorgeschlagen. Doch die Zusammenführung aller grenzüberschreitenden Arbeitseinheiten würde in der Epoche der Globalisierung zu einem handlungsunfähigen administrativen Moloch führen. Komplexität ist durch steigende Zentralisierung nicht zu bewältigen. Auch die immer wieder diskutierten Vorschläge, Auswärtiges Amt und BMZ zu einem „Ministerium für internationale Ko-operation“ oder Umweltministerium und BMZ zu einem „Ministerium für globale nachhaltige Entwicklung“ oder gar Umwelt-, Forschungs- und Wirtschaftsministerium zu einem „Ministerium für nachhaltigen Strukturwandel“ zusammenzuführen, übersehen, dass hiermit immer nur einige Ausschnitte der Kohärenz probleme „gelöst“ würden.6
Weil die Multiplikation und Sektoralisierung der Außenbeziehungen, die Erosion zwischen Innen- und Außenpolitik sowie die Dynamik der Arbeitsteilung im politischen System nicht rückgängig zu machen sind, kann es nur darum gehen, ein Leitbild „vernetzter Außenbeziehungen“ zu entwickeln. Voraussetzung dafür wäre, dass die Ressorts realisierten, in einer zunehmenden Zahl von Problemfeldern nur noch gemeinsam handlungsfähig zu sein. Die Enquete-Kommission des Bundestags „Globalisierung der Weltwirtschaft“, die von 1998 bis 2002 arbeitete, hat sich mit den skizzierten Herausforderungen intensiv beschäftigt und substanzielle Reformvorschläge vorgelegt, um das deutsche politische System fit zu machen für die Folgen von Globalisierung und Global Governance.7 Eine gründliche Prüfung dieser Ansätze auf ihre Umsetzungsfähigkeit würde allemal lohnen.
Ansätze in Richtung „vernetzte Außenbeziehungen“ gibt es durchaus. Das „Aktionsprogramm 2015“, in dem deutsche Politikansätze zur Reduzierung der weltweiten Armut ausformuliert sind, konkretisiert nicht nur den Beitrag des BMZ zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele, es ist vielmehr (zumindest konzeptionell) ein Arbeitsprogramm der Bundesregierung. Das BMZ führt seit einiger Zeit Kohärenzgespräche mit anderen Ressorts, um gemein- same Zielvorgaben zu erarbeiten und die jeweiligen Politikansätze miteinander abzustimmen. Der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konflikt- lösung und Friedenskonsolidierung“ der Bundesregierung ist ein Beispiel für einen konzeptionellen Rahmen, der die Aufgaben unterschiedlicher Ressorts in diesem Feld beschreibt und die Bündelung deutscher Beiträge zur Einhegung internationaler Konflikte voranbringen soll. Ein anderes Beispiel stellt der „Wissenschaftliche Beirat globale Umweltveränderungen“ (WBGU) der Bundesregierung dar, der sowohl das Umwelt-, als auch das Forschungs- sowie das Entwicklungsministerium in Fragen einer globalen Nachhaltigkeitsstrategie berät.
Fragmentierung überwinden
Es entsteht also sukzessive ein Patchwork der Zusammenarbeit der Akteure in den deutschen Außenbeziehungen. Doch solche Vernetzungsansätze können sowohl in Deutschland wie auch in anderen OECD-Ländern, die mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, nur dann breitenwirksam werden, wenn die Modernisierung der nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten hierarchischen, arbeitsteiligen und zugleich versäulten politischen Systeme weitergeht.
Noch können die genannten guten Ansätze für „vernetzte Außenbeziehungen“ oft nur durch starke Persönlichkeiten durchgesetzt werden. Denn die Regierungsapparate und die „mental maps“ der handelnden Akteure sind oft noch immer nach dem Prinzip einer „tayloristischen Maschine“ organisiert,8 die hocharbeitsteilige Gesetze, Verordnungen und Standards aller Art produziert. Jede institutionelle Einheit beobachtet, steuert, regelt und kontrolliert „ihr Vorfeld“, ihren Mikroausschnitt der Gesellschaft und – in unserem Fall – der internationalen Politik.
Statt problemlösungsorientiertes Schnittstellenmanagement zwischen den Ressorts dominiert nicht selten Abgrenzung und „Revierverteidigung“ das Alltagshandeln des politischen Systems. Das „Maschinenmodell“ garantiert die Bewältigung von isolierbaren Routineaufgaben der internationalen Politik (zum Beispiel Verantwortlichkeiten für jeweilige internationale Organisationen), produziert jedoch suboptimale Ergebnisse in Bezug auf die skizzierten globalen Interdependenzprobleme, die im Globalisierungsprozess an Bedeutung gewinnen.
Die wesentliche Herausforderung für das deutsche politische System ist vor diesem Hintergrund nicht zu übersehen: Es gilt die fragmentierten Außenbeziehungen zu überwinden und vernetzte Außenbeziehungen voranzubringen.
1 Theodore Lowi: American Business, Public Policy, Case Studies, and Political Theory, World Politics, Nr. 4, 1964, S. 677–715.
2 Walter Eberlei und Christoph Weller: Deutsche Ministerien als Akteure von Global Governance?, INEF-Report 51, Duisburg 2001.
3 Thomas Fues und Brigitte Hamm: Die Weltkonferenzen der 90er Jahre: Baustellen für Global Governance, Bonn 2001.
4 Dirk Messner und Franz Nuscheler: Das Konzept Global Governance. Stand und Perspektiven, INEF-Report Nr. 67, Duisburg 2003.
5 Wolfgang Wessels: Öffnung des Staates, Opladen 2000.
6 Guido Ashoff: Der entwicklungspolitische Kohärenzanspruch. Begründung, Anerkennung und Wege zur Umsetzung, in: Dirk Messner und Imme Scholz (Hrsg.), Zukunftsfragen der Entwicklungspolitik, Baden-Baden, 2004, S. 41–58.
7 Schlussbericht der Enquete-Kommission Globalisierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten, Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Drucksache 14/9200, 12. Juni 2002, www.bundestag.de/gremien/welt/glob_end/
8 Henry Mintzberg: Managing Government – Governing Management, Harvard Business Review, Mai/Juni 1996, S. 75–83.
Internationale Politik 1, Januar 2005, S. 16 - 22.