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01. Juli 2013

Wer bewegt Brasiliens Wirtschaft?

Von Selfmade-Unternehmern und Managern, Models und Missionaren

Eike Batista, bis 2012 der reichste Mann Brasiliens, gilt als dynamischer und risikobereiter Unternehmer. Seine Holding EBX ist eine der größten des Landes, durch sie steuert er unter anderem ein Öl- und Gasimperium. Batista hat einen brasilianischen Vater und eine deutsche Mutter: eine „absolut explosive“ Mischung, sagte er der Frankfurter Allgemeinen. Die Mutter habe ihm Disziplin, der Vater Flexibilität vererbt – und „höher und weiter zu denken“: Eigenschaften, die Batista ein Vermögen von zeitweise 30 Milliarden Dollar eingebracht haben. Sein Karrierestart ließ dies zunächst kaum vermuten. Er brach sein Ingenieurstudium in Aachen ab und verkaufte vorübergehend Versicherungen. Dann fand er Gefallen am Gold- und Diamantengeschäft. Mit 23 Jahren kehrte er nach Brasilien zurück und verdiente sechs Millionen Dollar – Gründungkapital für EBX, die heute zahlreiche Konzerne und Tochterfirmen mit dem Schwerpunkt Erdöl- und Erdgasförderung, Energieerzeugung, Eisenerzförderung, Stahlherstellung und Logistik vereint. Das X als Zeichen der Multiplikation des Umsatzes trägt jede von ihnen im Namen. Doch nach dem atemberaubenden Aufstieg folgte 2012 der Fall. Der Unternehmer verlor viel Geld und kämpft mit immensen Problemen. Vor allem an der Börse, wo seine Unternehmen zuvor Milliardengewinne verzeichnen konnten, musste Batista zurückstecken: Allein im Juni 2012 fiel die Aktie seines Tochterunternehmens OGX, spezialisiert auf Erdöl- und Erdgasförderung, um 40 Prozent. Insgesamt schmolz Batistas Vermögen von 30 Milliarden Dollar im März 2012 auf zehn Milliarden im März 2013. Symptomatisch für die jüngsten Rückschlage ist der „Superhafen“ Açu. Batistas Vorzeigeprojekt soll seine verschiedenen Konzerne vereinen: sein Logistikkonzern LLX den Hafen bauen, in dem das von der Tochtergesellschaft MMX geschürfte Erz verschifft werden soll; und Batistas OSX soll das demnächst unweit geförderte Erdöl weiterverarbeiten. Neben dem Hafen, der 50 000 neue Jobs schaffen soll, ist eine eigens für Hafenarbeiter geschaffene 250 000-Einwohner-Stadt geplant. Aber das Riesenprojekt verzögert sich, der ursprüngliche Eröffnungstermin 2012 wurde nicht eingehalten. Der einst schillerndste Unternehmer Brasiliens hat darüber einiges an Renommee eingebüßt. Doch Batista bleibt zuversichtlich und arbeitet derzeit an der Reform seines Imperiums. Auch privat ist Batista vorsichtiger geworden. Der passionierte Motorbootfahrer, der mit seiner „Spirit of the Amazon“ Weltmeister wurde, gab den Sport seinen Söhnen zuliebe auf, die er mit seiner Exfrau, der Karnevalskönigin Luma de Oliveira, hat. 

Gisele Bündchen war 2012 mit einem geschätzten Jahreseinkommen von 45 Millionen Dollar nicht nur das am besten verdienende Model der Welt, sie ist auch ein ernst zu nehmender Faktor in der brasilianischen Wirtschaft: Sie hat es verstanden, aus ihrem Namen eine globale Marke zu machen. Unternehmen, die mit ihr werben, verzeichnen regelmäßig Umsatzsteigerungen, und sie ist selbst als Unternehmerin aktiv. Zu ihren bekanntesten Produkten gehören die mit ihrer Beteiligung entstandene Schuhkollektion „Ipanema“ des Schuhherstellers Grendene und ihre Unterwäschekollektion „Gisele Bündchen Brazilian Intimates“ von Hopes, dem brasilianischen Pendant zu Victoria’s Secret. Hinzu kommt die von Bündchen gegründete Kosmetikfirma Sejaa Pure Skincare, die umweltfreundliche Kosmetik anbietet. Grendene wurde 2012 zum größten Schuhhersteller Brasiliens und wächst weiter – dank Bündchen. Mit deren Hilfe als Werbeikone erreicht Grendene nun auch Konsumenten mit höherem Einkommen. Ihre eigene Kollektion ist dagegen preisgünstig und setzt auf eine ökologisch nachhaltige Verarbeitung der Schuhe, was Kunden aus der Mittelschicht anspricht. Laut Forbes steht „Ipanema“ heute für 63 Prozent von Grendenes Exporten. Solche Erfolge beschehrt die Verbindung mit Bündchen auch anderen Unternehmen: Der amerikanische Ökonom Fred Fuld hat 2007 den so genannten „Gisele Bündchen Stock Index“ entwickelt, der die Leistung der Firmen, an denen Bündchen mitwirkt oder die sie repräsentiert (darunter Volkswagen und Disney) an der Börse mit der durchschnittlichen Entwicklung des Dow- Jones-Index abgeglichen. Aktien der Firmen, die Bündchen unter Vertrag hatten, legten mit 29 Prozent deutlich stärker zu als der Dow Jones mit 6,5 Prozent. Laut Fuld funktioniert dieser „BündchenEffekt“ auch umgekehrt. Die Aktie des Mutterkonzerns von Victoria’s Secret fiel um 31 Prozent, als Bündchen ihren Vertrag mit dem Unterwäschekonzern 2007 aufkündigte. Mit 32 Jahren ist Bündchen vom internationalen Model zur erfolgreichen Unternehmerin avanciert – laut Forbes hat sie gar die Chance, erste Selfmade-Milliardärin Brasiliens zu werden. 

Seit Anfang 2012 leitet Maria das Graças Foster mit Petrobras das umsatzstärkste Unternehmen Südamerikas. Damit ist die studierte Chemieingenieurin und Betriebswirtin nicht nur die erste Frau an der Spitze des halbstaatlichen Mineralölkonzerns, sondern weltweit die erste Vorsitzende eines großen Öl- und Gasunternehmens, das laut Ranking-Gesellschaft PFC Energy 2010 noch auf Platz drei der weltweit größten Energieunternehmen rangierte, jüngst allerdings auf Platz sieben zurückfiel. Graças Foster kennt das Unternehmen wie kaum jemand. Bereits als 24-Jährige begann sie als Praktikantin bei Petrobras zu arbeiten; sie wurde innerhalb des Konzerns ausgebildet und lernte in 36 Jahren Abteilung für Abteilung kennen. Bevor sie von Dilma Rousseff zur Vorstandsvorsitzenden berufen wurde, leitete sie fünf Jahre lang die Abteilung Gas und Energie des Ölkonzerns. Die beiden Frauen kennen sich seit 1998, Graças Foster arbeitete damals bei einem Petrobras-Pipelineprojekt mit, Rousseff war eine unbekannte Energiefunktionärin im Bundesstaat Rio Grande do Sul. Graças Foster gilt als unermüdlich und entschieden – was ihr den Spitznamen „Caveirão“ einbrachte, nach dem gepanzerten Fahrzeug, das die Polizei in den Favelas einsetzt. 1953 in Caratinga im Südwesten Brasiliens geboren, wuchs sie in einer der gefährlichsten Favelas von Rio auf. Um das Familieneinkommen aufzubessern, sammelte sie als Kind Recyclingpapier. Solche Ausdauer kann sie heute gut gebrauchen. Im ersten Jahr ihrer Amtszeit halbierte sich der Unternehmensgewinn: Große Förderprojekte und neue Raffineriebauten verzögerten sich, und weil Petrobras nicht in der Lage war, den steigenden Ölbedarf der Mittelschicht zu stillen, musste das Unternehmen Öl importieren und mit hohen Verlusten zu niedrigem Inlandspreis verkaufen. Der Produktionsrückgang ist nicht zuletzt auf die vielen vorher verschleppten Wartungsarbeiten zurückzuführen, die Graças Foster nach ihrem Amtsantritt anordnete. Mit den Herausforderungen geht die neue Vorstandsvorsitzende offen um, prophezeit Stagnation oder gar Verluste auch für 2013. Doch sie zeigt sich entschieden optimistisch für die langfristige Zukunft des Unternehmens: Bis 2020 soll die gesamte Erdölförderung auf 4,2 Millionen Barrel pro Tag verdoppelt werden. Graças Foster wird dafür vollen Einsatz zeigen. Für Petrobras, erklärte sie einmal, sei sie „bereit zu sterben“. 

Nizan Guanaes, Eigentümer der Grupo ABC, dem größten Kommunika-tionsunternehmen Brasiliens, gilt als einer der kreativsten Unternehmer seiner Zeit, der große Gesten nicht scheut. Als er den Namen „ABC“ für seine Firma wählte und darauf hingewiesen wurde, dass er diesen nicht ohne weiteres benutzen dürfe, sicherte er sich kurzerhand das portugiesische Alphabet als Marke. 2012 buchte er zum „Cannes Lion International Festival of Creativity“ ein ganzes Hotel – Kostenpunkt: eine halbe Million Dollar. Doch der Coup zahlte sich aus: Die dort untergebrachten Kunden machten das Hotel wie erhofft zum „networking hub“. Ungewöhnliche und innovative Unterneh-mensleitung haben Guanaes geholfen, Grupo ABC in Rekordzeit zum Branchenprimus zu machen. In nur elf Jahren ist das Unternehmen laut Fachzeitschrift Advertising Age zudem in die „Top 20“ globaler Kommunikationsunter-nehmen aufgerückt. 2008 eröffnete Grupo ABC die ersten Niederlassungen im Ausland; heute besitzt sie Dependencen in São Paulo, Rio de Janeiro, Curitiba, Belo Horizonte, Brasília, New York und San Francisco mit 1600 Mitarbeitern, die mehr als 150 Kunden betreuen. Guanaes sieht sich als globalisierten Brasilianer; dies prägt auch seine Philosophie. Bei allem Erfolg geht es ihm vor allem darum, die Popularität seines Landes zu steigern – im festen Glauben an die Zukunft des brasilianischen Marktes. 

Das Imperium von Edir Macedo ruht auf zwei Säulen: Der 68-Jährige leitet Rede Record, das älteste und (gemessen am Zuschaueranteil) größte Rundfunk- und Fernsehnetzwerk Brasiliens, und er führt, mit nicht weniger Geschäftsgeist, die Universalkirche des Königreichs Gottes (Igreja Universal do Reino de Deus), eine neupfingstlerische Kirche, deren Gründung Macedo zur nationalen Berühmtheit gemacht hat. „O Bispo“ (Der Bischof) ist mit einem privaten Vermögen von 1,1 Milliarden Dollar eines der reichsten religiösen Oberhäupter der Welt. 

Macedo stammt aus einer katholischen Familie, besuchte bereits zu Jugendzeiten jedoch pfingstlerische Gottesdienste – von denen er völlig eingenommen war: „Das Gefühl war unbeschreiblich … Als ob ein Licht in mir aufleuchtete, das meinen ganzen Körper erfüllt“, schreibt er in seiner Autobiografie. So gründete der ehemalige Lotterieangestellte 1977 in den Räumen eines ehemaligen Bestattungsinstituts die Universalkirche, der sich seitdem fünf Millionen Menschen angeschlossen haben. Mit inszenierten Wunderheilungen unter überdimensionalen Leuchtkreuzen füllt der inzwischen promovierte Theologe ganze Stadien und sammelt enorme Spendensummen. Mittlerweile ist die Universalkirche des Königreichs Gottes mit insgesamt 4700 Tempeln in 172 Ländern weltweit vertreten. 9600 Priester wurden für Kirchenlehre und Mission ausgebildet. Zentraler Predigtbestandteil ist das Wohlstandsevangelium, das Glauben mit finanziellem Erfolg verknüpft. Den hat Macedo auch mit Rede Record: 1989 kaufte er das damals verschuldete Rundfunknetzwerk für 45 Millionen Dollar. Heute wird dessen Wert auf zwei Milliarden geschätzt. Das Unternehmen umfasst außerdem einen 24-Stunden-Nachrichtensender – den ersten in Brasilien –, drei regionale und eine Reihe lokaler Zeitungen, eine Filmproduktionsfirma, ein Reiseunternehmen und eine kleine Bank. Musste Macedo vergangenes Jahrzehnt eine Serie von Prozessen wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Spendenveruntreuung überstehen, laufen seine Geschäfte heute weitgehend geräuschlos. Rede Record, das zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen Kirchenfernsehen sendet, übertrug 2012 die Olympischen Spiele. Ansonsten besteht das Fernsehprogramm aus zum Teil eigens produzierten Telenovelas und aus amerikanischen TV-Serien und Spielfilmen, in denen man es mit der Moral nicht so genau nimmt.

Auch politisch spielt Macedo mit: Die Zahl protestantischer Brasilianer wächst stetig – mittlerweile machen sie über 22 Prozent der Bevölkerung aus. Damit wächst auch ihre Bedeutung als Wählerblock. Der politische Arm der Universalkirche, die Republikanische Partei Brasiliens, unterstützte Lula da Silva und auch seine Nachfolgerin Rousseff – im Gegenzug erhielten sie gewisse Mitspracherechte. Macedos Neffe Marcelo Crivella, ebenfalls Priester der Universalkirche, leitet derzeit das Fischereiministerium. 

Bibliografische Angaben

IP Länderporträt Brasilien, Juli/August 2013, S. 54-57

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