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01. Mai 2009

Wer hat Angst vor Manuel Barroso?

"Beteiligung statt belehren": die Formel gegen Politikunlust und EU-Verdruss

Pünktlich zu den Wahlen zum Europäischen Parlament machen Europas Gegner von Attac bis CSU wieder mobil. Ihr Spektrum ist ebenso breit wie ihre Kommunikationsmethoden modern sind. Die EU ist gefordert, dagegen zu halten. Vor allem mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung, seien sie nun national oder europaweit, persönlich oder via Internet.

Mit dem Referendum zum Vertrag von Lissabon hatte der irische Multimillionär Declan Ganley sein politisches Erweckungserlebnis. „Libertas“ hieß die Partei, mit der er europaweit zu reüssieren gedachte – und schon gescheitert ist. In Deutschland kam nicht einmal ein Wahlvorschlag zustande. Dennoch ist die Entstehung von „Libertas“ symptomatisch für eine europaweite Stimmung: Bis jetzt war die EU in Ordnung, aber nun reicht’s. Für Skeptiker und Gegner aller Art steht eigentlich nie Europa als Idee in der Kritik, sondern stets die EU als politisches Projekt. Bereits das französische Referendum zum Verfassungsvertrag war so ein „proeuropäisches Nein“. In dieser Umgebung fühlt sich der selbsternannte tschechische EU-Dissident Václav Klaus dann ebenso wohl wie der französische Bauernführer José Bové. Auch in Deutschland wird die Mischung bunter: Attac steht an vorderster Front der EU-Skeptiker und sieht sich durch die Weltwirtschaftskrise bestätigt. Ein gewichtiger Teil der Linken will, wie deren nicht wieder nominierte Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann moniert, im Europawahlkampf mit antieuropäischen Ressentiments in der Bevölkerung punkten. Und mit ihrer plötzlichen, vor allem aber durchsichtigen Forderung nach Volksabstimmungen kündigt die CSU wenn nicht den deutschen, so doch den integrationspolitischen Konsens mit der Schwesterpartei auf.

Die Politikwissenschaftlerin Catharina Sørensen unterscheidet vier EU-kritische Strömungen: Da sind zum einen jene, deren Kritik auf reinem Nutzenkalkül beruht. Sie meinen, von der EU nicht ausreichend zu profitieren. Die zweite Kategorie kritisiert den schleichenden Souveränitätsverlust der Nationalstaaten – Peter Gauweiler und David Cameron lassen grüßen. Eine dritte Gruppe nimmt die mangelnde Demokratie in der EU zum Anlass der Kritik. Und dann gibt es noch einen Euroskeptizismus, der nicht die EU als Ganzes in Frage stellt, sondern nur ihre inhaltlichen Leitlinien, etwa die liberale Ausrichtung im Sozialen.

Europa müsse besser erklärt werden, lautet unisono die Antwort der politischen Eliten, allen voran der EU-Kommission. Doch die Kommunikations-offensiven aus Brüssel wirken blutarm und inhaltsleer. Dem Zerrbild der Skeptiker à la Ganley, Klaus und Co. halten sie nicht mehr als ein Hochglanzbild eines Möchtegerneuropas entgegen. In der Realität der Bürger findet dies keine Entsprechung: Europaabgeordnete tauchen, bis auf wenige Ausnahmen, in den Medien ihrer Heimatländer kaum auf. Nationale Politik bedient sich allzu oft des billigen „Brüsselbashings“ und der Eurokratenbeschimpfung. Echte europäische Parteien gibt es nach wie vor ebenso wenig wie einen länderübergreifenden Europawahlkampf – auch wenn sich die Grünen schon bei den vergangenen Europawahlen als Vorreiter empfanden.

Entpolitisierte Existenzen

Der neu keimende EU-Skeptizismus wird sich kaum mit reinem Marketing beseitigen lassen, und erst recht nicht mit einer einheitlichen Europawerbung. Was im einen Fall hilft, schadet im anderen. Vielmehr müsste sich die Europäische Kommission als „Hüterin des EU-Bildes“ stärker mit den landesspezifischen „Eurosonderlichkeiten“ auseinandersetzen. Vor allem muss sie den Bürgern glaubhafte Beteiligungsangebote gerade mit Hilfe der Neuen Medien machen. Aber dafür braucht es zunächst einen Schuss politischer Normalität. Denn noch immer trachtet die Brüsseler Integrationselite danach, alle zu bekehren, die vom europäischen Glauben abgefallen sind. Nein, nicht jedes EU-Projekt wird in jedem Mitgliedstaat öffentlich unterstützt werden. Aber das ist kein europäisches Manko, sondern ein Wesenszug der Demokratie. Zu allem Überfluss kamen die Kommunikationsbemühungen der Kommission bislang eher hausbacken daher. Die Kampagnen der Europa-skeptiker wirken origineller und witziger, im Internet sind sie präsenter als die der EU-Befürworter. So erwies sich in Frankreich die frühzeitige Aktivierung neuer Kommunikationsformen im Internet durch die Verfassungsgegner als mit entscheidend. Einmal auf einer „Nein-Seite“ gelandet, verknüpfte man sich rasch zu weiteren gleichgesinnten Initiativen. Erschwerend wirkt eine allgemeine Tendenz, die der Journalist Gregor Dotzauer für die neue „fünfte Macht“, die Blogosphäre, feststellt. Die im Namen radikaler Demokratie gegen die Autorität der Institutionen aufbegehrende Blogosphäre habe mit ihren in der Masse entpolitisierten, zumeist pseudonymen Existenzen leichtes Spiel. Weshalb sollte die EU also ernsthaft eine Chance haben, das oft hohle Pathos vom europäischen Bürgerprojekt mit Hilfe des Internets und neuer Beteiligungsformen zu füllen?

Immerhin, spätestens seit dem Obama-Hype und der damit einhergehenden Entzückung über funktionierende virtuelle Bürgerbeteiligung und -mobilisierung hat die europäische Politik das Potenzial des Internets wiederentdeckt. Die Debatten der neunziger Jahre über E-Democracy werden ausgegraben. Bei Facebook, einer eigentlich unpolitischen Plattform, hat die EU eine Fangemeinde von über 18 000 Personen. Das junge Europamagazin cafebabel.com versucht sich an einer europäischen Debatte in Echtzeit. All das ist ein Anfang.

Gerade die EU sollte die natürliche Onlineaffinität der jungen Generation für sich nutzen. Denn mit dieser Altersgruppe hat sie ein Problem. In Irland stieß der Vertrag von Lissabon vor allem bei jungen Wählern auf Ablehnung. So stimmten 65 Prozent der 18- bis 24-Jährigen mit Nein. Das irische Beispiel ist auf viele westeuropäische Mitgliedsländer übertragbar. Generelle Politikunzufriedenheit und ein wahrgenommener Mangel an politischen Mitwirkungsmöglichkeiten schlagen negativ auf die EU durch.

Für den britischen Soziologen Anthony Giddens ist denn auch die Weiterentwicklung der deliberativen Demokratie die eigentliche Frage nach der Finalität der EU. Anstatt sich in leerem Gerede über Subsidiarität zu ergehen, könnte man wirklich versuchen, die Dezentralisierung voranzutreiben und die Bürger in alltägliche Dinge einzubeziehen. Das bedeutet nicht, dass die Nationalstaaten wieder ihre Macht zurückerlangen würden. Stattdessen müsste man endlich mit neuen Formen der Einbindung nach dem Bottom-up-Prinzip experimentieren.

Nicht nur die New-Governance-Theorie, sondern vor allem die kommunale Praxis zeigt, dass Bürgerbeteiligung und zivilgesellschaftliche Aktivierung möglich sind. Voraussetzung dafür ist, dass die Bürger Vertrauen in ihr Gestaltungspotenzial entwickeln, der Debattengegenstand klar umrissen ist und bei allen Beteiligten das Gefühl besteht, Entscheidungen beeinflussen zu können. Das ist auf europäischer Ebene schwierig, aber nicht unmöglich. Warum sollten die Bürger nicht mitbestimmen, wie regionale Fördermittel ausgegeben werden? Damit es nicht bei wohlfeilen Worten bleibt, müssen die nationalen Regierungen etwas von ihrer europapolitischen Gestaltungsmacht abgeben. So könnten nationale Bürgerforen die Schwerpunkte einer Ratspräsidentschaft mitentwickeln, europaweite Online-initiativen Projekte zu Stärkung einer europäischen Identität initiieren.

Inzwischen gibt es eine Reihe von Versuchen, die weit über das Lokale hinausgreifen. Ein europäisches Stiftungskonsortium führt derzeit mit Unterstützung der Kommission europaweite Bürgerkonferenzen zur wirtschaftlichen und sozialen Zukunft durch. Die Bertelsmann Stiftung hat gemeinsam mit der Heinz Nixdorf Stiftung Ende April das BürgerForum Europa abgeschlossen. 350 zufällig ausgewählte Bürger aus Deutschland entwickelten auf einer Online-Diskussionsplattform (www.buergerforum2009.de) ein Bürgerprogramm mit 16 Vorschlägen zur Zukunft der EU. Von Europaablehnung ist in den Ergebnissen wenig zu spüren. Im Gegenteil: Die Teilnehmer fordern etwa die Vereinigten Staaten von Europa und eine direkt vom Parlament gewählte europäische Regierung. Natürlich sind neue Beteiligungsformate nicht das Allheilmittel gegen Politikunlust und EU-Verdruss. Doch knapp 60 Jahre nach ihren Anfängen bleibt die EU ein einzigartiger politischer Großversuch. Die Freiheit, es nun mit mehr Bürgerbeteiligung zu versuchen, sollte sie sich nehmen.

Dr. DOMINIK HIERLEMANN ist Projektmanager für Europapolitik bei der Bertelsmann Stiftung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2009, S. 31 - 34.

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