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Deutschland sollte seinen G20-Vorsitz klima- und finanzpolitisch nutzen
Der Umbau der deutschen Stromversorgung weg von Atom und Kohle hin zu Erneuerbaren und Energieeffizienz wird in weiten Teilen der Welt mit großem Interesse verfolgt. Die G20-Präsidentschaft 2017 bietet Berlin die Chance, unter den 20 bedeutsamsten Industrie- und Schwellenländern für eine globale Energiewende einzutreten. Eine Chance, die man nutzen sollte.
Die deutsche Energiewende hat nicht nur internationale Signalwirkung, auch der Erfolg ist weltweit spürbar: Mit der Förderung erneuerbarer Energien hat Deutschland einen entscheidenden Beitrag zur Technologieentwicklung und zu signifikanten Kostensenkungen von Windenergie und Photovoltaik geleistet.
Deutschland war treibende Kraft bei der Gründung der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien IRENA, und im Jahr 2014 war man zudem der weltweit wichtigste bilaterale Mittelgeber offizieller Entwicklungshilfe im Energiesektor. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und seines Prestiges als hoch industrialisierte Wirtschaftsmacht und ökologischer Vorreiter verfügt Deutschland hier über eine besondere Glaubwürdigkeit.
Dass Berlin eine globale Energiewende vorantreiben möchte, hat gute Gründe. Für den internationalen Klimaschutz ist ein umfassender Umbau der globalen Energieversorgung unabdingbar. Zwei Drittel der globalen Treibhausgasemissionen entfallen auf den Energiesektor. In Paris vereinbarte die internationale Staatengemeinschaft, die globale Erwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf unter zwei Grad zu begrenzen. Das kann nur gelingen, wenn die Nutzung fossiler Energieträger – vor allem Kohle und Öl, aber auch Gas – reduziert und durch erneuerbare Energien ersetzt wird. Gleichzeitig ist eine erhebliche Steigerung der Energieeffizienz erforderlich.
Die Herausforderungen sind gewaltig. Noch ist die globale Energieversorgung von den klimaschädlichen fossilen Energieträgern abhängig. Zahlen der Internationalen Energieagentur IEA belegen, dass Kohle, Öl und Gas immer noch mehr als 80 Prozent des weltweiten Primärenergiebedarfs decken. Und dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren kaum gesunken. Selbst in der weltweiten Stromversorgung, in der der Ausbau Erneuerbarer vergleichsweise weit fortgeschritten ist, entfielen laut Angaben des internationalen Netzwerkes REN21 im Jahr 2015 mehr als drei Viertel der Versorgung auf nicht-erneuerbare Quellen.
Doch nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes, auch mit Rücksicht auf internationale Finanzmärkte und Staatshaushalte ist ein zügiger Umbau des weltweiten Energiesystems vonnöten. Kapitalanlagen in fossile Energien bergen die Gefahr von verlorenen Investitionen. Eine heute errichtete CO2-intensive Infrastruktur muss vielleicht schon morgen stillgelegt werden, um die Dekarbonisierung der Energiesysteme zu ermöglichen. Diese Fehlinvestitionen könnten sich bald als Risiko für die Stabilität der internationalen Finanzmärkte und ganzer Staatshaushalte erweisen.
Unterschiedliche Prioritäten
Die G20 ist für eine globale Energiewende von zentraler Bedeutung. Sie vereint weltweit bedeutende Energieproduzenten und Energieverbraucher – und Staaten mit besonders großem Gewicht in der internationalen Energiepolitik. Die G20-Länder stehen für mehr als drei Viertel der globalen Energienachfrage und verursachen 82 Prozent aller Kohlendioxidemissionen durch ihre Energieerzeugung. Gleichzeitig befinden sich aber auch 80 Prozent der weltweit installierten Kapazitäten für erneuerbare Energien in diesen Ländern – und das größte Potenzial für einen weiteren Ausbau bis 2030.
Auch führende Anbieter innovativer Technologien zählen zur G20: Die USA, Japan, China, die EU und andere beeinflussen maßgeblich die technischen und wirtschaftlichen Entwicklungspfade für künftige Energiesysteme. Auf Organisationen wie die Weltbank, die IEA oder die IRENA haben die G20-Mitglieder einen erheblichen Einfluss. Mit Deutschland, Japan, Frankreich und den USA gehören zudem die mit Abstand wichtigsten bilateralen Mittelgeber in der energiepolitischen Entwicklungszusammenarbeit dazu.
Eine Einigung auf gemeinsame Schritte innerhalb der G20 ist kein leichtes Unterfangen, denn die G20-Mitglieder verfügen über unterschiedliche energiepolitische Ausgangsbedingungen und Prioritäten. Deutschlands Energiewende begann mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, hingegen gilt Atomkraft in vielen G20-Ländern nicht nur als CO2-arme Energiequelle, sondern auch als Zeichen von Prestige und technologischem Fortschritt.
Länder wie Indien oder Indonesien stehen zudem vor der Herausforderung, weiten Teilen der Bevölkerung Zugang zu einer modernen Energieversorgung zu ermöglichen. China verfolgt dabei starke Exportinteressen im Bereich der erneuerbaren Energien, die Ökonomien in Ländern wie Saudi-Arabien oder Australien hängen von Öl- bzw. Kohleexporten ab.
Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangsbedingungen lassen sich Fortschritte hin zu einer nachhaltigen Energieversorgung in allen G20-Staaten finden: Sämtliche Mitglieder haben Erneuerbare-Energien-Ziele verabschiedet, und der Ausbau der Erneuerbaren schreitet überall voran. Indien hat den Handel von Energieeffizienz-Zertifikaten für energieintensive Industrien eingeführt. Indonesien und Argentinien haben damit begonnen, ihre Subventionen für fossile Energieträger drastisch zu reduzieren. Russland fördert Erdgasfahrzeuge, um die Emissionen im Transportsektor zu senken. Selbst der Ölexporteur Saudi-Arabien unterstützt mittlerweile den internationalen Klimaschutz.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Ursprünglich als Kooperationsforum zur Prävention von Finanzkrisen gegründet, fördern die G20 seit einigen Jahren auch eine nachhaltige Energieversorgung. Die sogenannte Energy Sustainability Working Group widmet sich vier zentralen Aspekten: dem Abbau ineffizienter Subventionen für fossile Energieträger, der Verbesserung der Energieeffizienz, dem Ausbau erneuerbarer Energien und der Förderung des Zugangs zu Energie. Für eine globale Energiewende reichen die bisherigen Maßnahmen aber nicht aus – vor allem, solange noch von vermeintlich „sauberen“ fossilen Energieträgern die Rede ist.
Das Zeitfenster für eine ambitionierte Energieagenda ist günstig. 2015 haben die Vereinten Nationen neben dem Klimaabkommen von Paris auch die nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 verabschiedet. Sie sehen für das globale Energiesystem der Zukunft drei Zielmarken vor: Bis zum Jahre 2030 soll die internationale Gemeinschaft den Zugang aller zu Energie ermöglichen, die globale Steigerungsrate von Energieeffizienz verdoppeln und den Anteil Erneuerbarer an der globalen Energieversorgung signifikant steigern. Das schnelle Inkrafttreten des Pariser Abkommens am 4. November 2016 zeugt von einer besonders breiten internationalen Unterstützung für den Klimaschutz.
Mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA hat sich die Ausgangslage für einen ambitionierten Klimaschutz deutlich verschlechtert. Der designierte Präsident hat sich zwar mittlerweile von einem möglichen Rückzug aus dem Pariser Abkommen distanziert. Doch er plant, fossile Energieträger zu fördern und die Klimaregulierung der Regierung Obama zu untergraben. Sein designierter Leiter der US-Umweltschutzbehörde, Scott Pruitt, ist ein Klimaskeptiker mit engen Beziehungen zur Öl- und Gasindustrie, der für starke klimapolitische Deregulierung wirbt.
Doch damit wird eine Regierung Trump bereits entstandene Marktdynamiken in den US-Bundesstaaten nicht aufhalten können. Die sinkenden Kosten von erneuerbaren Energien werden hier den Ausbau weiter antreiben. Die deutsche G20-Präsidentschaft fällt in einem Zeitraum, in dem die neue US-Regierung ihre politische Agenda noch nicht vollständig festgelegt haben wird. Das sollte Berlin nutzen, um im Rahmen der G20 ein deutliches Signal an Washington zu senden und die ökonomischen Folgen eines verzögerten Ausstiegs aus fossilen Energieträgern zu thematisieren.
Eine Einigung auf rechtsverbindliche Ziele kann man von einem Gremium, das dem Prinzip der Freiwilligkeit folgt, nicht erwarten. Die G20 kann jedoch Themen auf die internationale Agenda setzen sowie den Wissensaustausch und die Koordination verbessern. Außerdem kann sie die Ausrichtung internationaler Organisationen wie der IEA, der IRENA und der multilateralen Entwicklungsbanken wesentlich beeinflussen. Und sie kann eine ressortübergreifende Politik formulieren und damit andere Perspektiven aufzeigen. Der Bundesregierung bieten sich also genügend Hebel, um die Klimaverträglichkeit der globalen Energieversorgung auf die Agenda zu heben.
Umsetzung von Paris vorantreiben
Die chinesische G20-Präsidentschaft hat den Grundstein dafür gelegt, die Energieagenda der G20 mit den globalen Klimaschutzzielen zu verknüpfen. Auf dem Gipfeltreffen in Hangzhou im September 2016 bekräftigten alle G20-Mitglieder ihr Engagement für den Klimaschutz. Um nun den nächsten Schritt zu tun, sollten die Ziele des Pariser Abkommens während der deutschen Präsidentschaft in konkrete energiepolitische Maßnahmen übersetzt werden. Die G20 sollte zunächst prüfen, ob neue Energietrends und -planungen ihrer Mitgliedsstaaten mit den Klimazielen von Paris kompatibel sind. Darüber hinaus sollten die G20-Mitglieder Dekarbonisierungs-Szenarien für ihre Energiesektoren entwickeln.
Die G20-Mitglieder sollten zudem regelmäßige Fortschrittsberichte zu ihren Dekarbonisierungs-Maßnahmen erstellen, die von der Energy Sustainability Working Group verabschiedet und anschließend veröffentlicht werden. Auf diese Weise kann die G20 Erfolge und Misserfolge für den internationalen Klimaschutz aufzeigen und zu einem Erfahrungs- und Best-Practices-Austausch beitragen.
Bislang befassen sich die Finanzminister und Notenbankgouverneure im Vorfeld von Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs nur am Rande mit Energiefragen. Kein Wunder, ist doch die Energiearbeitsgruppe bislang nicht im Kernbereich der G20, dem Finance Track, angesiedelt, sondern nur im Sherpa Track – also da, wo man sich mit Themen wie Entwicklung, internationaler Handel, Sozialfragen oder Korruption befasst. Die Bundesregierung sollte auch im Finance Track auf einen schnellen und umfassenden Umbau der globalen Energieversorgung drängen. Zukünftig sollten Finanzminister und Notenbankgouverneure energiebedingte Investitionsrisiken für Finanzmärkte, Volkswirtschaften und Staatshaushalte eingehend analysieren. So ließen sich energie- und finanzwirtschaftliche Fehlentscheidungen vermeiden.
Darüber hinaus gilt es, die regulatorischen Rahmenbedingungen für das Umschalten der Investitionsflüsse weg von der konventionellen Energieinfrastruktur und hin zu zukunftsfähigen erneuerbaren Energien und Energieeffizienztechnologien zu verbessern. Die Wirtschafts- und Finanzminister der G20 könnten dafür Impulse liefern, die weit über den Entscheidungsbereich der Energieminister der Mitgliedsstaaten hinausgehen. Das würde auch die Fähigkeit der G20 stärken, nicht nur nachträglich auf finanz- und fiskalpolitische Krisen zu reagieren, sondern diese vorausschauend einzuhegen.
Die Bestrebungen der G20, Infrastrukturinvestitionen als Motor des globalen Wachstums einzusetzen, werden durch Neuinvestitionen in die fossile Energieinfrastruktur unterlaufen. Denn sie verhindern nicht nur effektiven Klimaschutz, sie gefährden auch langfristiges und krisenfestes Wirtschaftswachstum.
Eine rasche Verlagerung von Investitionen hin zu zukunftsfähigen Energietechnologien setzt indes ein kohärentes Handeln der multilateralen Entwicklungsbanken und nationalen Förderbanken voraus. Derzeit unterstützen multilaterale Entwicklungsbanken und nationale Förderbanken weiter Investitionen in fossile Energieträger – etwa die Weltbank, die zwischen 2007 und 2015 knapp drei Milliarden Dollar zur Finanzierung von Kohlekraft zur Verfügung stellte.
Vor diesem Hintergrund sollte sich Berlin dafür einsetzen, dass solche Investitionen darauf hin geprüft werden, ob sie mit den Zielen von Paris kompatibel sind. Neuinvestitionen in Kohlekraftwerke sollten vollständig eingestellt werden. Die Unterstützung von Kohlekraftwerken sollte auch im Rahmen der Exportfinanzierung der G20-Staaten beendet werden. Hier sollte die Bundesregierung auf eine schrittweise Reduzierung mit dem Ziel einer kompletten Beendigung der staatlich geförderten Kohlefinanzierung in den kommenden fünf bis zehn Jahren hinwirken.
Der G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg sollte eine klare Botschaft aussenden: Die Abkehr von fossilen Energieträgern ist unumkehrbar. Die Förderung von erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz ist nicht nur politische Rhetorik, sondern Dreh- und Angelpunkt einer konkreten politischen Agenda. Eine solche Botschaft ist nicht nur für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und der nachhaltigen Entwicklungsziele unerlässlich. Sie bildet auch die Grundlage für Innovationsförderung und die langfristige Fähigkeit zur Krisenbewältigung von Finanzmärkten und Staatshaushalten.
Von Dr. Sybille Röhrkasten (Projektleiterin Energiewende/Institute for Advanced Sustainability Studies IASS), R. Andreas Kraemer, Dr. Rainer Quitzow, Prof. Ortwin Renn, Sonja Thielges (alle IASS)
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2017, S. 111-115