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01. Nov. 2013

Wer bewegt die Wirtschaft?

Von Milliardenerben, Self-Made-Unternehmerinnen und „anatolischen Tigern“

Seit 2004 leitet Haci Boydak mit der Boydak-Holding eines der dynamischsten Unternehmen der Türkei. Aus bescheidenen Anfängen als Möbelfabrik im provinziellen Kayseri ist aus dem Unternehmen ein Global Player geworden, der viel zur wirtschaftlichen Blüte der Stadt und ihrem Ruhm als „anatolischer Tiger“ beigetragen hat. Boydak, bei dem persönliche Frömmigkeit und Unternehmergeist zusammenkommen, ist mit seiner Holding heute eine Stütze der türkischen Wirtschaft. Das Konglomerat aus 41 Firmen exportiert in 110 Länder, beschäftigt 13 000 Menschen und erwirtschaftete 2012 einen Umsatz von 2,8 Milliarden Dollar. Zur Boydak-Gruppe gehören unter anderem eine Bank, eine Logistikfirma, ein Stahlwerk und eine der größten Kabelfabriken der Türkei – das Herzstück bilden jedoch die im ganzen Land bekannten Möbelmarken Istikbal und Bellona. Rund 1600 Istikbal- („Zukunft“)- und 750 Bellona-Filialen unterhält die Gruppe und bedient die Nachfrage einer wachsenden Mittelschicht nach modernen und funktionalen Einrichtungsgegenständen. Istikbal allein beherrscht 40 Prozent des Marktes und ist größter Bettenhersteller der Türkei. Der 1958 – ein Jahr nach der Unternehmensgründung – geborene Haci Boydak kennt das Unternehmen wie kein Zweiter. Sein erstes Geld verdiente er sich mit dem Verkauf von Brezeln, Sonnenblumenkernen und Limonade, bevor er als Buchhalter und später Marketingmanager in das Möbelgeschäft seiner Familie einstieg. Dabei war sein Weg an die Spitze zunächst nicht abzusehen. Aufgrund schlechter Noten verließ er nach der achten Klasse die Schule, bereute diese Entscheidung aber bald. Erst 2011 holte er seinen Schulabschluss nach und studiert seitdem Soziologie. Engagement für Bildung ist heute Teil der Unternehmenskultur. Den eigenen Erfolg sieht Haci Boydak auch als Ansporn, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Mit dem Bau von Schulen, Universitäten und Krankenhäusern soll die schwache Infrastruktur Anatoliens verbessert werden. Für ein Aufforstungsprojekt hat Boydak Holding 1,2 Millionen Quadratmeter Land erworben, auf dem nun der „Boydak-Wald“ wächst. Und überhaupt sind den Ambitionen kaum Grenzen gesetzt. Sein Ziel sei es, sagte Boydak einmal, dass sein Markenname überall dort bekannt sei, „wo die Sonne auf- und untergeht“.

Arzuhan Dogan Yalcindag, die Tochter des Medienmoguls Aydin Dogan, stellte schon früh unter Beweis, dass sie nicht nur Millionenerbin ist. Die 49-Jährige erlebte ihren ersten Erfolg bereits 1990, als sie nach dem Studium an der Bogazici-Universität und der American University in London in Kooperation mit dem deutschen Unternehmen Quelle das Versandhaus Milpa startete und leitete. Auch war sie maßgebliche Mitgründerin und 1994 ein Jahr lang Vorstandsmitglied der Alternatifbank, die danach an die Anadolu-Gruppe verkauft wurde. Obwohl sie zugibt, selbst kaum Fernsehen geschaut zu haben, startete sie ihre Karriere im Mediensektor beim türkischen Fernsehen, dem zum Familienunternehmen gehörenden Kanal D. In fast einem Jahrzehnt stellte sie dort ihre Führungsqualitäten unter Beweis, als sie eine Kooperation mit CNN International einfädelte, die 2000 in der Gründung des türkischsprachigen Ablegers CNN Türk mündete. 2005 gründete sie die Dogan TV Holding; seitdem spielt Arzuhan Dogan Yalcindag als Unternehmerin ganz oben mit und führte von 2007 bis 2010 als erste Frau den türkischen Verband der Großindustriellen und Unternehmer (TÜSIAD). Nach einem jahrelangen Steuerstreit mit der Regierung übergab ihr Vater ihr im Jahr 2010 den Unternehmensvorsitz der Dogan Holding. Zu dem Zeitpunkt glaubten viele, das Unternehmen würde untergehen, doch es gelang ihr, das Konglomerat aus der tiefen Krise herauszuholen. Zwar gab sie die Unternehmensführung 2012 an ihre jüngere Schwester Begümhan ab, doch ist sie weiter im Vorstand aktiv und leitet die Dogan TV Holding. Daneben engagiert sie sich auch sozial und politisch. Unter anderem gründete sie die türkische Fraueninitiative in der Europäischen Union. Im Unternehmen hält die Mutter zweier Kinder engen Kontakt zu ihren Schwestern, im Geschäftsleben sei jedoch ihr Vater das größte Vorbild, sagte sie kürzlich. Der habe stets auf Aufrichtigkeit und guten Willen gesetzt.

Emanzipation als Geschäftsmodel: Bedriye Hülya macht es vor mit ihrer Fitnesskette b-fit, die ihr 2013 den Preis „Social Entepreneur of the Year“ der Schwab Foundation einbrachte. Die Anfänge von b-fit waren bescheiden, Hülyas Konzept wurde mit viel Skepsis betrachtet – zu Unrecht, wie ihr rasanter Erfolg zeigt. B-fit unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von gewöhnlichen Fitnessstudios: Es ist als Sport- und Lebenszentrum konzipiert, das sich dafür engagiert, Frauen durch sportliche Betätigung, Bildungsangebote und die Vermittlung von Führungskompetenzen zu stärken und damit ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit zu fördern. Die Unternehmerin verkörpert das Bild einer starken, erfolgreichen Frau in einem Land, das von der Gleichstellung von Frauen immer noch weit entfernt ist. Geboren und aufgewachsen in Izmir, studierte sie internationale Beziehungen an der Universität Istanbul. Nach ihrem Abschluss zog sie nach Bodrum, wo sie unter anderem ein Restaurant und zwei Hotels eröffnete. Während eines anschließenden Masterstudiums in Psychologie an der Columbia University wurde sie Mitglied eines Frauenfitnessstudios. Dort kam ihr die Idee für b-fit: Dank eines täglichen Trainings von nur einer halben Stunde nahm sie zwei Kleidergrößen ab und beschloss, das Konzept eines nur 30-minü­tigen Workouts nur für Frauen auch in der Türkei einzuführen. 2006 war es so weit: Mit den eigenen Ersparnissen und wenigen von Freunden aufgenommenen Krediten eröffnete sie in Izmir die erste Filiale und zählte schon im ersten Monat 50 Kundinnen. Heute unterhält b-fit 221 Studios in 48 Städten der Türkei, die alle von Frauen geleitet werden. Ihr Ziel hat sie fest vor Augen: Praktisch an jeder Ecke der Türkei soll es in Zukunft ein b-fit-Studio geben.

„In der Geschäftswelt muss man schnell und flexibel sein; Unsicherheit ist die einzige Sicherheit im Leben.“ Energiegeladen und mit tiefer, rauchiger Stimme führt die Unternehmerin Güler Sabanci in dritter Generation die Sabanci-Holding mit viel Elan und einer großen Portion Selbstbewusstsein. Die „Superwoman der türkischen Geschäftswelt“ (CNN) gilt als einflussreichste Frau der Türkei, die auch international einen glänzenden Ruf genießt – und seit Januar 2013 zum Beispiel auch im Aufsichtsrat von Siemens sitzt. Das Magazin Fortune stufte sie als sechstmächtigste Unternehmerin der Welt ein, bei der Financial Times lag sie gar auf Rang zwei. Die in Adana geborene Unternehmerin entspricht dabei kaum dem von der Regierungspartei AKP propagierten Frauenbild: Denn die Chefin des zweitgrößten Unternehmens der Türkei ist single und kinderlos. Güler Sabanci studierte Betriebswirtschaftslehre an der Bogazici-Universität in Istanbul und begann mit 23 Jahren ihre Karriere in der familien­eigenen Autoreifenfirma in der Provinz Koaceli. „Die Reifenfabrik war etwas Neues, ein neues Geschäftsfeld für das Unternehmen; ich wollte nach der Uni ein freies Feld“, sagte Sabanci im Interview Anfang 2013. Danach war sie lange bei der Faserfabrik Kordsa tätig, bevor sie Mitglied des Vorstands der Sabanci-Holding wurde. 2004 übernahm sie – als erste Frau – nach dem Tod ihres Onkels Sakip Sabanci die Führung des Konglomerats. Die von der Sabanci-Holding kontrollierte Industrie- und Finanzgruppe umfasst 70 Unternehmen und beschäftigt rund 56 000 Mitarbeiter in 18 Ländern; 2012 belief sich der Umsatz auf 14,6 Milliarden Dollar, bei einem Vorsteuergewinn von 2,8 Milliarden Dollar. Seit den siebziger Jahren investiert die Sabanci-Holding auch in und kooperriert mit großen multinationalen Konzernen wie dem amerikanischen Tabakhersteller Philip Morris oder dem französischen Einzelhandelsriesen Carrefour. Aber auch zu deutschen Unternehmen wie Heidelberg Cement und E.ON bestehen enge Verbindungen. Unter Güler Sabancis Führung verbuchte die Holding in den vergangenen zehn Jahren Umsatzzuwächse von durchschnittlich 12 Prozent pro Jahr. Daneben kümmert sie sich um die Sabanci-Universität, die 1996 von der Familie als Privatuniversität in Istanbul gegründet wurde, und die Sabanci-Stiftung, die Frauen fördert. Ihr öffentlicher Protest trug 2012 dazu bei, eine Bildungsreform zu verhindern, die es möglich gemacht hätte, Mädchen schon nach dem vierten Schuljahr von der Schule zu nehmen. Auch in ihrer Freizeit beweist sie Unternehmungsgeist: Mit einem ihrer Onkel betreibt sie ein kleines Weingut („Gülor“), dessen Erzeugnisse unter den Marken „G“ und „Cot-n“ vertrieben werden. Im Geschäftsleben gilt sie als „verbindlich, aber knallhart“. „Sie setzt sich besser durch als die meisten Männer“, zitierte der Tagesspiegel 2013 einen Istanbuler Unternehmer. Etwas im Nachhinein zu bedauern, dafür fehle ihr die Zeit, sagte Güler Sabanci dem Sender CNN: „Ich schaue nach vorn, ich bin eine Macherin. Ich habe immer Projekte und Träume.“

Ferit Faik Sahenk gilt als reichster Mann der Türkei: Das Magazin Forbes schätzte sein Vermögen im März 2013 auf 3,4 Milliarden Dollar. Der erfolgreiche Unternehmer ist Präsident der Garanti Bank, der zweitgrößten Privatbank der Türkei, und führt außerdem die Dogus Holding. Sahenk studierte nach seinem Abschluss an der American School in Switzerland am Boston College. Zudem ist er Absolvent des „Owner/President“-Managementprogramms der Harvard Business School. Als sein Vater Jahr 2001 nach einem Herzinfarkt starb, trat er mit 37 Jahren an die Spitze des Familienunternehmens Dogus Holding. Unter Sahenks Führung wuchs das Unternehmen schnell: Das Konglomerat beschäftigt derzeit mehr als 30 000 Angestellte und konnte 2012 einen Umsatzzuwachs von 11 Prozent verbuchen. Die Dogus Holding umfasst 180 Unternehmen in acht Sektoren, unter anderem im Bereich Finanzen, Bau und Energie sowie Medien. Zuletzt engagierte sich Sahenk stark im Hotel- und Gastronomiesektor und erwarb 74 Prozent der Istanbuler Doors-Gruppe, die 20 Luxusrestaurants in sechs Ländern betreibt. 2004 verkaufte er ein Viertel der Anteile an der Garanti Bank für 1,6 Milliarden Dollar an GE Capital, was als wichtiger Schritt bei der Liberalisierung des türkischen Bankensektors galt. 2013 zeichnete ihn das Magazin Ekonomist für seine unternehmerische Leistung mit dem Preis „Unternehmer des Jahres“ aus. Er sei stolz darauf, Unternehmer in einem Land zu sein, das inzwischen dem IWF Geld leihe, im Ausland Marken produziere sowie wirtschaftliche und politische Stabilität erreicht habe, sagte Sahenk in seiner Dankesrede. Kurz danach geriet Sahenk während der Gezi-Park-Proteste jedoch scharf in die Kritik. Die Fernsehsender CNBC-e, NTV und Star, die zu seinem Konglomerat gehören, schwiegen die Demonstrationen lange tot. Nach Aufrufen, Dogus Holding zu boykottieren, erlitt das Unternehmen einen Wertverlust von 2,46 Milliarden Dollar an der Börse. Auch Journalisten der Sendeanstalt und der CEO der Dogus Media Group, Cem Aydin, traten aus Protest zurück.
 

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt Türkei, November/Dezember 2013, S. 54-57

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